Dienstag, 30. Juni 2015

Hätte ich jetzt tatsächlich nicht gedacht.

Enttäuschungen bereitet man sich nur selbst, indem man falsche Erwartungshaltung generiert.
Bei der Ankündigung eines großen Lottojackpots Lotto zu spielen ist kein Problem.
Verwerflich wird die Aktion nur, wenn man sich nicht darüber im Klaren ist, daß staatliche Lotterien eine Dummensteuer sind, um die Länderhaushalte zu fluten und noch dümmer ist es, wenn man tatsächlich erwartet derjenige unter zig Millionen Mitspielern zu sein, der den Millionenjackpot gewinnt.

Es ist fast unmöglich, daß mich Kirchen, die CDUCSU oder die US-Republikaner negativ überraschen.
Von ihnen erwarte ich ohnehin nur das Schlimmste.
Es ist schon eher mal möglich, daß mich ein Unionspolitiker oder Pfaff mal positiv überrascht, indem er etwas Vernünftiges von sich gibt.
Das erwarte ich nämlich auch nicht und so ist die Schwelle für diese Leute mich angenehm zu überraschen relativ niedrig.

Nun hat es aber ausgerechnet die relativ liberale evangelische Nordkirche fertiggebracht, daß ich mir ernsthaft an den Kopf fasse und sie sogar noch mehr als gestern verachte.
Chapeau.

Rückblick; es ging um die mögliche Akzeptanz von Juden und Atheisten bei der Diakonie.

Nach nur 152 Jahren haben sich die Jungs und Mädels zu einem REVOLUTIONÄREN SCHRITT durchgerungen!
Sie wollen in Zukunft das „Juden unerwünscht“-Prinzip bei den Arbeitsverträgen fallen lassen.
Bisher konnte man dort nur als Mitglied der Kirche einen Job bekommen.
Obwohl, wie üblich in Krankenhäusern in kirchlicher Trägerschaft, das Haus von Kranken- und Pflegekassen, sowie den Patienten und eben NICHT von der Kirche finanziert wird, galt bisher, daß Juden, Moslems, Atheisten, Buddhisten und Co dort nicht arbeiten dürfen.
Im Zeitalter der extremen Personalnot in Gesundheitseinrichtungen und das auch noch in einer Stadt, die mehrheitlich von Atheisten bevölkert wird, konnte sich die Evangelische Stiftung Alsterdorf ihre Politik offensichtlich nicht mehr länger leisten.
Was für ein Treppenwitz der Geschichte.
Die Kirchen schwimmen gerade im Geld und können doch nicht weiterhin ihre Einrichtungen unter Ausschluss von Juden, Moslems, Atheisten, Buddhisten und Co führen, weil ihnen die Mitarbeiter einfach zu wenig werden.

Wer bei der Evangelischen Stiftung Alsterdorf arbeiten möchte, muss in Zukunft nicht mehr Mitglied einer christlichen Kirche sein. [….] Bisher hätten Konfessionslose, Muslime oder Buddhisten allenfalls Chancen auf eine befristete Anstellung gehabt.
Ausgenommen von der Regelung sind der Vorstand und die erste Leitungsebene. Für sie bleibt die Kirchen-Mitgliedschaft Pflicht. Man könne das Profil einer kirchlichen Einrichtung nicht mehr formal an der kirchlichen Zugehörigkeit festmachen, sagte Vorstandschef Hanns-Stephan Haas im Interview mit der Zeitung.
Stattdessen müsse die Stiftung deutlich machen, wofür sie stehe. Zudem sei es schwierig, Fachpersonal etwa für die Pflege etwa von Epilepsiepatienten zu finden. Die bisher verlangte Kirchenzugehörigkeit habe die Suche zusätzlich erschwert.

Wenn das nicht lieb ist. Nach gerade mal 152 Jahren überwinden sich die evangelischen Christen großzügig dazu auch eine Jüdin bei ihnen putzen zu lassen oder eine Muslimin die Bettpfannen leeren zu lassen!
Dabei haben wir gerade erst das Jahr 2015.
Sie könnten mit solch revolutionären Schritten doch noch etwas abwarten!
Zum Glück sind die wichtigen Jobs in der oberen Ebene weiterhin nur für zahlende Kirchenmitglieder.
Hier gilt weiterhin: Juden unerwünscht!

Eine jüdische Putzfrau? Ein konfessionsloser Ergotherapeut? Eine muslimische Krankenschwester?

Diese Sache war nun in der Welt und tatsächlich gibt es genügend Kirchenfunktionäre, die so schambefreit sind, daß sie sofort ihre häßlichen Ansichten kundtun mußten.
Die 6000 Mitarbeiter in 180 Standorten der Diakonie Nord mögen doch bitte auch weiterhin unter sich bleiben.
Die Türen für Juden müßten auch zukünftig geschlossen bleiben.
So stellte es der frühere niedersächsische Diakonievorstand Rolf-Jürgen Korte in einem handschriftlichen Fax an die Diakonie fest. Er selbst ist so empört über die Vorstellung, daß ein Jude oder Atheist auch nur ein Klo einer Diakonieeinrichtung putzen dürfe, daß er auf der Stelle seinen Austritt aus dem Förderkreis der Evangelischen Stiftung Alsterdorf verkündete.
Korte muß es wissen; er ist schließlich Autor mehrerer Bücher über die Führung konfessioneller Sozialunternehmen. Kortes Fachgebiet sind ethische Positionen im Markt sozialer Hilfen.

