Samstag, 31. Mai 2014

One Man, Some Vote



Letzten Sonntag gingen Heinz-Jürgen und Sigrun Müller in Molfsee (Schleswig Holstein) in ihr Wahllokal und wollten an der Europawahl teilnehmen.
Obwohl sie ihre Wahlbenachrichtigungskarte dabei hatten, klappte es nicht. Ihre Namen waren in der Wahlliste schon abgehakt. Jemand anderes hatte offenbar schon für sie gewählt. Ihnen blieb nichts anderes übrig als unverrichteter Dinge nach Hause zu gehen. Sie durften nicht wählen.
Bürgermeister Roman Hoppe nahm es locker. Der Name „Müller“ sei nun einmal so häufig; da könnten sich mal Fehler einschleichen.
Giovanni di Lorenzo wählte dafür gleich zweimal. Auch das war illegal, aber woher sollte er das wissen? Der Mann ist schön. Das reicht doch. Er muß sich nicht auch noch mit Politik auskennen.
Ich spekuliere an dieser Stelle, daß der Fall Müller aus Molfsee nicht der einzige Wahlbetrug war in Europa war. Ob wohl jeder Roma in Ungarn ungehindert im Wahllokal seine Stimme abgeben konnte? Lief wirklich alles glatt in der Slowakei und auf Zypern?
Die Unregelmäßigkeiten in Deutschland fallen allerdings weniger ins Gewicht, weil es kaum irgendwo so viele Stimmen für einen EU-Parlamentssitz bedarf wie bei Merkel.
Europa wählt nämlich mit degressiver Proportionalität. Je mehr Einwohner ein Land hat, desto weniger zählt die Wahlstimme eines einzelnen Wahlberechtigten.
Das Prinzip wird immer dann verwendet, wenn sehr unterschiedlich große Einheiten verbunden werden. Wir kennen das aus dem deutschen Bundesrat, in dem die Sitze ebenfalls degressiv proportional zur Einwohnerzahl der Bundesländer vergeben werden. Das Bundesland Bremen hat beispielsweise 656.000 Einwohner und bekommt dafür drei Bundestagssitze. Es erhält also einen Sitz auf rund 220.000 Einwohner.
Nach diesem Schlüssel erhielte das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfahlen mit seinen 17,5 Millionen Einwohnern satte 80 Sitze! Niedersachsen könnte noch 36 Vertreter in den Bundesrat entsenden, wenn jeder Einwohner Deutschlands das gleiche Stimmengewicht hätte.
Tatsächlich haben NRW und NdS aber nur je sechs Sitze.
In Nordrhein-Westfalen braucht man aber fast drei Millionen Menschen für einen Bundesratssitz.
Das heißt also, daß die vier Städte Köln (1 Mio Einwohner), Düsseldorf (600.000), Dortmund (570.000) und Essen (560.000) zusammen gerade mal einen Sitz bekommen, während Bremen allein mit 650.000 Einwohnern gleich drei Sitze innehat. Ein Bremer ist demokratisch betrachtet 13 mal so viel wert wie ein Kölner.

Das Prinzip gilt auch in der EU. Nach dem Vertrag von Lissabon (2007) wurden die Sitze sogar noch etwas unproportionaler als nach dem vorherigen System (Vertrag von Nizza 2000) verteilt.
Deutschland verlor drei Sitze, während das winzige Malta einen Abgeordneten gewann.
Das höchste Stimmengewicht hat ein Wähler in Malta. Es braucht nur 68.000 von ihnen für einen Sitz im EU-Parlament.
84.000 Luxemburger, 133.000 Zyprioten und 250.000 Letten repräsentieren jeweils einen Sitz im Brüssel.
Ein Franzose, Spanier, Italiener, Brite oder ein Deutscher hat relativ gesehen nur ein Zehntel des Stimmrechtes.
Es braucht jeweils deutlich über 800.000 Einwohner pro EU-Sitz. Das ungünstigste Verhältnis hat dabei nicht etwa das bevölkerungsreichstes Land Deutschland (852.083 Stimmen pro Sitz) sondern Frankreich mit sogar 874.514 Stimmen. Aber auch ein Spanier ist noch weniger wert als ein Deutscher.

