Mittwoch, 16. Juli 2025

Auf in die Staatskrise

Als ich am Freitag, über die Causa Frauke Brosius-Gersdorf schrieb, war ich wütend über den Erfolg der Schmutzkampagne und diagnostizierte ein schweres Versagen Jens Spahns.

(….) Wie so viele, unterschätzte Janisch die Unfähigkeit Jens Spahns. Wir alle wissen; er lügt, ist zutiefst korrupt und steht politisch ganz weit rechts außen. Aber er sitzt seit 22 Jahren im Bundestag, bekleidete zahllose Spitzenämter, also würde er dieses eherne Grundprinzip der bundesdeutschen Nachkriegspolitik umsetzen. Weit gefehlt.

Spahn fuhr die Kleiko heute gegen die Wand. [….]

Zwar verderben meist mehrere Köche den Brei, aber in diesem Fall zeigen alle völlig zurecht auf Jens Spahn. Er kann es einfach nicht. [….]

Spahn ist die Inkarnation des Desasters. Er hätte nie CDUCSU-Fraktionschef werden dürfen. Fritze war hinreichend gewarnt worden.

Spahn lieferte in seiner kurzen Amtszeit allein mit seinen Masken-Lügen mehr als ausreichende Gründe für einen Rücktritt.

Spahns heutige Episode zeigt vollends, wie gefährlich der Mann ist, der stets den AfD-Nazis in die Hände spielt. (…)

(Korrupt, verlogen, unfähig, 11.07.2025)

Eine knappe Woche später stehe ich noch zu meinen Aussagen. Außerdem glaube ich immer noch nicht an die (Verschwörungs)-Theorie, Spahn habe das Desaster bewußt inszeniert, um Merz zu schaden und eine CDU/AfD-Koalition unter seiner eigenen Führung anzubahnen, weil er selbst zu sehr beschädigt wurde. Spahn scheint inzwischen selbst in der eigenen Fraktion derartig unbeliebt ist, daß man sich kaum vorstellen kann, wie er sich zum Kanzler aufschwingen sollte.

Allerdings unterschätzte ich völlig, zu was für einem Mega-Desaster sich die Angelegenheit noch für die Koalition ausweiten würde. In den folgen Tagen gab es drei relevante Entwicklungen.

1.   Mehrere seriöse Medien listeten akribisch auf, mit welchen perfiden Mitteln Kräfte von ganz Rechtsaußen die Schmutzkampagne gegen Brosius-Gersdorf von langer Hand angezettelt hatten. „Vorausgegangen war dem Eklat eine orchestrierte Aktion von Abtreibungsgegnern, rechtspopulistischen Medien und dem Umfeld der AfD.“ Es wurde offensichtlich, wie Teile der Union und katholische Bischöfe sich bereitwillig vor den Karren der Nazis spannen ließen.

2.   Spahn verpasste wieder den richtigen Zeitpunkt, um einzulenken; um zuzugeben, daß die CDUCSU sich geirrt hatte. Stattdessen gruben sich die Merzianer derartig tief in ihre rabbit holes, daß sie nun nicht mehr herauskommen können.

3.   Die SPD erkannte unterdessen, an welchem Kipppunkt die deutsche Demokratie auf der Schwelle zum Trumpismus angekommen ist. Kompromisse und Koalitionstreue (wie beim Klimageld und Familiennachzug) sind nicht mehr möglich, weil man damit den feixenden Rechtsextremen bewiese, von ihren erpressbar zu sein.

Der Bundeskanzler stellte sich im Sommerinterview hinter Merz und machte damit eine friedliche Lösung der Koalitionskrise de facto unmöglich. Wieder einmal erweist er sich als intellektuell völlig unzureichend gerüstet für seinen Job. Er begreift weder den Ernst der Lage, noch die Auswirkung seiner Worte.

Nun kann die SPD nicht zurück und die CDUCSU kann es auch nicht, ohne sich als lächerliche Marionetten an den Fäden der Nazi-AfD zu entlarven.

Es gibt keinen Weg zurück.