Noch einmal zur Verdeutlichung: Es geht um Unternehmen, die eben NICHT vom Geld der Kirche leben, sondern vom Staat finanziert werden und zudem in einer Stadt wie Hamburg auch weit überwiegend von nicht christlichen Menschen genutzt werden.
Nicht nur Dr. Korte maßt sich im Jahr 2015 an dort auch in Zukunft eine judenreine, atheistenfreie und muslimbereinigte Belegschaft einzufordern.

Der Landesbischof springt ihm bei.

[…]  Auf Abendblatt-Anfrage bekräftigte der Landesbischof der Nordkirche, Gerhard Ulrich: "Die Kirchenmitgliedschaft der Beschäftigten in Einrichtungen von Kirche und Diakonie wird der Regelfall bleiben. […]  Bis heute bringt die Kirchenmitgliedschaft auch die Zustimmung zu den inneren Zielen der Gemeinschaft der Getauften zum Ausdruck. Für kirchliche und diakonische Einrichtungen bedeutet das auch, die christlich-diakonische Identität weiterzuentwickeln und so die Identifikation der Mitarbeitenden mit den Zielen und Werten ihrer Einrichtung zu stärken", betont der Landesbischof und fügt hinzu: "Eine solche innere Bindung wird in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf weiterhin erwartet."
[…]  Auch die EKD bekräftigte ihre Position von der verbindlichen Kraft des christlichen Profils. EKD-Rechtsexperte Detlev Fey sagte dem Abendblatt: "Unsere Einrichtungen haben immer schon auch andersgläubige Menschen zur beruflichen Mitarbeit eingeladen. Diese Einladung gilt auch künftig. Dennoch setzen wir – auch nach unseren rechtlichen Grundlagen – für die kirchlich-diakonische Prägung der Einrichtungen darauf, dass in ihnen überwiegend Christinnen und Christen tätig sind." […]  

Montag, 29. Juni 2015

Mal kurz was Persönliches


Vielleicht ist das dem ein oder anderen schon mal aufgefallen; ich hatte in den letzten zehn Jahren sehr sehr viel in Hamburger Krankenhäusern zu tun.
Einige kenne ich wie meine Westentasche.
So Gott will, ist das erst mal vorbei; ich werde es nicht vermissen.
Ein kleiner Nebeneffekt davon ist, daß ich im privaten Umfeld immer mal wieder gefragt werde welches Krankenhaus ich für welche Art Krankheit empfehlen würde.
Tatsächlich habe ich auch in diesem Blog schon mal vom Universitätskrankenhaus Eppendorf, dem UKE geschwärmt, das ich zumindest für einige Fachgebiete empfehlen würde.
Schwieriger ist es mit Pflegeeinrichtungen und geriatrischen Abteilungen. Im gigantischen UKE gibt es das gar nicht und auch sonst habe ich da keinerlei positive Erfahrungen gemacht.
Ich kenne keine geriatrische Klinik, die ich empfehlen würde.
Alle, die ich bisher erlebt habe, waren bestenfalls ausreichend.
Natürlich ist da das Angebot der kleinen privaten Häuser gewaltig.
Bei mir in der Nähe gibt es beispielsweise ein Pflegeheim, das von zwei Schwestern geführt wird und nur acht Plätze hat. Man wirbt da mit dem familiären Konzept und der persönlichen Anbindung an die Pflegekräfte.
Klingt theoretisch sehr gut. Klappt aber in der Praxis nicht.
Solche Mini-Einrichtungen zu vergleichen traue ich mir nicht zu.
Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, daß die Empfehlungen der an sich sehr guten „Pflegestützpunkte“ der Hamburger Bezirke da auch nicht viel weiterhelfen, da die Bedürfnisse individuell einfach zu unterschiedlich sind.

Grundsätzlich gilt aber, daß man mit viel Geld besser dran ist, als derjenige, der nur mit dem Geld der Pflegeversicherung hantieren kann.
Es gibt eine Hamburger Firma, die hervorragende 1:1-Pflege zu Hause anbietet. Inklusive Bettwache.
Das klappt sehr gut und die Mitarbeiter sind immer zu erreichen und immer hilfsbereit.
Abrechnung erfolgt pro Stunde mit Aufschlägen für Nacht, Wochenende und Feiertage. Eine 24-Stunden-Pflege kostet dann im Monat knapp € 17.000 Euro.
Ohne jemanden zu nahe zu treten, nehme ich doch mal an, daß es für die meisten Leute etwas zu teuer ist für eine Dauerlösung.

Für die armen Kassenpatienten, die von CDU- und CSU- und FDP-Politikern stets als Menschen zweiter Klasse einsortiert werden, gibt es so eine individuelle Pflege natürlich nicht.
Aber sie haben ja auch selbst Schuld – SPD, Grüne und Linke haben das Konzept der Bürgerversicherung für alle schon seit 20 Jahren im Programm – das hat nie eine Mehrheit bekommen.
Als Kanzler Schröder im Herbst 1998 eine rotgrüne Mehrheit in beiden Parlamentskammern hatte, blieb keine Zeit das einzuführen, weil der Bundesrat schon im Januar 1999 wieder auf schwarzgelb kippte, nachdem die Hessen meinten, es sei nun genug mit Rot-Grün, sie wollten lieber Roland Koch.

Über gute Krankenhäuser und positive Erfahrungen mit Ärzten und Pflegern spreche ich gern, aber das ist meistens mit einem „ja, aber…“ verbunden.

