„Wenn es eins gibt, auf das ich zurückblickend stolz bin, dann die Tatsache, daß diese Schule seit vielen Jahren frei von Drogen ist!“
Zustimmend
nickte ich dem neben mir sitzenden Schuldealer zu.
Bei ihm hatten wir in den
zurück liegenden Jahren jeweils in der zweiten großen Pause unser Haschisch
gekauft.
Dies
würde auch der einzige Satz sein, den ich aus der Ansprache unseres
Schulleiters zur Abiturzeugnis-Vergabe in Erinnerung behalten würde.
Ach
ja, Diederich Anfurcht. DOKTOR Anfurcht. Germanist, CDU-Mitglied seit immer und
gestrenger Schulleiter eines Hamburger Gymnasiums mit exzellentem Ruf fehlte
manchmal ein bißchen die klare Sicht.
Meine
Schulzeit verlief unspektakulär.
Ich hatte es auf lediglich einen Schulwechsel
gebracht. Als Kind hinterfragte ich nicht, ob es sinnvoll ist an einem durchaus
renommierten Gymnasium Abitur zu machen.
Da ich mich nie schnell irgendwo
eingewöhnte, war ich froh im Alter von 15 Jahren mit meiner Familie nach
Hamburg-Poppenbüttel zu ziehen. Das war in direkter Nachbarschaft zu
Hamburg-Sasel, wo meine Schule war.
Acht Minuten mit dem Rad. Perfekt.
Wie
andere Schulen waren, konnte ich nicht beurteilen. Meine Schule war eben ganz
normal. Daß sie einen guten Ruf hatte und über die Stadtteilgrenzen hinaus
bekannt war, bemerkte ich erst nach dem Abi. Und tatsächlich, a posteriori
fügte sich ein entsprechendes Bild zusammen. Ein Mitglied meiner neunköpfigen
Tutantengruppe war die Tochter des Hamburger Kultursenators.
Die Kinder des
Bürgermeisters waren meine Mitschüler. Mein Physiklehrer Hartfried Ekels, ein stets
mit schwerer Alkoholfahne umherlaufender Kettenraucher, war über Dekaden
Mitglied des Hamburger Landesparlaments. Natürlich in der CDU-Fraktion. So
wählte man in der Vorstadt, im bekannten Speckgürtel der reichen Stadt Hamburg.
Die
politische Macht der Elternschaft und des Kollegiums spürte man selten direkt.
Man ahnte was nicht gern gesehen war und ließ es erst gar nicht drauf ankommen.
Es waren die berüchtigten 80er Jahre mit den großen
Anti-Nachrüstungsdiskussionen und Demonstrationen. Einmal fand ich es angemessen die
diesbezüglichen Informationen, die wir im Politikunterricht erarbeitet hatten -
SALT-II-Abkommen, START-Abkommen, welche
Atomraketen gibt es eigentlich bei uns? - in der Pausenhalle auszuhängen. Da
spürte man schon woher der Wind wehte. Umgehend wurde mir mitgeteilt diese aufrührerischen
politischen Aktionen zu unterlassen.
Die
Strippen zog aber der allmächtige Elternrat mit seinen wichtigen Mitgliedern.
Eine der berüchtigten Berufsmütter, die sofort mit einem „NJET“ einschritt,
wenn es an meiner Schule drohte unmoralisch zu werden, war sogar
BUNDES-Elternratsvorsitzende und eine TV-bekannte EKD- und CDU-Größe.
Ihre
jüngste Tochter war in meiner Theater-AG; daher lernten wir schnell und
effektiv zu rauchen und zu saufen, ohne daß die kleine Spitzelin es sofort
ihrer Mama erzählte.
Das
war normal an meiner Schule. Fiese Eltern, verwöhnte Vorstadtgören, die sich
redlich Mühe gaben sich nicht anmerken zu lassen, daß sie aus einem bestenfalls
mittelständischen, bürgerlichen Zuhause kamen.
Schon damals fand man die
richtig reichen Kids nicht mehr auf den öffentlichen Schulen in
Hamburg-Sasel. Dafür gab es und gibt es teure Privatschulen, außerhalb.
Verglichen
mit der Schülerschaft war das Lehrerkollegium durchaus angenehm.
Durchschnittliche „Akademiker“, wie ich sie mir in dem Beruf vorstelle.
Während
meiner Zeit dort begingen vier Lehrer Selbstmord. Mein Sportlehrer sprang
sogar spektakulär vom Dach des Amtsgerichts.
