Freitag, 12. Februar 2016

Eherne Regel der Rechten



Seitdem ich die deutsche Innenpolitik verfolge gab es immer wieder mal irgendwelche rechtspopulistischen Gruppen am schmuddeligen Rand des Parteienspektrums, die durch BILD und platte Parolen in Landesparlamente geschwemmt wurden. Statt-Partei, Schill-Partei, Bürger in Wut, NPD, Republikaner, DVU, AfD.
Im Gegensatz zu den neuen Parteien auf der linken Seite des Spektrums – Grüne und Linke, konnten sich die braunen Brüllaffen aber nie auf Dauer etablieren.

Der Grund ist offensichtlich: Rechte sind intellektuell unterbelichtet. Da sie die Probleme gar nicht erfassen können, nur einfache Parolen grölen, können sie logischerweise nicht an Lösungen mitarbeiten.

Rechte begreifen nicht, daß der parlamentarische Alltag eher mühsam ist, Fleiß und viel Vorbereitungen erfordert.
Hier ist das sprichwörtliche Bohren dicker Bretter erforderlich – eine Methode, die diametral dem Habitus der Flachdenker widerspricht.

Unfreiwillig komisch wird es, wenn Rechte versuchen sich den Anstrich einer seriösen Partei zu geben, indem sie ein Parteiprogramm aufstellen.
So ein Unterfangen ist gar nicht so leicht für die schrägen Schreihälse, die nur ziemlich genau wissen wogegen sie sind.
Parteiprogramme hingegen sollten konstruktiv sein, Lösungen skizzieren und Pläne präsentieren. Zum Glück für die Rechten, lesen weder sie selbst, noch ihre Anhänger.
Blöd ist allerdings, wenn jemand anders sich die Mühe macht die Programmatik zu lesen, wie es die Netzaktivistin Katharina Nocun mit dem AfD-Programm tat.

 [….] Ich habe mir die Parteiprogramme der AfD-Landesverbände angeschaut, die demnächst wählen: Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg. Das sind die aktuellsten Programme. Sie zeigen sehr gut, wie die Partei momentan tickt, da die Mitglieder dem Programm zustimmen müssen.
[….] Verklärung preußischer Zustände, religiös-fundamentalistische Weltsichten, offener Rassismus, Klimawandelleugnung, marktradikale Konzepte aus der Mottenkiste. Alles dabei.
[….] Die AfD vertritt ganz klar die Interessen eines kruden Sammelsuriums von Interessengruppen: Großverdiener sollen weniger Steuern zahlen, radikale christliche Sekten bekommen Geschenke wie „Home Schooling“, das Infragestellen des menschlich verursachten Klimawandels begünstigt Umweltverschmutzer und Rechtsradikale finden sich im Rassismus wieder.
[….] Sie ist erzkonservativ bis ins Mark. Die stellvertretende Vorsitzende Beatrix von Storch holt die Diskussion zurück in die sechziger Jahre. Sie fordert als Abtreibungsgegnerin ernsthaft die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. [….]
 In Baden-Württemberg will die AfD „auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einwirken und auch im Bildungsbereich Anstrengungen unternehmen, damit Ehe und Familie positiv dargestellt werden.“ Was denn nun? Meinungsfreiheit, Pressefreiheit oder staatliche Beeinflussung der Medien?
[….] In Sachsen-Anhalt findet sich noch etwas Interessantes zur Freiheit der Kunst: „Museen, Orchester und Theater sind in der Pflicht, einen positiven Bezug zur eigenen Heimat zu fördern. Die Bühnen des Landes Sachsen-Anhalt sollten neben den großen klassischen internationalen Werken stets auch klassische deutsche Stücke spielen und sie so inszenieren, dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen.“ Was für eine Partei möchte Theatern vorschreiben, welche Stücke sie zu inszenieren haben? Das kennen wir nur aus repressiven Regimen. [….]

