Dienstag, 17. Dezember 2024

Der menschliche Faktor.

Die internationale Ölkrise in den 1970er Jahren löste erhebliche ökonomische Probleme in der Industrienation Deutschland aus.

Der Jom-Kippur-Krieg 1973 und die einseitige Parteinahme „des Westens“ für Israel, versetzte die arabischen Staaten so in Rage, daß sie aus Solidarität mit Palästina, von eben auf jetzt die Ölpreise um 70% erhöhten.

[….] Im Herbst 1973 drosseln arabische Ölstaaten die Förderung und verhängen ein Embargo. Der Ölpreis steigt um das Vierfache. Deutschland, erbarmungslos abhängig von Rohstofflieferungen, ist in ihrem Lebensnerv getroffen.  Am 25. November 1973 und weiteren drei Sonntagen gehören Deutschlands Straßen den Spaziergängern und Radlern. Die Autos bleiben in den Garagen, es gilt ein allgemeines Fahrverbot. Dies ist nur die spektakulärste einer ganzen Reihe von Energiesparmaßnahmen, die die Bundesregierung verkündet hat. Zwar nehmen die Menschen die Zwangspause nach außen hin gelassen, doch ein Gefühl des Unbehagens macht sich breit. Das Ende des Traums von der totalen Mobilität, so scheint es, naht. [….] Der Zeitpunkt für den Einsatz der Ölwaffe ist gut gewählt, denn in Europa steht der Winter vor der Tür. Erdöl ist für die Industrienationen des Westens die wichtigste Energiequelle und seit Jahren steigt die Nachfrage. Allein die Bundesrepublik Deutschland deckt 55 Prozent ihres Energiebedarfs mit Import-Rohöl, davon stammen 75 Prozent aus den arabischen Ländern.

Wirtschaftsminister Hans Friderichs (FDP) setzt zunächst auf Beschwichtigung und erklärt, dass die Vorräte für ein halbes Jahr reichen. Dennoch wird Heizöl und Benzin schnell teurer. Das Kabinett beschließt Sparmaßnahmen mit Vorbildcharakter: Bundesbehörden heizen weniger und reduzieren die Beleuchtung, für Fahrzeuge des Bundes wird ein Tempolimit eingeführt. Doch wenn's ums Auto geht, zeigen sich die mobilitätsorientierten Deutschen uneinsichtig, der Benzinverbrauch geht nicht wie erwartet zurück.

Nun entscheidet sich die Bundesregierung für eine gezielte Symbolpolitik, die die Bürger wachrütteln und zum Sparen zwingen soll. Anfang November 1973 peitscht Kanzler Willy Brandt im Eilverfahren das Energiesicherungsgesetz durch den Bundestag. Darin heißt es: "Die Benutzung von Motorfahrzeugen kann nach Ort, Zeit, Strecke, Geschwindigkeit und Benutzerkreis sowie Erforderlichkeit der Benutzung eingeschränkt werden".[….] Auf der Grundlage des Energiesicherungsgesetzes wird den Deutschen ein Sonntagsfahrverbot verordnet, zunächst an vier Tagen im November und Dezember. Darüber hinaus gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen. Vor dem ersten autofreien Sonntag - Sonderfahrtgenehmigungen gibt es nur für Personengruppen wie Polizisten, Ärzte, Blumenhändler, Journalisten und Taxifahrer - malen Psychologen Horrorszenarien an die Wand: Wenn Familien ihren Wagen stehen lassen und zuhause bleiben, wird es unweigerlich zu Gewalttaten kommen.

Doch die Menschen reagieren gelassen. [….]

(BR, 11.04.2014)

Der erste sozialdemokratische Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Brandt, der 1972 ein SPD-Rekordergebnis von 45,8% geholt hatte und vor der CDUCSU lag,  trat 1974 ermattet zurück. Helmut Schmidt übernahm in der schweren Krise. Ihm flogen (damals) bei weitem nicht so die Herzen zu, wie seinem Vorgänger. Die nächste Bundestagswahl drohte zum SPD-Desaster zu werden. Am 3. Oktober 1976 holte Kanzlerkandidat Kohl für die Schwarzen zwar beeindruckende 48,6%, verfehlte aber die absolute Mehrheit im Bundestag um sechs Mandate. SPD und FDP kamen zusammen auf 264 Sitze, CDUCSU auf 254. Mehr Parteien gab es damals nicht. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kohl wechselte als Oppositionsführer nach Bonn und arbeitete sich sechs Jahre an Helmut Schmidt ab.