Einfacher ist es Kliniken und Pflegeeinrichtungen zu nennen, die ich wirklich gar nicht mag.
Da wären an erster Stelle die Asklepios-Häuser, und von denen insbesondere das Asklepios St. Georg zu nennen. Lieber einen Bogen drum herum machen.
Die schlechtesten (größeren) Pflegeeinrichtungen sind nach meiner Erfahrung zwei streng Christliche.

Das Albertinenhaus - Zentrum für Geriatrie und Gerontologie in Hamburg-Schnelsen. Es gehört zu einem größeren Konglomerat, das dem Albertinen-Diakoniewerk gehört. Schirmherrin ist die ehemalige CDU- Bürgermeisterin aus der Schill-Zeit Birgit Schnieber-Jastram.
Da gibt es viele Pfarrer, sehr viele christliche Andachten und noch viel mehr Bibelsprüche. Was es weniger gibt, sind Hygiene, Pflegekräfte und gute Ernährung.
(Kriege ich jetzt Ärger, weil ich das so deutlich sage?)

Noch weniger mag ich das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf, das EKA, das als Lehrkrankenhaus mit dem UKE verbandelt ist, so daß man das Pech haben kann vom UKE als Pflegefall ganz schnell rüber ins EKA gefahren zu werden.
Träger ist seit über 150 Jahren die Evangelischen Stiftung Alsterdorf.
Es ist immer schlecht ein ganzes Krankenhaus schlecht zu machen. Dort sitzt beispielswiese eine hervorragende Handchirurgin, zu der ich leider nicht gehen kann, weil ich nicht noch mal dieses Haus betreten möchte.

Aber wer weiß, vielleicht wird es ja demnächst besser im EKA.
Nach nur 152 Jahren haben sich die Jungs und Mädels zu einem REVOLUTIONÄREN SCHRITT durchgerungen!
Sie wollen in Zukunft das „Juden unerwünscht“-Prinzip bei den Arbeitsverträgen fallen lassen.
Bisher konnte man dort nur als Mitglied der Kirche einen Job bekommen.
Obwohl, wie üblich in Krankenhäusern in kirchlicher Trägerschaft, das Haus von Kranken- und Pflegekassen, sowie den Patienten und eben NICHT von der Kirche finanziert wird, galt bisher, daß Juden, Moslems, Atheisten, Buddhisten und Co dort nicht arbeiten dürfen.
Im Zeitalter der extremen Personalnot in Gesundheitseinrichtungen und das auch noch in einer Stadt, die mehrheitlich von Atheisten bevölkert wird, konnte sich die Evangelische Stiftung Alsterdorf ihre Politik offensichtlich nicht mehr länger leisten.
Was für ein Treppenwitz der Geschichte.
Die Kirchen schwimmen gerade im Geld und können doch nicht weiterhin ihre Einrichtungen unter Ausschluss von Juden, Moslems, Atheisten, Buddhisten und Co führen, weil ihnen die Mitarbeiter einfach zu wenig werden.

Wer bei der Evangelischen Stiftung Alsterdorf arbeiten möchte, muss in Zukunft nicht mehr Mitglied einer christlichen Kirche sein. [….] Bisher hätten Konfessionslose, Muslime oder Buddhisten allenfalls Chancen auf eine befristete Anstellung gehabt.
Ausgenommen von der Regelung sind der Vorstand und die erste Leitungsebene. Für sie bleibt die Kirchen-Mitgliedschaft Pflicht. Man könne das Profil einer kirchlichen Einrichtung nicht mehr formal an der kirchlichen Zugehörigkeit festmachen, sagte Vorstandschef Hanns-Stephan Haas im Interview mit der Zeitung.
Stattdessen müsse die Stiftung deutlich machen, wofür sie stehe. Zudem sei es schwierig, Fachpersonal etwa für die Pflege etwa von Epilepsiepatienten zu finden. Die bisher verlangte Kirchenzugehörigkeit habe die Suche zusätzlich erschwert.

Wenn das nicht lieb ist. Nach gerade mal 152 Jahren überwinden sich die evangelischen Christen großzügig dazu auch eine Jüdin bei ihnen putzen zu lassen oder eine Muslimin die Bettpfannen leeren zu lassen!
Dabei haben wir gerade erst das Jahr 2015.
Sie könnten mit solch revolutionären Schritten doch noch etwas abwarten!
Zum Glück sind die wichtigen Jobs in der oberen Ebene weiterhin nur für zahlende Kirchenmitglieder.
Hier gilt weiterhin: Juden unerwünscht!

Sonntag, 28. Juni 2015

Unerzwungene Gleichschaltung.



Fiat Lux oder die Scientologen würden sich an mir die Zähne ausbeißen.
Besuche von Mormonen oder Zeugen Jehovas betrachte ich als reine Comedy.
So wie mir die religiöse Musikalität fehlt, so geht mir auch der Sinn für Verschwörungstheorien ab.
Besonders absurd erscheinen mir die Pegida-artigen Typen, die gegen die angebliche Mainstreampresse hetzen, SPIEGEL, SZ und ZEIT pauschal als Propaganda-Instrumente abtun.
So reden immer diejenigen, die SPIEGEL, SZ und ZEIT gar nicht lesen. Sie wissen aber am besten was drin steht.
Die Bildungsfernen und BILD-Zeitungsleser sind es, die „Lügenpresse“ schreien.
Hier wird fröhlich über etwas geurteilt, von dem man sich rühmt es gar nicht zu kennen.


