Montag, 24. März 2025

Scheitern ist eine Option

Heute weht ein Anflug von Panik durch den deutschen Blätterwald. Es rumpelt bei den CDUCSUSPD-Koalitionsverhandlungen, obwohl allgemein nach der Zustimmung von Bundesrat und Bundestag zur Schulden-Billion, der Eindruck erweckt worden war, Merz wäre am Ziel.

Nein, ist er nicht.

Er muss aber‘, sagt man sich in viele Redaktionsstuben. „Scheitern ist keine Option!“, diese Koalition sei zum Erfolg verdammt. Es stimmt natürlich: Da die AfD wegen der frech gebrochenen Merz/Söder-Wahlversprechen weiter in den Umfragen zulegt, (genau wie die Linke, auf Kosten von SPD und Grünen), würden gescheiterte Koalitionsverhandlungen und Neuwahlen ein noch viel katastrophaleres Wahlergebnis liefern. Es stimmt, seit 1945 drehten sich die politischen Vorzeichen für Europa nie so dramatisch schnell in den Abgrund. Es stimmt, eine international handlungsfähige deutsche Regierung ist so dringend notwendig, wie seit 70 Jahren nicht. Es stimmt, es gibt keine rechnerische Alternative zur Blackrot- Koalition (Ricarda Lang).

[…..] In den Koalitionsverhandlungen sieht die Union nach dem Ende der Arbeitsgruppenphase noch tiefgreifende Differenzen mit der SPD und warnt vor Zeitdruck. Es gebe "sowohl beim Migrationsthema als auch bei der Innenpolitik insgesamt unterschiedliche Sichtweisen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, vor Beratungen der CDU-Spitze.  Man könne aber durchaus zu Kompromissen kommen, ergänzte der CDU-Politiker. "Es wäre also völlig verfrüht, jetzt da etwas Konkretes zu sagen. Wir sind mitten in den Verhandlungen, und die werden uns vermutlich auch noch einiges abverlangen."  […]

(Tagesschau, 24.03.2025)

Es gibt aber meines Erachtens nahezu unüberbrückbare Differenzen. Die SPD will bei der Migration deutsches Verfassungsrecht, Europarecht und UN-Recht einhalten, während die Union ihren Wählern illegale, für unsere Nachbarstaaten inakzeptable Methoden, versprach. Außerdem muss einer der beiden Partner seine Versprechen beim Steuerrecht kassieren. Die SPD will Superreiche deutlich höher besteuern. Die CDUCSU will Superreiche deutlich niedrigerbesteuern. Da wäre der einzig mögliche Kompromiss gar nichts zu tun. Und genau das geht natürlich auch nicht bei einer „Letzte Patrone“-Koalition, die sich gerade eine Billion Euro geliehen hat.

[….] Die Gespräche in der AG Finanzen etwa gestalteten sich gleich in doppelter Hinsicht schwierig. Zum einen widersprechen sich etwa die Steuerkonzepte von Union und SPD nicht nur diametral, sie sind auch jeweils in sich unlogisch: CDU und CSU versprechen große Entlastungen, sagen aber nicht, wie die Einnahmeausfälle für den Haushalt kompensiert werden können, die SPD wiederum verlangt eine aufkommensneutrale Reform, verschweigt aber, dass der Spitzensteuersatz massiv ansteigen müsste, wenn man Geringverdiener spürbar entlasten wollte. Zum anderen gehörten der Arbeitsgruppe eher Politiker aus der zweiten Reihe an, die bei den großen Streitthemen kaum Entscheidungsprokura hatten. [….] In der AG Migration blieb der zentrale Konflikt ungelöst: Die Union will Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückweisen lassen, auch wenn Nachbarstaaten einer Rücknahme nicht zustimmen. [….] Der SPD ist wichtig, dass Beschlüsse human sind und dem europäischen Recht nicht widersprechen.  [……]

(SZ, 23.03.2025)

Erschwert wird das Ganze auch noch von mehreren extrem kontraproduktiven Personal-Entscheidungen der CDU.

Klöckner, die unseriöse AfD-freundliche Hetzerin und bisherige CDU-Schatzmeisterin, soll als künftige Bundestagspräsidentin überparteilich wirken und die Finanzen der bisherigen CDU-Schatzmeisterin kontrollieren. Eine absurde Personalie.