Das Prinzip der degressiven Proportionalität führt also zu extremen Verzerrungen der Grundregel „One man, one vote“.
Rechtfertigen läßt es sich allerdings mit der Rücksicht auf die historisch entstandenen Nationen. Malta oder Luxemburg würden bei proportionaler Stimmenverteilung völlig untergehen, da sie jeweils nur ein Promille der EU-Bürger stellen.

EU-Wahlen sind aber auch auf nationaler Ebene keineswegs gleich.
Unser deutsches Wahlrecht und Auszählungssystem führt zu weiteren extremen Verzerrungen.
Martin Sonneborn bekam mit seiner PARTEI 184.525 Stimmen und damit genau einen Sitz in Brüssel. Damit sind die Satirepartei-Wähler die potentesten ganz Deutschlands!
Obwohl die Piraten mehr als doppelt so viele Stimmen bekamen, nämlich 424.510 Stimmen, erhalten sie ebenfalls nur einen Sitz. Wären ihre Wähler genauso viel wert wie Sonneborns Epigonen, könnten 2,3 Piraten in Brüssel sitzen.
Schuld ist das Auszählungssystem.
Während CDU und SPD jeweils rund 300.000 Wähler pro EU-Sitz stellen, gibt es bei ÖDP, freien Wählern und Piraten grobe Verzerrungen. Es liegt am mathematischen Mandatszuteilungsverfahren.
Steinmeier ist schon schwer genervt.

 „Hände weg von deutschen Titten! Nein zur EU-Norm-Brust“, stand auf Wahlplakaten von Ex-Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn und seinen Mitstreitern. Kaum war Sonneborn gewählt, verkündete er, sein Mandat bereits in einem Monat wieder niederlegen zu wollen. Frank-Walter Steinmeier regt das auf. „Parteien, die sich am Tag nach der Wahl einen Spaß daraus machen, sich publikumswirksam zurückziehen, leisten keinen Beitrag zur Demokratie, eher das Gegenteil“, sagt er am Freitag der FAZ. […] Die Freien Wähler benötigten knapp 429000Stimmen je Mandat, die größeren Parteien um die 300000. Sonneborn kam aber ins Europaparlament, obwohl seine Partei nur 184525 Stimmen erhielt. [….]   Bei den ersten beiden Europawahlen wurde das Verfahren von Victor d’Hondt eingesetzt, später das von Thomas Hare und Horst Niemeyer. Seit der Wahl 2009 wird das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren verwendet. Das hat sich eigentlich bewährt, der Wegfall der Sperrklausel hat jetzt aber eine Schwäche offenbart, von der Sonneborn profitiert. Das ist auch deshalb delikat, weil das Bundesverfassungsgericht die Hürden gekippt hat, um die Wahlrechtsgleichheit zu verbessern. Wegen des Wegfalls der Sperrklausel kann es jetzt aber passieren, dass eine Partei mehr als doppelt so viele Stimmen wie eine andere gewonnen hat, sich aber trotzdem mit derselben Zahl an Mandaten begnügen muss. So ist es diesmal jedenfalls den Freien Wählern im Vergleich zu Sonneborn ergangen.[…]

Freitag, 30. Mai 2014

Merkels Wechselwirkungen.



Während die Politjournalisten nach 24 Jahren Merkel in Bundesregierungsverantwortung, bzw Oppositionsführerin, immer noch rätseln, ob Merkel eigentlich noch irgendetwas anderes antreibt als die pure persönliche Machtgier, hat sich für den Urnenpöbel wenigstens eine Gewissheit herausgebildet.
Das Merkelsche Gesetz.

Seit Thomas Oppermann das Merkelsche Gesetz postulierte, stiegen ihre Popularitätswerte kontinuierlich an und kratzen gegenwärtig an der 80%-Marke.

Sie beläßt es bei vagen Ankündigungen, wolkigem Gewaber und einigen konkreten Aktionen, die sie für die Zukunft „ausschließe.“

Merkel treibt planlos vor sich hin - durch ihren aberwitzigen ZickZack- und Hinhaltekurs hat sie die Eurorettungsaktion zigfach verteuert. 
Ihr abstruses Spardiktat würgt die Konjunkturen diverser Nationen ab.
 So ein Rezept hätte sie nie für Deutschland gewollt. Hier reagierte sie 2008/2009 völlig gegenteilig auf die Krise; nämlich mit gewaltigen Ausgaben-Orgien, zwei dicken Konjunkturpakten und Geldrauswurfmaßnahmen wie der Abwrackprämie.

