Björn, einer meiner Kommilitonen, mit dem ich im Grundstudium gut befreundet war, stammte aus dem Landkreis Cloppenburg im Oldenburger Münsterland zwischen Osnabrück und Oldenburg. Als Politjunkie war ich fasziniert. Denn damals, im glücklich unvereinigten Deutschland, waren Cloppenburg und der südöstliche Nachbarlandkreis Vechta berühmt und berüchtigt, als schwärzeste Löcher Deutschlands. Der erzkonservativste Bundestagswahlkreis Cloppenburg-Vechta 32; schlimmer als alles, was es in Bayern gibt. Eine Gegend, die von einer homogen völkischen Schweine- und Geflügelzüchter-Gattung bevölkert ist.
Vor dem Laschet-Absturz von 2021, holten strammrechte CDU-Kandidaten dort stets zwischen 60 und 80%.
Als Hamburger Stadtkind mit Verwandten in New York, begegnete ich nicht oft Bauernjungen und fragte Björn, wie es sich anfühle, in so einer Umgebung aufzuwachsen. „Beschissen natürlich – was meinst Du wieso ich sofort nach der Schule da abgehauen bin?“
Einmal lud uns Björn zu einer Geburtstagsfeier auf den heimischen Hof ein. Er wäre natürlich lieber in Hamburg geblieben, wußte aber, daß wir alle neugierig waren und wollte wohl mit dieser Aktion, alle Fragen ein für allemal ausräumen.
Das ist ewig lange her, aber ich erinnere mich an eine gigantischen runden Güllebehälter (20m? 30m Durchmesser?), aus dem unglaubliche Gase drangen und der für mich unbegreiflicherweise genau neben dem Wohnhaus stand. Für uns Biochemiker aber gar nicht mal uninteressant, was da vor sich ging. Die zweite Überraschung betraf die Widerlegung meiner Bauern-Klischees. Ich hatte ein sehr ärmliches einfaches Leben vor meinen Augen, das ich vermutlich aus dem Michel/Lönneberga-Kinderfernsehen übernommen hatte. Die Schweinezüchter in Cloppenburg hingegen waren wohlhabend; das Haus riesig. Nicht gerade mit edler Kunst vollgestopft, aber man hatte sagenhaft viel Platz. Die Kinder verfügten jedes quasi über einen eigenen Trakt. Björn hatte ein Schlaf-, ein Wohnzimmer und ein eigenes Bad – wie seine Schwestern jeweils auch. Außerdem war seine Mutter eine herzliche Person, die uns, nun doch wieder gemäß aller Klischees, üppig und hervorragend bekochte. Für die Verhältnisse des Bundestagswahlkreises 32 waren sie vermutlich schon liberal, weil ihr Sohn überhaupt aus der Familientradition entlassen wurde und in der fernen linken Großstadt etwas ganz anderes studieren durfte.
Mein Besuch auf dem Hof fand ungefähr 1990 statt, zu der Zeit, als Gerd Schröder in einer rotgrünen Koalition – mit Jürgen Trittin an seiner Seite – Ministerpräsident wurde. Die Bauern schäumten natürlich, wähnten den Weltuntergang unmittelbar vor sich.
Viehzüchter hassen alle Grünen, fühlen sich von den Begriffen „Umweltschutz“ oder „Tierrechte“ massiv bedroht. Verbissen kämpfen sie gegen jede von grünen Ministern eruierte Regelung, die dem Schlachtvieh wenigstens etwas weniger Leid zufügen soll. Schon vor 35 Jahren waren Lebend-Tiertransporte, betäubungslose Kastration, Kükenschreddern und Qualmast in Schweinekoben die Themen, bei denen sich die Bauern keinesfalls reinreden lassen wollten. So wie sie sich bis heute erfolgreich gegen den Willen der Roten und Grünen für ihr geliebtes Glyphosat einsetzen.