Am nächsten Morgen konnten wir in
der BILD seinen Todes-Ort samt rot eingezeichneter Flugbahn bestaunen.
Mein
Kunstlehrer hingegen ersäufte sich in der Elbe - das ist ja auch viel
hanseatischer.
Zwei Lehrer wurden manisch depressiv, zwei heirateten Schülerinnen und mein
Klassenlehrer offenbarte uns seinen Wahnsinn genauso so wie seinen Penis vorzugsweise
in der Gemeinschaftsumkleide vorm Schwimmunterricht.
Damals
kannte ich das Wort Pädophilie allerdings noch nicht und störte mich
erstaunlich wenig an diesen Vorkommnissen.
Man
konnte ganz gut unter dem Radar durchfliegen.
Der Schulalltag verlief immer
gleich: Man zerbrach sich den Kopf darüber mit welcher Ausrede man sich vor dem
gehassten Sportunterricht (drei Semester Jazzgymnastik!) drücken konnte,
sammelte das Geld ein, um in der ersten großen Pause bei BOLLE die
obligatorische Flasche FABER-Sekt zu kaufen (DM 3,99) und versuchte noch genug Geld übrig
zu haben, um in der zweiten großen Pause eine Packung Zigaretten sowie ein
kleines „Piece“ beim Hasch-Dealer der Schule zu ergattern.
Nur
über Poppenbüttel hatte ich mir eine Meinung gebildet: Bloß schnell weg da.
Es
gelang sogar. Mit 18 hatte ich das Abi in der Tasche und mußte nur noch
aus diesem elenden Stadtteil weg.
Es
pressierte sogar ein bißchen, denn zum Ende des Jahres lief der Mietvertrag
unserer poppenbütteligen extra spießigen Doppelhaushälfte aus.
Ich war ohnehin
schon der letzte Mohikaner. Geschwister und Mutter hatten sich schon vor mir
abgesetzt aus der „Gegend, in der wir nie gewohnt haben“.
Vermissen
werde ich nicht sehr viel.
Das war mir spätestens klar, als ich mich bei Frau
Brückmüller, der Gemüsefrau von nebenan verabschiedete. Sie hatte vorzügliches
Obst und war neben dem verrückten Buchhändler von gegenüber eine der wenigen oft
frequentierten Anlaufstellen.
Frau Bruckmüller bewarf mich auch nie mit
Äpfeln oder Birnen. Auf der anderen Straßenseite konnte einem das durchaus
passieren, wenn man ein Buch bestellte, welches nicht in das Weltbild des von
K-Gruppen geprägten Ladeninhabers passte.
Er war durchaus ein großherziger,
gebildeter Mann.
Man durfte nur nicht die falschen Fragen stellen. Völlig
unangemessen war beispielswiese „Haben Sie Hoimar von Ditfurths „So lasst uns
doch ein….“; weiter kam ich nicht, weil ich rennen mußte. Dem Wortschwall „für
diesen Verbrecher werden in Brasilien Regenwälder abgeholzt!“ würden
unweigerlich einige Wurfgeschosse folgen. Man passt sich eben an in seiner Jugend und lernt die Menschen so zu nehmen, wie sie sind.
„Nein,
Sie haben wirklich nicht in diese Gegend gepasst!“ - mit diesen Abschiedsworten
hatte die Herrin über Früchte und Gemüse sicher nicht Unrecht.
In
so einen Stadtteil passt man entweder gar nicht, oder aber wie die Faust auf’s Auge,
so daß es einen als Erwachsenen magisch wieder anzieht.
Die
richtigen Leute ziehen freiwillig dort hin, die Falschen ziehen freiwillig weg.
Da
müssen Nachbarn gar nicht erst aktiv werden.
Es sei denn die nicht
Vorstadt-Kompatiblen sind mehr als einer.
Das geht nicht. Fremde erträgt der
Saseler nur in ganz kleinen Dosen.
Nach
über einem Vierteljahrhundert wurde ich an diese netten Vorstadteigenschaften
durch Berichte über eine „Jugend-WG“ erinnert.
Kinder „aus schwierigen
Verhältnissen“ sollten doch tatsächlich im Vorzeigestadtteil untergebracht
werden.
Im Heideknick 4, zwischen Berner Weg und Volksdorfer Weg, sollte das
Ungeheuerliche geschehen.
