Kurioserweise scheint es so zu sein, daß die Ärmsten in der Bevölkerung, denen das Wasser ohnehin schon bis zum Hals steht, jeden Tag in Sternelokalen einkehren und nun bei einer Preiserhöhung verhungern müssen. Man kennt es ja; der gemeine Obdachlose isst täglich von Sterneköchen zubereitete Gänsekeule mit Maronen-Orangenjus und geht abends zu Lachs und Kaviar in Cocktailbars.
[…..] Die Gänsekeule mit Klößen, Rotkraut und Maronen-Orangenjus kostet im "Lehmanns", einem Weinlokal in der Mainzer Altstadt, 29,90 Euro. "Das ist viel", findet Betriebsleiter Kamil Ivecen. Er rechnet vor, dass er seinen Gästen das Weihnachtsmahl nicht günstiger anbieten kann, weil wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise allein die Zutaten schon die Hälfte dieses Preises ausmachten.
Wenn der Gastronom an das kommende Jahr, die anhaltend hohe Inflation und die Erhöhung der Mehrwertsteuer denkt, bekommt er Magengrummeln. Denn dann, sagt er, werde er die Gänsekeule für mindestens 38 Euro anbieten müssen. "Mindestens 38 Euro! Wer geht denn da noch essen?", fragt sich Ivecen. [….] Der Plan, die Mehrwertsteuer wieder auf 19 Prozent zu heben, stelle Restaurants und Hotels nach drei Verlustjahren in Folge vor existentielle Probleme, so der Verband. Durch massive Umsatzeinbußen in der Corona-Krise sei die Zahl der Unternehmen in der Branche ohnehin schon um 16,1 Prozent zurückgegangen. In den Corona-Jahren 2020 und 2021 hätten etwa 36.000 Betriebe aufgegeben.
Nun seien Gastro-Unternehmen wegen der Inflation und hoher Energie- und Lebensmittelpreise erneut stark unter Druck. Nur aufgrund des verringerten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent sei es gelungen, die enormen Kostensteigerungen nicht eins zu eins an die Kunden weiterzugeben. Dies werde den Betrieben nun nicht länger möglich sein.
Die daraus folgenden Preissteigerungen würden die Gäste vergraulen, so die Befürchtung. Für Gedeon Naumann, DEHOGA-Vorsitzender in Rheinland-Pfalz, steht fest: "Es stehen Existenzen auf dem Spiel - und Tausende Arbeitsplätze." [….]
Naumann vergisst zu erwähnen, daß Gäste derzeit auch durch katastrophalen Service und extrem reduzierte Öffnungszeiten vergrault werden. Zumindest in der Majorität der Restaurants, die unter extremen Personalmangel leiden, nicht genügend Küchenhilfen, Kellner und Köche finden.
Für diesen Mangel gibt es zwei Hauptgründe: Erstens sind die Deutschen so schlau, unbedingt alle Migranten aus dem Land drängen zu wollen und denen die da sind, eine Arbeitserlaubnis zu verweigern.
Den zweiten Grund konnte mir mein Friseur überzeugend erklären: „Ich habe acht Jahre in der Gastro gearbeitet und sage Dir: Gastro ist scheiße!“
Schlechter Verdienst, miese Arbeitszeiten, unfreundliche Chefs, die ihren Angestellten 2020 beim Beginn der Krise einen Tritt in den Hintern gaben, sich einen Dreck um sie kümmerten und anderthalb Jahre später beim Ende der Corona-Maßnahmen erwarteten, ihre früheren Mitarbeiter stünden alle vor ihrem Laden Schlange, um wieder anzufangen.
Es gibt auch Restaurant-Inhaber, die sich in der Coronazeit kontinuierlich um ihre Leute sorgten und kümmerten, mit ihnen zusammen Lösungen suchten, wie man über den Monat kommt. Die haben jetzt auch keine Personalprobleme und bieten guten Service.
Die braunen Facebookblasen stellen die nun auf 19% steigende Umsatzsteuer als nie dagewesenen Wucher und gegen die Bevölkerung gerichtete Bosheit dar. Daran ist aber auch alles falsch. Der Satz wurde übergangsweise zum 1. Juli 2020 auf sieben Prozent gesenkt und sicher erinnern sich alle daran, wie damals die Preise (Lieferdienste und Co) um 12% gesenkt wurden, weil die altruistischen Restaurantbetriebe großzügig die Steuererleichterung voll an die Gäste weitergaben.
Die Belastung soll nun wieder auf den üblichen Umsatzsteuersatz gehoben werden, weil a) die betriebsbeschränkenden Corona-Maßnahmen alle aufgehoben sind, b) alle anderen Betriebe auch 19% zahlen müssen und c) der Staat ein klitzekleines Einnahmenproblem hat.
