Als Guido Westerwelle 2009 zum Vizekanzler und
Außenminister erkoren wurde, platzte er vor Stolz. Endlich die Anerkennung, von
der er schon immer fand, sie stünde ihm zu – obwohl er keinerlei Regierungserfahrung
mitbrachte.
Das Außenamt erschien dem notorischen faulen Blender als
ein bequemes Sahnehäubchen. Ein Posten zum Glänzen; schließlich standen frühere
Außenminister – Genscher, Fischer – immer an der Spitze der Beliebtheitsskala.
So würde es ihm sicherlich auch gehen, befand der Mann,
der mit maximaler Überheblichkeit schon am Tag Eins das gesamte diplomatische Corps
gegen sich aufbrachte, indem er bekundete, sich nicht auf dieses mindere Amt zu
beschränken. Er werde sich nicht „nur ein paar schöne Tage im Außenministerium
machen“, sondern auch weiterhin in der richtigen Politik mitmischen. Sprach der
Krawattenmann des Jahres, dessen einzige politische Agenda „Steuersenkungen,
Steuersenkungen, Steuersenkungen“ war. Der noch nie in Washington oder Paris
war. Der dachte, Außenminister wären nur eine Art Grüßaugust und es reiche
allemal aus, sich im Landeanflug auf Peking von einem Referenten „in fünf Minuten
alles was man zu China wissen muss“ erklären zu lassen.
Mit dieser ekelhaften
Geringschätzung brachte er nicht nur das gesamte Auswärtige Amt gegen sich auf,
sondern zeigte auch mustergültig den Unterschied von gelben und grünen Ministern:
Als Joschka Fischer nach der Bundestagswahl 1994 Fraktionschef wurde und ahnen
konnte, daß er angesichts der Kohl-Dämmerung womöglich vier Jahre später selbst
Außenminister werden konnte, bereitete er sich wie besessen vor, knüpfte
Kontakte, las ununterbrochen außenpolitische Fachliteratur, studierte vier Jahre
lang intensiv jedes internationale Problemfeld, verfasste selbst konzeptionelle
Bücher, so daß er 1998 von Tag Eins an in jedem Thema zu Hause war. Wie man
erst später erfuhr, war Fischer kein sehr angenehmer Chef. Er raunzte
Untergebene an, hatte schlechte Laune und verlangte allen alles ab. Geschätzt
wurde er in seinem Haus aber trotzdem, weil er rund um die Uhr arbeitete und
sich enorme Expertise aneignete. Fischer wurde international zu einem
entscheidendem Faktor, wurde in den Hauptstädten der Welt geschätzt; man hörte
ihm zu. Gerade in dem für Deutschland besonders heiklem Spannungsfeld zwischen Israel
und seinen muslimischen Nachbarstaaten, schaffte er das nahezu Unmögliche: Er
wurde von Juden und Arabern gleichermaßen ernst genommen und als Gast gern
gesehen.
Joschka Fischer wurde zum mit Abstand beliebtesten
Politiker seiner Zeit. Nachnachfolger Westerwelle zum Unbeliebtesten. Offenkundig
spielt Fachkompetenz also doch eine Rolle. Umso erstaunlicher, wie Linocchio wieder
auf das Modell Westerwelle setzte und bar jeder Erfahrung, bar jeder Expertise,
bar jeder Vorbereitung annahm, er könne eins der wichtigsten Regierungsämter
aus dem Handgelenk erledigen, indem er jeden Tag einmal „Schuldenbremse“ sage
und im Übrigen „Geringverdiener“ demütige.
Eine zweite fatale Fehleinschätzung des gelben Guidos von
2009, war seine großspurig angekündigte Homo-Politik.
Die ersten offen schwulen Spitzenpolitiker Beck, Beust
und Wowereit hatte er noch schnöde im Regen stehen gelassen. Als er aber nach
einigen Jahren feststellte, offen Schwule sind beliebt und werden mit absoluten
Mehrheiten gewählt, inszenierte er 2004 zusammen mit Springers Hetzblatt BILD
sein eigenes Outing.
Das könnte ihm schließlich noch ein paar Stimmen
einbringen und so forderte er im üblichen Guido-Lautsprech, den Nationen, die
Homosexualität kriminalisieren, die Unterstützung zu entziehen. Natürlich werde
er mit seinem Mronz-Mann als Begleitung in arabische Länder reisen; die hätten
sich eben Deutschland anzupassen.
Keine Frage, ich würde mir wünschen, die Welt
funktioniere so: Fortschrittliche Länder geben den Takt vor und dann legen alle
andere Nationen ihre Vorurteile ab!
Aber auch in der christlichen Nation Deutschland war
Homosexualität die längste Zeit verboten; Westerwelles CDUCSU-Wunschpartner
kämpften noch während seiner Amtszeit, erbittert gegen die volle rechtliche Gleichstellung.