[…] Nach dem Eklat: Ein relevanter Teil der Union ist dabei, sich von der Mitte zu verabschieden. […] Nach gerade einmal zwei Monaten schwarz-roter Koalition weiß die SPD, dass sie sich auf Zusagen der Union nicht verlassen kann. […] Zum dritten Mal binnen eines Jahres drängt sich der Eindruck auf, dass ein relevanter Teil der Union Kompromisse mit der linken Mitte des politischen Spektrums schlicht nicht will. Die im Nachhinein ebenfalls von vielen als „Unfall“ analysierte gemeinsame Abstimmung mit der AfD zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ im Februar, die fehlenden Stimmen bei der Kanzlerwahl im Mai, nun die verweigerte Zustimmung zu einer gemeinsam von der Koalition vorgeschlagenen Richterin – alle drei Ereignisse zeigen: Wird auf X, bei Nius und in der AfD nur laut genug der Alarm gemacht, dann pfeifen hinreichend viele Christdemokraten auf Koalitionsdisziplin und parlamentarische Tradition. […] Es wäre naiv zu glauben, dass die Untergrundströmungen im konservativen Lager einfach abreißen. Nach der Zufallsmehrheit mit der AfD in Sachen Zuwanderung hat die Union in den Koalitionsverhandlungen angeblich gelobt, dass so etwas nie wieder vorkommen werde. Im Fall Brosius-Gersdorf hat die Partei von Friedrich Merz zwar nicht die Hand mit den Rechten gehoben – aber eine nennenswerte Minderheit doch gemeinsam mit der AfD für eine negative Veto-Mehrheit gesorgt.

Das Erpressungspotenzial ist also da, und zwar in fast jeder beliebigen politischen Frage. Und die Versuchung wird für viele in der Union zu groß sein, um dieses Potenzial nicht wieder und wieder zu nutzen. […] Die SPD sollte nicht darauf vertrauen, dass Merz qua Amtsautorität die Brandmauer aufrecht hält. […]

(Martin Teigeler, 15.07.2025)

Der einzige Weg, dieser Megakrise ein Ende zu bereiten, wäre der Rückzugs Spahns aus der Politik. Er müsste alles auf seine Kappe nehmen und damit den Unionsabgeordneten ermöglichen, doch für Brosius-Gersdorf zu stimmen.

Das widerspräche aber eklatant seinem Ego, beschädigte Merz (der Spahn erst auf den Posten drückte) und würde von der CDUCSU als Einknicken vor den verhassten Sozis gedeutet werden.

Letzten Freitag erschien die Situation peinlich, blamabel und schwer lösbar. Heute, am Mittwoch, wird es hingegen nahezu ausweglos und katastrophal.

 […] Das Wort Clusterfuck kommt aus dem amerikanischen Militär und meint eine Situation, in der mehrere Dinge derart schiefgelaufen sind, dass es keine gute Möglichkeit mehr gibt, da wieder rauszukommen. Was jetzt folgt, wird auf jeden Fall hässlich.

Der Clusterfuck ist also der systemische und vulgäre Bruder des Dilemmas. Systemisch, weil es um ein ganzes Feld von miteinander konkurrierenden Zielkonflikten geht. Vulgär, weil das schöne Wort fuck signalisiert: Hier wird es schmutzig. Das Dilemma wird im Ethikunterricht diskutiert, der Clusterfuck auf der Straße. Oder eben auf dem Schlachtfeld. Und genau auf so einem befinden wir uns ja anscheinend, denn der Kulturkampf wurde sofort aufgerufen, als der ganze Schlamassel um die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin losging. […] Clusterfuck also. Warum, könnte man fragen. Hat Brosius-Gersdorf nicht, nach Auffassung der meisten Beobachter und Kommentatoren, bei Markus Lanz ihre Position gut und nachvollziehbar verteidigt? Hat sie nicht alle Ängste, hier könnte eine wildgewordene ultralinke Aktivistin ins höchste Richteramt berufen werden, zerstreut? Natürlich hat sie das. Das Problem ist allerdings, dass sie das musste. […] Indem Brosius-Gersdorf nun quasi gezwungen war, sich öffentlich zu äußern, in diesem Fall eben bei Markus Lanz im Fernsehen, ist es jetzt doch noch genau dazu gekommen. Das eine System hat sich über das andere erhoben, hat es überrannt und drückt jetzt seine Mechanismen durch. Gut gemacht! Schlecht gemacht! Seht nur, sie hat alle Vorwürfe entkräftet! Seht nur, sie ist genauso schlimm wie gedacht! So überzeugend! So furchtbar! Wie auch immer das Urteil: Die Öffentlichkeit hebt oder senkt den Daumen.

