(….)
Ich nehme an, daß es nun mal die deutsche
Spießer-Seele so verlangt, daß man Asylantenheime, Frauenhäuser, Obdachlose,
Behinderte, Kindergärten, Homo-Altenheime, Fixerstuben, Gefängnisse,
geschlossene Heime, Psychiatrien zwar nicht generell ablehnt, sie aber
keineswegs nebenan haben will.
Ich nehme an, daß im deutschen Wesen eine große Sehnsucht nach Geborgenheit in der Uniformität liegt. Reihenhaussiedlungen, Vorschriftenkataloge für die Bepflanzung von Schrebergärten, Trachtenvereine, Massengottesdienste, Schützenumzüge, Fankleidung, 4,5 Millionen VW-Golfs auf deutschen Straßen - all das sind die Symptome der Uniformitätsvorliebe. Man will so sein wie die anderen und es soll sich niemand abheben.
Ich nehme an, daß es geschichtlich begründete Komplexe gibt sich öffentlich zu seiner Extraordinärität zu bekennen.
Ich nehme an, daß die Individuen in den deutschen Vorstädten durchaus ihren geheimen Vorlieben frönen. Daß sie Bizarres mögen und das Abseitige schätzen. Aber das findet im Keller statt.
Ich nehme an, daß das alles gar keine so typisch deutschen Eigenschaften sind.
Sehen in Holland die bezaubernden endlosen Reihen der Gardinen-losen Stadthäuschen nicht auch alle gleich aus?
Muß die amerikanische Mittelklasse nicht auch hinter den weißen Gartenzäunen genau die gleichen Gartenmöbel und SUVs parken, wie die Nachbarn?
In Japan gibt es den erzieherischen Leitspruch „Wenn ein Nagel hervorsteht, dann schlag mit dem Hammer drauf, bis er in die Reihe passt“
Es fällt doch eher auf, wenn in einigen Gegenden der Welt Menschen ihrer Exzentrik frönen, wie es bei der englischen Oberschicht, den Isländern oder der Queer Community San Franciscos der Fall ist.
Aber es gibt auch innerhalb der Normalo-Städte Enklaven der Unangepasstheit. Kreuzberg 36 ist nicht wie Reinickendorf und Hamburg-St. Pauli nicht wie Blankenese.
Ich nehme an, daß im deutschen Wesen eine große Sehnsucht nach Geborgenheit in der Uniformität liegt. Reihenhaussiedlungen, Vorschriftenkataloge für die Bepflanzung von Schrebergärten, Trachtenvereine, Massengottesdienste, Schützenumzüge, Fankleidung, 4,5 Millionen VW-Golfs auf deutschen Straßen - all das sind die Symptome der Uniformitätsvorliebe. Man will so sein wie die anderen und es soll sich niemand abheben.
Ich nehme an, daß es geschichtlich begründete Komplexe gibt sich öffentlich zu seiner Extraordinärität zu bekennen.
Ich nehme an, daß die Individuen in den deutschen Vorstädten durchaus ihren geheimen Vorlieben frönen. Daß sie Bizarres mögen und das Abseitige schätzen. Aber das findet im Keller statt.
Ich nehme an, daß das alles gar keine so typisch deutschen Eigenschaften sind.
Sehen in Holland die bezaubernden endlosen Reihen der Gardinen-losen Stadthäuschen nicht auch alle gleich aus?
Muß die amerikanische Mittelklasse nicht auch hinter den weißen Gartenzäunen genau die gleichen Gartenmöbel und SUVs parken, wie die Nachbarn?
In Japan gibt es den erzieherischen Leitspruch „Wenn ein Nagel hervorsteht, dann schlag mit dem Hammer drauf, bis er in die Reihe passt“
Es fällt doch eher auf, wenn in einigen Gegenden der Welt Menschen ihrer Exzentrik frönen, wie es bei der englischen Oberschicht, den Isländern oder der Queer Community San Franciscos der Fall ist.
Aber es gibt auch innerhalb der Normalo-Städte Enklaven der Unangepasstheit. Kreuzberg 36 ist nicht wie Reinickendorf und Hamburg-St. Pauli nicht wie Blankenese.