Die Chaotisierung der europäischen Finanzarchitektur durch Wolfgang Schäuble und Angela Merkel folgt einer Grundregel, die SPD-Fraktionsgeschäftsführer Oppermann sehr schön auf den Punkt brachte, nachdem der eben noch endgültig auf maximal 218 Milliarden Euro begrenzte Haftungsrahmen von Merkel doch auf 280 Milliarden
aufgeblasen wurde.

Wieder einmal, so Oppermann, komme das "Merkel'sche Gesetz" zur Anwendung: Je vehementer die Kanzlerin etwas ausschließt, desto sicherer ist, dass es später doch eintritt. Der Ärger der Genossen erscheint verständlich, denn es ist beileibe nicht das erste Mal, dass Merkel in der Schuldenkrise eine Position revidiert. Im Gegenteil: Die meisten Bundesbürger haben angesichts des Hü und Hott längst den Überblick verloren. Sie registrieren nur noch, dass die Summen, für die sie einstehen sollen, immer astronomischer werden und dass mittlerweile halb Europa auf ihre Kosten zu leben scheint. Wut, Frust und Missverständnisse haben ein Maß erreicht, das geeignet ist, die Demokratie in ihren Grundfesten zu erschüttern.    Die Hauptschuld daran trägt die Kanzlerin, der es nicht gelingt, mit den Bürgern so zu kommunizieren, wie es die Schwere der Krise von ihr verlangt. Keine Fernsehansprache, keine Rede zur Lage der Nation, stattdessen Gemauschel in Hinterzimmern nebst anschließender Kurskorrektur.

Griechenlandumschuldung, Wehrpflicht, Atomkraft, Mehrwertsteuer, Gesundheitsreform - wohin man auch blickt; man kann sich stets darauf verlassen, daß das was die Kanzlerin als absolut alternativlos einnordet doch nicht kommt, sondern eher das Gegenteil dessen angepeilt wird.

Dieses Gesetz scheint allgemeine Gültigkeit zu haben.
Man erinnert sich an Merkels großartige Ankündigungen ein „No Spy Abkommen“ abzuschließen und ihren Kommentar „Abhören unter Freunden – das geht gar nicht!“, als ihr Handy abgehört wurde.
Inzwischen war sie in Washington, erwähnte dort den NSA-Skandal mit keinem Wort, begrub das No-Spy-Abkommen und sieht jetzt sogar tatenlos dem Kotau des Generalbundesanwalts zu, der erklärt, daß er noch nicht einmal ermitteln werde.

Das kanzlerische Handling der Europawahl gestaltet sich also genauso wie man es von ihr kennt.
Erst stellt sich Merkel hinter Juncker, wirbt für ihn, verspricht diesmal würde nicht in Hinterzimmern gemauschelt, sondern das Wählervotum gelte. Stunden nach der Stimmenauszählung wendet die Kanzlerin den Leitsatz des ersten CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlers an: „Wat kümmert mich ming Jeschwätz von jestern?“
Juncker? Auf den hat sie nun doch keine Lust mehr und was das Parlament möchte, ist ihr ohnehin egal – es soll wieder ausgeklüngelt werden.
100% Merkel also. Soweit, so normal.



Das Eigenartige ist aber, daß dieses völlig erwartungsgemäße Merkelverhalten urplötzlich einige der altbekannten Politjournalisten gar sehr aufregt.
Rolf-Dieter Krause konnte im Tagesthemen-Kommentar kaum noch an sich halten.


Genauso äußerte sich Heiner Bremer in einem Kommentar für ntv. Die Kanzlerin habe den Wähler in nie dagewesener Weise „desavouiert“ und kümmere sich nicht um ihr Geschwätz von gestern.