Zudem schickt Merz den Verschwörungstheoretiker-affinen Putin-Troll Bareiß ins Rennen.

[….] Andreas Audretsch, [….] fordert einen Ausschluss des CDU-Politikers Thomas Bareiß von den laufenden Koalitionsverhandlungen. Dieser hatte kürzlich erklärt, wenn sich nach einem Ende des Ukrainekriegs die Lage entspanne, »natürlich kann dann auch wieder Gas fließen, vielleicht diesmal dann in einer Pipeline unter US-amerikanischer Kontrolle«. Dies sei eine Entscheidung des Marktes.  Der Grünenpolitiker Audretsch sagte dazu dem SPIEGEL: »Putin hat schon einmal versucht, Deutschland durch Energieabhängigkeit in die Knie zu zwingen. Über Jahre hatten Politiker von Union und SPD die Energieinfrastruktur Deutschlands an Russland verkauft.« Parallel dazu sei bis 2021 die Lobby der Klimaleugner im Bundeswirtschaftsministerium ein und aus gegangen, so der Grünenabgeordnete. »Immer an vorderster Front Thomas Bareiß, der seit Jahren enge Kontakte in die Lobbyszene der Leugner der Klimakrise unterhält, der erneuerbare Energie bekämpft und zugleich daran arbeitet, Deutschland von Putin oder Autokraten in Aserbaidschan abhängig zu machen.«  Audretsch fragte zudem, wie es sein könne, dass Bareiß eine Nutzung der russischen Pipeline ins Spiel bringe. Von der CDU-Spitze erwarte er, so sagte er dem SPIEGEL weiter, dass sie für Aufklärung sorge und die nötigen Konsequenzen ziehe: »Friedrich Merz muss für Klarheit sorgen und Thomas Bareiß von den Verhandlungen ausschließen.« [….]

(SPON, 24.03.2025)

All das sind Symptome, die man unter Merz-Unfähigkeit subsummieren kann. Der Mann ist in jeder Hinsicht unfähig und wird niemals in der Lage sein, die Konsequenzen seiner Sprüche zu antizipieren.  Anders als Trottel-Fritze behauptet, können die Koalitionsverhandlungen durchaus scheitern. Auch wenn sie in so einem dramatischen globalen Umfeld, wie jetzt, stattfinden.

 [….]  Überraschend wäre, wenn nicht über fundamentale Meinungsunterschiede und kaum lösbar erscheinende Konflikte berichtet würde. [….]  So weit, so normal.  Nicht normal sind die Umstände, unter denen diese Koalitionsverhandlungen stattfinden. Die Welt ist nicht normal, jedenfalls nicht im Sinne jener Normalität, auf die man sich in Deutschland über Jahrzehnte verlassen hat. Union und SPD verhandeln über eine Regierung, während sich die internationale Ordnung in rasender Geschwindigkeit grundlegend ändert. Die Abkehr der USA unter Donald Trump von ihrer Rolle als Führungsmacht des Westens und ihre drohende Wandlung zu einem autoritären Staat bürden dem künftigen Kanzler und seiner Regierung nicht weniger auf als eine Führungsrolle zur Rettung des demokratischen Europas.  Es stimmt auch nicht, dass Scheitern keine Option ist. Scheitern ist leider immer eine Option. Nur der Preis des Scheiterns wäre diesmal so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik.  Am Zustandekommen und Gelingen der schwarz-roten Koalition hängt eben nicht nur die politische Existenz von Friedrich Merz (CDU) und nebenbei Lars Klingbeil (SPD). Das sind Verluste, die die Republik verkraften würde. Wenn sich an diesem Dienstag der neue Bundestag konstituiert, werden die Feinde von Demokratie und offener Gesellschaft fast ein Viertel des Raumes einnehmen. Seit der Bundestagswahl hat die AfD weiter zugelegt. Der Vormarsch der Autoritären weltweit und in Deutschland macht es unmöglich, von gewöhnlichen, von normalen Koalitionsverhandlungen zu sprechen. Das ist die Latte der Verantwortung. [….]

