Internetten macht keinen Spaß gerade. Ich fühle mich verfolgt. In meiner linken Blase höhnen sie über die Zumutungen des Kleiko-Vertrages. Übers Wochenende haben sie genauer reingesehen und finden alle ihre persönliche Ausschluss-Kriterien, weswegen die SPD-Basis auf keinen Fall zustimmen dürfe.
[….] Ab Dienstag stimmt die SPD-Basis über den Koalitionsvertrag mit der Union ab. Unter vielen jungen Mitgliedern herrscht Unmut, von "Dealbreakern" ist die Rede. Erste Juso-Verbände haben bereits Beschlüsse zur Abstimmung gefasst. In der Parteijugend der SPD formiert sich Widerstand gegen den Koalitionsvertrag von Union und den Sozialdemokraten im Bund. Die Jusos aus Bayern und Schleswig-Holstein lehnten die Vorhaben ab und riefen zu einem Nein beim Mitgliederentscheid ihrer Partei auf. Auch Jusos aus anderen Bundesländern äußerten Kritik an den Plänen der möglichen schwarz-roten Regierung. [….]
Meine Missgunst gegenüber Fritze Merz und Wurstfresser Söder reicht allemal aus, um ihnen einen totale Pleite bei der Regierungsbildung zu wünschen. Es wäre mir eine Riesenfreude zuzusehen, wie der große Sauerländer Lebenstraum platzt.
Außerdem ärgere ich mich über die rechte Redakteure, die in der Wochenendpresse ihren Frust darüber ausbreiten, weil sich ihre rechtsreaktionären Idole von der SPD über den Tisch ziehen lassen hätten.
[….] Schwennicke: Die Präsentation war gelungen. Das stimmt. Nur hat Friedrich Merz überverkauft. Was er sagte, klang nach CDU. Das Papier ist aber zu 70 bis 80 Prozent SPD. [….]
Haider: Bleibt die Frage, wie Klingbeil und Esken es geschafft haben, Merz und Söder mit einem Wahlergebnis von 16 Prozent zu einem Koalitionsvertrag zu bringen, von dem Olaf Scholz nur träumen konnte – das viele Geld inklusive.
Schwennicke: Ja. Das ist das große Rätsel. Und obendrein sieben Ministerien, darunter Finanzen und Verteidigung. Übrigens wollte Merz mal Staat und Verwaltung zurückbauen. Jetzt gibt es ein Ministerium mehr. Haider: Auf jeden Fall muss der neue Kanzler keine Sorgen haben, dass die SPD-Basis diesem Koalitionsvertrag nicht zustimmt, oder?
Schwennicke: Das wird durchgehen. Können sich ja wahrhaft nicht beklagen. […]
(Abendblatt, 12.04.2025)
Allein schon, um den arroganten Schwennicke eines besseren zu belehren, wäre es mir eine Freude, mit NEIN zu stimmen.
Aber damit denkt man leider nur bis zur Nasenspitze. Was würde daraus folgen? Was passiert anschließend? Spoiler-Alert: Mit 16,4% kann die SPD keine Alleinregierung bilden, bei der sie auf keine C-Demokraten Rücksicht nehmen müsste und alle Lieblingsprojekte der Jusos durchsetzen könnte. Leider ist jede mögliche Alternative noch viel schlimmer als eine KleiKo mit diesem Vertrag. CDU-Minderheitsregierung mit AfD-Duldung, CDUCSUAfD-Koalition, Neuwahlen mit noch wesentlich stärkerem AfD-Ergebnis. Mal ganz abgesehen davon, daß die weltpolitische Lage keinen weiteren Schwebezustand der deutschen Regierung zulässt.
Abgesehen von den Inhalten, gibt es aber ein weitere valides Argument für die SPD, in die Merz-K.O.alition einzusteigen: Die CDUCSUler und insbesondere der Sauerländer Geronten-Azubi können es nicht. Die sind auf hanebüchene Weise unvorbereitet und intellektuell überfordert – schon in der Theorie bei Fragen, die seit Jahren und Jahrzehnten auf der Agenda stehen und auf die sie längst hätten eine Antwort suchen müssen.
[…] Merz will Kanzler werden, aber in den Koalitionsverhandlungen war das nicht immer zu spüren. Da habe der CDU-Chef oft zurückgelehnt in seinem Stuhl gesessen und nur zugehört. Nicht geführt, sondern andere machen lassen.