Bei einigen Themen ist es aber durchaus erstaunlich wie eintönig gleich Politiker der Regierungsparteien und insbesondere TV-Journalisten klingen.

Es gibt eine sehr weitgehende grundsätzlich russlandfeindliche Berichterstattung und eine furchtbar einseitig antigriechische Stimmung in den meisten Medien.
Während man aber beim ersten Thema tatsächlich schwer Fakten über das genaue Geschehen in der Ostukraine beschaffen kann, ist es bei der Ökonomie Griechenlands so klar auf der Hand liegend, daß die „Rezepte“ der „Troika“ kontraproduktiv sind, daß ich es inzwischen wirklich nicht mehr begreife, wieso auch SPD-Politiker - wie zuletzt Gabriel, Steinmeier und Oppermann – hartnäckig auf etwas beharren, das schlicht und ergreifend unmöglich ist.

Dabei hat sich eine verheerende Sprachregelung eingeschlichen.
Die Ankündigung einer urdemokratischen Aktion – einer Volksabstimmung – bringt deutsche Parlamentarier zu kollektiver Schnappatmung unter Peristaltikverlust.

Ein „entsetzter“ Wirtschaftsminister“, ein „fassungsloser“ Außenminister und ein Fraktionschef der Union, der in Griechenland nur noch „Chaoten“ am Werk sieht. Scheint fast so, als hätte die deutsche Spitzenpolitik jede Zurückhaltung abgelegt. Feuer frei auf die griechischen Dilettanten, die sich nicht beugen lassen wollen.
Dabei hat sich die Debatte um Griechenlands Zukunft von der eigentlichen Kernfrage längst entfernt: Welchen politischen Spielraum sollen demokratisch gewählte Regierungen überhaupt noch haben? Die Streich- und Ergänzungsliste der Gläubiger zu den Vorschlägen der griechischen Regierung lässt jedenfalls nur noch einen Schluss zu: So gut wie keinen. Die technokratische Detailversessenheit der „Institutionen“ regelt auch noch die dritte Stelle hinter dem Komma, ob es um Dieselsprit für griechische Bauern oder Steuererleichterungen für verarmte Inselbewohner geht. Die Regelungswut der EU-Technokraten hat in ihrem rechthaberischen Gestus dabei jedes Gespür für demokratische Zurückhaltung verloren. Keine Spur mehr von Respekt für eine Regierung, die den Willen ihrer Bevölkerung repräsentiert.
Wer die Aktionen der griechischen Regierung als wahlweise "unvernünftig", "irre" oder "unbelehrbar" diffamiert, ignoriert die Borniertheit der anderen Seite, die sich allein ihrem neoliberalen Gedankenmodell verpflichtet sieht. Interessant in diesem Zusammenhang: Ausgerechnet bei den Unternehmenssteuern gingen den Institutionen die Sparziele der griechischen Regierung zu weit.
Ob Luxussteuern, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes oder Privatisierung von Staatseigentum: In vielen Punkten ist die griechische Regierung ihren Gläubigern weit entgegengekommen. Dass sie sich dort zur Wehr setzt, wo europäische (deutsche) Austeritätspolitik dem Land die Luft zum Atmen nimmt, ist allerdings nicht nur nachvollziehbar. Es ist und bleibt ihr gutes Recht!
(Georg Restle, Monitor, 28.06.15)

Hartnäckig verkaufen K.O.alitionspolitiker ihrem Volk die absurde Legende von den deutschen Zahlmeistern für die faulen Griechen, die ihre Kredite nicht zurückzahlen wollen.
Merkels Milliarden kommen eben nicht „den Griechen“ zu Gute, sondern deutschen Anlegern und Banken, die gewaltige Gewinne mit den hohen Zinsen machen, die sie Griechenland abknöpfen. Deutschland profitiert durch das Zinsniveau sogar enorm von der Krise in Griechenland. Allein Schäuble muß dadurch 60 Milliarden Euro weniger Zinsen für deutsche Schulden zahlen.
Und außerdem war es Deutschland, das seine Schulden nie zurückzahlte.

[….] Mein Buch erzählt von der Geschichte der Einkommen und Vermögen, inklusive der öffentlichen. Was mir beim Schreiben auffiel: Deutschland ist wirklich das Vorzeigebeispiel für ein Land, das in der Geschichte nie seine öffentlichen Schulden zurückgezahlt hat. Weder nach dem Ersten noch nach dem Zweiten Weltkrieg. Dafür ließ es andere zahlen, etwa nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870, als es eine hohe Zahlung von Frankreich forderte und sie auch bekam. Dafür litt der französische Staat anschließend jahrzehntelang unter den Schulden. [….] Wenn ich die Deutschen heute sagen höre, dass sie einen sehr moralischen Umgang mit Schulden pflegen und fest daran glauben, dass Schulden zurückgezahlt werden müssen, dann denke ich: Das ist doch ein großer Witz! Deutschland ist das Land, das nie seine Schulden bezahlt hat. Es kann darin anderen Ländern keine Lektionen erteilen. [….]  Der deutsche Staat war nach Ende des Krieges 1945 mit über 200 Prozent seines Sozialproduktes verschuldet. Zehn Jahre später war davon wenig übrig, die Staatsverschuldung lag unter 20 Prozent des Sozialprodukts. Frankreich gelang in dieser Zeit ein ähnliches Kunststück. Diese ungeheuer schnelle Schuldenreduzierung aber hätten wir nie mit den haushaltspolitischen Mitteln erreicht, die wir heute Griechenland empfehlen. Stattdessen wandten unsere beiden Länder die zweite Methode an, mit den drei erwähnten Komponenten, inklusive Schuldenschnitt. Denken Sie an die Londoner Schuldenkonferenz von 1953, auf der 60 Prozent der deutschen Auslandsschulden annulliert und zudem die Inlandsschulden der jungen Bundesrepublik restrukturiert wurden. [….]  Großzügig? Deutschland verdient bisher an Griechenland, indem es zu vergleichsweise hohen Zinsen Kredite an das Land vergibt. [….]