Nachdem nun aber schon vier AfD-Landtagsfraktionen existieren, erleben wir bei ihnen das was auch ihre Vorgänger von Republikanern, DVU und NPD bei ihren Stippvisiten im Parlamentarismus vormachten:

Aktuell sorgt in Hamburg der gerade erst von mir skizzierte AfD-Rechtsaußen „Dr. Flocken“ für den unweigerlichen blamablen Weg in die Lyse der braunen Fraktion.

Dr. Flocken ist so rechts, daß neben ihm nur noch die Wand kommt.
So unterzeichnete er im März 2015 die sogenannte „Erfurter Resolution“, auch bekannt als der braune Fluegel innerhalb der AfD, in der Rassist Björn Höcke sich mit seinen völkischen Thesen von Henkel-Lucke-Gruppe absetzen wollte.

Zuvor hatte der Bundesvize Hans-Olaf Henkel das Papier als "spinnerte völkische Ansichten" bezeichnet.  Flocken, Orthopäde aus Bergedorf, stört diese Kritik nicht. Er führt: "Wenn ich konservative, libertäre, islamkritische oder kriegskritische Positionen vertrete, bei Pegida mitspaziere oder rede, dann fühlen sich Politik und Medien provoziert." Auch in der AfD müsste das nicht jedem gefallen, sagt er. "Es gehört aber zur AfD dazu."
[….]  Es ist nicht das erste Mal, dass Flocken an diesem Image kratzt: Am 26. Januar beschimpfte er bei dem Pegida-Ableger in Schwerin die Gegendemonstranten: "In Diktaturen werden Kritiker der Regierung von der Polizei niedergeknüppelt. Bei uns brauchen die Eliten euch als Fußvolk, um die Menschen zusammenzuschlagen und einzuschüchtern." Und bezeichnete die Pegida-Gegner als "die neue SA".

Im Januar 2016 dreht sich Flockens Welt natürlich um die Silvester-Vorfälle.
Eine Steilvorlage für den Arzt, gegen den die Ärztekammer bereits ein Verfahren angestrengt hatte.

Fakten und konstruktive Politik interessieren die AfDler naturgemäß wenig.

Die AfD in Hamburg stellt mit Abstand die faulsten Abgeordneten, die wenn überhaupt nur Gaga-Anfragen stellen.
Der Parteichef Kruse warf seinen Vorsitz im Oktober 2015 hin, blieb aber auf dem (lukrativen) Posten des Fraktionsvorsitzenden – nur um sich drei Monate später in die USA abzusetzen.
Inhaltlich gibt es außer Hetze gegen Flüchtlinge kein Betätigungsfeld der AfDler in der Hamburger Bürgerschaft.

Bildung, Umwelt, Gesundheit, Verkehr, Wirtschaft? Fehlanzeige! Entsprechend hart das Urteil der politischen Widersacher: „Die AfD ist monothematisch aufgestellt. In fast allen anderen Politikfeldern findet sie nicht statt“, stellt der CDU-Fraktionschef André Trepoll fest. Das sieht die Linke genauso: „Sie hat außer ein oder zwei Anliegen zu keiner anderen Frage der Entwicklung der Stadt etwas zu sagen“, so Christiane Schneider. [….] In der Ausschuss-Arbeit des Parlaments, die es zu allen relevanten Themen gibt, ist das Urteil über die AfD vernichtend – und zwar parteiübergreifend.
Selbst CDU und Linke, die sich sonst quasi nie einig sind, kommen zu dem gleichen Ergebnis:  „In den Ausschüssen  muss man viel Detailwissen haben, da kann man nicht mit Plattitüden arbeiten. Das ist bei den AfD-Kollegen noch nicht erkennbar“, sagt Trepoll (CDU). Die Linke wird noch deutlicher: „In den Ausschüssen glänzt die AfD nach meinen Erfahrungen durch nahezu vollständige Abwesenheit – auch wenn ihre Abgeordneten körperlich anwesend sind. Von ihnen kommt: Nichts“, so  Schneider. Auch Beobachter geben der AfD in der Ausschuss-Arbeit schlechte Haltungsnoten.
Dass der AfD-Fraktionschef Jörn Kruse derzeit für drei Monate nach Kalifornien verschwunden ist, sorgt für Kopfschütteln. Kruse, der als Fraktionschef rund 8000 Euro im Monat erhält, begleitet seine Frau, die eine Gastprofessur an der Elite-Uni Stanford angenommen hat. [….]