Die Süddeutsche diagnostiziert streng „Merkels Undank.“

Es wäre absurd, Cameron ein Vetorecht einzuräumen
[….]   Dramatisch hat die Kanzlerin begründet, warum Jean-Claude Juncker eine zügige Nominierung zum Präsidenten der Europäischen Kommission verwehrt bleibt und sie selbst ihrem eigenen Kandidaten nun eine entschlossene Unterstützung versagt. Es drohe sonst ein Vertragsbruch, der Europa erneut an den Rand der Katastrophe führen könnte, hat Merkel erklärt. Wenn dem so wäre, bliebe den Staats- und Regierungschefs nur die Wahl zwischen Vertragsbruch und Vertrauensbruch. So tragisch ist die Lage nicht.
Merkel würde mitnichten vertragsbrüchig, bliebe sie nun bei dem, was sie zwar zunächst widerwillig, aber dann doch eindeutig im Wahlkampf getan hatte: Juncker in seiner Kandidatur für das Amt des Kommissionspräsidenten zu unterstützen. Der Vertrag von Lissabon verlangt keine Einstimmigkeit, sondern eine qualifizierte Mehrheit. Christ- und Sozialdemokraten im Rat erreichen diese Mehrheit leicht. […]
 (SZ vom 30.05.2014)

Andere Kommentatoren sind nicht weniger angewidert vom Verhalten der beliebtesten Kanzlerin aller Zeiten.

Lavieren, taktieren, auf die lange Bank schieben – die übliche Merkel-Taktik, könnte man meinen. Doch diesmal hat die Kanzlerin keine Ausrede. Es ist ihr Job, die nötige Mehrheit im Rat zu organisieren, der den nächsten Kommissionschef vorschlägt. Wenn sie das nicht energisch vorantreibt, schießt sie Juncker ab. Denn die Gegner sind gut organisiert. Angeführt werden sie vom britischen Premier Cameron. Zu seinen Verbündeten zählen Ungarn, Niederländer und wohl auch Schweden. Die Kanzlerin kann nicht so tun, als habe sie keine Ahnung.
Schließlich weiß sie nur zu gut, wie man Kandidaten abschießt. 2004 war sie es, die im Bunde mit Camerons Amtsvorgänger Blair den Kandidaten der damaligen Bundesregierung abblockte. Merkel und Blair zauberten den Portugiesen Barroso aus dem Hut – der sich dann als ausgesprochen schwacher Kommissionschef erwies. Das darf sich nicht wiederholen, sonst ist die EU am Ende. Und die nächste Europawahl kann man sich dann auch gleich schenken.

Jakob Augstein, der als einer der wenigen schon länger die Merkelpolitik deutlich kritisierte, gibt sich ebenfalls schwer genervt von seiner Kanzlerin. Er fährt schweres Geschütz auf und bezichtigt sie sogar der Zerstörung der EU.
Leider ist das nicht besonders übertrieben.

Verachtung? Ist es das, was unsere Kanzlerin in Wahrheit für die Menschen empfindet? Verachtung ist das Gegenteil von Respekt - und weniger Respekt als Angela Merkel jetzt den Wählern in Europa erwiesen hat, kann man als Politiker nicht an den Tag legen. Zwei Kandidaten wollten Kommissionspräsident werden. Es gibt Wahlen. Der Konservative gewinnt. Das Europäische Parlament sichert ihm Unterstützung zu. Aber Angela Merkel sagt: Abwarten!
Das berüchtigte "demokratische Defizit", das so viele Menschen an Europa beklagen, hier hat es Gesicht und Namen.
[…]  Merkel und die anderen Regierungschefs wollen ihre Macht nicht mit dem Volk teilen. Der Nationalismus ist das Problem. […] Europagegner wie Marine Le Pen oder David Cameron missachten und missverstehen das ebenso wie eine Europagleichgültige wie Angela Merkel.
[…] Die große europäische Krise wurde ja nicht durch die Sinti und Roma ausgelöst, denen Le Pen den Kampf angesagt hat. Sie wurde auch nicht von den ausländischen Hartz-IV-Empfängern ausgelöst, die Angela Merkel nicht mehr im Land haben will. Sie wurde von den Banken ausgelöst. Und gegen die Banken ist La France profonde von Le Pen allein genauso machtlos wie Merkels Wirtschaftswunderdeutschland. Und das gilt selbstverständlich auch für den Grenzstreit mit Russland, oder für den Überwachungskonflikt mit der NSA oder für den Datenkampf mit Google oder für das Handelsabkommen mit den USA.
[…] Merkels Rechthaberei hat aus Griechen, Italienern, Spaniern, Portugiesen Bürger zweiter Klasse gemacht und den Stolz der Franzosen gebrochen.
Hier liegt das große, historische Versagen dieser Kanzlerin. Sie hat im Moment der Krise nicht wie Adenauer (Römische Verträge), Schmidt (Europäisches Währungssystem) und Kohl (Maastricht-Vertrag) den europäischen Weg gesucht - sondern den nationalen. […]