Hier
wollte der der Diakonieverein Großstadt-Mission Altona bis zu acht Jugendliche
in einem Haus betreuen und wohnen lassen.
Die
Anwohner wurden stinksauer.
Kinder in IHREM Statdteil? So geht es ja nun nicht.
Monika Pfaue, Thomas Jeutner und Barbara Kretzer gingen auf die Barrikaden. "Der
Heideknick ist ein besonders geschütztes Wohngebiet, eine soziale Einrichtung
daher nicht zugelassen", dröhnt Nachbar Peter Jacobsen, der das Projekt mit juristischer Hilfe stoppen
will und eine Anti-Wohngruppen-Initiative gründete.
Beruhigen wird sich der Stadtteil trotzdem nicht. Die Initiative möchte die Wohngruppe weiterhin verhindern und hat angekündigt zu klagen. Ein Konto dafür ist schon eingerichtet. Peter Jacobsen und Karin Syring sind zwei ihrer Sprecher. [….] Die Großstadt-Mission, so ihr Vorwurf, finanziere sich mit der Betreuung der Kinder hochpreisige Häuser. "Fast 4000 Euro im Monat erhält ein freier Träger der Jugendhilfe durchschnittlich für jedes Kind", rechnet Jacobsen vor. "Eine Pflegefamilie bekommt nur knapp 1000 Euro." Sie finden, dass Jugendliche in eine Familie gehören. "Wir möchten nur das Beste für die Kinder", sagt Syring. "Kinder aus schwierigen Familien haben in jedem Fall ein Trauma und bräuchten eine Therapie." Dann allerdings wäre es keine Wohngruppe mehr, sondern eine soziale Einrichtung. Und die ist in einem besonders geschützten Wohngebiet nun mal verboten. "Es gibt genug Problemstadtteile in Hamburg", sagt Jacobsen. "Da muss man nicht noch zusätzlich welche schaffen.""Problemjugendliche" haben einige Nachbarn in Sasel sie genannt und eine Bürgerinitiative gegen das Wohnprojekt gegründet. Sie sprechen von Drogen und Kriminalität, die das ruhige Wohngebiet erschüttern könnten. Sie fürchten um ihre Kinder, um die Grundstückspreise. Sie fürchten Lärm. Immer wieder verweisen sie auf einen Bebauungsplan aus den 1930er-Jahren, der die Gegend als besonders geschütztes Wohngebiet ausweist. Weil die Großstadt-Mission Altona als freier Träger mit der Wohngruppe Geld verdiene, sei das Projekt ein Gewerbe und hier nicht zugelassen. Man müsse nicht noch mehr Problemstadtteile schaffen. Zwei Eingaben hat die Bürgerinitiative eingebracht, die abgelehnt wurden. Im Juli hat sie Klage eingereicht.
Wir
haben allerdings inzwischen einen SPD-Senat, der sich nicht erpressen ließ.
Am 23.
Juli 2012 sind die ersten Problembälger eingezogen und - man glaubt es kaum - Sasel existiert immer
noch und wurde nicht in ein Slum verwandelt.
Dabei hausen sogar schon sieben
der gefährlichen Rabauken in der beschaulichen Heimat von Monika Pfaue, Thomas
Jeutner und Barbara Kretzer.
Sie sind jetzt zu siebt. Fünf Jungs, zwei Mädchen. Manche lernen gerade Bügeln, manche erst einmal Deutsch. […]Lisa und ihre Mitbewohner stammen aus "schwierigen familiären Verhältnissen", wie es offiziell heißt - Kinder und Jugendliche, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in ihren Familien bleiben können. […]Der Protest ist leiser geworden, aber der Kontakt ist bisher reduziert. Die Wohngruppe steht noch ganz am Anfang. "Wir wollen mehr auf die Nachbarn zugehen", sagt Projektleiter Manuel Kappernagel, "aber momentan haben wir einfach zu viel um die Ohren." Die Gruppe muss sich noch finden, die Kinder müssen sich erst eingewöhnen.Die drei neuesten Mitbewohner kamen vor zwei Wochen an, Flüchtlinge aus dem Iran. Sie haben einen langen Weg hinter sich: schmale, höfliche Jungs, die gutes Englisch sprechen, deutsche Sätze büffeln und sich freuen, endlich wieder zur Schule gehen zu können.Der 14-jährige Mohammad brennt vor allem für Biologie, er möchte einmal Zahnarzt werden. Ali, ebenfalls 14, interessiert sich eher für die Motorik: Er will einmal etwas mit Mechanik machen, um mit Autos arbeiten zu können. Beide haben es auf Anhieb aufs Gymnasium geschafft. "Da hatten wir alle ein bisschen Pipi in den Augen", sagt Kappernagel.