Elfmal scheiterte die AfD daran einen der ihren in die Hamburger Härtefallkommission zu entsenden, die über das Schicksal von mit Abschiebung bedrohten Menschen entscheiden muß.

Inzwischen verfällt auch die AfD-Hamburg, wie es zu erwarten war, immer mehr der Lyse.


Mit seinem Austritt aus der Fraktion kam Flocken einem Ausschluss zuvor. Ein entsprechendes Verfahren war nach Angaben der AfD-Fraktion bereits eingeleitet. In ihrer offiziellen Stellungnahme sprachen die Rechtspopulisten, die fortan noch mit sieben Vertretern in dem Landesparlament sitzen, von „unüberbrückbaren unterschiedlichen Auffassungen“. Es habe eine Reihe von „nicht unerheblichen inhaltlichen Differenzen innerhalb der Gemeinschaft“, die vor allem die interne Abstimmung parlamentarischer Anfragen und Initiativen betroffen hätten, gegeben.

Allerdings nicht ohne vorher noch einmal öffentlich zu demonstrieren, was für ein dubioser und schlicht nicht wählbarer Haufen die AfD ist.

Er gehörte dem rechten Flügel seiner Fraktion an - aber letztendlich war ihm alles wohl nicht rechts genug. Dr. Ludwig Flocken ist aus der Fraktion ausgetreten. Es ist unüblich, ein Gespräch, das wir gemeinsam mit Kollegen vom NDR führten, ungeschnitten einfach in ganzer Länge online zu stellen. Wir machen mal eine Ausnahme. Weil wir finden, dass es für sich selbst spricht. Und wenn man nicht schneidet, kann man sich zumindest nicht den Vorwurf der Lügenpresse einhandeln.

Donnerstag, 11. Februar 2016

Privates Tagebuch



Bah. Baaaaaah. Ich bin irgendwie deprimiert.
Alles ist so scheiße. Wo man auch hinsieht. Wir werden von Idioten regiert, die noch nicht mal handwerklich in der Lage sind ein Gesetz zu verabschieden, weil sie zu amateurhaft durch den Tag stolpern.
Crazy Horst sagt der gelernten DDR-Bürgerin Merkel durch die Blume sie habe die BRD in einen Unrechtsstaat verwandelt, während Pest-Politiker aus der kraftstrotzenden AfD von Schießbefehlen auf Kinder und Frauen faseln – was nicht etwa zu einem demoskopischen Absturz führt, sondern den Urnenpöbel so begeistert, daß die AfD sogar noch stärker wird.

Außerdem habe ich gerade noch Ärger der ganz unangenehmen Art, privat quasi, im Zusammenhang mit einem Brief, den ich Montag vom Finanzamt erhielt.
Diese Art Briefe, die man eigentlich nie bekommen möchte.
Eigentlich hatte ich beschlossen nie mehr Geld auszugeben und zu dem Zweck für immer in meiner Wohnung sitzen zu bleiben.

