Freitag, 9. Januar 2015

Weiter geht’s..



Ceterum censeo progeniem hominum esse deminuendam.

Oh Darwin!

Heute hatte ich einen von diesen Organisationstagen mit jeder Menge Terminen. Bin ununterbrochen unterwegs gewesen, habe von nichts um mich herum bemerkt.
Dann komme ich um 19.30 Uhr nach Hause, koche noch einen Kaffee, schimpfe wie anstrengend heute alles war, will mich früh hinlegen, im Bett chillen, will nur noch ganz kurz die Mails checken, fahre mal eben schnell den Computer hoch, mache mal eben das Internet an und dann DAS.

Es dauerte eine Weile bis ich diese Informationsfülle in meine Birne getrichtert hatte.
Paris in so einem Strudel von Ereignissen, daß es nur noch eine winzige Meldung am Ende der Nachrichten ist, daß sechzehn nigerianische Ortschaften von Boko Haram vollständig niedergebrannt, Hunderte Menschen getötet worden sind. Die muslimischen Fanatiker gingen dabei derart brutal vor, daß Soldaten in der Nähe vorher aus ihrem Militärcamp geflohen sind.

Ich kann es kaum glauben, daß ausgerechnet ich den folgenden Satz schreibe:
Die Muslime, die heute überall in Europa zum Freitagsgebet erschienen tun mir Leid.
So beschissene PR hatte ja noch nicht mal die RKK im Jahr 2010, als jeden Tag neue Kinderfickerfälle enthüllt wurden.
Wer möchte heute als Moslem vor die Kamera gehen?
Natürlich gibt es intellektuell betrachtet nur einen Weg, den man als Muslim gehen kann: Austreten, Allah abschwören.
Aber Religion ist eben nicht nur eine Ideologie, sondern insbesondere ein soziokulturelles Konstrukt, in dem sich gerade die nicht mit überragender Intelligenz und Bildung Ausgestatteten, heimelig und geborgen fühlen können.
Ich habe leicht reden; schon meine Eltern waren Atheisten; ich bin die second generation und mußte mich nie von einer Religion lösen.
Richtig fanatisierte, überzeugte Anhänger verlassen ihre Religion nicht.
Aber der durchschnittliche mittelreligiöse Christjudemoslem fühlt sich ohne Religion vermutlich erst einmal so, wie ich als nach Jahrzehnten mein Lieblingsdeo und später auch noch meine Lieblingszahnpasta aus dem Verkauf genommen wurde. Als ich plötzlich meine geliebten Schallplatten gegen diese öden kleinen CDs eintauschen mußte, die keine tollen Coverbilder mehr hatten und auch noch dieses unangenehme Plastik-auf-Plastik-Klacken von sich geben, wenn man in mehreren von ihnen herum sucht.
Vinylschallplatten oder Rembrandt-Original-Zahncreme haben allerdings auch niemanden wehgetan. Bei Religion spielt aber immer eine „gegen die anderen, die unter uns stehen“-Schwingung mit.
Religion ist eine fürchterlich ernste Sache und deswegen ist es naheliegend, daß sich die Fundis einer Religion auch besonders auf Satiriker stürzen, weil diese schon durch ihr Berufsethos, das professionelle Nicht-Ernstnehmen ein Antidot zu jeder Religion bilden.

Und nun sind es die grundsätzlich Unkomischen vom rechten Rand, die sich der erloschenen Komik bedienen.

Gauland, Petry, de Maizière, Seehofer und Co haben sicher alle schon ein feuchtes Höschen vor Glück.
Nun kann man beherzt nach Gesetzverschärfungen kreischen.
Und die braune Marine Le Pen schwebt vor Begeisterung schon zehn Zentimeter über dem Boden. Für sie ist das Paris aus den ersten Januarwochen eine einzige Steilvorlage.

Unglaublich, da findet eine gewaltige Schießerei in einem jüdischen Laden in Paris statt, bei denen vier jüdische Geiseln sterben müssen und die Hitler-affine Pegida profitiert davon.

In den Nachrichten sieht man heute viele ernste französische Journalisten, die mutig ein „jetzt erst recht“ in die Kamera sagen. Sie wollen sich nicht klein kriegen lassen. Sie wollen genauso weiter machen. Chérif und Saïd Kouachi, sowie Amedy Coulibaly sollen keinesfalls erfolgreich gewesen sein und tatsächlich Charlie Hebdo zum Schweigen bringen.