(Daniel Brössler, 23.03.2025)

Bei Friedrich Merz, der CDU und offenbar auch im Rest der Bundesrepublik, gibt es dieses eigenartige Junktim aus „Bundeskanzler Merz“ und „gelungenen Koalitionsverhandlungen“. Wenn Merz scheitert, nicht Kanzler wird, scheitert die Koalition, scheitert Deutschland. Aber warum ist das so? Daß Merz charakterlich ungeeignet und intellektuell überfordert damit ist, Kanzler zu werden und Kanzler zu sein, dürfte doch inzwischen jedem klar sein. Genauso muss jedem klar sein, wie albern es ist, bei „der Migrationsfrage“ mit Merzens Glaubwürdigkeit zu argumentieren. Nach dem Schulden-Umfall, dürfe er nicht noch ein zweites mal lügen. Dabei sind Lügen die Natur des Friedrich Merz. Das betrifft sowohl die großen Linien – Abstimmungen mit der AfD, Schuldenbremse – als auch spontan rausgehauene Hetzigkeiten, wie die Merz-Lüge von den vielen Asylanten, die den Deutschen die Zahnarzttermine wegnähmen.

Die globalen Umstände, die international zugespitzte Sicherheitslage, die Staatsfinanzen, die desolate Bundeswehr, die bröselnde Infrastruktur, die rückständige Digitalisierung und Schulen aus dem 20. Jahrhundert, sind heute nicht zu verändern. Damit muss sich JEDE Koalition dringend beschäftigen. Variabel ist allerdings der Kanzlerkandidat Merz. Er ist nicht nur austauschbar, sondern offenkundig auch schädlich. Je früher die CDUCSU sich das eingesteht, desto besser.

[….] Schritt für Schritt kommt der CDU-Chef dem schon lange von ihm anvisierten Kanzleramt näher. Doch an Merz' Parteibasis wachsen Zweifel an seiner Fähigkeit zu einer echten Politikwende.

Gerade starten die Koalitionsverhandlungen in die entscheidende Phase, da hat CDU-Chef Friedrich Merz schon sein politisches Schicksal dran geknüpft. Würden die scheitern, sei seine Karriere zu Ende. Eine Minderheitsregierung schloss er aus. Natürlich denkt der Unions-Kanzlerkandidat nicht ans Scheitern, sondern ans Gelingen. Es darf einfach nicht scheitern, aus seiner Sicht. [….] Doch nun droht ihm von der eigenen Basis Ungemach. Genau die Parteibasis, die ihm in seinem dritten Anlauf auf den Parteivorsitz Ende 2021 den Sprung nach Berlin und ersten Schritt Richtung Kanzlerkandidatur ermöglichte.

Man wolle zwar einen Bundeskanzler Merz, "damit eine Politikwende gelingen kann", schreibt die Stuttgarter CDU in einem Vorstandsbeschluss - aber nicht um jeden Preis. Es mündet unverhohlen in einer Drohung an Merz: "Wenn die Politikwende allerdings fürs Kanzleramt geopfert werden soll, werden unsere Bundesausschussmitglieder und auch viele andere den Koalitionsvertrag ablehnen. Kanzler Merz ja, aber nicht für whatever it takes."

"Whatever it takes" - eine Anspielung auf Merz’ Ankündigung zehn Tage nach der Bundestagswahl, Ausgaben für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas zu stärken und von der Schuldenbremse ausnehmen zu wollen.

Die Stimmung ist schlecht an der Basis, nicht nur, weil das Wahlergebnis bescheidener ausfiel als erhofft. Die Wendigkeit ihres Kanzlerkandidaten in Sachen Schuldenpolitik müssen jene, die für die Merz-Union Wahlkampf gemacht haben, vor Ort ausbaden. Schließlich stand im CDU-Wahlprogramm der Union klipp und klar: "Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest. Die Schulden sind die Steuererhöhungen von morgen."

[….]  

(Corinna Emmundts, ARD, 24.03.2025)

Daß Merz unbedingt unbedingt unbedingt Kanzler werden will, kann kein Grund dafür sein, ihn auch dazu zu machen, oder anderenfalls alles scheitern zu lassen und damit die AfD zur stärksten politischen Kraft zu machen.

Statt also das Scheitern der Blackrot-Koalition mit großen Augen an die Wand zu malen, sollte man lieber das eigentliche Problem – MERZ – und dessen Lösung – ein anderer Kanzlerkandidat – adressieren.

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