Montag, 19. September 2016

The Blame-Game.



Heribert Prantl verfasste für die heutige SZ einen wichtigen Artikel, in dem er aufzeigt welchen enormen Nutzen mächtige Parteichefs der SPD haben, wenn sie ein konservatives Projekt gegen den Willen der Basis durchprügeln.

1992, Björn Engholm schwört die SPD auf eine dramatische Verschärfung des Asylrechts ein:

Auch damals verbürgte sich der Parteichef für diese Bedingungen; er tat es mit dem seltsam verqueren Satz, er werfe "seine Schädeldecke in den Ring" für die sorgfältige Verwirklichung des Parteitagsbeschlusses. Nach diesen SPD-Vorstellungen lief es dann doch nicht, und das Zuwanderungsgesetz, ein Regelwerk zur Einwanderung, das sich die SPD mit ihrer Zustimmung zur Abschaffung des alten Asylgrundrechts von der CDU erkaufen wollte, kam nicht. [….]
Björn Engholm, der die Grundgesetzänderung in der SPD durchgesetzt hatte, war da schon lang in der Versenkung verschwunden. [….]

1993, Rudolf Scharping drückt den Großen Lauschangriff durch:

[….] Es ging um alles, es ging auch um ihn. Der SPD-Vorsitzende zeigte keine Regung. Sein Bundesgeschäftsführer reichte ihm, es war nachts um eins, nach einer dramatischen Debatte und einer quälend verwirrenden Abstimmungsschlacht, den erlösenden Zettel: Antrag des Parteivorstands knapp genehmigt, Sieg für den Parteichef. [….] Es ging um das Abhören von Gesprächen ohne Wissen der Beteiligten durch heimlich in Wohnungen angebrachte Wanzen. [….] Das Ganze endete dann, nach vielen Stunden, sehr knapp und gemäß Scharpings Willen für den großen Lauschangriff - unter allerlei Bedingungen und Vorbehalten. Die Bedingungen des SPD-Parteitags aber wurden in den Verhandlungen mit der CDU / CSU nur sehr partiell durchgesetzt. [….] Die Europawahl 1994 wurde trotzdem oder gerade deswegen zum Debakel für die Scharping-SPD, und auch bei der Bundestagswahl gelang es ihm nicht, Helmut Kohl zu stürzen. Der Lauschangriff wurde dann 2004 vom Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt. [….]

2003, Schröders Agenda 2010:

Machtverlust zwei Jahre später

2015, Sigmar Gabriels bizarrer 180°-Schwenk für die Vorratsdatenspeicherung:

In der Folge sackt die SPD auf die 20%-Marke ab und Heiko Maas, der einzige SPD-Hoffnungsträger im Kabinett ist durch seine übertriebene Loyalität schwer beschädigt. Und alles für ein sinnloses Vorhaben, welches eine Gefahr für Journalisten und Whistleblower darstellt.
Viele halten das Gesetz für grundgesetzwidrig und klagen dagegen.

[….] SPD-Chef Gabriel hat sich durchgesetzt - aber ein klares Votum war es nicht: Weniger als 60 Prozent stimmten beim Parteikonvent für die Vorratsdatenspeicherung. [….] Dann endlich kommt Gabriel zur VDS-Debatte: "Es gibt keine Sicherheit ohne Freiheit und keine Freiheit ohne Sicherheit", sagt er - und lobt die Entscheidung der Delegierten.
[….] Dann erwähnt Gabriel, dass der Konvent sich ja auch noch für eine Änderung ausgesprochen habe, die innerhalb des bestehenden Gesetzesvorschlags umzusetzen sei: den Plan, das Gesetz 2018 evaluieren zu lassen. Das bedeutet keine Befristung, für die man den bestehenden Vorschlag komplett hätte neu aufsetzen müssen. Noch während des Konvents gab es deshalb Kontakt mit dem neben Justizminister Maas zuständigen Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der offenbar keine Einwände hatte.
Und genau nach dieser Absprache wird SPD-Mann Maas nun auf der Pressekonferenz gefragt. Doch da drängelt sich Gabriel ans Mikrofon und sagt in Richtung des irritierten Fragestellers: "Sie wollen doch eine Antwort haben." Das lässt Maas wie einen Lakai dastehen. [….]

19.09.2016, einen Tag nach dem grandiosen Wahlsieg der SPD in Berlin, drückt nun Sigmar Gabriel auch noch ein SPD-Ja zum CETA-Abkommen durch.
Es scheint wieder einmal nach dem alten Hildebrandtschen Motto zu laufen:

„Die SPD scheißt in jede Hose, die man ihr hinhält“

Aus lauter Panik von der überwiegend neoliberalen Presse als nicht regierungsfähig oder weniger wirtschaftskompetent als Union und FDP eingeschätzt zu werden, stimmt die SPD-Basis einer Angelegenheit zu, von der sie überhaupt nicht überzeugt ist.

