Mittwoch, 2. Juli 2025

Richterschelte

Da verlor selbst der stets beherrschte und sachliche SZ-Justizexperte Ronen Steinke fast die Contenance; der Bundesverwaltungsgerichtspräsident Korbmacher muss Kanzler und Verfassungsminister ausdrücklich zur Rechtstreue auffordern. 


[….] Das ist ein wirklich außergewöhnlicher einmaliger Vorgang, dass der Innenminister und der Kanzler persönlich von einem Gerichtspräsidenten gesagt bekommen, ‚ihr hört wohl nicht richtig zu‘ also dieses Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin hat das gesagt, was alle juristischen Fachleute vorher auch schon gesagt haben. Nämlich, es geht nicht, dass man an den deutschen Grenzen, was europäische Binnengrenzen sind, Flüchtlinge, Menschen, die Asyl haben wollen, ohne Diskussion einfach pauschal abweist. Das geht nicht. Das widerspricht europäischem Recht und das hat der Innenminister dann so abgewischt, na ja, das sei nur eine Einzelfallentscheidung, das habe keine große Verbindlichkeit. Da sagt Andreas Korbmacher, der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, nein das ist eine Grundsatzentscheidung! Das haben die Richter auch so deklariert. Die haben sogar gesagt, weil das so wichtig ist, wird es nicht ein Richter entscheiden, was auch genügt hätte, sondern wir holen sogar noch zwei Kollegen dazu. Wir machen Sechsaugenprinzip um das Ganze auf eine höhere Ebene zu heben. Dass da ein Innenminister sagt, interessiert mich nicht weiter, und auch eine Regierung sagt, über das Recht setze ich mich im Zweifel hinweg; das ist eine ungewöhnliche Situation und man merkt das Entsetzen dem Gerichtspräsidenten förmlich an, mit der Vehemenz, mit der er hier interveniert. [….]

(Ronen Steinke, 01.07.2025, Transkript Phoenix)

Merz und Dobrindt wandeln, unterstützt von der braunen Medienblase, auf Trumps Pfaden. An Rechtsstaatlichkeit und Urteile der höchsten Richter fühlen sie sich nur gebunden, wenn ihnen das Urteil politisch in den Kram passt.

Dazu schreibt der rechte BILD/SPIEGEL-Kolumnist Nikolaus Blome, die Exekutive müsse sich auch nicht an Urteile halten, wenn die Mehrheit des Volkes es so wünsche, zumal das  Verwaltungsgericht in dem verlotterten Berlin sitze.


Aus CDU-Kreisen wird geiferig zusammen mit Nius und Springer ventiliert, einer der Richter habe gar ein grünes Parteibuch. Deren Urteile könne man quasi ignorieren.

Sagenhaft, diese Rechten. Man stelle sich vor, es wäre umgekehrt. Ein Grüner Minister fände, er müsse sich nicht an ein höchstrichterliches Urteil halten, weil er nun mal eine andere Meinung habe und außerdem sei der Richter womöglich auf CDU-Ticket unterwegs. Die Konservativen würden ausrasten und sich wochenlang durch die Feuilletons der Republik echauffieren.

Es ist das klassische rechte Entitlement – sie nehmen sich selbst Ungeheuerlichkeiten heraus, die sie anderen nicht im Ansatz zugestehen.

Ich muss nicht Jursa studiert haben; denn das weiß man aus dem Gemeinschaftskundeunterricht in der 10. Klasse: In Deutschland herrscht Gewaltenteilung. Judikative, Exekutive und Legislative sind unabhängig voneinander. Es steht Exekutiven, wie Dobrindt und Merz, nicht zu, Richter zu kritisieren und Urteile in Frage zu stellen. Deswegen ist auch der Richterwahlprozess in Bundestag und Bundesrat so heikel. Es braucht 2/3-Mehrheiten, aber die CDUCSU weigert sich, mit den Linken zu reden.

Ich, als Privatperson, bin freier und empöre mich außerordentlich über das Landgericht Köln, welches die Klage einer Missbrauchsbetroffenen, die von einem Priester über Jahre schwerstens sexuell missbraucht wurde, gegen das Erzbistum Köln abwies.

Auch Journalisten sind frei, das Urteil nach Belieben zu kritisieren.

[…]  „Über zwölf Jahre lebte ein katholischer Priester mit Sondererlaubnis des Kardinals als Hausmann und alleinerziehender Vater.“ […] Heute sitzt der Mann im Gefängnis: verurteilt zu zwölf Jahren Haft wegen des schweren sexuellen Missbrauchs an neun Mädchen, darunter seinen drei Nichten. Auch seine damalige Pflegetochter wurde von ihm regelmäßig missbraucht und vergewaltigt. Zweimal wurde sie von ihm schwanger, zweimal organisierte er eine Abtreibung.