Ich kann gar nicht glauben, daß ich in diesem Blog
noch nie eins meiner Lieblingsbücher, „Exzentriker“, gesprochen habe.
Exzentrik ist wissenschaftlich erstaunlich wenig
erforscht und so fällt es bis heute schwer gesunde Exzentrik von psychopathischen
Neurosen zu unterscheiden.
Unglücklicherweise schließt das eine das andere auch nicht
aus.
Der Neuropsychologe David Joseph Weeks, Leiter der klinischen
Psychologie am Royal Edinburgh Hospital und sein Co-Autor Jamie James
untersuchten für ihre 1995 erschienenes Werk (“Eccentrics“, Verlag Weidenfeld
& Nicolson, London) die gesamte Literatur zumPhänomen Exzentrik und
interviewten im Zeitraum von über einer Dekade mehr als 1000 Exzentriker. Hinzu
kam eine historische Analyse von 150 Exzentrikern, die von 1551 bis 1950
lebten.
Einige Gemeinsamkeiten waren offensichtlich. Alle
fühlten sich schon als Kinder „anders als die anderen“ und alle waren überdurchschnittlich
intelligent.
Die Persönlichkeit des Exzentrikers passt in kein
psychiatrisches Schema.
Sie stellen sich selbst nicht besonders dar, sondern sind
einfach unabhängig von Konventionen und sind geistig abenteuerlustig, ohne von
der Meinung anderer abhängig zu sein, so daß sie oft extreme Einzelgänger sind.
Sie lassen sich ihre eigene Individualität nicht einschränken.
Wie wird man exzentrisch? Vermutlich ist es eine
genetische Veranlagung, die aber durch die Umwelt verschieden stark unterdrückt
werden kann.
Wird ein Exzentriker zufällig als englischer Lord
irgendwo auf dem Lande geboren, hat er gute Chancen seine Veranlagung
auszuleben und zu kultivieren.
Er ist ohnehin finanziell unabhängig und muß sich
nicht mit seine gewöhnlichen Untertanen gemein machen.
Als Gegenbeispiel führen Weeks und James das
japanische Schulsystem an, in dem Konformität als höchste Tugend gilt. Jede
Individualität soll möglichst früh, möglichst endgültig ausgetrieben werden.
Dieses Denken hat eine lange Tradition und führte
sowohl zur bedingungslosen Unterwerfung unter fürstlich oder kaiserliche
Obrigkeiten.
Befahl ein japanischer Daimyō irgendwann im zweiten
Jahrtausend irgendeinem Untertan spontan aus einer Laune heraus, er möge sein
Kind köpfen oder sich die Hoden abschneiden, tat derjenige das ohne zu zögern.
Die Kamikaze-Aktionen für den Tenno aus dem Zweiten
Weltkrieg sind bis heute legendär.
In Japanischen Schulen galt das Sprichwort „wenn ein
Nagel hervorguckt, schlage ihn mit dem Hammer ein“. Jede Aufmüpfigkeit sollte
gebrochen werden.
Es gibt Theorien, nach denen dieses gnadenlose
Schulsystem mit enormen Mengen auswendig zu lernenden Stoffs dafür
verantwortlich ist, daß Japaner heute über einen signifikant höheren Intelligenzquotienten
als Amerikaner oder Europäer verfügen sollen (Durchschnittlich IQ 115 im
Vergleich zu Europa bei IQ 100) und so auch ihren sagenhaften ökonomischen
Aufstieg erreicht haben sollen.
Die Chefs japanischer Weltkonzerne verdienen maximal
das Siebenfache eines einfachen Arbeiters
- und nicht das 700-fache, wie in Amerika üblich.
Man identifiziert sich vollständig mit seiner Firma,
opfert seine gesamte Freizeit und bis heute kommt es vor, daß Japaner aus Gram
über eine Fehlleistung in ihrem Job Seppuku begehen.
(Eine Tradition, die man angesichts totalversagender
deutscher Manager à la Grube, Middelhoff oder Urban nicht so voreilig
verurteilen sollte.)
Die völlige Homogenisierung der japanischen
Gesellschaft war auch lange der Enge und der Bauweise mit Papierwänden
geschuldet.
