Dienstag, 8. Juli 2025

Unser größtes Problem

In den Umfragen, nach den größten Bedrohungen oder wichtigsten Themen, die den deutschen Michel quälen, werden üblicherweise die Antwortmöglichkeiten „Mieten, Klimawandel, Krieg, Migration, Arbeitsplätze, Wirtschaft“ vorgegeben. Gelegentlich auch „Renten, Gendern oder Digitalisierung“.

Entsprechend der meistgezeichneten Narrative unserer Medien- und Parteienlandschaft, landen Wirtschaft und Migration ganz vorn und Klima hinten. Der deutsche Urnenpöbel hält den Klimawandel immer noch mehrheitlich für ein Partikularthema der Grünen. Dabei werde man, wie beim  (ausgedachten) Veggieday und Wärmepumpenzwang, nur gegängelt. Daher also die Erleichterung, das Problem nun mit Merz und Reiche hinter sich gelassen zu haben. Schluss mit den häßlichen Wundrädern und Elektroautos, die so unmännlich leise surren.

Ich kann auf solche Umfragen kaum antworten. Wenn ich Migration anklicke, weil ich es für ein wichtiges Thema halten, wird es automatisch von den Schwarzen als AfD-affine Grenzen-zu-Position gewertet. Ich werde als Argumentationshilfe für einen „Ausländer-raus-Kurs“ missbraucht.

Dabei verstehe ich unter dem „Problem Migration“, daß Pushbacks enden müssen, es legale Einreisewege zu geben hat, nicht mehr tausende Migranten im Mittelmeer ertrinken, daß die EU-Landwirtschafts- und Fischerei-Politik nicht afrikanische Länder ruinieren darf und wir selbstverständlich viel mehr Integration und erst Recht mehr Einwanderung brauchen. Stichwort Fachkräftemangel und Demographiekatastrophe. Geben Civey oder Forsa das Stichwort Migration vor, wird es als ZU VIEL Migration verstanden. Jemand, der wie ich „zu wenig Migration“ damit verbindet, ist gar nicht vorgesehen in diesen tendenziösen Erhebungen.

Die Themen, die ARD-Rechtsaußen Jörg Schönenborn an Wahltagen als Belege für CDU-Wahlerfolge anführt, werden also offenbar völlig unterschiedlich interpretiert.

Ich empfinde Rechtsextreme und Kirchen als Bedrohung, fühle mich in Gegenwart von Migranten und Queeren wohl.

Die meisten Ossis sehen es genau umgekehrt. Wir können also die gleichen Themen nennen; diese aber völlig unterschiedlich konnotieren.

Die politischen Themenblöcke lassen sich nicht einheitlich definieren und sie lassen sich auch nicht von einander trennen. Klimapolitik ist auch Wirtschaftspolitik. Integration hängt mit Pflege zusammen. Bildung mit Digitalisierung.  Migration mit Europa und Entwicklungshilfe und Krieg. Alle Themen werden durchzogen von Lobbyismus und finanziellen Fragen. Überall spielt die Frage der sozialen Gerechtigkeit eine Rolle.

Auf die Frage nach dem wichtigsten politischen Thema gibt es für mich zwei Antworten.

Die Kurze lautet: „Klimaveränderung“. Das Thema wird die Zukunft und das wahrscheinliche Ende der Menschheit bestimmen. Die Reiche/Merz/Trump-Fossilpolitik wird uns alle töten; simple as that.

Die längere Antwort bezieht sich auf die Unfähigkeit Problemlösungen umzusetzen, obwohl Homo Sapiens intellektuell durchaus in der Lage ist, taugliche Konzepte zu entwickeln. Wir müssen keine Kriege führen, wir müssen nicht täglich tausend Kinder verhungern lassen, wir müssen nicht Tierarten ausrotten oder mit Schleppnetzen den Ozeanboden zerstören. Wir müssen nicht an Infektionskrankheiten dahinsiechen, oder bittere Armut akzeptieren, während 3.000 Milliardäre der Welt in atemberaubender Weise ihre Reichtum vermehren.

Wir müssen nicht rechten Rattenfängern nachlaufen und Demokratien in Autokratien transformieren. Wir müssen nicht Minderheiten diskriminieren und umbringen.

Warum also wählt die Menschheit die falschen Wege? Warum wählen gerade die finanziell Schwachen so extrem gegen ihre eigenen Interessen? Wieso begeistern sich die Menschen in Sachsen-Anhalt erst für die antidemokratische Hitler-Diktatur, dann für die antidemokratische SED-Diktatur, fremdeln dann mit der demokratischen BRD und begeistern sich nun wieder für die antidemokratische  AfD?

Das grundliegende Problem ist meistens die mangelnden Medienkompetenz. Ossis haben nach zwei Diktaturen ohnehin kaum Medienkompetenz entwickelt und waren mit der Informationsfülle ab 1989 vollkommen überfordert. Ihre regionalen Zeitungen wurden ausnahmslos von rechten westdeutschen Konzernen übernommen. Der noch größere Klotz war aber das Internet und die sich darin entwickelnden Sozialen Medien.