Die scharfe Kritik an Merkel beschränkt sich nicht auf journalistische Kreise. Im Zusammenhang mit der deutschen Bundeskanzlerin fiel in anderen Regierungen sogar das Wort „erbärmlich.“

Es war ein EU-Gipfel, der Schockwellen ausgelöst hat. Das verkappte „Nein, aber...“ der 28 Regierungschefs zum konservativen Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker sorgte selbst in Kreisen der Europäischen Volkspartei für Empörung. „Ernüchternd bis erbärmlich“, schimpfte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn.

Ich nehme an, daß die Uckermärker Profilügnerin doch ein bißchen verblüfft war, als ihr Frau Christiansen und Frau Baumann den ungewohnt heftigen Presseshitstorm vorlegten.
Sie tat das, was ihre leichteste Übung ist: Zurückrudern.
„Merkel nun doch für Juncker“ meldete SPON heute Nachmittag.

Besser aufgepasst hatten allerdings die Jungs von der Süddeutschen.
In Wahrheit war auch diese neuerliche Kehrtwende der Kanzlerin wieder keine Richtungsentscheidung, sondern ein wachsweiches Wattestatement mit Hintertür.

Soll Juncker Präsident der EU-Kommission werden? Kanzlerin Merkel beteuert überraschend, sie führe "alle Gespräche genau in diesem Geiste". Das klingt nach Kehrtwende, aber Regierungskreise weisen auf die Feinheiten ihrer Formulierung hin. […] Auf dem Katholikentag in Regensburg sagte Merkel am Freitag, die Europäische Volkspartei sei mit ihrem Spitzenkandidaten als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen. "Deshalb führe ich jetzt alle Gespräche genau in diesem Geiste, dass Jean-Claude Juncker auch Präsident der Europäischen Kommission werden sollte."
Mit dieser Formulierung wollte Merkel nach Auskunft aus Regierungskreisen zweierlei klarmachen: Ihre Unterstützung für Juncker sei zweifelsfrei, sie sehe sich aber auch in einem Verhandlungsprozess mit 27 anderen Nationen, dessen Ende sie nicht absehen könne. Darauf deutet die Formulierung, wonach sie Gespräche "im Geiste" führe, und dass Juncker den Präsidenten-Posten bekommen "sollte".
[…] Merkel sagte am Dienstag, die (europäische) Agenda könne von Juncker, "aber auch von vielen andern durchgesetzt werden".  […]

Merkel ist sichtlich darum bemüht die ausufernde Diskussion wieder einzufangen.
Die Journalisten sollen sich gar nicht erst daran gewöhnen, daß man Angela, die Große, wie andere Politiker auch nach Kriterien des Anstands und der Vernunft kritisieren darf.
Der Urnenpöbel soll gar nicht erst aufwachen.
Sie könnte wieder einmal richtig liegen mit ihrer Strategie. Gestern war allgemeines Saufgelage („Vatertag“), jetzt ist Wochenende und ohnehin denken alle nur noch an die Fußballweltmeisterschaft.

Donnerstag, 29. Mai 2014

Schlechte Neuigkeiten für Obama.



Es ist nicht gut immer nur im eigenen Saft zu schmoren.