Papierwände waren über Jahrhunderte in einem warmen
Klima mit vielen Erdbeben durchaus sinnvoll. Das baut sich schnell wieder auf.
Privatsphäre kann dann aber nur bedingt herrschen.
Es ist also günstig, wenn die Bewohner sehr
diszipliniert und völlig emotionslos sind. Wenn in den eigenen vier Wänden
nicht gebrüllt, laut gefurzt oder gelacht wird, wenn Verbeugungen, Lächeln und
Zeremonien die Kommunikation bestimmen.
Eine der ungeklärten Fragen in der so unvollständigen
Exzentrik-Forschung ist die nach den Folgen von unterdrückter exzentrischer
Veranlagung. Kann man so etwas tatsächlich vollständig ausmerzen? Oder bleibt
das wie Homosexualität im Katholizismus stets virulent?
Schaffen sich unterdrückte Exzentriker eine Entsprechung zu „Schwulenklappen“, also irgendwelche unbeobachteten Nischen, in denen sie mal ausflippen können?
Schaffen sich unterdrückte Exzentriker eine Entsprechung zu „Schwulenklappen“, also irgendwelche unbeobachteten Nischen, in denen sie mal ausflippen können?
Man könnte fast den Eindruck haben, wenn man sich
Youtube-Clips bizarrer japanischer TV-Shows oder hochgradig groteske Jugendmoden
ansieht.
Herr Sugiyama, der sich Penis und Hoden abschneiden
und einfrieren ließ, um sie später bei einem Festmahl mit Kräutern und Pizen zu
servieren, klingt für meine Ohren schon ziemlich exzentrisch.
Am 31. März 2012 ließ sich der Japaner Mao Sugiyama seinen Penis wie auch
seine Hoden operativ entfernen. Dies geschah in der Kazuki-Klinik in Matsue,
westlich von Tokio. Die Urethra, die Harnröhre, sowie der Harnausgang wurden
kosmetisch angeglichen, alles andere weggeschnitten.
[…] Am Abend des
13. Mai 2012 servierte Sugiyama, als Koch gekleidet, in einem gemieteten
Kellerraum im Tokioter Stadtteil Suginami seine Geschlechtsteile als
Abendessen. Der Rahmen war der eines Kunst-Events, geschlossene Gesellschaft.
Sugiyama hatte das Fleisch aufgetaut, briet es an, servierte fünf Portionen,
mit Champignons, Petersilie, Majoran, Basilikum, Rosmarin.
Jeder der fünf Beköstigten hatte 20 000 Yen dafür gezahlt, knapp 200 Euro.
Außer diesen Gästen, es waren zwei Frauen und drei Männer, waren noch rund 70
Begleiter gekommen, die von der Veranstaltung gehört hatten.
Klar, das war jetzt ein Witz.
Ein einzelner Vorfall sagt nichts aus und ich bin kein
Japan-Kenner.
Ich frage mich aber, ob das relativ neue Phänomen der Hikikomori
nicht in Wahrheit die Kehrseite der massenhaft unterdrückten Exzentrik ist.
Gehen Millionen Japaner aus Notwehr gegen die ihnen
unmögliche totale Anpassung und Unterordnung in die innere Immigration?
Als Hikikomori (jap. ひきこもり, 引き籠もり oder 引き篭り, „sich
einschließen; gesellschaftlicher Rückzug“) werden in Japan Menschen bezeichnet,
die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer einschließen und den
Kontakt zur Gesellschaft auf ein Minimum reduzieren. [….] Das
japanische Gesundheitsministerium definiert als Hikikomori eine Person, die
sich weigert, das Haus ihrer Eltern zu verlassen, und sich für mindestens sechs
Monate aus der Familie und der Gesellschaft zurückzieht. Es gibt allerdings
auch Fälle, in denen Hikikomori für Jahre oder sogar Jahrzehnte in dieser selbst
gewählten Isolation bleiben.
Beschrieben wurde das Phänomen erstmals durch den japanischen Psychologen
Tamaki Saitō, der auch den Begriff prägte. Er behauptete, es gäbe in Japan (ca.