Hamburg-Sasel ist überall.
“Das hässliche Gesicht des Bürgertums” nennt es PANORAMA.
Das
Bürgertum degeneriert mehr und mehr zum asozialen Abwehrpack.
Wie die Fachzeitschrift Altenpflege berichtet, protestiert eine neu gegründete Bürgerinitiative im niedersächsischen Vögelsen bei Lüneburg gegen den Plan, Häuser für Senioren-Wohngemeinschaften zu errichten.
Die rund 70 in der Initiative zusammengeschlossenen Menschen, meist Anwohner der als Baugrund vorgesehenen Wiese, befürchten eine Wertminderung ihrer Immobilien und Konflikte zwischen Alten und Jugendlichen im Viertel. In einem Brief der
Initiative an den Bürgermeister des Ortes ist von einem “sozial unverträglichen Projekt” die Rede.
Auch
die mächtige Senioren-Union mit 57.000 Mitgliedern in der CDU macht generell
Stimmung gegen „soziale Heterogenität“.
Kinder ja, aber bitte nicht in der Nähe
von uns - sagt Leonhard Kuckart, der Vize-Bundesvorsitzende der Senioren-Union. In der CDU gilt St. Florian.
„Ich habe das Gefühl, dass hier eine Ausnahmeregelung getroffen wird, die wirklich zu unnötigen Konflikten führt“, erläutert Kuckart. „Man kann nicht von älteren Menschen erwarten, dass sie bis zur Selbstaufgabe alles ertragen“ und verweist auf den wohlverdienten Ruhestand. [….] Der Deutsche Kinderschutzbund reagierte am Donnerstag empört auf die Forderung der Seniorenunion der CDU, Kitas und Kinderlärm möglichst aus Wohngegenden fernzuhalten. Äußerungen dieser Art seien „Ausdruck einer zunehmend kindentwöhnten Gesellschaft“, sagte Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers. Kinder würden immer mehr in Schon- und Schutzräume abgeschoben und kämen im Alltagsleben vieler Bürger kaum noch vor.
In
der Geibelstraße in Hamburg Winterhude verhinderte dieses Jahr eine
trickreiche Eigentümergemeinschaft die Eröffnung einer KITA.
Das Projekt ist
inzwischen offiziell begraben.
Federführend in der Kinder-phoben
Eigentümergemeinschaft ist die CDU-Frau Marie-Luise Tolle, die ebenfalls um den
Wert ihrer Immobilie fürchtet.
Zu den Wohnungs-Eigentümern gehört auch Marie-Luise Tolle (60). Sie ist heute Amtsleiterin in der Kulturbehörde und war jahrelang für Gleichstellung zuständig. In einem Artikel in der „Welt“ äußerte sie, „nur mit Kindern kann es geistiges, wirtschaftliches und emotionales Wachstum geben.“ Solange Schwangerschaft ein Stigma sei, müsse man sich über den Kinderrückgang nicht wundern.“
Das
gilt aber für die Senatsdirektorin scheinbar nur, wenn es nicht ausgerechnet um
IHRE Nachbarschaft geht.
Eine Kita passe dort nicht hin, meinen die Anwohner. Eine der Gegnerinnen des Projekts ist die frühere Leiterin des Hamburger Amtes für Gleichstellung, Senatsdirektorin Marie-Luise Tolle. Sie hatte damals mehrfach für eine kinderfreundliche Stadt Hamburg geworben.Um die Errichtung der Kita zu verhindern, argumentieren die Nachbarn mit rechtlichen Vorschriften. Ohne bauliche Veränderungen kann die Kita nicht genehmigt werden. Es geht um knapp 20 Zentimeter. Für ihre neueKita müsste die Unternehmerin Lorelly Bustos Córdoba die Eingangstür von derzeit rund 80 Zentimeter auf etwa 100 Zentimeter verbreitern - das ist Vorschrift bei einem Gewerbebetrieb mit mehr als fünf Mitarbeitern.Die Nachbarn, eine Eigentümergemeinschaft, verweigern jedoch die notwendige Zustimmung dafür. Weil die Türverbreiterung ein Eingriff in die Fassade wäre, haben die Eigentümer ein Mitbestimmungsrecht.
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