Immerhin, diese Stimmen werden auch veröffentlicht, so daß man sich eine Meinung bilden kann, wenn man liest und bereit ist auch etwas mehr Zeit zu investieren.
                                  
Wie sehr gerade Deutschland von Schuldenschnitten profitierte wird inzwischen sogar recht breit berichtet – allein, es kommt nicht bei Volk und Regierung an.

[….] In den vergangenen Monaten hat die Bundesregierung - und allen voran: ihr Finanzminister - immer wieder deutlich gemacht, dass sie die finanziellen Forderungen der griechischen Regierung für völlig unangemessen hält, ja für geradezu weltfremd. Einen Schuldenschnitt, wie Athen ihn fordert? Werde es mit Deutschland nicht geben, sagt der Finanzminister. Sei kein Thema, sagt die Kanzlerin.
Und Reparationen für die Verbrechen, die die Wehrmacht und die Waffen-SS in griechischen Dörfern verübt haben? Werde es auch nicht geben. Diese Frage sei rechtlich und politisch abgeschlossen, sagt der Bundesaußenminister.
Merkel, Schäuble und Steinmeier haben es sich hier furchtbar leicht gemacht. Sie taten so, als gehe es in den Verhandlungen mit Griechenland allein ums Geld, allein um die Gegenwart, allein um die Frage, wie hoch die Mehrwertsteuer für griechische Hoteliers ist und wann die Menschen auf Kreta oder Korfu in Rente gehen. In Wahrheit aber schwebt - und da hat die Regierung von Alexis Tsipras den richtigen Nerv getroffen - im Hintergrund ein anderes, sehr viel größeres Thema: Es geht im Ringen um Griechenland, wie so oft bei europäischen Fragen, auch um die historische Verantwortung Deutschlands in Europa.
Diese Verantwortung erwächst aus dem Holocaust und den Verbrechen der Nazis; sie erwächst im Fall von Griechenland aber auch daraus, dass Amerikaner und Europäer der jungen Bundesrepublik nach Kriegsende weit, sehr weit entgegengekommen sind. Und zwar 1953, als das Londoner Schuldenabkommen geschlossen wurde.
Das Wirtschaftswunder war auch die Folge eines Schuldenschnitts [….] (Ulrich Schäfer, SZ, 25.06.2015)

Nicht so gut geeignet zur Meinungsbildung sind Mittel wie der heute nach der 20.00-Uhr-Tagesschau eingeschobene ARD-Brennpunkt, bei dem (wieder einmal) ausschließlich rechte Meinungen reflektiert wurden.
Es moderierte der glühende Seehofer-Fan Siegmund Gottlieb, der selbst CSU-Mitglied nur zwei Gäste als Interviewpartner hatte: Zunächst einmal Susanna Vogt von der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) und dann als angeblicher Fachmann zugeschaltet Prof Clemens Fuest – radikal ordoliberales Mitglied des CDU-Wirtschaftsrates, Autor der stramm konservativen „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ und Ernst and Young-Berater. So läuft das in Merkels Propagandamaschine.

[….] Jeder Artikel, der von der "Rettung" Griechenlands spricht, richtet moralisch. An solcher Berichterstattung zeigt sich, wie manipulativ ein Journalismus agiert, der vor allem von deutschen Interessen handelt.
[….] Seit Jahren ist "Rettung" das Wort, das viele Journalisten benutzen, um die Geschichte dieser Krise zu erzählen: Mit einem Wort wird etabliert, wer etwas tut und wer nichts tut, wer aktiv ist und wer passiv, wer am Abgrund steht und wer mit der helfenden Hand herbeieilt.
Mit einem Wort werden Schuld und Abhängigkeit hergestellt, mit einem Wort werden Dankbarkeit und Versagen festgelegt, mit einem Wort wird moralisch gerichtet - die Analyse kommt nicht mehr hinterher, wenn erst mal die emotionale Ebene erreicht ist.
Der Retter ist ja im Recht, das suggeriert dieses Wort, er ist im Besitz der Wahrheit, er hat das Gute auf seiner Seite, er handelt aus höheren Motiven - "Rettung" ist deshalb ein Wort, das im Politischen an sich oder im politischen Journalismus als solchem nichts verloren hat, denn es verschleiert die Motive und Interessen, aus denen Politik besteht.
Ich habe zum Beispiel noch keine Schlagzeile gelesen, die lautete: "Merkel rettet die Banken" - dabei wäre auch das eine sehr plausible Verkürzung dessen, was in Europa spätestens seit 2010 passiert ist.
Und auch diese Schlagzeile fehlt noch: "EU und IWF planen Staatsstreich in Griechenland". Dabei kann man die Eurokrise durchaus so zusammenfassen: Wenn es darum geht, Griechenland in die Knie zu zwingen, und so wird das immer intoniert, nimmt man ein mögliches Scheitern der griechischen Regierung gern in Kauf.
"Es ist ein erstaunliches Spektakel", schreibt etwa Ambrose Evans-Pritchard, ein "Burke-Konservativer", wie er sich selbst nennt, kein Linker - die Europäische Zentralbank und der IWF, meint er, würden "wie rasend auf eine gewählte Regierung einprügeln, die nicht das tut, was sie wollen".
[….] Und gleichzeitig wird im "Tagesspiegel" über Schäubles blaue Augen geschrieben, die nicht lügen können, und in der "Welt" über die Ehefrau, die Tsipras erst zu dem Sturkopf gemacht hat, der er aus deutscher Sicht sein muss - es ist eine Politikberichterstattung im Geist der Seifenoper, die letztlich nur dazu dient, die zugrunde liegenden ökonomischen Probleme zu verhüllen.
[….] Aber ist nicht die Griechenland-Berichterstattung genauso ein Beispiel dafür, wie manipulativ und einseitig ein Journalismus agiert, der vor allem von deutschen Interessen handelt und eine deutsche Sicht der Dinge verbreitet, die weit entfernt ist von dem, was in anderen europäischen Ländern geschrieben und gedacht wird? [….]