Im Strafprozess hatte die Frau gegen ihren früheren Pflegevater als Zeugin ausgesagt. Auf zivilrechtlichem Wege wollte sie nun Schmerzensgeld erstreiten, 850 000 Euro forderte sie vom Erzbistum Köln. Doch das Landgericht Köln hat ihre Klage am Dienstag abgewiesen: Die Diözese muss nicht zahlen. […] Kann Missbrauch durch einen Priester überhaupt je Privatsache sein? Dem steht zumindest die katholische Lehre diametral entgegen: Im katholischen Verständnis ist „Priester“ kein Job mit Stechuhr, Dienstplan und Feierabend. Das Priesteramt ist eine ganzheitliche Berufung. Ein Mann, der zum Priester geweiht wird, erhält im katholischen Verständnis durch die Weihe ein „unauslöschliches Prägemal“, wird „dem Priester Christus gleichförmig“. Man spricht hier auch von „Ganzhingabe“. Deshalb kann die katholische Kirche ihren Priestern den Verzicht auf Ehe, Familie und Sexualität diktieren.

Für die weltliche Justiz hat das katholische Amtsverständnis nun also offensichtlich keine Rolle gespielt; das ist ein Fehler. Dass aber sogar das Erzbistum Köln vor Gericht mit dem „Privatleben“ des Priesters argumentierte, ist verlogen. Entweder, die katholische Kirche nimmt die von ihr selbst vertretene Lehre ernst und stellt sich ihrer Verantwortung, oder sie muss den Priesterdienst grundsätzlich überdenken. Die Verantwortlichen im Erzbistum Köln haben nie im Pfarrhaus nachgesehen, wie es den Kindern geht. Und auch jetzt lassen sie die Betroffenen alleine.  [….]

(Annette Zoch, 01.07.2025)

Ein bayerischer Kriminalpolizist fiel mit den schlimmsten Nazi-Parolen, die ich je gehört habe, in internen Chats auf. So einer ist Polizist. Aber es kommt noch schlimmer – er war jahrelang ausgerechnet als Personenschützer Charlotte Knoblochs abgestellt. Die bayerische Polizei wird den Mann aber nicht los.

[….] Der Kriminalpolizist, der jahrelang in privaten Chats mit antisemitischen Sprüchen gegen jüdische Personen hetzte, für deren Sicherheit er als Personenschützer verantwortlich war, ist zurück im Dienst. Allerdings gegen den erklärten Willen seines Arbeitgebers, des Münchner Polizeipräsidiums. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat verhindert, dass der 45-Jährige aus dem Dienst entfernt wird.  […]

(Martin Bernstein, 01.07.2025)

Anders als CSU-Mann Dobrindt, verstehen das bayerische Innenministerium und die bayerische Polizei, daß man an die Urteile des Verwaltungsgerichtshofes gebunden ist und sie nicht nur dann umzusetzen hat, wenn sie einem politisch genehm sind.

Als Privatperson darf ich entsetzt sein. So wie, schon wieder, aber zu Recht, auch Ronen Steinke.

[…] Dieses Urteil erschüttert das Vertrauen in die Justiz […] Dieses Gerichtsurteil ist so kalt, so kleinlich und in seiner vertrauenserschütternden Wirkung leider auch über den Einzelfall hinaus so fatal, dass man, liest man die 29 Seiten starke Begründung durch, vor lauter Kopfschütteln Nackenschmerzen bekommt.

Der Anlass ist schon übel genug: Charlotte Knobloch, seit Jahren Präsidentin der jüdischen Gemeinde in München, hat erfahren müssen, dass ihr persönlicher, ihr von der Polizei zugewiesener Leibwächter jahrelang heimlich antisemitische Chatnachrichten schrieb. Dass dieser Beamte über Auschwitz und Dachau witzelte. Dass er heimlich Nachrichten mit „HH“ für „Heil Hitler“ beendete. Dass er von „Kanacken“ schrieb. Noch schlimmer als die Erkenntnis, dass so jemand mit so einer sensiblen Polizei-Aufgabe betraut war, aber ist die Reaktion, die der Rechtsstaat daraufhin gezeigt hat. Das Verwaltungsgericht München lehnte es schon vor zwei Jahren ab, den Beamten aus dem Dienst zu entfernen, obwohl die Polizeiführung ihn, als sie von den Chats erfuhr, gerne achtkantig hinausgeworfen hätte.

Und nun hat auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, also die nächste Gerichtsinstanz, diesen Mann im Dienst belassen. Man darf staunen: Das ohnehin schon milde Urteil der ersten Instanz, eine bloße Kürzung der Beamtenbesoldung um zwei Stufen, haben die Richter sogar noch einmal abgemildert. […]

(SZ, 02.07.2025)

Aber es ist ja kein Berliner Gericht. Keine grüne Richterin. Daher sind Blome, Nius und Springer zufrieden.

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