Lange hielt ich allerdings nicht durch und ging heute Abend groceryshoppen zu den Fußballern. Unglaublich, aber wahr, ausgerechnet ich Fußball-Hasser kaufe regelmäßig im Laden des Ex-St. Pauli-Fußballtrainers Holger Stanislawski ein.
Der Laden gehört ihm zusammen mit Ex-HSV-Profi Alexander Laas.
Stanislawski und Laas ist aber der große Supermarkt, den ich mit dem Auto am praktischsten erreichen kann.
OK, der neueste EDEKA-Niemerszein Lange Reihe ist wohl noch etwas näher und sehr schick, aber da ist die Non-Food-Abteilung kleiner und ich brauchte heute allerlei Putzmittel.
Außerdem, das gebe ich zu, fühle ich mich in dem Edel-Niemerszein Lange Reihe irgendwie seltsam, weil das ja die schwulste Straße Hamburgs ist – der Kern von St. Gayorg.
Ich mag Schwule sehr gern, aber als ich das letzte Mal in dem Laden war, kam ich mir vor wie ein verlotterter aufgequollener Opa – anscheinend kaufen da nur Models. Alle jung, alle makellose Haut, alle ohne ein Gramm Fett, alle muskelbepackt, alle topmodisch.
Das ist irgendwie schon ein „Problem“ an den Szene-Schwulen. Die sehen alle so unfassbar gut aus, daß man selbst als jemand, der eigentlich nichts auf Äußerlichkeiten gibt, eine leichte Verunsicherung spürt.
Aber die Lange Reihe ist eben DIE Flaniermeile der Hippen. Erstaunlich. Als ich studierte, vor Äonen, fuhr ich immer mit dem Bus durch die Lange Reihe. Da war es da noch richtig finster. Straßenstrich und Drogenumschlagplatz. Abends wollte man da wirklich nicht allein aussteigen. Und jetzt muß man da für eine Eigentumswohnung mindestens 7.000 Euro den Quadratmeter hinlegen. Gentrifizierung wie sie im Buche steht. Und die Homo-Dinks (Double Income No Kids) mit ihrem Geld und Geschmack sind schon irgendwie ursächlich.
Hier entwickelt sich wohl in der Tat eine der gefürchteten Parallelgesellschaften.

Selbst wer noch nie in Hamburg war, hat vermutlich schon von der Reeperbahn gehört. Eine der berühmtesten Rotlichtgegenden der Welt. Auch das ist eine Parallelgesellschaft. Ebenso wie der zu St. Georg („Gayorg“) gehörende Steindamm. Das Abendblatt portraitierte ihn vor einigen Wochen als „Orient am Steindamm in Hamburg.“

St. Georg.  An syrischen Restaurants, türkischen Imbissen, Barbieren und Shisha-Shops schieben sich Frauen mit Kopftüchern und Männer mit dunklen Haaren vorbei. Alle paar Meter drehen sich die Dönerspieße, es gibt Baklava, Apfeltabak und Minztee. Tausend und eine Nacht im Neonlicht der Handyläden. Willkommen in Hamburg, willkommen am Steindamm.
Seitdem die Zahl der Flüchtlinge im Sommer nach oben geschnellt ist, ist hier noch mehr Trubel als ohnehin immer war. Wolfgang Schüler hat die Entwicklung genau beobachtet. Als Quartiersmanager geht er den Steindamm fast jeden Tag auf und ab. [….]
Dass der Steindamm bei vielen Hamburgern immer noch einen schlechten Ruf hat, kann er nicht verstehen. "Anderswo würde man das einfach Little Italy oder China Town nennen und damit werben. Wo ist denn das Problem?" [….] Er findet: Im Moment läuft es richtig gut. "Auch durch die vielen Flüchtlinge, die jeden Tag kommen, wird hier ein richtig gutes Geschäft gemacht. [….]
Dass die Straße mit Flüchtlingen umgehen kann, habe sie schließlich schon mal gezeigt. "In den Neunziger-Jahren war die Situation ähnlich", erinnert sich Schüler. "Da kamen auch Tausende Menschen zusätzlich an den Steindamm, die heute zu guten Nachbarn geworden sind. Und wenn man ehrlich ist, haben sie das Viertel damals vor einem massiven Leerstandsproblem gerettet."
Ob die Zahlen der geflohenen Menschen derzeit zu Problemen führe? Zu Gewalt, Auseinandersetzungen verfeindeter Gruppen oder Diskriminierung? Schüler schaut, als würde man ihn fragen, wann er das letzte Mal zum Mond geflogen ist. "Solche Probleme gibt es hier nicht", sagt er. [….] [….]