Die Majorität der Deutschen will es genauso wenig wahrhaben wie die Majorität der Presse:
In Wahrheit ist es Merkel, die gerade grandios scheitert und Europa den schwersten Schaden seit 70 Jahren zufügt.
Es könnte sein, daß wir gerade das Ende der EU erleben, weil insbesondere Berlin in nationalen Egoismen gefangen ist.

[….] Angela Merkels Euro-Strategie führt zu Frust und Zynismus.
[….] Europa droht zu scheitern, und Deutschland, der "zögernde Hegemon" ("Economist"), lässt es geschehen.
Einfach in Merkelscher Manier darauf zu warten, bis der Kontinent sich über lange dürre Jahre hinweg wettbewerbsfähig gespart hat, greift als Strategie zu kurz. Es gibt eine gesellschaftliche und politische Dimension der Krise, die sich verfestigt, je länger sie andauert.
Irgendwann sorgt die unendliche Abfolge von Treffen und Gipfeln, aus denen sich doch keine tragfähige Lösung entwickelt, für Zynismus und Frustration. Irgendwann können die Bürger die wiederkehrenden Kriseneruptionen nicht mehr ertragen. Irgendwann soll nur noch irgendeine Lösung her. Hauptsache, das unwürdige Schauspiel geht endlich zu Ende.
So sieht es aus: Die EU nähert sich dem Punkt eines Ermüdungsbruchs. Die Geduld schwindet, auf allen Seiten.
Die Gipfel-Serie der zurückliegenden Woche hat ein heillos überfordertes und zerstrittenes Europa präsentiert. Die Herausforderungen: enorm - die Flüchtlingswelle, islamistischer Terror, das beginnende Wettrüsten mit Russland, die Griechen-Pleite, das dräuende Briten-Referendum. Die Antworten: ungenügend - Ratlosigkeit, Kleinmut, Egoismus. Auch die seit Jahren angekündigte institutionelle Fortentwicklung der Eurozone kommt nicht voran.
[….] Was der Kanzlerin als Weg des geringsten politischen Risikos erschienen sein mag, hat auf Dauer eine unmögliche Situation geschaffen. [….]

Es wird Zeit, daß wir auch mit dem Finger auf Ideologen wie Wolfgang Schäuble zeigen, die a) geschichtsvergessen, b) unsolidarisch, c) antieuropäisch, d) bösartig und e) linksallergisch agieren.

Man ist ja Syriza von Anfang an mit kritischer Verve, um nicht zu sagen mit Aversion begegnet. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat von Anfang an die Absicht gehabt, Syriza an die Wand fahren zu lassen, damit es keine Ansteckungsgefahr in Spanien oder Portugal gibt. Aber ich glaube bei dem Misstrauen gegenüber der griechischen Regierung haben auch enorme kulturelle Unterschiede eine Rolle gespielt. Allein, wenn ich mir überlege, welche Ressentiments es ausgelöst hat, dass Varoufakis mit dem Motorrad zum Dienst fährt. Es gab tiefe Unterschiede des Stils. Doch im Kern wollten die Institutionen und auch die Sozialdemokraten in ihnen nicht zugestehen, dass die Austeritätspolitik der letzten Jahre gescheitert ist. Dass die griechische Regierung  zum Schluss noch mal bei Rentnern und Kranken kürzen sollte, beweist, wie absolut unerbittlich sich die Institutionen gezeigt haben.