Kohl war legendär nachtragend und sein Elefantengedächtnis wurde von dieser knappen Niederlage bestimmt. Er wollte es Schmidt heimzahlen, weil er sich als rheinischer Katholik betrogen fühlte. Die von ihm so verachteten protestantischen Norddeutschen hatten es ihm eingebrockt.  Die beiden Helmuts waren charakterliche diametrale Gegensätze. Schmidt zelebrierte seine Bescheidenheit, war ungeheuer gebildet, parlierte fließend in Englisch und französisch, war international als finanzökonomischer Experte hochgeachtet und strapazierte seine Umgebung mit seinem legendären Fleiß.

Kohls hingegen war die Inkarnation der Provinz. Jovial, bräsig, kaum belesen, sprach keine einzige Fremdsprache, schlief und fraß dafür umso mehr.

Die beiden Männer konnten wirklich gar nicht miteinander, weil sie einander verachteten.

Interessant war aber, mit wem sie durchaus konnten. Schmidt war auch ein scharfer Gegner seines nächsten schwarzen Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß, gegen den er ebenfalls die Bundestagswahl gewann; sogar viel deutlicher als gegen Kohl 1976. Politisch war der CSU-Chef sogar noch weiter von ihm entfernt, als der CDU-Chef. Aber Strauß war gebildeter als Kohl, hatte klassische Sprachen studiert, war (auch dank seines Pilotenscheins) viel in der Welt unterwegs. Daher nahm Schmidt ihn eher als ebenbürtig wahr, als den intellektuell sehr einfachen Kohl. Umgekehrt akzeptierte Strauß den Sozi-Kanzler immerhin als politisches Schwergewicht, das sich durchzusetzen vermochte und wußte wovon es sprach.

Auch nachdem Kohl 1982 selbst Kanzler wurde, konnte das Verhältnis zu seinem Vorgänger nie repariert werden. Als Herausgeber der ZEIT und Vorsitzender des Interaction Councils wirkte Schmidt sogar noch weltmännischer und intellektueller. Ein Graus für den dicken Pfälzer, der seine Staatsgäste in Strickjacke traf und mit ihnen Saumagen fraß. Wenn Bundeskanzler Kohl einen direkten Draht in die SPD brauchte, wandte er sich stattdessen an Willy Brandt. Sein Vorvorgänger stand noch weiter links und somit deutlicher weiter entfernt von ihm, als Schmidt. Außerdem konnte seine Herkunft als Exilant und Nazigegner, kaum gegensätzlich als Kohls sein. Brandt sprach fließend englisch, französisch, spanisch, italienisch, schwedisch und norwegisch. Kohl hingegen war ein hoffnungsloser Fall; unfähig, irgendetwas anderes außer pfälzisch zu sprechen.

Aber Kohl und Brandt hatten einen ähnlich emotionalen Zugang zur Politik, zu Personen und Nationen. Sie waren nicht so verkopft, wie der Hyper-Rationalist Schmidt. Und so sangen sie gern zusammen in Berlin zum Mauerfall, tief bewegt, die Nationalhymne. Ohne Schmidt.

Angela Merkel passt in keine dieser vier Schubladen. Aber auch sie kann über Parteigrenzen hinweg mit einigen gut, mit anderen gar nicht.

Helmut Schmidt besuchte sie gelegentlich im Kanzleramt. Es ist auch bekannt, daß sich Kanzler Scholz immer noch gelegentlich mit ihr austauscht.

Der 96-Jährige SPD-Mann Klaus von Dohnanyi ist sogar ein guter enger Freund von Merkel. Mit ihrem direkten Vorgänger Gerd Schröder kann sie hingegen gar nicht. Ebenso wenig mit Horst Seehofer. Geradezu legendär ist die tiefe wechselseitige Verachtung zwischen ihr und Fritze Merz. Die Gründe sind offensichtlich: Er wird ihr niemals verzeihen, ihn 2002 ausgebootet zu haben und später sogar 16 Jahre auf seinem Kanzlerthron gehockt zu haben. Das stünde ihr als ostdeutscher Protestantin ohne CDU-Sozialisation gar nicht zu, argwöhnt der zutiefst in seiner männlichen Eitelkeit gekränkte Merz. Sie wiederum fremdelt mit Merzens erzkonservativ-unflexiblen katholischen Herkunft und verachtet ihn für seine aufbrausende Dampfplauderei. Merz ist ein emotionales Wrack, das seine Gefühle nicht im Griff hat. Jeden Tag auf’s Neue, läßt Merz sich verbal gehen, poltert irgendetwas raus, das für allgemeines Kopfschütteln sorgt und mühsam wieder eingefangen werden muss. Nur weil der CDUCSU-Kanzlerkandidat nicht in der Lage ist, nachzudenken, bevor er loslegt. Merkel hingegen ist die Kontrolle in Person, lässt sich auch durch drastische Demütigungen auf offener Bühne nicht aus der Ruhe bringen.