Eine Partei, die ebenfalls gegen die, von Roten und Grünen immer wieder in den
Bundestag eingebrachte „Ehe für alle“ stimmte, war übrigens eine gewisse hasenfüßige
FDP des Guido Westerwelle, die lieber an der CDU klebte, statt für Werte
einzutreten.
Aber den Arabern wollte er es zeigen; die hätten nun gefälligst
Homosexualität zu akzeptieren, da es dem Paar Mronz-Westerwelle gerade
politisch in den Kram passte.
Aber, Überraschung, so einfach läuft es nicht in der
großen Welt: Hobbypolitiker der reichen Nationen formulieren ihre Wunschvorstellungen
und die Ärmeren folgen artig. Wie sich herausstellte, war die echte
Außenpolitik doch etwas komplexer, als es sich der Krawattenmann in seinem quitschegelben
Bad Honnefer „Guidomobil“ vorgestellt hatte. Riad und Teheran ließen nicht nur nicht
alle homophoben Gesetze fallen, sondern es stellte sich heraus, daß der
beleidigte Westerwelle Länder ohne Homorechte nicht einfach auslassen konnte.
Im Gegenteil. Diplomatische Anstrengungen sind insbesondere
da notwendig, wo es ideologische Unterschiede und politische Differenzen gibt. Immer
nur auf Fun-Trips im Regierungs-Airbus in die Länder, mit denen man ohnehin
völlig einer Meinung ist? Hart in der Realität aufgeschlagen, begriff langsam
auch Westerwelle, daß sein Job keine reine Wohlfühlveranstaltung war. Ihm
dämmerte, daß Real-Politik mühsam ist und man als Außenministern mit lauter Ausländern
zu sprechen hat, die völlig andere Ideologien vertreten und radikal
unterschiedliche Interessen verfolgen.
Sein Plan, mit Alexander Mronz Hand in Hand die arabische
Liga auf Homo-Kurs zu zwingen, wurde ganz schnell fallen gelassen. „Herr Mronz“
blieb fürderhin zu Hause.
Disclaimer: Selbstverständlich plädiere ich für ein Ende
jeder Diskriminierung überall auf der Welt. Schwule, Transmenschen, Frauen, People
of Color, Atheisten, Behinderte, Lesben sollten in jeder Hauptstadt
gleichermaßen respektvoll behandelt werden. Der Wunschzustand wird erreicht,
wenn derartige Dinge völlig irrelevant werden und nicht mehr erwähnt werden
müssen. Aber so weit sind wir in Deutschland noch nicht und in den meisten anderen
200 Ländern der Erde erst Recht nicht.
Nationale kulturelle Eigenarten können in den Augen anderer
Länder amoralisch abartig und ästhetisch verstörend sein. Man denke nur an die
weibliche Genitalverstümmlung in Nordafrika, die Stierhatz von Plamplona, das
kollektive Blutbad an Delphinen und Kleinwalen auf den Färöern, Schuhplattlern
in Bayern, Kugelböllerschlachten in Berlin oder das Frauen verprügeln auf
Borkum.
Unter Freunden kann man darauf hinwirken, derartige
Auswüchse zu überdenken, aber man kann nicht von außen eine Abschaffung befehlen.
Deswegen hat man
sich in fremden Kulturen immer zu einem gewissen Grad anzupassen. Käßmann kann
nicht in Hose und modischem Kurzhaarschopf durch Kabul latschen, um mit den
Taliban zu beten. Man betritt den Petersdom nicht im Stringtanga, zeigt als
Frau nicht seine bloßen Brüste auf Zuckerbergs Republikaner-Plattformen, ich
kann nicht im „Mohammed ist doof“-T-Shirt um die Kaaba laufen und meine Wohnung
darf nicht in Baggyshorts und Sandalen betreten werden. Mehr Toleranz wäre
allgemein wünschenswert, aber soweit ist Homo Sapiens im Jahr 2025 nicht.
Daher ist es auch völlig idiotisch, wie sich rechte
grünophobe Hetzplattformen über den Damaskus-Besuch Baerbocks echauffieren.
[….] Das für seinen
islamistischen Umsturz von deutschen Kartellpolitikern und ihren Medien
gefeierte neue Syrien sorgt für erste Schlagzeilen: Beim Staatsempfang im
Volkspalast in der syrischen Hauptstadt Damaskus hat der neue Machthaber Ahmed
al-Scharaa der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock den Handschlag
verweigert. Eine erneute Demütigung für eine Unbelehrbare. [….]