127 Millionen Einwohner) mehr als eine Million Hikikomori.
(Wikipedia)
Über die Ursachen wird viel spekuliert.
Vermutlich werden Hikikomori mit dem Druck in der
Schule überfordert, leiden unter Mobbing („Ijime“) und scheitern dann an dem
Übergang ins Erwachsenenleben.
Erschwerend kommt hinzu, daß auch in Japan die
wirtschaftliche Lage angespannt ist und Jobs schwerer zu finden sind.
Kinder, die einfach zu Hause in ihrem Kinderzimmer
sitzen bleiben, bis die Eltern sterben, gibt es immer mehr.
Joe [35 Jahre] ist einer der vielen
jungen Japaner, die sich von der Gesellschaft abkapseln und ganz auf sich
selbst zurückgezogen leben. Er ist ein „Hikikomori“, einer, „der sich
zurückgezogen hat“. Ihre Anzahl wird auf über eine Million geschätzt,
vielleicht sind es auch deutlich mehr, und sie erzählen viel über das heutige
Japan. [….] Und nun gehe ich mit Joe
allein in sein Kinderzimmer unter dem Dach. Er richtet seine Matratze vom
Fußboden auf und lehnt sie senkrecht an die Wand, damit wir Platz haben. Wir
setzen uns an seinen Schreibtisch, das einzige Möbelstück. Fast komme ich mir
vor wie in einer Zelle. Das liegt nicht an der Enge, die ist normal in Japan.
Es liegt daran, dass Joe die Fenster mit Papier verklebt hat. „Ich möchte
nicht, dass mir die Leute von den benachbarten Bürogebäuden ins Zimmer schauen
können“, sagt er. Zudem will er nichts vom Berufsverkehr draußen mitbekommen.
Er sagt: „Am unerträglichsten ist es, wenn ich morgens all die Pendler sehe,
die vom Bahnhof kommen und zur Arbeit gehen.“ In solchen Momenten wird ihm
jedes Mal bewusst, dass er die Erwartungen nicht erfüllt hat. [….] Dass er anders ist, das zeigte sich schon
früh. Bei der Schulgymnastik drehte er sich nach rechts, wenn er sich nach
links drehen sollte. Ständig kam er auf eigene Ideen, seinen Lehrern und
Mitschülern ging er damit bald auf die Nerven. Abweichler haben es schwer in
japanischen Schulen, wo das Lernziel Anpassung heißt, nicht Kritikfähigkeit. […]
Japan befinde sich in einer tiefen
Sinnkrise, sagt Psychiater Takagi. Spätestens nach der erfolgreichen Jobsuche
würden viele Uni-Absolventen in ein Loch fallen. „Sie verstehen plötzlich nicht
mehr, wofür sie gelernt haben, wofür sie überhaupt leben. Sie werden
depressiv.“ Hinzu kommt, dass die japanischen Konzerne im Zuge der
Globalisierung massenhaft Fabriken in Billiglohnländer wie China verlagert
haben. Die lebenslange Arbeitsplatzgarantie und die automatische Beförderung
gelten für immer weniger Beschäftigte. Rund 40 Prozent der Japaner arbeiten
mittlerweile ohne feste Anstellung. Joe kapselte sich ab, bei seinen Eltern hat
er ja alles, was er braucht: Essen, Bett, Computer. Ein Handy besitzt er nicht,
aber wen sollte er auch anrufen?
(Der SPIEGEL 05.01.15 s. 89 f)
Vielleicht ist es an der Zeit eine neue Minderheit in
den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken.
Nach Frauen, Schwarzen, Schwulen und Atheisten muss
sich die Welt auch auf Konformitätsverweigerer, Sozialphobiker, Exzentriker und
Unangepasste einstellen, die derzeit eher versteckt werden und jährlich zur
Freude der Pharmakonzerne viele Millionen Packungen Selektive
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Neuroleptika verzehren.
Sie einfach als „irre“ abzustempeln und abzukapseln
wird auf Dauer nicht funktionieren.
Interessante Materie, und wie immer delikat präsentiert. Auch ohne den Nagel in den Holzklotz hämmern zu wollen: Ein gutes Neues Jahr für Sie, lieber Tammox!
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