Da große Teile meiner Parteispitze derzeit von ideologischen Merkel-Virus verfallen sind, muß ich notgedrungen auf eine Oppositionspolitikerin verweisen. Es ist ja nicht nur allein inhaltlich falsch was Gabriel, Steinmeier und Oppermann zu Griechenland sagen, sondern es ist parteipolitisch-taktisch auch so ungeheuer dumm! Wieso benutzen sie das Thema nicht, um genau den Wert zu zeigen, an dem es der SPD so sehr in der öffentlichen Wahrnehmung mangelt: SOLIDARITÄT. Sie könnten sich endlich mal gegen die CDU profilieren.
Leider versagt Gabriel jetzt auf ganzer Linie. Vor zwei Tagen wünschte er sich sogar öffentlich mehr Patriotismus in der SPD, versucht also massiv weiter nach rechts zu rücken. Was will er da nur gewinnen? Da sitzen schon CDU, FDP und AfD.
„Es ist eine richtige Entscheidung von Tsipras, das griechische Volk über das erneute Kürzungsdiktat der Troika entscheiden zu lassen. Die griechische Regierung rettet die Demokratie in Europa, indem sie sich dem technokratischen Troika-Gemerkel und der Erpressung von weiterem Sozialkahlschlag widersetzt. Merkel und Schäuble haben den Bogen überspannt und tragen die Verantwortung für den absehbaren Zerfall der Eurozone und die Vernichtung von zig Milliarden an Steuergeldern", kommentiert Sahra Wagenknecht die Ankündigung von Alexis Tsipras, die griechische Bevölkerung am 5. Juli in einem Referendum über das „Angebot" der Gläubiger entscheiden zu lassen. Die Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter:
„Die griechische Regierung war zu sehr weitreichenden Kompromissen bereit, aber die Gläubiger fordern nichts weniger als die komplette Unterwerfung. Gegen jede ökonomische Vernunft halten IWF, EZB und Euroländer an einem Kürzungsprogramm fest, das in jeder Hinsicht gescheitert ist und eine humanitäre Katastrophe herbeigeführt hat. Eine Fortsetzung dieses Kurses würde kein Problem lösen, sondern die griechische Wirtschaft weiter einbrechen lassen, den Schuldenberg noch größer machen und der griechischen Bevölkerung noch mehr Armut und Arbeitslosigkeit bescheren. Wenn die griechische Bevölkerung selbstbewusst mit "Nein" stimmt, wird nicht nur verhindert, dass die Tragödie der letzten Jahre eine erneute Fortsetzung erfährt. Auch die deutschen Steuerzahler könnten ihr dann dankbar sein, denn ein Nein würde Merkel und Co. daran hindern, erneut europäische Steuermilliarden für eine komplett verfehlte Politik zu verschleudern."

Samstag, 27. Juni 2015

Was für ein Scheißtag.



1)
Typen wie Lügen-Schäuble sind am Ruder, wenn es um Europas Zukunft geht, lassen vermutlich Millionen Griechen ins Elend abgleiten, weil Merkel die Anleger wichtiger sind.

2)
Und in Berlin findet heute der CSD statt, ohne daß es derzeit die geringste Hoffnung gibt Schwule und Lesben rechtlich gleichzustellen.
Da sind nun Arizona, Texas und Mississippi bei der gleichgeschlechtlichen Ehe weiter als Berlin.
Wer hätte DAS vor zehn oder 15 Jahren gedacht?

3)
Religiotische Irre bomben mal wieder auf drei Kontinenten rum und „unsere Politiker“ überbieten sich mal wieder mit Dummsprech.
„Ausgerechnet friedliche Urlauber“ – als ob es ethisch vertretbarer gewesen wäre nur Einheimische zu killen.
Und Steinmeier ist sich noch nicht mal zu blöd dafür die Uralt-Verdammnisformel von dem „feigen Anschlag“ zu benutzen. Es ist Zeit noch einmal Max Goldts Post-9/11-Anmerkungen zu den Dekorationsadjektiven zu zitieren.

Nach drei Tagen weitgehender Medienabstinenz kaufe ich mir doch mal eine Zeitung. Susan Sontag kritisiert neben manch anderem, dass sämtliche Kommentatoren die Anschläge als „feige“ bezeichnen. Da hat sie natürlich Recht. Schon Ladendiebstahl erfordert Mut. Wie viel Mut braucht es da erst, ein Flugzeug zu entführen und es gegen ein Gebäude zu steuern. Man kann froh sein, dass die meisten Menschen zu feige sind, um so etwas zu tun. Sicherlich gibt es für die Attentate bessere Dekorationsadjektive, wie zum Beispiel ruchlos oder schändlich, sogar anmaßend wäre treffender als feige.
Es geht den Kommentatoren aber nicht um passende Adjektive, sondern um die Souveränität und Flüssigkeit ihres Vortrags. Um diese zu erlangen, sind in der Mediensprache viele Haupt- und Zeitwörter untrennbar an bestimmte Eigenschafts- und Umstandswörter gekettet. So wie Anschläge immer feige sind, werden Unfälle grundsätzlich als tragisch bezeichnet, obwohl es mit Tragik, also einer Verwicklung ins Schicksal oder in gegensätzliche Wertesysteme, überhaupt nichts zu tun hat, wenn jemand gegen einen Baum fährt. Ein solcher Vorgang ist banal – mithin ganz und gar untragisch. Vielleicht werden die Unfälle deshalb als tragisch bezeichnet, weil das Wort so ähnlich wie traurig klingt, und traurig ist ein Unfall immerhin für die Freunde und Angehörigen des zu Schaden Gekommenen. „Traurig“ ist den Medienleuten aber zu lasch, für sie ist Tragik wohl eine zackigere und grellere Form von Traurigkeit.
Genauso unpassend ist das Adjektiv, welches unvermeidbar auftaucht, wenn nach einem Erdbeben oder einem ähnlichen Unglück nach Überlebenden gesucht wird. Wie geht die Suche vor sich? Natürlich „fieberhaft“. Dabei will man doch stark hoffen, dass es Fachleute und besonnene Helfer sind, die einigermaßen kühlen Kopfes und in Kenntnis der bergungslogistischen Notwendigkeiten die Menschen suchen, und nicht, dass da irgendwelche emotional aufgeweichten Gestalten wie im Fieberwahn in den Trümmern herumwühlen. Verzichten können die Medienleute auf Adjektive nicht, denn sie sind zur Erzielung eines vollmundigen Verlautbarungssingsangs notwendig. Könnte man aber nicht mal einen angemessenen Ausdruck benutzen? Ich glaube nicht. Wir werden niemals folgenden Satz im Radio hören: „Nach Überlebenden wird fleißig gesucht.“ Dabei wäre „fleißig“ inhaltlich wie stilistisch ideal. Es ist weder abgedroschen floskelhaft noch zu auserlesen und hat daher nicht den geringsten ironischen Beiklang. Schriebe jedoch ein Journalist diesen Satz, so wäre es vollkommen sicher, dass sein Redakteur das passende Wort „fleißig“ streichen und durch das vollkommen unpassende „fieberhaft“ ersetzen würde.
(Max Goldt, Wenn man einen weißen Anzug anhat, 15.09.2001)

