Hier stapeln sich schon wieder die Artikel mit Wahlkampfananalysen. Also das Zeug, das mich gerade am meisten fasziniert. Meine Droge, von der ich nicht genug bekommen kann und daher bis zum 23.02. um 18.00 mit glasigen Augen doomscrolend konsumiere. Unglücklicherweise haben wir es, wieder einmal, wahrlich nicht mit nachrichtenarmen Zeiten zu tun. Münchner Sicherheitskonferenz, Ukraine, Israel, Trumpismus, Nato, Putin, EU – täglich neue Tiefstschläge, die meine Aufmerksamkeit wegsaugen.
Am meisten zieht mich aber gegenwärtig die Bundestagswahl in den Bann und so versuche ich, halb manisch, Muster zu erkennen, die mir verraten, wie die Ergebnisse sein könnten. Das muss doch möglich sein, zumal Blitzbirne Fritz mit maximaler Überheblichkeit dem trudelnden Bundeskanzler entgegenschleuderte, dieser könne sich die Mühen des Wahlkampfes sparen. Selbst die ganz rechten Medien, wie der Locus, kommen nicht umhin, dem langen Rookie aus dem Sauerland, seine Hochnäsigkeit vorzuhalten.
[…] Es ist das letzte Duell: Der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz hofft auf einen „last minute swing“. Sein Gegner, der CDU-Chef Friedrich Merz, glaubt, den Wahlsieg schon in der Tasche zu haben. […] Vier Tage vor der Bundestagswahl hält Friedrich Merz sie schon für gelaufen und sich für den Sieger, also für den nächsten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Gleich dreimal wies er darauf hin.
„Ihre Kanzlerschaft dürfte am Sonntag zuende gehen“, sagte Merz gleich zu Beginn dieses letzten Duells mit Olaf Scholz , dem Amtsinhaber von der SPD. Der CDU-Mann setzte sogleich nach: da müsse schon „ein Wunder passieren“, damit es nicht so laufe – für ihn als neuen Regierungschef. […] Scholz wies darauf hin, dass nach Berechnung von Wirtschaftsinstituten die SPD das „billigste“ Programm habe. Daran knüpfte Scholz die Feststellung, dies zeige, „dass die SPD mit Geld umgehen kann“.
Darauf reagierte Merz im Duktus des sicheren Wahlsiegers: Darauf könne Scholz ja dann am Sonntagabend hinweisen, dass die SPD mit Geld besser umgehen könne. Eine Bemerkung, sicher nicht frei von Überheblichkeit. […] Die dritte siegesgewisse Bemerkung ließ Merz am Ende dieser einstündigen Diskussion fallen. Er erbitte sich einen „Vertrauensvorschuss“, ein starkes Ergebnis für die Union, um nur auf einen Koalitionspartner angewiesen zu sein und nicht auf zwei. Merz rekurrierte auf die Umfragen, die die Union bei 30 Prozent taxieren, und sagte sodann: „Damit habe ich diesen Auftrag.“ [….]
(Ulrich Reitz, 19.02.2025)
Merz wähnt sich also schon als Kanzler. Da muss der Urnenpöbel eigentlich gar nicht mehr abstimmen.
Auch wenn mir niemand Optimismus vorhalten kann, so möchte ich doch schon ganz gern erst mal die Verschiebungen der Prozentpunkte, sowie die Sitzverteilung abwarten, bevor ich mich vor Regierungschef Merz in den Staub lege.
Ich stelle nämlich auch andere Spekulationen an.
Wohlwissend, daß diese Was-wäre-wenn-Gedanken, wie meine Artikelsammlung zu möglichen Wahlergebnissen, in zwei Tagen schlagartig jede Relevanz verlieren.
Am Montag, den 24.02.25 wird ist völlig sinnlos sein, nachzulesen was deutsche Edelfedern mit gründlicher Recherche zu den Chancen der einzelnen Parteien zu sagen hatten. Hunderte Artikel kann ich dann getrost direkt dem Altpapiercontainer übergeben. Weniger als 48h bis zu Schließung der Wahllokale.
Warum also nicht einfach entspannen, an etwas anderes, Schöneres, denken und erst mit den 18Uhr-Prognosen geistig wieder in das Geschehen einsteigen?
- WEIL ICH NICHT KANN!
Ich muss einfach. Ich muss auf die Umfragedaten starren und fieberhaft daraus meine Schlüsse ziehen. Wenigstens bin ich nicht der einzige, der durchdreht.