Was eigentlich abseits der Öffentlichkeit hätte stattfinden sollen, wurde ins Rampenlicht gezerrt. In die Arena. Zur bitteren Wahrheit gehört aber, dass nicht alles ins Rampenlicht und schon gar nicht in eine Arena gehört. Das hat nichts mit Geheimnistuerei zu tun, mit dem berüchtigten »Hinterzimmer«. Sondern mit der Erkenntnis, dass nicht immer alle überall mitreden müssen, damit etwas demokratisch legitimiert ist. Was wäre denn gewesen, wenn Brosius-Gersdorf nicht so gut vor der Kamera gewesen wäre? Wenn sie gestottert hätte? Sich verhaspelt hätte? Im Scheinwerferlicht nervös geworden wäre? Alles eigentlich völlig normal. In ihrem Fall aber hätte der Fernsehauftritt dann das endgültige Aus bedeutet. TV-präsentabel zu sein, gehört aber eigentlich nicht zur Berufsbeschreibung einer Verfassungsrichterin. […]  Der Schaden ist da. Er wird nicht einzuhegen sein. Die Person ist beschädigt. Die Regierung sowieso. Und auch das Gericht. Clusterfuck eben. Ob es das wert war?  [….]

(Xaver von Cranach, 16.07.2025)

Es zeigt sich, daß man Bundeskanzler einer Koalition nicht nach Sympathie und markigen Sprüchen beurteilen darf. Es war fatal, Olaf Scholz stets als maulfaul, nicht charismatisch oder gar Autist zu framen. Dadurch sehnte sich der Urnenpöbel nach einem Sprücheklopfer wie Merz.

Die viel wichtigere Kanzler-Fähigkeitskategorie liegt im Intellekt. Scholz ist wesentlich klüger als Merz und verstand, die Auswirkungen seiner Worte abzuwägen. Er wußte um die Schwierigkeiten, die heterogenen Interessen seiner ungeliebten Zwangskoalition unter einen Hut zu bringen, obwohl er es mit der radikal verlogenen Sabotage-FDP viel schwerer hatte, als Merz, dessen Koalitionspartner prinzipiell alle Interesse am Gelingen haben.

[….] Gerade einmal zweieinhalb Monate ist die neue Regierung im Amt. Und schon steckt Schwarz-Rot wegen der gescheiterten Verfassungsrichterwahl in der Krise. […] Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Die SPD hält an ihrer Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf fest. Das betonten Klingbeil und Miersch am Mittwoch noch mal öffentlich. Und in der Union scheint sich die Ablehnung der Staatsrechtlerin eher noch zu verfestigen. Wie kann die Koalition das Dilemma auflösen?

Es gibt vier Szenarien.

Szenario eins: Die Wahl von Brosius-Gersdorf wird nachgeholt[…] Wahrscheinlichkeit für Szenario eins: gering

Szenario zwei: Die SPD zieht die Kandidatur zurück

Die zweite Option wäre wohl die von der Union favorisierte: Die SPD ersetzt Brosius-Gersdorf durch eine andere Kandidatin. Die Sozialdemokraten halten bisher jedoch an der Rechtswissenschaftlerin fest. Brosius-Gersdorf sei Opfer einer extrem rechten Hetzkampagne geworden, so die Position der SPD. Ihre Kandidatur zurückzuziehen, hieße, diesen Kräften nachzugeben und eine Frau fallen zu lassen, die öffentlich durch den Dreck gezogen wurde. Für die Sozialdemokraten undenkbar. […] Wahrscheinlichkeit für Szenario zwei: sehr gering

Szenario drei: Der Bundesrat übernimmt[…] Auch Friedrich Merz zeigte sich bisher wenig begeistert von der Idee, auf den Bundesrat auszuweichen. »Mein Wunsch wäre, dass wir im Deutschen Bundestag zur Lösung kommen und dass wir nicht den Ersatzwahlmechanismus auslösen müssen, dass der Bundesrat die Wahl vornimmt«, sagte der Kanzler.