Der Hamburger Steindamm IST zwar eine Parallelgesellschaft, allerdings verstehe ich nicht, wieso Parallelgesellschaften jemand stören.
In den meisten anderen großen Städten in Westeuropa und Amerika ist es ganz normal. In New York gibt es das berühmte „Little Italy“ oder „Chinatown“ und sogar ein deutsches Viertel.
Also für mich geht das völlig OK.
Es gibt ja vielfach in Deutschland reine Schwulenviertel, hier ist es St. Georg, das Uni-Viertel (Rotherbaum, wo nur Studenten sind), das Alternativ-Viertel, wo die  Autonomen und Ökos abhängen (Schanze und Karolinenviertel), das Ibero-Viertel vor der Speicherstadt, wo es all die spanischen und portugiesischen Restaurants gibt, Villenviertel in Harvesterhude  und dann natürlich reine Rotlichtviertel (Reeperbahn!) etc.
Warum soll es kein Türken- oder Italiener-Viertel geben?
Das Eigenartige ist in Hamburg, daß St Gayorg – dazu gehört auch der Steindamm – ausgerechnet ein Kombi-Viertel für Schwule und Muslims ist.
Die haben alle Toleranz gelernt. Kurioserweise ist MITTEN in der schwulsten Gegend von St Georg überhaupt der katholische Mariendom, in dem unserer neuer Erzbischof Stefan Heße hockt.
Katholiken gibt es da so gut wie keine – nur Moslems und Homos.
Aber irgendwie haben die sich offensichtlich arrangiert. So gut sogar, daß die Gegend jetzt so gut funktioniert, daß die Mieten auch so explodieren, weil jeder dahin ziehen will.
So etwas Ähnliches gibt es auf der Hamburger Insel „VEDDEL“.
Das war ursprünglich mal der ärmste Stadtteil Hamburgs für die Hafenarbeiter.
Dann wurde es langsam zum reinen Ausländergetto und weil die Mieten in den anderen Stadtteilen so steigen, sind in den letzten Jahren aber viele Studenten dahin gezogen.
Die Mieten sind auf der Veddel immer noch relativ günstig und viel los ist da auch nicht, aber es gilt auch als absolut friedlich und tolerant.

Das hat sich so rumgesprochen, daß auf einmal alle auf die Veddel ziehen wollen.

Stadtteile verändern sich immer und wenn sich Parallelwelten bilden, finde ich das gut.

Stanislawski und Laas liegt in Winterhude, aber dem nicht so schicken Teil des Stadtteils. Es gibt dort in dem Markt noch weitere kleine Läden.
Als ich da heute reinschlurfte, ging ich zuerst zu Shahram Pourkazemi, dem netten Inhaber von tabak lotto presse et cetera, um mir ein Platinum-Rubbellos für zehn Euro zu kaufen. Meine Finanzsituation und so. Ich muß da was unternehmen. Ich schätze Herrn Pourkazemi sehr, aber heute hatte er einen miesen Tag und händigte mir eine totale Niete aus.
Mist, die 500.000 Euro Hauptgewinn hatte ich schon fest eingeplant.


Macht nichts, nebenan bei den herzlichen Türken von „Feinkost Kaya“ wurde ich wie immer freudestrahlend begrüßt und sofort animiert alles Mögliche zu probieren. Die Jungs da sind nicht zu bremsen. Und jedes Mal, wenn man zu Hause seine Kaya-Tüte auspackt, haben sie einem noch zusätzliche Köstlichkeiten geschenkt.