Gerd Schröder, der in Niedersachsen enorm stark war; nach vier Jahren im Amt gar die absolute Mehrheit holte, hatte in dem bulligen, rotwangigen Bauernsohn Karl-Heinz Funke, geb. 1946, den perfekten Mann für den Job des Landeslandwirtschaftsministers. Der aus dem liberaleren Friesland stammende Funke blieb die vollen acht Jahre im Amt und folgte seinem Chef 1998 als Bundeslandwirtschaftsminister nach Bonn.
Als Bundeskanzler tat Schröder nach wenigen Amtsmonaten etwas, das seine Sozi-Vorgänger Brandt und Schmidt nie getraut hatten. Er wagte sich in das tief braunschwarze Feindesland eines Bauerntages. Das war ähnlich verwegen, wie die Besuche der grünen Pastorin und Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer bei der Vertriebenentagen, die ebenfalls nahezu ausschließlich dem rechten CDUCSU-Flügel angehören.
[….] Es war eine Premiere, und sie ging gründlich daneben: Mit Gerhard Schröder besuchte am Freitag erstmals ein sozialdemokratischer Bundeskanzler einen Deutschen Bauerntag. Zwei Welten prallten aufeinander.
[….] Der Auftritt des Kanzlers vor 3000 Bauern in den Cottbuser Messehallen war von lauten Protesten begleitet. Kein Wunder, kam doch der Kanzler, um die bittere Wahrheit zu verkünden: Auch das Landvolk werde - wie Arbeitnehmer und Alte - von der "Aktion Sparschwein" seines Finanzministers Hans Eichel (SPD) nicht ausgenommen. [….] Manche Bauern wähnen sich angesichts der fünf Milliarden Mark, die nach Berechnungen ihres Verbandes durch Sparpaket, Ökosteuern und die EU-Agrarpreissenkungen weniger in die Betriebe fließen, am Rande des Abgrunds. Das demonstrierten sinnfällig zwölf Bauern, die sich zu Beginn der Kanzlerrede ihrer weißen T-Shirts mit der roten Aufschrift "Das letzte Hemd" entledigten und zum Teil mächtige Bäuche präsentierten. [….] Schon beim Eintreffen in der Messehalle wurde der Kanzler mit einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert, Sirenengeheul und unzähligen Protestplakaten begrüßt. "Ich heiße Gerhard und fresse am liebsten bayerische Bauern", "Schröder der Macher, ein Niedermacher", "Die große Wende, Bauerns Ende", hatten sich die Agrarier als Protestparolen aufgeschrieben. Das geplante Auslaufen der Subventionen für Diesel wurden auch genannt sowie Kürzungen bei der Altersversorgung für Bäuerinnen.
Mit versteinertem Gesicht verfolgte Schröder die Rede von Bauernverbands-Präsident Gerd Sonnleitner, der beklagte, keine andere Gruppe werde so sehr von der Politik geschröpft wie das Landvolk. Langsam werde Bäuerinnen und Bauern die Last zu viel. Auf ganze 40.000 Mark Einkommen je Arbeitskraft bringe es ein Hof im Jahr, das werde nun durch die Sparpolitik um ein Drittel gekürzt. "Wir werden direkt in den Boden gedrückt", klagte Sonnleitner . [….]
Bauern hassten vor 1999 die SPD, hassten die SPD auch nach 1999. Aber der dritte sozialdemokratische Kanzler erreichte immerhin ein Minimalziel. Die Gülle-affinen CDU-Fans mussten anerkennen, es mit keinem Feigling zu tun zu haben.
Freunde werden der Bauernverband und die gesellschaftlich fortschrittlichen Kräfte nie.
