Freitag, 3. Mai 2019

Der phantastische Urinduscher


Meine Mutter war eine Leseratte; natürlich färbt das ab.
Nach Kinderbüchern für alle entsprechenden Altersstufen waren die ersten drei gehaltreicheren Bücher, die ich las Harriet Beecher Stowes „Uncle Tom's Cabin“ (1852), Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ (1719) und schließlich Endes „Unendliche Geschichte“, die ich im Erscheinungsjahr 1979 las.
Durch Ende lernte ich die faszinierende Methode von zwei layouterisch getrennten Storylines kennen, die anfangs unabhängig voneinander zu sein schienen und schließlich mehr und mehr zusammenwuchsen.
Natürlich mochte ich die grün gedruckten Antréju-Phasen lieber als den öden roten Bastian-Part, der quälend lange brauchte, bis er sich überwand auch in den interessanten Grün-Part zu springen.

Als Erwachsener bin ich kein Freund mehr von diesen technischen Spielereien, die einem Roman mehr Würze verleihen soll.
Dennoch kann diese Methode gelegentlich gut gelingen wie zum Beispiel in Jonathan Coes „Das Haus des Schlafes“ (1997), in dem sich nicht nur sechs verschiedene Personen als Hauptpersonen abwechseln, sondern auch zwei Zeitebenen alternieren.
Kapitel mit ungeraden Zahlen spielen in den Jahren 1983/84; die anderen 12 Jahre später.
In Kristof Magnussons wunderbarem Finanzkrise-Roman „Das war ich nicht“ von 2010 gab es drei miteinander verwobene Handlungsstränge. Jedes Kapitel ist mit dem Vornamen eine Protagonisten – Henry LaMarck, Übersetzerin Maike und Trader Jasper Lüdemann – überschrieben und von Anfang an fragt man sich wie sich die drei in verschiedenen Ländern operierenden Personen wohl zusammen-mäandern.

In Peter Fuchs‘ „Schöneberger Steinigung“, erschienen im April 2019 gibt es sage und schreibe 27 abwechselnd im Focus von Kurzkapiteln stehende Personen.
Statt Kapitel handelt es sich aber eher um layouterisch strikt voneinander getrennte Absätze, die grob in sechs aufeinander folgende Tage geordnet sind.
Wie verwebt man so viele Leute in einem knapp 300 Seiten langen Krimi?
Indem man den Lektor chloroformiert, so daß er nicht ob der ständigen aberwitzigen Zufälle protestieren kann und dem Romanpersonal keinerlei psychologische Tiefe zugesteht.

Die Heldin Vicky Meier joggt, weil sie andauernd Geleebananen isst. Offenbar will sie als Berliner Promi-Arztgattin nicht allzu sehr aus dem Leim gehen.
Mehr erfahren wir nicht und bei einer derart eindimensional langweiligen Figur will man auch gar nicht mehr wissen.
Es bleibt rätselhaft wieso Fuchs ausgerechnet eine Frau mit der Charaktertiefe einer Briefmarke zur Zentralfigur seines Berliner Homo-Krimis gemacht hat.

Ihr Mann Oliver ist Promi-Orthopäde, weil er einst in Berlin Brad Pitts Rücken kurierte und gelangte so in den Kreis des schwulen halbberühmten rechtspopulistischen Mordopfers Dominik und seines Möbelverkäufer-Mannes Horst. Vicky kauft bei Horst einen Sessel zu Olivers Geburtstag und ihre 16-Jährige Tochter/Schwägerin Vicky ist verliebt in den 17-Jährigen Felix, der aber konspirativ mit Horst schläft, aber eigentlich dem 19-Jährigen Raffael zugeneigt ist, der als linker Aktivist Hauptverdächtiger des Mordes ist und während einer Mahnwache für Dominik eine Tumult auslöst, bei dem das halbe Asylbewerberheim abgefackelt wird, in dem Heidi und Vicky aushelfen und daher zufällig die anderen drei arabischen Mordverdächtigen kennen, von denen einer von Ingeborg, der lesbischen Haushälterin Vickys adoptiert wird, nachdem aufgeflogen ist, daß er für Geld von Dominik oral befriedigt wurde, während dieser von Hilal gebumst wurde, der anschließend auch mit Kommissar Max poppt und sich daraufhin vor Gram erhängt, was Max, der wiederrum zufällig Vicky aus seiner Schwimmgruppe kennt aber nicht bei seinen Mordermittlungen stört, weil er auch ein Auge auf Felix und Raffael geworfen hat und mit diesen einen Dreier anstrebt, nachdem er die wahren Mörder, die natürlich ebenfalls zufällig mit Vicky und Heidi bekannt sind, fassen kann.