Sollte die Situation so verfahren bleiben, wäre der Bundesrat dennoch eine Alternative. Für die Koalition wäre es allerdings ein schlechtes Zeichen. Sie hätte es nicht geschafft, sich in einer grundlegenden Frage zu einigen.

Wahrscheinlichkeit für Szenario drei: mäßig

Szenario vier: Brosius-Gersdorf zieht ihre Kandidatur zurück[…] Wahrscheinlichkeit für Szenario vier: eher hoch  [….]

(SPON, 16.07.2025)

Mir fehlt gegenwärtig die Phantasie, um mir vorzustellen, wie die Kleiko aus dieser selbstgegrabenen extrem triefen Grube wieder herauskommen soll. Die Rechten, insbesondere Kuban, Bär und Söder, setzen auf die legendäre staatsbürgerliche Verantwortung der SPD. Sie möge zum Wohle der Koalition und der deutschen Regierungsfähigkeit, Frauke Brosius-Gersdorf zurückziehen. Es besteht in der Tat die Gefahr, sie selbst könnte diesen Schritt initiieren.

Aber damit brächte sich die SPD auch endgültig in Todesgefahr. Nicht nur verlöre sie jede Glaubwürdigkeit an ihrer Basis, sondern sie würde den Nazis das Plazet überreichen, künftig über die Regierungskoalition bestimmen zu können. Das kann man nicht nur, nichtmachen, sondern das scheinen auch die SPD-Parlamentarier erkannt zu haben, die sich vehement hinter ihre Kandidatin stellen und daran erinnern, daß sie im Richterwahlausschuss einstimmig zusammen mit der CDUCSU auserkoren wurde.

[…] Die Kampagne gegen Frauke Broius-Gersdorf ist maßlos. Sie selbst agiert klug. Die SPD sollte gegenüber der Union auf sie beharren. […] Frauke Brosius-Gersdorf, Kandidatin als Richterin am Bundesverfassungsgericht, hat angekündigt, unter bestimmten Umständen ihre Kandidatur zurückzuziehen. Angesichts der Schmutzkampagne, die seit einigen Wochen über sie hereingebrochen ist, ist das persönlich nachvollziehbar; auch zeugen ihre Argumente – Schaden vom höchsten deutschen Gericht abwenden und nicht zu einer Regierungskrise beitragen zu wollen – von großem Verantwortungsbewusstsein für die Demokratie. Es ist trotzdem das falsche Signal.

Die anerkannte Staatsrechtlerin ist weder dafür verantwortlich, dass das Gericht Schaden nehmen könnte, noch dafür, dass die Bundesregierung in einer Krise steckt. Das hat diese schon selbst verbockt, ganz besonders die Union. Zweitens wäre der Rückzug ein Sieg einer orchestrierten Kampagne, der eine Art Präzedenzfall schaffen könnte: Die Wahl einer Richterin mit einer liberalen Haltung zum Thema Abtreibung wäre künftig deutlich erschwert, wenn nicht unmöglich. Und drittens könnte die Union den gravierenden Fehler, den sie am vergangenen Freitag begangen hat, nicht aus der Welt schaffen. Da ist sie im Galopp in die Falle der rechtsradikalen Kulturkämpfer gerannt und hat die Mitte preisgegeben, in der die Koalition eigentlich stehen sollte. […]

(Sabine am Orde, 16.07.2025)

Ich sehe keine Lösung. Kuban, Söder, Spahn, Woelki, Gössl, Oster, Reichelt und die sonstigen Rechten Christen haben ihre braunen Zähne aber schon viel zu tief in die Beute geschlagen, um den Anstand noch gewinnen zu lassen. Die tanzen nach Trixis Storchenpfeife das Bundesverfassungsgericht in den Abgrund des Trumpismus!

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