4)
Brechkotzwürg ist auch das einzige, das einem noch einfällt, wenn man liest wie sich in dem Bundesland mit dem niedrigsten Ausländeranteil überhaupt – Sachsen – die Leute benehmen, wenn Flüchtlinge bei ihnen Schutz suchen.

Im Bündnis "Freital wehrt sich" wenden sich hunderte Freitaler gegen das, was sie für "Asylmissbrauch" halten. In Facebook-Gruppen wird täglich zur Gewalt aufgerufen. Mit Folgen. Steine zerschlugen Fenster. Böller detonierten. Ein Marokkaner verließ Deutschland, nachdem er von Freitalern bewusstlos geschlagen wurde. Am nahe gelegenen Bahnhof prügelte Ende Mai rund ein Dutzend Neonazis auf einen Flüchtling ein.
Einer der Freital-Flüchtlinge ist Mohammad aus Damaskus. Er floh vor der Gewalt in Syrien. Nun steht er mit einem seiner Kinder am Bolzplatz hinter dem ehemaligen Hotel. "Wir finden es schön hier. Aber die Leute, die etwas gegen uns haben, sollen verstehen, dass wir vor dem Krieg geflohen sind und nicht um den Menschen etwas wegzunehmen."
Können Sie das? In einer Stadt, in der selbst der Oberbürgermeister die Argumente der rechten Demonstranten aufgreift. "Sanktionen gegen pöbelnde und gewalttätige Asylbewerber" hat der im Juni zum Oberbürgermeister gewählte Uwe Rumberg im Wahlkampf gefordert. Auch Noch-Amtsinhaber Klaus Mättig (beide CDU) hat sich lange gegen die Flüchtlingsunterkunft eingesetzt.
[….]    "Ayayayo Hurensö-öhne", grölt eine Gruppe aus rund 50 Hooligans jenseits der Polizeiabsperrungen und mischt sich unter Applaus der "normalen Freitaler Bürger" in die Anti-Asyl-Kundgebung. Gegen Frauen und Kinder habe er nichts, "aber es kommen nur junge Männer", erklärt ein junger Mann in schwarzer Jacke und Basecap seinen Grund, heute hier zu sein. Nein, er sei noch nicht im Heim gewesen, um nachzusehen.
"Aber ein Kumpel wurde mal von denen bedroht", sagt er und stimmt ein in "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen" und "Kriminelle Ausländer raus, raus, raus". Linksfaschist. Lügenpresse. "Deine Alte haben wir letzte Nacht durchgefickt". Wer nach echten Sorgen der "besorgten Bürger" sucht, bekommt kaum andere Antworten. Nein, Freital hat kein besonderes Problem mit Nazis, da sind sich selbst lokale Unterstützer der Flüchtlinge sicher. Es ist das übliche Nazi-Problem Sachsen. Mindestens drei Männer zeigen an diesem Abend den Hitlergruß, zwei rufen "Sieg Heil".

5.)
Es gäbe so viele Möglichkeiten für die SPD sich durch kluge Politik zu profilieren; aber unglücklicherweise haben sie an der Spitze gerade ihre Gehirn-freien Tage genommen.
Fahimi, die zunächst zwar unauffällig war, dann aber wenigstens auf der richtigen Seite stand, indem sie sich klar gegen die xenophoben Töne aus der CDU und CSU stellte, fiel schon letztes Wochenende peinlich auf, als sie die ganz grobe Keule „Regierungsfähigkeit der SPD“ rausholte, um für die Vorratsdatenspeicherung zu werben.

Nun ist sie noch eine Stufe tiefer gesunken und blamiert sich mit einer Anzeige gegen Greenpeace.
Peinlich, peinlicher, SPD.

SPD stellt Strafanzeige gegen Greenpeace
[….]  Die SPD hat mit einer Strafanzeige auf eine Protestaktion von Greenpeace vor ihrer Berliner Parteizentrale reagiert. »Die Aktivisten haben mit ihrer Harakiri-Aktion auch sich und andere gefährdet«, begründete SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi in der »Berliner Zeitung« vom Freitag das juristische Vorgehen ihrer Partei. »Solche reißerischen Aktionen haben wenig mit dem sachlichen politischen Meinungsstreit in einer Demokratie zu tun.«
Die Greenpeace-Aktion hatte sich gegen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP gerichtet. [….]
(AFP/nd 26.06.2015)