[….] Während sich Gastwirte die Haare raufen, gibt es auch Applaus von Ökonomen. Einer von ihnen ist Professor Friedrich Heinemann vom gemeinnützigen Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.
Der Ampel gebühre Lob dafür, dass sie jetzt endlich beginne, finanzpolitische Prioritäten zu setzen, schreibt Heinemann in einem Kommentar auf der Webseite des ZEW. Und weiter: "Die Kampagne der Gastronomie-Lobby und des Großhandels war lautstark und einflussreich. Ihre Argumente waren jedoch schwach und widersprüchlich." In Heinemanns Sicht ist die Steuersubvention für Restaurants sozial problematisch, weil sie vor allem den Wohlhabenden helfe. Noch dazu sei die eigentliche Begründung, die Pandemie, seit längerem Geschichte. Die Regierung erhofft sich von der Rückkehr zum Steuersatz von 19 Prozent rund drei Milliarden Euro pro Jahr. "Dieses Geld wird nun frei für wirklich wichtige Zukunftsprojekte", schreibt Heinemann. [….]
Das ist die Kehrseite, die von den Wutbürgern nie erwähnt wird. Scholz, Habeck und Lindner bekommen die Mehreinnahmen einer solchen Steuerrücksetzung nicht zum Amüsieren auf ihre privaten Girokonten gezahlt.
Von der Mehrwertsteuer profitieren insbesondere Länder und Gemeinden.
[….] Der bundesstaatliche Finanzausgleich leistet einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der Haushalte der Länder.
Die zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufzuteilende Umsatzsteuer (einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer) wurde im Jahr 2022 zu 46,6 Prozent dem Bund, zu 50,5 Prozent den Ländern und zu 2,8 Prozent den Gemeinden zugewiesen.
Hierbei erfolgt ein Ausgleich der zwischen den Ländern jeweils unterschiedlichen Finanzkraft durch Zu- und Abschläge von den zunächst einwohnerabhängigen länderindividuellen Umsatzsteueranteilen. Das Gesamtvolumen der Zu- und Abschläge betrug im vergangenen Jahr 18,5 Mrd. Euro.
Leistungsschwache Länder erhielten über Bundesergänzungszuweisungen (BEZ) weitere 9,9 Mrd. Euro. Die über mehrere Jahre der Höhe nach zugunsten bestimmter Länder gesetzlich festgelegten Sonderbedarfs-BEZ zum Ausgleich bestimmter Sonderlasten betrugen zusätzlich 0,9 Mrd. Euro. [….]
Der größte Ausgabenposten des Bundes sind die Sozialausgaben. Hierbei fließen die meisten Gelder in die Soziale Sicherung, Familie und Jugend sowie Arbeitsmarktpolitik. Explizite Beispiele sind die Rente und die Grundsicherung.
Der größere Teil der Umsatzsteuereinnahmen geht nicht in den Bundeshalt, sondern in Länder und Kommunen. Dabei profitieren die ärmeren Länder überproportional.
[….] Im Oktober 2023 beliefen sich die Einnahmen aus der Umsatzsteuer auf ungefähr 23,8 Milliarden Euro. Somit waren die Einnahmen ähnlich groß wie im gleichen Monat des Vorjahres. Abgebildet werden die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer und der Einfuhrumsatzsteuer. Der Begriff Mehrwertsteuer leitet sich vom Prinzip des Mehrwertes ab, nach dem jedes Unternehmen in Deutschland Umsatzsteuer auf den Mehrwert zahlt, den es durch den Verkauf einer Ware/ einer Dienstleistung generiert. Einfuhrumsatzsteuer wird auf aus Drittländern eingeführte Waren erhoben, die regelmäßig von der Umsatzsteuer des Ausfuhrstaates entlastet sind, um diese bezüglich der Umsatzsteuerbelastung den inländischen Waren anzupassen und damit gleiche Wettbewerbsverhältnisse herzustellen.
Die steuerlichen Abgabe der Mehrwertsteuer wird für einen getätigten Umsatz durch den Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen an die Finanzbehörden abgeführt. Hierbei gibt es für verschiedene Produkte auch verschiedene Umsatzsteuersätze. 19 Prozent Umsatzsteuer muss bespielweise für Autos gezahlt werden, wobei dieser Umsatzsteuersatz für Kfz im europäischen Vergleich noch gering ist. Der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent gilt u.a. für Lebensmittel, aber auch für Personennahverkehr und Bücher. [….]
Wer sich also im Netz über „Ampel-Abzocker“ beklagt und verlangt, die oberen zehn Prozent der Gesellschaft sollten Gänsekeule mit Maronen-Orangenjus weiterhin verbilligt genießen, muss auch sagen, wo dafür eingespart werden soll. Schulen schließen? Kita-Gebühren erhöhen? ÖPNV-Ticketpreise erhöhen? Müllabfuhr abschaffen?
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