Durch Abschottung verliert man; ökonomisch und kulturell.
Die DDR und Nordkorea haben im Vergleich zu ihren offeneren Schwester-Nationen dementsprechend in fast allen Disziplinen sehr alt ausgesehen.
Es war in der Geschichte immer so, daß die Kulturen an den Küsten, die Handel trieben und vielfältige Kontakte zu anderen Ländern hatten nicht nur reicher wurden, sondern auch enorm an Wissen gewannen, so daß die Kultur aufblühte.
Das stimmt in allen Größenordnungen.
Andere Kulturen und Kontakte befruchten. Deswegen war Hamburg auch immer sehr viel reicher und kulturell prosperierender als Berlin: Die Hanseaten hatten durch die Hanse ein über Jahrhunderte gewachsenes Netz aus Handelsbeziehungen in alle Welt, man war polyglott und noch heute hat Hamburg nach New York die meisten Konsulate in der Welt.
Berlin hat aufgrund seiner geographischen Lage keinen Hochseehafen und liegt in der Mitte von Deutschland.

Im Lichte dieser Erkenntnis wird es umso bizarrer, daß die rechten Rattenfänger Europas und Amerikas auf Isolationismus setzen. Dabei sind wir mehr denn je auf Input von Außen, auf Handel und Ressourcenaustausch angewiesen.

Weniger Einwanderer, mehr Schutz für heimische Konzerne, weniger Einmischung aus Brüssel: Die Rezepte rechter Populisten bedienen die Sehnsucht nach einem besseren Früher, das es nie gab. Eine Politik der Abgrenzung kostet Jobs und Wohlstand. Das können sich Europas Staaten nicht leisten.
Schwere Zeiten für weltoffene Politiker: Bei den Europawahlen haben in vielen Ländern Populisten massiv hinzugewonnen - oft Parteien, die pauschal die EU, Einwanderer und Globalisierung für die Probleme des Landes verantwortlich machen. […]  Triumphe sind zugleich ein Problem für die Wirtschaft, für die Firmen in Europa - und letztlich auch wieder für die Millionen Arbeitnehmer.
Weniger Einwanderer, mehr Schutz für heimische Konzerne, weniger Einmischung aus Brüssel oder raus aus der Union: Die Rezepte der rechten Populisten kommen in der Krise gut an, sie bedienen die Sehnsucht nach einem besseren Früher, das es in Wirklichkeit nie gab. Doch sie sind pures Gift für die Wettbewerbsfähigkeit. Würden die Ideen umgesetzt, kosteten sie Jobs und Wohlstand. Wir ziehen rund ums Land die Zugbrücken hoch: So eine - moralisch ohnehin fragwürdige - Politik muss man sich erst mal leisten können. Europas Staaten können es nicht.  [….]

Das passiert, wenn Menschen unter sich bleiben und ohne kulturellen Input sind. Sie verdummen und brüten destruktive Taktiken aus.

Eine Ebene zurück geschaltet erlebt man das auch im politischen Leben Amerikas.
Die USA sind zwar ein multikulturelles Land, ja sogar ein klassisches Einwanderungsland, das so sehr wie keine andere Nation von dem frischen Blut profitiert, aber es schottet sich in kleinere Einheiten ab.
Die Medien sind so einseitig geworden, daß viele Millionen Menschen ausschließlich von FOX und rechtsextremen Radiostationen gefüttert werden, ohne jemals in Kontakt mit der Realität zu kommen.
Das gilt auch umgekehrt. Wer „liberal media“ konsumiert, Bill Maher mag und Rachel Maddows zuhört, der guckt keine Sekunde FOX-news.
Es sei denn als Satire.
Nur mit viel Inzucht und radikaler Verbannung der Vernunft kann es zu solchen Vorfällen kommen:

Son of Pastor Who Died from Snake Bite Nearly Dies from Snake Bite
[…] Even though his snake-handling father Pastor Jamie Coots died from a rattlesnake bite earlier this year, the younger Coots said at the time that if he were bitten, he would just send the paramedics away as his dad did.
[…] How many people have to die before the members of Full Gospel Tabernacle in Jesus Name church stop with this nonsense?

Auf diese Weise entstanden die Teebeutler, die so unfassbar verblödete Typen wie Palin, Bachmann, Rubio und Cruz hervorbrachten.

 
Der geistigen Autoabschottung der rechten Washington-feindlichen Basis verdankt Barack Obama seine Wiederwahl im Jahr 2012.
Nach den üblichen US-amerikanischen Wahlkriterien (ökonomische Erfolge) hätte er sicherlich keinen second term verdient; zumal er auch alle bürgerrechtlich Orientierten der eher linken Seite bitter enttäuschte.
Aber die GOPer stellten sich so ungeheuer dumm an und warben mit derartig geistig verwirrten Kandidaten, daß die haushoch die Präsidentschaftswahl verloren und im Senat sogar noch Sitze abgeben mußten.

