Inzwischen gibt es keine Demokratien mehr, in denen der Souverän nicht an schwerster Verblödung leidet und offenkundig unfähig ist, im Interesse der eigenen Nation zu wählen.
Horrorzahlen aus Ossistan, Trump vor Biden, absolute Mehrheit für Le Pen.
Da bekommen die Sachsen, die Thüringer, die AfD-Wähler ein feuchtes Höschen:
EU-Feindlichkeit, Nationalismus, Brexit, sowie anderthalb Dekaden erzkonservative Migrations- und Wirtschaftspolitik haben gewirkt: Das Vereinigte Königreich in Depression und Massenelend. Ganze Landstriche sind verarmt und verfallen in Agonie. Um nicht zu verhungern, bleibt vielen Briten nur noch Mundraub.
Annette Dittert, Jahrgang 1962, lebt seit 16 Jahren in England und leitet das ARD-Studio London. Sie liebte die Briten schon vorher, freute sich auf ihre Schrulligkeiten. Aber heute staunt sie, wie total kaputt das Land mit seiner konservativen Klassengesellschaft wirklich ist. Jedes dritte Kind lebt in Armut, hungert, friert. Die Lage ist hoffnungslos
[…..] Die Konservativen haben es geschafft, in wenigen Jahren das Land herunterzuwirtschaften. Den Briten geht es deutlich schlechter als vor Beginn ihrer Regierungszeit – und vor dem Brexit. 20 Prozent aller Briten sind laut WHO arm. Und da ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass der Großraum London überdurchschnittlich reich ist. Auf dem Land und in den kleineren Städten ist die Situation zum Teil desaströs.
Vieles ähnelt der Situation in Deutschland, aber viel krasser. Schulen stürzen ein, das Gesundheitssystem steht vor dem Zusammenbruch, lebensnotwendige OPs werden nicht mehr durchgeführt. Die Menschen ziehen sich selbst die Zähne bei Zahnschmerzen, frieren in kalten, schlecht isolierten Häusern und Wohnungen. Doch subjektiv jammern die Briten viel weniger.
Woran liegt das? Warum sind ausgerechnet die Briten wie apathisch, wenn es um ihre eigene Zukunft geht? „Keep calm and carry on“, das war mal eine Kriegsparole, passt heute aber noch genauso. Annette Dittert, ARD-Korrespondentin in Großbritannien, und Kira Gantner, freie Filmautorin, fragen sich, warum die Menschen in Großbritannien so wenig jammern, obwohl es ihnen objektiv schlecht geht. Und wie ein Land in so kurzer Zeit so heruntergewirtschaftet werden konnte. Der Brexit ist ein Faktor, aber nicht der einzige. Die Politik der konservativen Regierungen? Sicher auch, aber diese Erklärung greift zu kurz. Denn es geht um viel mehr: um Großbritanniens knallharte Klassengesellschaft. Und wer stützt sie? Die Monarchie, die viel mehr Macht und Einfluss in Großbritannien hat, als viele denken. Wäre Großbritannien ohne Monarchie und Adel besser dran? [……]
(Weltspiegel: Im Griff der Upper Class, 22.06.2024)
Ich empfehle dringend, diese 45-Minütige Dittert-Dokumentation aufmerksam anzusehen!
Michael Neudecker, der SZ-Korrespondent in England sah sich im britischen Armenhaus Blackpool um. Dem legendären Badeort und der Tory-Hochburg.