(David Berger, 03.01.2025)
Ja, liebe Nazis, Annalena Baerbock wäre es auch lieber,
wenn in Damaskus eine liberale Regierung amtierte, die keine kulturellen Vorurteile
hegt. Aber man kann sich seine Gesprächspartner nicht aussuchen. Gerade in dem
Pulverfass Syrien, in dem zum ersten Mal nach Jahrzehnten, eines von Katholiken
unterstützten Horror- und Folterregimes, mal so etwas wie Hoffnung aufkeimt,
ist es immanent wichtig, diplomatische Kanäle zu installieren und Hilfe
anzubieten. Das genau ist der Job einer Außenministerin. Daß Frauen nicht
überall auf der Welt völlig gleichberechtigt sind, ist eine Binse.
[….] Annalena Baerbock und
ihr französischer Amtskollege Jean-Noël Barrot sind als erste Außenminister aus
der EU nach dem Sturz des Assad-Regimes zu Besuch in Syrien. Dort hat
De-facto-Herrscher Ahmed al-Sharaa die beiden Politiker nun empfangen. Eine
bemerkenswerte Szene ereignete sich gleich zu Beginn des Treffens. Sharaa,
Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), empfing
Baerbock und Barrot auf dem roten Teppich am Eingang des alten
Assad-Präsidentenpalastes. Dort reichte der Islamist Barrot die Hand, nicht
aber Baerbock. Die deutsche Außenministerin nickte Sharaa mehrfach zu. Der
streckte seine Hand Barrot entgegen. Der französische Außenminister legte sich
seine Hand zunächst auf die Brust, dann streckte er Sharaa die Hand aber auch
entgegen, die beiden berührten sich an den Fingerspitzen[….] Außenministerin
Baerbock wurde von dem nicht angebotenen Handschlag aber nicht überrascht.
Baerbock und Barrot war schon vor der Reise aus Damaskus signalisiert worden,
dass Sharaa und die neuen männlichen Machthaber Frauen nicht per Handschlag
begrüßen. Schon die beiden Männer vom syrischen Protokoll am Freitagmorgen
hatten Baerbock bei der Begrüßung nach der Landung nicht die Hand gegeben. [….]
Aus Delegationskreisen war zu hören, dass Sharaa am Ende des Gesprächs
Baerbock doch noch die Hand ausstreckte. Im Gewirr des Aufbruchs sei es aber
nicht mehr zu einem Handschlag gekommen.
»Wir beide haben sehr
klargemacht, dass die Frage von Frauenrechten nicht nur Frauenrechte betrifft.
Frauenrechte sind ein Gradmesser, wie frei eine Gesellschaft ist«, sagte
Baerbock über das Gespräch von Barrot und ihr mit Sharaa. »Für uns war daher
wichtig, deutlich zu machen, wir als EU stehen bereit, alles dafür zu tun, dass
die Menschen in Syrien endlich wieder frei leben können. Darüber haben wir
sehr, sehr lange und sehr, sehr deutlich gesprochen. Und da hat man sich am
Ende gewundert, dass selbst ein Handshake da nicht mehr so schwierig ist, wie
es am Anfang eines Gesprächs vielleicht noch geschienen hat.« [….]
(Christoph Schult, 03.01.2025)
Man kann nicht und man darf nicht, nicht mit
Damaskus reden, nur weil der neue Machthaber andere Wertvorstellungen und eine
andere Kultur verkörpert, als das Grüne Parteiprogramm. Ich habe Annalena
Baerbock oft kritisiert, aber in diesem Fall hat sie alles richtig gemacht.
[….] Der Diktator Baschar
al-Assad ist endlich weg. Einer, der Menschen quälen ließ. Der Giftgas gegen
die eigene Bevölkerung eingesetzt haben soll. Vor vier Wochen kam diese
wirklich gute Nachricht, die Hoffnung macht.
Es wäre so wichtig, dass
diese Hoffnung nicht enttäuscht wird. Vor allem für die Menschen in Syrien,
aber auch für die gesamte Region und für Europa. Deswegen ist es richtig, dass
die Außenministerin nach Damaskus gereist ist.
[….] Mit Islamisten reden?
Mit Rebellen, die auf der Terrorliste der Vereinten Nationen stehen? Die
Außenministerin könnte es sich einfach machen und sagen: Das geht auf gar
keinen Fall und wäre moralisch fein raus. Aber wäre es wirklich besser, nicht
zu reden? Nein! Denn egal, wie klein die Hoffnung ist, sie ist da. Und wenn
Deutschland oder die EU jetzt Türen zuschlagen, kommen andere. Russland und
China haben da keine Berührungsängste. [….] Die deutsche Außenpolitik
muss sich ehrlich machen. Anerkennen, dass man sich Gesprächspartner nicht
aussuchen kann. Das heißt im Zweifel: Wenn es sein muss, auch mit Islamisten in
Syrien zu reden, wenn es am Ende Frauen oder Minderheiten hilft. Niemand kann
versprechen, dass das gut geht. Aber: Es nicht zu versuchen, wäre ein Fehler.
[….]
(Gabor Halasz, Tagesschau, 03.01.2025)