Sonntag, 9. Februar 2020

Lindnering down.


Der Kemmerich-Schock am Mittwoch war gewaltig, aber eigentlich möchte man sich nach vier Tagen auch mal wieder mit einem anderen Thema beschäftigen.

Aber AKK und Lindner debakulieren nicht nur fröhlich weiter, sondern versuchen nun auch noch mit einer Dreistigkeit anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben, die man selten sieht.

Wenn es um die Grundfesten der deutschen Demokratie geht, wäre es eigentlich schön gewesen, wenn die beiden Partiechefs tatsächlich einmal an das „große Ganze“ gedacht hätten und zur Erhaltung der politischen Hygiene sofort zurückgetreten wären, um den maximalen Schaden auch maximal zu bekämpfen.
Man kann auch Rücktritte überleben. Gregor Gysi war 2002 einer der stellvertretenden Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in einer „rot-roten“ Koalition, trat aber zackig und ohne Ausreden im Zuge der „Bonusmeilen-Affäre“ zurück.
Cem Özdemir trat 2002 als innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen wegen des dubiosen Hunzinger-Privatkredites über 80.000 DM zurück. Beide kamen wieder.
Das waren Rücktritte, mit denen sie Verantwortung übernahmen. Beiden gelang ein erfolgreiches Comeback.
Statt dafür geradezustehen, daß unter ihrer Verantwortung FDP und CDU den Nazis den roten Teppich ausrollten, dachten beide  nur daran ihr Amt und ihre Macht zu retten.

[….] "Ich war's nicht." Diesen Satz kennen alle, die Kinder haben. Eine Vase fällt um, ein Ball fliegt durch eine Fensterscheibe, Lena blutet aus der Nase, und Max steht daneben. Kinder neigen dazu, erst einmal alles abzustreiten, auch wenn das Blut von Lena auf den Knöcheln von Max zu sehen ist.
So ähnlich ist es auch in Thüringen, nur dass es da nicht um ein Malheur unter Kindern geht, sondern um Arroganz, Machtversessenheit und Dummheit, eine Mischung, die dazu geeignet ist, alle möglichen Urteile und Vorurteile über die Politik und die Politiker zu bestärken.
Ich war's nicht - das behauptet die Thüringer CDU, weil sie ja nichts für das Wahlverhalten anderer Parteien könne (damit ist die AfD gemeint). Auch die Bundes-CDU verhält sich ähnlich: Wir waren es nicht, es waren die in Thüringen. Zwar sind die von derselben Firma, was aber nicht so viel zählt, weil in diesem Laden ohnehin niemand so recht auf die Firmenchefin Annegret Kramp-Karrenbauer hört. Und auch die anstehende Abhalfterung des bisherigen Fraktions- und Parteichefs Mike Mohring passt dazu: Der Mohring war's, aber nicht die CDU.
Ähnlich sieht es bei der FDP aus. Der Scheinriese Christian Lindner versucht, als externer Krisenmanager aufzutreten, während sein Thüringer Parteifreund Thomas Kemmerich sich selbst sowie den politischen Anstand so überzeugend mit Hilfe der feixenden Höcke-AfD ausgetrickst hat, dass man nur noch von Dummheit sprechen kann. Lindners Vertrauensfrage im FDP-Vorstand, die er natürlich überstanden hat, gehört auch zu seinem Ich-war's-nicht-Verhalten: Vor dem Desaster in Erfurt und kurz danach war er so aktiv wie ein versteinertes Straußenei. Einen Tag später wurde er plötzlich lebhaft. [….]

Und AKKs Thüringer Statthalter Mohring? Aufgrund unklarer, widersprüchlicher und dann wieder gar keiner Vorgaben von der Parteichefin legte der Ein-Themen-Mann („Mohring muss MP werden“) einen so sagenhaften Schlingerkurs hin, daß ich angesichts seiner plötzlichen Skireise (Wenn Thüringer CDU-Bosse Ski laufen gehen wird es immer brenzlig – Didi Althaus lässt grüßen) schon an den Barschel-Möllemann-Move denke.