Manchmal, so geht diese Erzählung weiter, schien es, als wäre Merz mit seinen Gedanken ganz weit weg. Beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron, beim britischen Premier Keir Starmer, irgendwo in internationalen Sphären. Vielleicht auch bei all dem Unmut, der sich in seiner eigenen Partei gegen ihn zusammenbraute. Auf jeden Fall nicht hier im Raum, wo es um die Details des Koalitionsvertrags ging, um Zeile 2284 zum Beispiel: »Auch die Meere sehen wir als digitalen Chancenraum.«
Merz habe in den Sitzungen gelegentlich wie »ein Opa« gesessen, dem alles über den Kopf gewachsen sei, sagt einer aus dem Dunstkreis von SPD-Chef Lars Klingbeil. Wie ein fast 70-Jähriger eben, dem man die Belastung der vergangenen Wochen und Monate angemerkt habe. Tja, und was außerdem merkwürdig gewesen sei: Wie wenig der CDU-Chef selbst zur Kompromissbildung beigetragen habe. Merz habe allenfalls gejammert, wenn die Verhandlungen mal wieder festgefahren waren. [….]
(DER SPIEGEL 16/2025, 11.04.2025)
Wie soll das erst im Kabinett werden, wenn die Einschläge urplötzlich von Putin, Trump oder Netanyahu kommen? Wenn von eben auf jetzt, völlig umgedacht werden muss? Dann braucht es die Sozis am Regierungstisch.
Der Kanzler in Spe begreift einfach nicht, wie ernst die Lage ist und was der Job eines Kanzlers ist.
Während die SPD-Mitglieder sich missmutig daran machen, über den Koalitionsvertrag abzustimmen, talibanisiert der geriatrische Trottel schon wieder die noch nicht einmal gebildete Koalition und erinnert das Volk an seine wesentliche Charaktereigenschaft: Ihm ist nicht zu trauen. So wie er über Migranten log, sein Versprechen, nicht mit der AfD zu arbeiten brach, seine Schwüre bezüglich der Schuldenbremse kassierte, zerschlägt er das Koalitionsporzellan, bevor die Sozis es gekauft haben.
[…] Merz entfacht neuen Streit mit der SPD um Steuern und Mindestlohn [….] Dass es den kleinen Leuten bald besser geht – für die SPD war das eigentlich ausgemachte Sache. „Wir werden die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur senken“, heißt es im Koalitionsvertrag. Und auch an anderer Stelle feierten die Sozialdemokraten einen Prestigeerfolg: Man werde den Mindestlohn in Deutschland auf 15 Euro anheben, kündigte SPD-Chefin Saskia Esken am Mittwoch im Bundestag an, als das 144-Seiten-Papier öffentlich präsentiert wurde. [….] Doch schon wenige Tage später ist fraglich, wie viel wirklich für die SPD drin ist. Denn der designierte Kanzler Friedrich Merz stellte am Sonntag beide Vorhaben wieder infrage. „Nein, die ist nicht fix“, sagte der CDU-Chef in einem Interview mit der Zeitung Bild am Sonntag zur Entlastung für kleine Einkommen. Man werde dies nur umsetzen, wenn es der Haushalt hergebe. Die Sorge, dass Arbeitnehmer angesichts steigender Sozialbeiträge und ausbleibender Steuersenkungen am Ende der schwarz-roten Regierungszeit weniger in der Tasche haben, nannte Merz „aus heutiger Sicht sicherlich nicht unberechtigt“.
Auch an anderer Stelle droht nur vier Tage nach der Einigung auf einen Koalitionsvertrag neuer Ärger. Denn Merz widersprach der SPD-Führung auch bei dem für 2026 angekündigten höheren Mindestlohn. „Das haben wir so nicht verabredet“, sagte Merz. [….] Der öffentliche Vorstoß aus der Union löst in der SPD Kopfschütteln aus. Die Partei lässt ihre Mitglieder von Dienstag an bis zum 29. April über den Koalitionsvertrag abstimmen. Merz’ Querschuss könne das Ergebnis negativ beeinflussen, heißt es warnend aus der Fraktion.[…]
Merz Goes Trump. Den Leitsatz Pacta sunt servanda hat der ehemalige Richter nie gehört.