Das einzig Gute der Teeparty ist also bizarrerweise, daß sie durch ihren unbändigen Hass auf Obama (also diesen Neger aus Afrika, jedenfalls kein echter Amerikaner, zudem auch noch schwul, muslimisch und atheistisch. Versucht von purem Antiamerikanismus getrieben das Land durch Sozialismus zu zerstören!) zu seinen effektivsten Wahlhelfern wurden.
Aus Sicht der demokratischen Wahlkampfstrategen ist der Aufstieg der Teebeutler ein Gottesgeschenk. Man selbst kann gemütlich weiter vor sich hin stümpern und gewinnt am Ende doch wieder die Präsidentschaftswahlen, weil die Demographie für einen arbeitet:
Amerika wird bunter und kulturell vielfältiger.
Die WASPs (White Anglo-Saxon Protestant) werden weniger und Latinos, Schwarze und Asiaten werden von den GOPern so angefeindet, daß sie in ihrer übergroßen Mehrheit immer die Demokraten wählen.
Erstaunlicherweise gibt es aber selbst bei den Republikanern noch Restverstand.
Alte rechte Washingtoner Strategen, die sich darüber ärgern trotz der unterirdischen Obama-Performance in der Opposition zu sitzen.
Sie nutzen jetzt das Big Money und versuchen in einer großen Kraftanstrengung bei den innerparteilichen Vorwahlen die Irrsten der Irren loszuwerden.
Je besser ihnen das gelingt, desto schlechter für die Demokraten.

[…]  Mitch McConnell, 72, ist seit drei Jahrzehnten US-Senator in Washington, er ist der Anführer der Republikaner im Senat, und er möchte all das auch nach der Parlamentswahl im Herbst noch bleiben. In den Vorwahlen der republikanischen Partei hat ihn zuletzt der wesentlich jüngere Unternehmer Matt Bevin herausgefordert, ein erzkonservativer Anhänger der Tea Party. […] Am Dienstag in der Vorwahl hat McConnell seinen jugendlichen Widersacher nun mit 60 zu 35 Prozent der Stimmen geschlagen. […] Es ist nun ein Sieg des alten Washington, jedenfalls der Alteingesessenen in Washington.[…]
In anderen Staaten gingen die Vorwahlen am Dienstag ganz ähnlich aus. In Idaho setzte sich ein langjähriger Abgeordneter gegen einen rechten Herausforderer durch, ebenso in Pennsylvania. In Georgia wird eine Stichwahl entscheiden, welcher Republikaner für den Senat kandidieren darf, aber die beiden Tea-Party-Bewerber sind am Dienstag bereits ausgeschieden.
[…] Für Präsident Barack Obama und seine demokratischen Parteifreunde ist dies ein schlechtes Ergebnis. Sie hatten auf Erfolge der rechten Amateure gehofft, weil es leichter gewesen wäre, diese bei der Hauptwahl im November zu schlagen. Stattdessen müssen die Demokraten nun gegen erfahrene Republikaner antreten, die diszipliniert, gut vernetzt und finanziell bestens ausgestattet sind. Damit wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Demokraten in einem halben Jahr ihre Mehrheit im Senat, der zweiten Parlamentskammer, verlieren. Das Abgeordnetenhaus wird ohnehin in republikanischer Hand bleiben. Für Obama bedeutet das, dass er ab Ende des Jahres womöglich keine Machtbasis mehr besitzt im US-Kongress. Er würde damit, zwei Jahre vor dem Ende seiner Amtszeit, endgültig zu einer "lahmen Ente".  […]

Mangels eigener Erfolge bleibt den Demokraten nun nur noch die Merkelsche Strategie der asymmetrischen Demobilisierung. Sie müssen hoffen, daß mit einem weniger polarisierenden Wahlkampf die rabiaten FOX-Glotzer der republikanischen Basis aus Enttäuschung über die aus ihrer Sicht zu moderaten eigenen Kandidaten zu Hause bleiben.