Im eigentlichen Markt diskutierte ich dann mit Frau Wagner aus Kasachstan, der Käse-Dame, darüber wie man „Alter Schwede“ heiß macht. Sie tut den in die Mikrowelle. Ach Du Schreck. So etwas wage ich nicht. Dafür habe ich ihr aber noch einmal genau erklärt, wie man meinen berühmten amerikanischen Roquefort-Blumenkohl-Dip macht. Hatte ich ihr schon vor einigen Wochen mal erklärt, aber sie mußte noch mal nachhaken.
Da sie allein war, mochte ich nicht so lange wie üblich im Plausch verweilen, weil neben mir schon andere Kunden warteten. Eine junge blonde Frau, die mich aus dem Augenwinkel an die Tochter einer Freundin erinnerte.
Sie schmiegte sich an ihre dunkelhaarige Freundin, Fröhlich glucksend steckten sie die Köpfe an der Auslage zusammen und debattierten, was sie noch zu Hause hätten und was gekauft werden müsse.
Ich glaube, es war ein lesbisches Paar. Aber wer weiß das schon so genau heute? Vielleicht waren es auch sehr vertraute Freundinnen, die zusammen wohnen.
Inzwischen fragte ein Mann links neben mir nach, ob ich den Blumenkohl wirklich roh äße. Ja, natürlich! Das ist das Geheimnis! Den isst man nur roh.

Man kommt auch in so einer Normalogegend schlecht voran, wenn man sich einigermaßen freundlich benimmt und dadurch in viele Gespräche verwickelt wird.
An der Kasse steuerte ich auf meine Lieblingskassiererin zu, von der ich peinlicherweise nicht den Namen weiß. Normalerweise gebe ich mir immer so große Mühe Menschen mit ihrem Namen anzureden. Aber diese Kassiererin, eine richtig schwarze Kubanerin ist immer so herzlich zu mir, daß ich immer das Gefühl habe wir kennen uns schon ewig und wären befreundet. Da ist der Punkt irgendwie verpasst, an dem man noch fragen kann „wie heißen sie eigentlich?“.
Wir stimmten gerade voller Verve darüber überein wie gut es wäre in einer Gegend der Welt zu leben, die über Jahreszeiten verfüge. Wie albern es doch sei schlechtes Wetter zu beklagen, es wäre doch langweilig immer die gleiche Witterung zu haben. So wie in Kalifornien. Schrecklich.
Allerdings stimmten wir auch darin überein, daß Tropennächte großer Mist sind. Wenn die Stadt nicht abkühlt nachts im Hochsommer und man deswegen nicht schlafen kann.
Das fand dann auch der Mann, den ich schon an der Käsetheke gesehen hatte, der seinen Freund dabei kichernd in die Seite buffte.

Auf dem Rückweg dachte ich daran, wie sich ein Mitschüler von mir mit 16 geoutet hatte und was das für ein Donnerwetter bei seinen Eltern gab. Auf dem Pausenhof haben sich einige meiner Freunde und ich immer schützend in seine Nähe gestellt, weil doch recht unfreundliche Kommentare dazu kamen.

So scheiße heute alles ist, aber wenn ich mich heute beim Einkaufen so umsehe, muß ich sagen, daß wir Kinder der 80er es weit gebracht haben.
In einer völlig durchschnittlichen Gegend ohne Glamour laufen abends Lesben, Schwule, Schwarze, Iraner und sogar ich umher – und es interessiert keinen Menschen. Keiner guckt komisch, wenn Männer Händchen halten und die Menschen um einen herum haben alle Hautfarben, die man sich denken kann.
Die Apotheke von Dr. Behrouz Effat Parvar, in der ich noch etwas Lavendelöl kaufte, ist die freundlichste, die man sich denken kann. Niemand quakt rum, weil die Inhaber Kopftuch tragen.

Für Seehofer, Petry, Scheuer, Höcke, Kuby, Kelle, Beverfoerde, Berger, Söder und Gauland mag das alles ein Alptraum sein, aber ich finde es klasse.
Ich möchte nicht mehr in einer homogen-weißen-hetero-deutschen-Christengesellschaft leben.