Damit starb die Gatekeeperfunktion seriöser Tageszeitungen, der TV-Nachrichten und politischer Wochenmagazine aus. Niemand filterte mehr die Informationsflut.

Wenn im Internet 1.000 Meldungen auftauchen, von denen nur ein Prozent, also zehn wahr sind, wäre es schön, wenn ein Durchschnittsmensch den Ausleseprozess gern bezahlt und dann in seiner Zeitung oder Nachrichtensendung mindestens neun wahre Meldungen von insgesamt Zehn erhält. Die Faktenquote von 1% auf 90% (und idealerweise 100%) zu erhöhen, gelingt aber nicht mit Gratismentalität. Das erfordert gut ausgebildete und gut bezahlte Journalisten und Dokumentare. Die große Mehrheit der deutschen ist aber von rechts so weit weichgeklopft, daß sie den Rundfunkbeitrag rundweg ablehnt.

Teens und Twens und Thirtysomethings wollen kein Geld mehr für Abonnements ausgeben. Wozu auch, wenn man gratis in seinen Social-Mediablasen informiert wird? (Faktenquote 1%, aber 99% angenehme Lügen)  Dadurch gerieten die klassischen Medien unter enormen finanziellen Druck. Die Auflagen/Einschaltquoten schrumpften ebenso, wie die Werbeeinnahmen. Werbekunden zahlen nicht für Periodika mit homöopathischer Auflage, sondern gehen dahin, wo die meisten Menschen zugucken. Die Algorithmen der großen Techkonzerne gaben uns an dieser Stelle den Rest, indem sie unsere Aufmerksamkeit so steuern, daß wir unabhängig vom Wahrheitsgehalt auf Meldungen stoßen, auf die wir emotional am stärksten reagieren.

Diese Entwicklung von Gatekeepermedien wie der Tagesschau, (die zu meiner Jugendzeit jeder guckte und jeder weitgehend glaubte), hin zu Bubbles, in denen nur die eigene Meinung ventiliert wird, öffnet die Tür zu Manipulation („Camebridge Analytica“) und lässt vor allem die Medienkompetenz weiter schrumpfen. Man kann nicht nur, nicht einschätzen, was seriös ist, sondern bemüht sich auch immer weniger darum. Zu allem Übel, sind die Redaktionen dadurch so ausgedünnt und unterfinanziert, daß ihnen immer mehr Fehler passieren. Springer hat seine gesamte über 100-Köpfige Dokumentationsabteilung schon vor Jahren aufgelöst. Wozu Fakten überprüfen lassen, wenn man auch schnell bei Wikipedia nachsehen kann und es die Leser ohnehin nicht interessiert, ob es wahr ist?

Fakten, die nicht ins eigene Weltbild passen, werden nicht mehr zur Kenntnis genommen. Auf abweichende Meinungen wird aggressiv reagiert. Man dringt nicht mehr durch.

Der Prozess ist zu weit fortgeschritten, um ihn umzukehren. Die Menschen schieben ihr Geld bereitwillig zu den Tech-Oligarchen, die obszön reich werden, weil sie bei ihnen bequem die Scheinrealität bekommen, die ihnen gefällt. Wozu 1.000 Euro im Jahr für ein SZ-Abo ausgeben, wenn die dort präsentierte Sicht einerseits so unangenehm detailreich und kompliziert ist und anderseits so unerfreulich dem eigenen simplen Weltbild widerspricht?

Jahrelang war ich der Meinung, es sei wichtig, auf Facebook und Co, niemanden zu blockieren, auch die „Feindpresse“ zu lesen, um nicht in seiner eigenen Blase gefangen zu werden. Wenn jemand Unsinn über Klimawandel, SPD-Steuerkonzepte oder kriegerische Auseinandersetzung schrieb, mischte ich mich ein, nannte Quellen und versuchte, immerhin die Fakten richtig zu stellen, wenn ich schon keine Meinungen ändern kann.

Spätestens mit dem Aufkommen der Covidioten wurde mir aber klar: Der Kampf ist verloren. Man kann Trump-Fans, AfD-Ossis, Flacherdler, Chemtrailer, Grünen-hassende CSUler, Brexiteers, ultraorthodoxe Siedler, Reichsbürger, Identitäre, Homohasser, Verbrennerfanatiker nicht mehr erreichen. Sie glauben einem nicht; ganz egal wie viele Quellen man ihnen vorliegt, die glasklar ihren Irrtum belegen.

Heute werden Kompromisse als Schwäche ausgelegt. Wissenschaftler mit Schwurblern auf eine Stufe gestellt, Hate-Groups als Menschen mit anderer Meinung dargestellt.

Daß Typen wie Merz und Dobrindt Rechtsbrecher sind, daß Spahn lügt, wie gedruckt und Milliarden Schaden anrichtete, stört gar nicht mehr. Im Gegenteil, die CDUCSU steigt in Umfragen.

Wir haben verloren. Die Menschheit hat fertig.

 

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