So schreiben heute beispielsweise gleich vier SPIEGEL-Autoren - Paul-Anton Krüger, Serafin Reiber, Christoph Schult und Christian Teevs – folgenden Unsinn:
[….] Die FDP mit Christian Lindner verzeichnet einen Zuwachs von einem
halben Prozentpunkt und kann sich mit nun 4,5 Prozent noch Hoffnung machen,
erneut den Einzug zu schaffen. [….] Das BSW von Sahra Wagenknecht kommt
ebenfalls auf 4,5 Prozent, dürfte allerdings bei einer Regierungsbildung kaum
eine Rolle spielen. […]
Die mathematische Fehlermarge liegt bei etwas drei Prozentpunkten. Insofern sind Prognosen, die überhaupt die Nachkommastelle ausweisen, a priori sinnlos. Demoskopisch betrachtet, sind 28 = 30%. Ein Anstieg von 4,0% auf 4,5% bei reinen Online-Panels, wie Yougov oder Insta, ist reiner Zufall.
Fritzes Überheblichkeitsattacke, nach der er ohnehin bereits Bundeskanzler wäre, egal, wie sehr sich Scholz noch winde, zeigt aber neben seiner charakterlichen Unreife, wieder einmal seine Doofheit. Denn die Analyse stimmt ganz offensichtlich nicht. Bis zum Jahreswechsel wackelte die FDP an der Sperrklausel herum. Sahra Sarrazin schien in die Zweistelligkeit zu marschieren und die Rest-Linken waren im blamablen Balken der „Sonstigen“ als umessbare Splittergruppe unterwegs.
Linocchios Lügen-Liste mutierte seither endgültig zu einem populistischen AfD-Klon, ohne die demoskopische Positionen auch nur ein My zu verändern. Wie betoniert liegt die hepatitisgelbe Pest bei Vierkomma. Ganz anders Wagenknecht, die zwar ihren Putin-Arschküss-Kurs fortführte, damit aber keine Aufmerksamkeit mehr generieren konnte. Der Zauber der neuen Kraft, die ins EU-Parlament und sogar zwei ostdeutsche Landesregierungen geflutscht war, verflog schlagartig. Eben war Putinella noch omnipräsent, saß in jeder Talkshow und nun ist sie plötzlich vergessen. Das Problem des BSW lautet: Zweckfreiheit. Es hat keinen Sinn, BSW zu wählen, weil es koalitions-unfähig ist und als Zwerg-Opposition mit einem xenophoben und putinophilen Kurs, neben der vierfach größeren AfD, die denselben Populismus vertritt, untergehen wird.
Die ganz große Überraschung ist aber die Linke, der noch vor wenigen Monaten niemand die geringste Chance einräumte, in den Bundestag zurück zu kehren.
Schon 2021 war sie unter 5% geblieben, musste den Abgang ihres Superpromis Wagenknecht verkraften, wurde zur Gruppe, mit entsprechend weniger Rechten und Redezeit herabgestuft und stand für notorisches Streiten. Ganz klar; ich war ebenfalls vom Ende der Linken überzeugt. Aber nun dieses Wunder; genauer gesagt, diese erklärbare Wunder: Mehrere Institute sehen die Linke zwischen sieben und neun Prozent. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind die drei Direktmandate der alten Männer (Gysi, Ramelow, Bartsch) gar nicht mehr nötig, weil Reichnneks Leute zahlenmäßig locker an CSU und FDP vorbeiziehen werden. Wer hätte das gedacht. Christian Lindner wird am Sonntag um 18 Uhr auf die Motorhaube seines eigenen Porsches göbeln, wenn er den Linken-Balken steil am gelbem Kümmerling vorbeiwachsen sieht.
Bei Grünen und SPD tut sich ebenso wenig, wie bei Lindners Lutschern, aber dafür zeigt sich ein klarer Trend nach unten bei CDUCSU. Dabei hatte Merz intern immer das Wahlzielt „35%+X“ ausgegeben. Soviel braucht das Parteiengeschwisterpaar, um eine Zweier-Koalition zu bilden und sich die Partner (SPD oder Grüne) aussuchen zu können. Zwei Optionen sind extrem wichtig, um die Kleinen in Koalitionsverhandlungen gegeneinander ausspielen zu können.
Aber dann meldete Yougov am 17.02.2025 den Tritt in Merzens Kniekehlen: 27%
Erst beruhigte man sich mit dem unseriösen Ruf der Yougover; ein Ausreißer-Messwert. Aber nun zeigen mehrere Institute Zahlen unter 30%.
Was für eine Blamage wäre das! Die historisch unbeliebte Ampel kollabiert, es kommt zu vorgezogenen Neuwahlen und Blackrock-Fritze schafft es kaum besser als Ahrtal-Tollpatsch Laschet! Vermutlich könnte Merz damit immer noch Kanzler werden. Aber vergnügungssteuerpflichtig wird die Veranstaltung nicht.
[…] Nach Lage der Dinge kommen [für eine Zweier-Koalition] rechnerisch nur SPD und Grüne infrage; eine Zusammenarbeit mit der AfD hat Merz kategorisch ausgeschlossen. Politisch hat CSU-Chef Markus Söder allerdings im Wahlkampf auch keine Möglichkeit ausgelassen, den Weg für Schwarz-Grün zu verbauen.