Mittwoch, 10. Februar 2016

Chapeau, Gabriel



Dieses TTIP scheint eine tolle Sache zu sein.

Donnerwetter, Sigmar Gabriel!
Weshalb Sie sich plötzlich so vehement für das Freihandelsabkommen TTIP einsetzen, erklärten Sie in der Bild: »Es gibt viele Barrieren gerade für kleine und mittelständische Unternehmen. Zölle und Doppelregulierungen machen den Handel unnötig teuer. Allein die deutsche Autoindustrie muß jedes Jahr eine Milliarde Euro ausgeben, um Autos aus Deutschland in die USA exportieren zu können.« Das schwere Schicksal des Autos exportierenden Kleinunternehmers hat also Ihr sozialdemokratisches Herz erweicht! Wäre es da nicht glaubhafter gewesen, Sie hätten einfach bekannt, daß Sie gerne Genmais, Chlorhühnchen und geklonte Rinder fressen?
Stating the obvious:

Gegen TTIP kann man nichts sagen. Jedenfalls nichts Begründetes, da niemand wissen darf was TTIP eigentlich ist.
Wir müssen da schon auf den zuständigen Wirtschaftsminister vertrauen.

Nachdem Sigmar Gabriel seiner Partei Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen gelobt hatte, ließ er doch einige Bundestagsabgeordnete Einblick nehmen.
Er richtete den jetzt schon legendären hochgeheimen Leseraum ein.
Spielt die Bundesregierung nun etwa mit offenen Karten?

[…] Keine Kopien, keine Fotos - Handys müssen abgegeben werden. Die Rede ist vom neu eingerichteten TTIP-Leseraum im Bundeswirtschaftsministerium. Die Zutrittsbedingungen sind ziemlich umstritten - aber warum sind sie überhaupt so?
[…] Es war Bundeswirtschaftsminister Gabriel, der sich dafür eingesetzt hatte, dass es einen Leseraum für die Bundestagsabgeordneten geben soll, nachdem viel Kritik an der Geheimhaltung der TTIP-Verhandlungen laut geworden war. Auch Gabriel passten die Bedingungen nicht, wie er zu verstehen gegeben hatte. Er sprach jedoch von "einem Schritt hin zu mehr Transparenz".
Doch auch mit der Eröffnung des Raums und der Einsicht in Dokumente reißt die Kritik nicht ab. Vertreter der Linkspartei bemängelten, dass der Zugang zu den Dokumenten "derart begrenzt sei, dass von Transparenz und parlamentarischer Kontrolle weiterhin keine Rede sein könne". […] Der Leseraum im Bundeswirtschaftsministerium besteht aus acht Arbeitsplätzen mit Computern, an denen die Abgeordneten Verhandlungsdokumente einsehen können. Dabei handelt es sich um Dokumente, die sowohl die Position der EU als auch der USA wiedergeben. In der Ecke des Raums steht ein Wachmann, der dafür sorgen soll, dass die strengen Regeln auch eingehalten werden. […]

[…] Angemeldet haben sich für den maximal zweistündigen Besuch seitdem 83 ParlamentarierInnen.
Doch welche das sind, darüber gibt es keine Auskunft. „Wir richten uns da nach den Wünschen der Abgeordneten und wollen nicht vorgreifen“, sagt Andreas Audretsch, Sprecher im Wirtschaftsministerium. Gabriels Staatssekretär Matthias Machnig hat beim Vorsitzenden des Bundestags-Wirtschaftsausschusses, dem CSU-Abgeordneten Peter Ramsauer, schriftlich um eine Klärung gebeten, wie mit Presseanfragen umgegangen werden soll – bisher aber offenbar ohne Ergebnis. Die Pressestelle des Bundestags teilt mit, die Namen würden „aus Datenschutzgründen nicht bekannt gegeben“.
Dass die Namen der Abgeordneten nicht genannt werden, lässt sich damit vielleicht tatsächlich begründen – schließlich könnte das als unzulässige Kontrolle ihrer Arbeit ausgelegt werden. Doch Ministerium und Bundestag geben auf Anfrage nicht einmal die Parteizugehörigkeit der bisherigen NutzerInnen des Leseraums bekannt. Und das hat vermutlich wenig mit Datenschutz zu tun – und viel damit, eine Blamage für die Regierung zu verhindern.   Denn bisher nutzt offenbar fast nur die Opposition die Möglichkeit, Einblick zu nehmen. […]