[….] Der DBV war - und ist - ein gewichtiger Faktor im politischen Kräftespiel. In der Bundesrepublik stehen die Bauernverbände eindeutig der CDU/CSU nahe. Die bäuerliche Bevölkerung stellt bis heute ein zuverlässiges Wählerpotenzial für die Unionsparteien dar, wählten doch in den fünfziger und sechziger Jahren 60 bis 70 Prozent der Bauern und Bäuerinnen die CDU/CSU. Eine Untersuchung für das Jahr 1986 weist sogar eine Parteipräferenz der Landwirte zugunsten der CDU von 87 Prozent auf. Obwohl sich das Agrarprogramm der SPD in den fünfziger Jahren nicht sonderlich von dem der CDU unterschied, gelang es der SPD nicht, mehr als zehn Prozent der landwirtschaftlichen Wähler für sich zu gewinnen. Führende Bauernvertreter sind fast ausschließlich Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion. Auch die Parteizugehörigkeit landwirtschaftlicher Abgeordneter im Bundestag weist deutlich auf die Verbundenheit mit der CDU hin. Dank einer gezielten Lobbypolitik konnte der DBV seinen Einfluss auf die Abgeordneten im Bundestag trotz des absoluten Rückgangs der in der Landwirtschaft Erwerbstätigen bewahren.
Während in der ersten Legislaturperiode der Landwirtschaftssektor im Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten eher unterrepräsentiert war, konnte in den folgenden Jahren die Zahl der Vertreter der Landwirtschaft erhöht werden. Die Mehrheit der Repräsentanten waren darüber hinaus DBV-Mitglieder oder gar Präsidenten eines regionalen Landesverbands. [….]
Die bäuerlichen Verbände sind aus verschiedenen Gründen so extrem rechts.
Es handelt sich um einen vergleichsweise bildungsarmen Berufszweig, der mit urbanem Leben nie in Berührung kommt. Daher ist ihm gesellschaftspolitischer Fortschritt in Form von Minderheitenrechten und Antidiskriminierungsregeln besonders fremd.
[….] Unter Überschriften wie »Bauer sucht Partei« wird auf die wachsende »Kluft zwischen den Landwirten und der CDU« verwiesen, die traditionell die politische Heimat der Landwirte war. »Jetzt wittern FDP und AfD ihre Chance«, hieß es unlängst in der FAZ. Aus der Initiative »Land schafft Verbindung«, welche die große Traktor-Demo in Berlin als Gegendemonstration zur Initiative »Wir haben es satt« initiiert hat, heißt es via »Tagesspiegel« warnend, eine aus ihrer Sicht verfehlte Landwirtschaftspolitik werde rechte Kräfte stärken: »Auch ein Teil der Bauern wird sich dann radikalisieren.« [….] Dabei wirkt die historisch gewachsene »Verflechtung von agrarischem Interventionsstaat, landwirtschaftlicher Interessenvertretung und dem konservativen bis nationalen politischen Spektrum« immer noch stark. Innerhalb der Bauernschaft hatte die NSDAP Anfang der 1930er Jahre starken Rückhalt gewonnen. [….]
Rechtsradikale Landwirte? Das trifft sich aber gut, da ihr anachronistisches Wirtschaftsmodell schon lange nicht mehr lebensfähig ist. Sie greifen ungeheuerliche 450 Milliarden Euro EU-Agrarsubventionen ab und benötigen dementsprechend realitätsnegierende konservative Strippenzieher, die sich als Lobbyisten missbrauchen lassen, um diese immensen Geldströme in die bäuerlichen Blaumänner zu lenken.
[….] Etwa 70 Prozent der Fördermittel in Deutschland sind Flächenprämien. Betrachtet man die ausgezahlten Summen sind unter den Hauptempfängern von Agrarzahlungen in Deutschland vor allem öffentliche Einrichtungen zu finden. Der Erhalt der Flächenprämie wurde mit der letzten Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) an die Erfüllung einiger Mindestvorgaben geknüpft.
So müssen zum Beispiel mindestens vier Prozent der Ackerflächen für Brachen und Landschaftselemente bereitgestellt werden. Eine andere Vorgabe ist, dass die Kulturarten auf einer Fläche häufiger gewechselt werden müssen, um den Anteil an Monokulturen zu verringern.