Im eigentlichen Sinne wäre auch jede Zweierkoalition mit der Union ja schon ein Dreierbündnis: Die Interessen der CSU haben in der Vergangenheit schon für heftige Spannungen in Regierungskoalitionen geführt. Und das Selbstbewusstsein von CSU-Chef Markus Söder dürfte durch das erwartbar gute Ergebnis seiner Partei in Bayern nicht geschmälert werden.
Die sicherste Garantie für die Union, das Ziel einer Zweierkonstellation zu erreichen, ist ein möglichst starkes eigenes Ergebnis – also deutlich jenseits der 30 Prozent. Die jüngste Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF allerdings sieht die Union nur mehr bei 28 Prozent, zwei Prozentpunkte weniger als in der Vorwoche. Es ist der Bereich, den sie fürchten in den Unionsparteien – wegen der Folgen für die Sitzverteilung im Bundestag.
Denn damit könnte es extrem knapp werden, selbst für Schwarz-Rot. […] In der Union dürfte, wenn es so kommt, eine Debatte losbrechen über die Wahlkampfstrategie von Merz, Stichwort Tabubruch im Bundestag: In der Migrationsdebatte hatte er in Kauf genommen, einen Entschließungsantrag mit den Stimmen der AfD durchzubringen. Bei einem Ergebnis von 27 oder 28 Prozent werde es kritische Fragen geben, heißt es in der Partei. Die Autorität des Vorsitzenden wäre dann angekratzt. Und auch nicht mehr garantiert, dass er die Geschlossenheit der Union noch wahren kann, die sie im Wahlkampf zuletzt demonstriert hat, sowohl mit der CSU als auch im eigenen Laden.
[…] Die Vermutung liegt nahe, dass Merz mit seiner AfD-Strategie zur Mobilisierung der Linken-Anhänger beigetragen haben könnte. […]
Ein CDU-Chef, der die AfD UND Linke groß gemacht hat. Söder würde im Zweiminutentakt verlauten lassen; er hätte viel besser abgeschnitten und Merz sei der falsche Kandidat gewesen.
Eine Koalition mit einer geschwächten 27%-Union aus CDU, SPD, CSU und Grünen könnte extrem schwer zu bilden sein. Die Ampel-Koalitionsverhandlungen funktionierten so gerade eben. Im ruhigen außenpolitischen Fahrwasser mit einem sehr erfahrenen SPD-Kandidaten Scholz, der die Ruhe in Person ist.
Aber eine VIERER-Koalition mit einem völlig unerfahrenen Greenhorn Merz an der Spitze, der zudem zu Wutanfällen neigt, wenn er Widerspruch bekommt, ist schon in statu nascendi zum Scheitern verurteilt. Und DAS in einer Weltlage des Grauens, in der ein starker unangefochtener Kanzler in der EU führen sollte.
Wie soll der Sauerländer Wüterich ohne Detailkenntnisse den Laden zusammenhalten, bei den wöchentlichen Koalitionsausschüssen, in denen sich Söder und Habeck und Esken beharken?
CDU, CSU, FDP und SPD könnte vielleicht Söderistisch einen Tick geräuschloser funktionieren, aber die SPDler hassen Linocchio inzwischen wie die Pest. Die Hepatitisgelben taten alles dafür, um alle Brücken nach Rot abzubrechen.
Hoffentlich bleibt die FDP bei 4,9% hängen am Sonntag-Abend.
Mit Blick auf Österreich und Belgien, halte ich für durchaus denkbar, daß Merz unter solchen Bedingungen gar keine Koalition zusammenbringt, zumal der Zeitdruck aus Brüssel massiv sein wird.
Möglicherweise bleiben Scholz, Habeck und Wissing noch recht lange geschäftsführend im Amt.
Ohne eigene Kanzlermehrheit, kann Merz die alte, abgewählte Restampel nicht loswerden. Die Fliehkräfte werden enorm sein, weil die ostdeutschen CDUler zur AfD zeigen werden, während auf der anderen Seite eine erstarkte Linke ab und zu mal mit Mehrheiten aushilft.
Angesichts der Merzschen Selbstblockade, könnte auch darüber nachgedacht werden, ob man trotz außenpolitscher Ausschließeritis, nicht doch angesichts der größeren Gemeinsamkeiten RRG versucht. Scholz könnte im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt werden.
Als weiteres Unheil droht eine Wahlanfechtung, weil Hunderttausende im Ausland weilende Deutsche aufgrund der Merzschen Drängelei beim Wahltermin, nicht rechtzeitig ihre Briefwahlunterlagen bekamen.
Unterm Strich bleibt es wahrscheinlich, daß der nächste Bundeskanzler Friedrich Merz heißen wird. Aber ich bin weniger sicher, als vor zwei Wochen.
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