Gabriel, der Fuchs hat hier ein Husarenstück abgeliefert.
Vordergründig hielt er sein Versprechen ein, für Transparenz zu sorgen, gab sich öffentlich geknickt darüber nicht mehr offenbaren zu können – das läge an den Amerikanern.
In Wirklichkeit hat er aber durch die umfassenden Geheimhaltungsverpflichtungen derjenigen Abgeordneten, die einiges einsehen durften, nun dafür gesorgt, daß überhaupt keine Informationen mehr an die Öffentlichkeit gelangen.
Denn nachdem sie einmal in Sigis Leseraum waren, dürfen die Parlamentarier gar nichts mehr sagen – noch nicht mal das, was sie schon davor über TTIP wußten.

Der Grüne Fraktionschef Hofreiter, nicht eben als Schnelldenker bekannt, offenbarte soeben unfreiwillig wie er dem Vizekanzler in die Falle gegangen ist.


[…] Seit einer Woche dürfen Abgeordnete Unterlagen zum Handelsabkommen mit den USA einsehen. Wer sich die Dokumente anschaut, begibt sich in ein Dilemma: Denn über das Gesehene reden darf man nicht.
[…] Vorige Woche hat der Grünen-Fraktionschef das Video ins Netz gestellt, darin erzählen er und seine Fraktionskollegin Katharina Dröge von ihrem Besuch im TTIP-Leseraum im Wirtschaftsministerium. […] Seither hagelt es Hohn und Kritik. Hunderte Kommentare gibt es mittlerweile zu dem Video, die meisten geißeln die Geheimhaltung. "Zeigen Sie Zivilcourage und reden Sie!", schreibt einer, und der ist noch von der freundlichen Sorte. "Wieso lasst ihr euch das gefallen?", will ein anderer wissen. Der schüchterne Verweis der Grünen auf Paragraf 353 des Strafgesetzbuches kann die wenigsten beruhigen: Seit wann muss ein Parlamentarier drei Jahre Haft fürchten, wenn er die Wahrheit sagt? Plötzlich sitzt in der Falle, wer sich die Dokumente angeschaut hat. 
[…][…]  Jeweils acht Abgeordnete dürfen nun gleichzeitig in Raum B 0.010 des Ministeriums, wo sie an Computern für zwei Stunden Kapitel studieren dürfen. Handys müssen sie in einem Spind wegsperren, Stifte und Papier stellt das Ministerium. Vor allem aber muss jeder Abgeordnete den Regeln zustimmen: "Mit Ihrer Unterschrift im Logbuch verpflichten Sie sich (. . .) zum Schutz dieser Schriftstücke und der darin enthaltenen Informationen." Andernfalls drohten "disziplinarische und/oder rechtliche Maßnahmen".
Das Ergebnis ist paradox: Denn wer im Lesesaal war, darf nicht mal mehr über Dinge reden, die er dort zwar bestätigt fand, aber vorher schon wusste.  […][…]
 (Michael Bauchmüller SZ vom 10.02.2016)


Nachtrag – immerhin Jürgen Trittin zeigte seine TTIP-Notizen:




"Ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Heute war ich im #TTIP-Lesesaal und habe die geheimen Verhandlungsdokumente für das Handelsabkommen zwischen EU und USA eingesehen. Meine Notizen darf ich nicht veröffentlichen. Nur so viel: die Skepsis von uns Grünen gegenüber TTIP ist gerechtfertigt.“