Ist ein 'religiöses Gefühl' weniger wert als das Gefühl, von religiösen Fanatikern bevormundet, belogen, verletzt und für dumm verkauft zu werden?, fragt Maria Schmitt, Mitherausgeber und Ex-Chefredakteur der Titanic.
[….] [Islamkarikaturen] sind dann witzig, wenn sie von Satiremachern für komisch befunden werden, und dann müssen sie raus. Immer und immer wieder, bis zum jüngsten Tag.
Satire ist Kritik mit komischen Mitteln, sie muss immer alles wollen und dürfen. […]

Richtig, es muß jetzt einfach weiter gehen.
AL Kaida, Boko Haram, IS und Taliban sollen und müssen lernen, daß ihre Anschläge nicht erfolgreich sind, daß man damit nicht seinen Willen durchsetzen kann.

Daher finde ich die Solidaritätswelle auch grundsätzlich sehr sympathisch. Es freut mich, daß so vielen Zeitungen mit „Je suis Charlie“ aufmachen, es hat mich durchaus emotional berührt, daß die um ihre Leben fürchtenden Schüler in Dammartin-en-Goële „Je suis Charlie“ aus den Fenstern riefen, während ein gewaltiges martialisch bewaffnetes Polizeiaufgebot die verschanzten Attentäter angriff.
Ich möchte gern mal fünf Minuten lang nicht darüber nachdenken wie widerlich ich die Trittbrettfahrerei finde, wie absurd es ist, daß in den ARD-Tagesthemen von heute sich der religiöse Rechtsaußen Siegmund-CSU-Gottlieb als Verteidiger der Satiriker inszeniert.

Wenn diese Tragödie eines zeigt, dann dieses: Eine freiheitliche Demokratie braucht Blasphemie. Denn Blasphemie stellt Dogmen infrage. Und Dogmen - seien es religiöse oder politische - sind mit ihrem absoluten Wahrheitsanspruch der natürliche Feind des kritischen Denkens.
Zur Erinnerung: Wenn von westlichen Werten die Rede ist, spielen sich die christlichen Kirchen gern als deren Geburtshelfer auf. Doch das Gegenteil ist der Fall. Jene Werte der Aufklärung, auf die sich auch Deutsche heute gern berufen - Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung - wurden nicht von den Kirchen, sondern meist gegen sie durchgesetzt.
Das zentrale Merkmal der Aufklärung ist, alles hinterfragen zu dürfen. Das Licht der Vernunft soll in jeden Winkel scheinen, um Unterdrückung, Aberglaube, Intoleranz und Vorurteile zu überwinden. Und das stört all jene, die manche Bereiche lieber im Dunkeln lassen wollen.
Eines der meistbenutzten Instrumente dieser Dogmen-Verteidiger ist das religiöse Gefühl. Wer den Schutz religiöser Gefühle für sich markiert, erhebt seine persönliche Weltanschauung über den kritischen Diskurs, er erklärt Teile seines Glaubenssystems für heilig, ihr Hinterfragen zum Affront. "Das verletzt meine religiösen Gefühle" ist ein Satz, der jede Debatte beenden kann.

Ja! Was für ein eindrucksvolles Statement der Welt, wenn nun erst recht überall Mohammed-Karikaturen und Kruzifix-Witze gedruckt werden und somit die Religioten Farbe bezüglich der Meinungsfreiheit bekennen müssen.

Und doch ist alles für die Katz.
Ausgerechnet Selbstmordattentätern pädagogisch zu kommen, ist ähnlich sinnvoll wie Marine Le Pens und Sarah Palins Forderung nach der Todesstrafe für Selbstmordattentäter.

Glauben wir etwa, daß in den Terrorcamps von IS und Al Kaida nun die Teilnehmer des Fortgeschrittenen-Kurses für Selbstmordattentäter bei einer streng rationalen Diskussion nach dem Studium deutscher Feuilleton-Texte zu dem Schluß kommen, daß sie sich lieber auflösen und stattdessen Bäcker oder Friseur werden sollten, da „der Westen“ ja gar nicht auf Anschläge reagiert, bzw den Propheten dann nur noch mehr verunglimpft?

Wer sich selbst mit dem Ziel sprengt möglichst viel Schaden anzurichten, weil das eine eingebildete Gottheit so sehr erfreuen wird, daß sie dafür 72 Jungfrauen spendiert, denen nach dem Koitus augenblicklich das Hymen nachwächst, der ist offensichtlich rationaler Argumentation nicht zugänglich.
Simple as that.

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