Viele Beispiele wurden international bekannt. GWB, der plötzlich von hinten ihre Schultern begrabschte, Berlusconi, der sie telefonierend warten ließ, Putin, der sie mit einem Hund erschreckte, Seehofer, der sie wie ein Schulmädchen auf offener Bühne lächerlich machte, der Iran, der ihrer Kanzlermaschine Überflugrechte verweigerte. Merkel verschwendet dafür nicht ein Joule Energie, steckt das stoisch weg. Merz hingegen rastet bei solchen Dingen sofort aus und führt sich auf wie Rumpelstilzchen.

Wenig überraschend also auch die persönliche tiefe Abneigung zwischen dem keifenden Veitstänze aufführenden Arrogantling Merz und dem unterkühlten Rationalisten Scholz. Die beiden können sich einfach nicht ausstehen und sind nicht mal phasenweise in der Lage Gemeinsamkeiten zu zeigen.

So wie Guido Westerwelle nur zwei Dinge konnte – beleidigen und beleidigt sein, beschränken sich Merzens Fähigkeiten auf Unsinn behaupten und Empörung.

[….] Kanzler Olaf Scholz hat CDU-Chef Friedrich Merz vorgeworfen, Unwahrheiten über ihn zu verbreiten. »Fritze Merz erzählt gern Tünkram«, sagte Scholz am Montagabend im ZDF-»heute journal«.

Tünkram ist Plattdeutsch und heißt so viel wie dummes Zeug oder Unsinn. Scholz bezog sich damit auf Kritik von Merz, dass der Kanzler auf EU-Gipfeln öfter schweigend dabei sitze, ohne sich politisch einzuschalten. Im Bundestag hatte Merz nachmittags gesagt, es sei »zum Fremdschämen«, wie der Kanzler sich in der EU bewege.

Scholz sagte über Merz weiter: »Das wird ja nicht die einzige Sache sein, wo er sich so verhält. Er hat es schon oft gezeigt und wird es auch noch im Wahlkampf oft zeigen. Die Bürger werden sich ihren Reim darauf machen.«

Merz reagierte in derselben Sendung  empört. »Ich verbitte mir das, dass der Herr Bundeskanzler mich in dieser Art und Weise hier persönlich bezeichnet und angreift. Aber das ist offensichtlich ein Muster, das wir jetzt sehen.« Merz führte als Beispiel an, dass Scholz am Nachmittag im Bundestag auch FDP-Chef Christian Lindner »die sittliche Reife« für ein Regierungsamt abgesprochen habe. [….] Allerdings hatte Merz schon am Wochenende Scholz persönlich attackiert und geschrieben, Scholz sei in der EU isoliert. »Man muss es leider so sagen: Die Mehrzahl der europäischen Staats- und Regierungschefs hat einfach keine Lust mehr, den deutschen Bundeskanzler zu treffen, der entweder stundenlang schweigend dasitzt oder belehrend die Welt erklärt.« [….]

(SPON, 17.12.2024)

Fritzes Eitelkeit überstrahlt jede politische Ratio. Wie er sich gerade persönlich fühlt, wird ihm immer zehnfach wichtiger sein, als alle Interessen Deutschlands zusammen.

Selbst auf milde verbale Rempler in der heißen Wahlkampfphase reagiert der Briloner Geront hysterisch. Dabei wird es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nächstes Jahr eine CDU-SPD-Regierung geben, weil die ebenfalls maximal irrationalen CSUler kategorisch ausschließen, mit den Grünen zu koalieren.

Das könnte sehr ungemütlich werden, weil Scholz und Merz sich gegenseitig hassen, wie die Pest. Das ist weit mehr, als Wahlkampfgetöse.

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