[……] Die Stadt an der englischen Westküste, rund 140 000 Einwohner, ist nach Besucherzahlen der beliebteste Urlaubsort der Briten im Vereinigten Königreich. Es gibt hier wunderbare Sandstrände, es gibt eine Achterbahn, die in den Neunzigern die größte der Welt war, es gibt die Piers mit den Fahrgeschäften, den Spielhöllen und den Theatern. „Es ist immer was los hier“, sagt eine ältere Frau irgendwann in dieser Woche im schönen Stanley Park auf einer Bank; sie war früher Sängerin und Schauspielerin, deshalb sei sie vor 30 Jahren aus London hierhergezogen, sagt sie. Sie habe übrigens immer die Tories gewählt, stimme jetzt aber für Labour, wobei sie, so seltsam es klinge, wahrscheinlich noch mal die Tories wählen würde, wenn Boris Johnson noch da wäre, [……] Man sieht dem Tower wie fast allem hier das Alter an, ein paar Straßen hinter der Promenade allerdings ist abblätternde Farbe das geringste Problem. Blackpool gilt als die ärmste Stadt des Landes. Von den vom Nationalen Statistikbüro aufgelisteten zehn am meisten verarmten Stadtteilen im Königreich liegen acht in Blackpool. Die Schulabschlussnoten sind im Schnitt mit die schlechtesten im Land, die Lebenserwartung für Frauen und Männer ist nirgendwo niedriger. Und was die Kinder angeht: Die ehemalige Jugendbeauftragte der Regierung sagte im vergangenen Jahr der Times, in Blackpool geborene Kinder hätten die gleiche Lebenserwartung wie Kinder in Angola.
„Britain’s Beirut“, so hat eine Zeitung Blackpool vor Kurzem genannt, in einer anderen stand die Schlagzeile: „They’ve killed Blackpool“. Aber ganz so einfach ist es nicht. Blackpool ist alles auf einmal, faszinierend und furchterregend, kaputt und lebendig, vergessen und verehrt, Blackpool ist Moloch und Zuflucht.
Es gibt seit dem Krieg zwei Wahlkreise in Blackpool, „North“ und „South“, in beiden haben sie bis 1997 immer die Konservativen gewählt. 1997, als Tony Blair antrat, hat sich Blackpool für Labour entschieden, und während sie im Norden 2010 mit dem Rest des Landes wieder zu den Tories zurückgekehrt sind, ist das im Süden erst 2019 passiert.
Beim Brexit-Referendum 2016 haben außerdem 67,5 Prozent für „Leave“ gestimmt, für den Austritt aus der EU, das macht Blackpool zu einer Leave-Hochburg. Und jetzt? [….]
(Michael Neudecker, 23.06.2024)
Unglücklicherweise sind die Blackpooler aber wie Franzosen, Ossis, Texaner, Alabamer oder Floridaner hoffnungslos verblödet.
Nicht in der Lage, auch nur halbwegs vernünftige Entscheidungen zu treffen. Manisch besessen, sich an der Urnen selbst ins Knie zu schießen. Auch in Blackpool unter einem Premier Sunak.
[……] Politik jenseits von Parlamenten und Sitzungssälen ist eben mehr Gefühl als Zahlen und Gesetzesentwürfe. Politik ist Stimmung, rational nicht immer begründbar. Wie an einem Abend in dieser Woche im Belle Vue, einem Pub in der Innenstadt von Blackpool, in einer Diskussion mit zwei Frauen an der Bar. Die eine wählt Labour und sagt, sie habe einmal die Tories gewählt, dafür fühle sie sich fast schuldig. Die andere ist überzeugte Tory-Wählerin, deren Wunsch nach Wechsel vielleicht darin mündet, dass sie ihre Stimme jetzt Reform UK gibt, der Partei von Nigel Farage am rechten Rand. Warum, fragt die eine, ich weiß auch nicht, sagt die andere, sie halte eigentlich nichts von Farage und seinem Gefasel, aber sie wolle halt ein Zeichen setzen, gegen die in Westminster. Aber, sagt die eine, Labour wählen, wäre das nicht auch ein Zeichen? Ach, sagt die andere, Labour.
Nur, wenn Politik mehr Gefühl ist, wenn die Leute aus dem Bauch heraus wählen, was heißt das für die Zukunft einer Stadt wie Blackpool? Für Reform UK sind die angeblich so gefährlichen Flüchtlinge im Ärmelkanal wichtiger als die tatsächlich verarmten Kinder in Blackpool, in den Umfragen liegt die Partei trotzdem fast gleichauf mit den Tories. [….]
(Michael Neudecker, 23.06.2024)
Was soll man machen in Demokratien mit solchen Wählern?
Die massive Verdummung, die wir hier wie da, auf Trump-Ralleys, bei Höckes völkischen Gröl-Versammlungen, bei Hubsis Bierzeltereien in Niederbayern sehen, beweist es: Der Westen hat fertig.
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