Logischerweise beginnt auch dieser Krimi mit dem Fund der Leiche Dominics und es dauert 50 quälende Seiten bis Vickys Trainingspartner/Kommissar Max auftaucht. Erzählende Beschreibungen sind Fuchs‘ Sache nicht; stattdessen zählt er auf. So erfährt der Leser den Namen jedes einzelnen Hundes jedes zufällig vorbeikommenden Joggers, der von der Polizei befragt wird.

Warum liest man so einen Mist?
Wieso lese ich überhaupt einen Krimi? Kaum eine Romangattung könnte blöder sein.
Also, let’s talk about the elephant in the room: Der in diesem Roman ermordete dunkelkatholische schwule Blogger trägt natürlich alle Charakteristika David Bergers und so wurde dieses Buch auch vermarktet. Als so eine Art Walsers „Tod eines Kritikers“ für Arme.
Walsers antisemitische Mordphantasien gegen Marcel Reich-Ranicki, 2002 im Suhrkamp Verlag erschienen, waren aber nichts als eine perfide Sauerei, in der ein KZ-Opfer das zweite mal erledigt werden sollte und führten zu Recht zu einem Bruch mit der FAZ.
Der greise Walser konnte seine persönliche Verletzung und Eitelkeit nicht kontrollieren.
Fuchs handelt nicht als Betroffener, der David Berger hasst, sondern er versucht eine ganze Szene zu portraitieren.
Während des Lesens habe ich ca drei Dutzend mal „=UD“ neben einem Absatz notiert, wenn eine Beschreibung ganz klar auf den wahren Berger hindeutet. Die Parallelitäten sind völlig unstrittig mehr als zufällig.
Aber es gibt auch einige absichtliche Unterschiede, um den Dominic aus dem Buch fiktiv erscheinen zu lassen. Er war anders als Berger katholischer Priester (statt Laie), stammt aus Tschechien (statt Würzburg), ist fast zwei Meter groß (statt zwergig und schrumpfköpfig).

Als Kommissar Max und sein (natürlich schwuler) Assistent Christian den Social-Media-Aktivitäten Dominics findet sich folgender Satz über dessen Facebookgruppe:




Nein, Dominic ist nicht David. Peter Fuchs scrambled stattdessen das gesamte Philosophia-Perennis-Kreuz.net-AfD-Gloria-TV-Universum.

Die im Buch vorkommenden Figuren weisen in ihrer klischeehaften Eindimensionalität unablässig Eigenschaften auf, die geneigten Beobachtern wie mir bestens bekannt sind: Reto Nay, Markus und Eva Doppelbauer, Felizitas Küble, Gabriele Kuby, Pater Lingen, Beatrix Storch, Hedwig Beverfoerde, Jürgen Elsässer und den vielen unangenehmen Twitter/Facebook-Hetzern.

Es gibt sehr viel Berliner Lokalkolorit, das von anderen Kritikern hochgelobt wird, die Ortsangaben stimmten alle.
Das ist für mich eher irrelevant, der Mord ist irrelevant und mich interessiert auch nicht die selbstverständlich an den Haaren herbei gezogene Auflösung wer die wahren Mörder sind.

Aber wer sich für die rechte, verschwörungstheoretische, Identitäre, xenophobe, islamophobe, Merkel-hassende Bande interessiert, wer sich auf Kosten von AfD-Politikern, die im Netz große Töne spucken und noch zu Hause beim Mai wohnen und sich nicht im Schritt waschen amüsieren will und sich bei all den dunkelkatholischen Codewörtern wie „Soros“, „Linksgrünversifft“ und „mulitkulti“ gruseln möchte, ist mit diesem Buch gut beraten.
Fröhliches Detektieren der portraitierten Braunen.

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