Ich glaube durchaus, daß die Basis irren kann und halte die Agenda 2010 immer noch für richtig – wenn auch selbstverständlich viele daraus resultierende Einzelfallungerechtigkeiten längst hätten behoben werden sollen. Das mahnt übrigens heute auch Gerhard Schröder an.
Derzeit fühle ich mich nicht informiert genug, um kompetent die Unterschiede von TTIP und CETA beurteilen zu können. Möglicherweise ist Gabriels Linie „Nein zu TTIP, aber ja zu CETA“ sachlich nachvollziehbar, auch wenn weite Teile der Bevölkerung das nicht können.
Von mir gibt es also ein Ja, eine Enthaltung, aber auch drei klare Neins (VDS, Asylrechtsverschärfung, Lauschangriff) für die order di mufti-Entscheidungen in der SPD.

(1981 und 1982 war ich selbst auf vielen großen Demos gegen den NATO-Doppelbeschluß und sehr gegen die Pershing-II-Nachrüstung engagiert.
Das Vorhaben Helmut Schmidts hielt ich für dramatisch falsch – und das über Jahrzehnte. Inzwischen rücke ich aber von dem Urteil ab. Es gibt offensichtlich eine Menge Hinweise, insbesondere von Gorbatschow, daß Schmidts NATO-Doppelbschluß tatsächlich letztendlich zur Abrüstung führte und daß die Angriffspläne des Warschauer Paktes ausgefeilter waren als man damals dachte.)

Abgesehen von der Frage, ob Gabriels Entscheidungen falsch oder richtig sind, kann man aber sicher sagen, daß seine Begründungen offensichtlich von einer großen Mehrheit der Deutschen nicht nachvollzogen werden können.
Angesichts der Underperformance von CDU und CSU immer noch bei nahe 20% rumzukrebsen, ist schon eine Leistung, liebe SPD.
Zum Glück wurden die Schuldigen für die Wahlniederlagen in Berlin recht schnell gefunden.

In keinem Fall sind es natürlich die Taten der eigenen Partei.
Man hat selbst bekanntlich immer alles richtig gemacht.

Der „Linksruck“ wurde von Blitzbirne Chris Lindner, aka FDP-Chef, der AfD in die Schuhe geschoben.

"Der AfD-Wähler ist der beste Wahlhelfer für einen zunehmenden Linksruck in Deutschland. Esist leider im wahrsten Sinne des Wortes ein Abfallprodukt der Wahl der AfD, dass man nicht nur Rechte in die Parlamente bringt, sondern gleichzeitig Linke in die Regierung."
(FDP-Chef Christian Lindner, 19.09.16)

CDU-General Peter Tauber fand unterdessen heraus wer für das schlechteste CDU-Ergebnis aller Zeiten in Berlin verantwortlich ist: Der SPD-Bürgermeister Michael Müller.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber fand das Ergebnis ebenfalls nicht erfreulich. Der Wahlkampf sei sehr stark von der großen Unzufriedenheit mit dem rot-schwarzen Senat unter Führung von Michael Müller (SPD) geprägt gewesen: „Der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf her.” Die CDU habe sich von dieser Stimmung nicht absetzen können, obwohl sei eine erfolgreiche Politik gemacht habe”, sagte Tauber.
(BZ, 19.09.16)

Auch für das miese Abschneiden der SPD gibt es selbstverständlich einen Schuldigen: Die CDU!

Wer ist für das historisch schlechte Abschneiden der SPD in der deutschen Hauptstadt verantwortlich? […]
SPD-Bundesfraktionschef Thomas Oppermann hat die Union nun für das Wahldebakel seiner Partei mitverantwortlich gemacht. Wenn CDU und CSU permanent über die Flüchtlingspolitik stritten, sende auch die schwarz-rote Bundesregierung das Signal, "dass sie nicht weiß, wo es langgeht", sagte Oppermann im Deutschlandfunk. Leider werde auch die SPD durch diese Dauerdebatte zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer heruntergezogen.

Ich habe auch noch einen; diesmal sogar ernst gemeint:

Schuld am guten Abschneiden der AfD sind Horst Seehofers und Andreas Scheuers CSU:

"Das Schlimmste ist ein Fußball spielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist", sagte Scheuer im Regensburger Presseclub. "Weil den wirst du nie wieder abschieben." Für den sei das Asylrecht nicht gemacht, ergänzte er, das sei ein Wirtschaftsflüchtling. Das sollte wohl seine Wortwahl rechtfertigen. Doch Kritik kommt von überall.
Schockiert zeigt sich am Montag Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. "So redet man nicht über Menschen", sagt er. "Solche Sätze sind Futter für Rechtspopulisten." […]

(Daß ich mal Bedford-Strohm zustimme….)

Also liebe Parteien; das mit der Übernahme von Verantwortung üben wir dann noch mal, oder?

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