Darüber hinaus ist ein Viertel der Direktzahlungen an die Erfüllung von Öko-Regelungen gebunden. Betriebe, die sich diese Gelder sichern möchten, müssen dafür Leistungen für Umwelt-, Klimaschutz oder die Biodiversität erbringen, die über die allgemeinen Auflagen an Umwelt- und Klimaschutz hinausgehen.
Außerdem soll ein zunehmender Anteil der jährlichen Direktzahlungen in die zweite Säule der GAP fließen, damit dort künftig mehr Mittel für Programme zur Förderung von Klima- und Umweltschutzmaßnahmen und zur Stärkung der ländlichen Räume genutzt werden können. Für die zweite Säule stehen Deutschland für das Jahr 2023 rund 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Bis 2027 soll dieser Betrag auf jährlich 1,8 Milliarden steigen.
Die Fördergelder machen je nach Struktur eines Haupterwerbsbetriebs zwischen 41 und 62 Prozent des landwirtschaftlichen Einkommens aus. Bei sogenannten Nebenerwerbsbetrieben, die eine zweite Einkommensquelle außerhalb der Landwirtschaft haben, liegt der Anteil der Fördermittel am landwirtschaftlichen Einkommen noch deutlich höher. [….]
(Bundesinformationszentrum Landwirtschaft)
Die landwirtschaftlichen Betriebe profitierten in den letzten beiden Jahren sehr stark von Wladimir Putins Ukrainekrieg, weil dadurch einer der größten Getreideproduzenten ausfiel, die Preise auf dem Weltmarkt stiegen, die Bauern auf diese Preiserhöhungen noch einmal ordentlich etwas draufschlugen und ähnlich wie die Mineralölindustrie Rekordgewinne einfuhren. Das erfordert effektive Lobbyarbeit, um auch wirklich jeden erdenklichen Aspekt des landwirtschaftlichen Lebens subventionieren zu lassen.
[….] Am härtesten trifft es wohl diejenigen armen Landwirte,
die sich gerade einen Tesla zulegen wollten, nech.
Und nun müssen sie mit ihrem subventionierten 280.000,-€-Traktor mitsamt "noch" subventioniertem Diesel auch noch wieder ganz nach Berlin fahren. Sind das dann eigentlich noch "Subventionen" oder nennt man das dann "Demogeld" 😉
Bei den Milliarden, die unentwegt in die Landwirtschaft fließen, während sämtliche Folgeschäden dieser grauseligen "konventionellen" Bewirtschaftung vergesellschaftet werden, sollte man annehmen, dass diese Agrarbetriebe längst verstaatlicht wären.
Übersicht förderfähige Maßnahmen (Liste aus: Deutsche Fördermittelberatung) [….]
Für so freches Handaufhalten braucht man schwarze Politiker.
Ein paar Zahlen dazu.
So viele Landwirte wählten bei den Bundestagswahlen Schwarzgelbbraun:
2002: 72%
2005: 74%
2009: 81%
2013: ? %
2017: 85%
2021: 67%
Keine andere Berufsgruppe ist so rechts wie die Bauern.
Wenig verwunderlich, daß sich die Landwirte auch für den extrem lügenden Antisemiten Hubert Aiwanger begeistern.
[….] Zwischen der CSU und den Freien Wählern gibt es zudem einen Wettbewerb um die Gunst des landwirtschaftlichen Milieus. Die Christsozialen betrachten sich als angestammte Bauernpartei - da erregte es Aufmerksamkeit, dass sich nun die Landesbäuerin Christine Singer zur Spitzenkandidatin der Freien Wähler für die Europawahl küren ließ. Und auch der oberbayerische Bezirkspräsident des Bauernverbands ist mit Ralf Huber ein Freier Wähler. […]
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