[….] Wie geschmeidig diese CDU doch ist. Eine Volte jagt die nächste. Innerhalb von zwei Tagen hebt sie zuerst gemeinsam mit der rechtsradikalen Höcke-AfD einen Fünf-Prozent-FDP-Mann ins Ministerpräsidentenamt. Erklärt kurz darauf, dass sie das eigentlich gar nicht wollte. Fordert dann Neuwahlen. Erklärt daraufhin, dass das Parlament doch weiter machen soll, um sich nur Stunden später auch in dem Punkt zu widersprechen und schlussendlich zu entscheiden, einen linken Ministerpräsidenten nicht verhindern zu wollen. Wer soll da noch mitkommen?
Die CDU um Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer weiß nicht ein noch aus. Und warum? Weil eine konsequente Führung fehlt. Autorität und Überzeugungskraft. Und auch, weil die CDU sich ins Stammbuch geschrieben hat, dass die Linke genauso böse ist wie die AfD eines Mannes, der per Gerichtsbeschluss Faschist genannt werden darf. 
Selbstverständlich verfolgt die Linke andere Ziele als die CDU. Aber was genau hat Bodo Ramelow eigentlich verbrochen in den Jahren seiner Regierungszeit? Rhetorische Frage. Er ist von der Linkspartei. Das reicht dafür, dass die CDU-Chefin zu einem ganz billigen Manöver ansetzt, um ihn zu verhindern. Und das geht so: Die SPD in Thüringen soll einen Ministerpräsidentenkandidaten aufstellen. Die SPD, die gerade einmal acht Sitze im Landtag hat. Dass sich die CDU nicht wirklich nach einem SPD-Ministerpräsidenten sehnt, ist klar. [….]

Nun plustern sich aber AKK und Lindner auf, tun so, als ob sie in der Position wären RRG Vorschriften zu machen.
Die sollten Ramelow zurückziehen und einen Lindner-genehmen Kandidaten zur Wahl stellen, um den CDU- und FDP-Bundesparteivorsitzenden ihre Jobs zu sichern.

[….] FDP-Chef Christian Lindner sprach sich gegen Ramelow aus. Er schlug vor, sich am Beispiel Österreichs zu orientieren und für eine Übergangszeit eine "unabhängige Persönlichkeit" zum Ministerpräsidenten zu wählen. In dieser "extrem empfindlichen Situation" halte er Ramelow "nicht für einen geeigneten Kandidaten, um das Land zu beruhigen", sagte Lindner vor einer Klausur der FDP-Bundestagsfraktion. […..]

Der Typ, dessen Partei gerade mal 73 Stimmen über den Durst erhielt und mit 5,000005% im Landtag sitzt und damit vermochte den deutschen Nazis einen gewaltigen Aufschwung zu verschaffen, schwere internationale Irritationen auslöste, offen die Antisemiten und Rassisten stärkte, einen der größten innenpolitischen Skandale Deutschlands auslöste, glaubt nun ernsthaft weiterhin den Ton bei der Regierungsbildung angeben zu können?

[…..] Heiser, aber dennoch mit scharfen Worten wies SPD-Chefin Esken den Vorschlag als taktisch motiviert zurück. Er zeige, dass Lindner nicht verstanden habe, "welchen Schaden auch er persönlich angerichtet hat", sagte Esken. "Er zündelt schon wieder, das finde ich unglaublich."
Auch Tiefensee und der Vorsitzende der Thüringer SPD-Fraktion, Matthias Hey, erklärten Lindners Vorstoß für abwegig. "Nach dem Desaster, das die FDP in Thüringen angerichtet hat, sollte Christian Lindner nicht noch weitere taktische Spielchen spielen", sagte Hey dem SPIEGEL. [….]

Schon wieder muss ich Frau Esken 100% zustimmen. Ein völlig ungewohntes Gefühl mal nicht schaudernd die Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen, wenn SPD-Chefs reden.

Herr Linder sollte sich lieber mal mit der kontinuierlichen Faschisten-Affinität seiner Partei beschäftigen. Da gibt es eine lange, braune Geschichte.


Der FDP-Chef denkt aber nur an die Hamburg-Wahl und taktiert. Er will von dem bestialischen Eigengestank ablenken, nachdem Kemmerich und er selbst mit viel Anlauf in den fetten braunen Erfurter Hundehaufen gesprungen waren.
Er will die Elbliberalen davor bewahren am 23.02.2020 zur außerparlamentarischen Opposition zu werden. Nicht, weil er so viel Sympathie für von Treuenfels-Frowein hat, sondern auch das nur, um sich selbst zu retten.
Es gibt viel Ärger in seiner Partei über ihn und das Aus in Hamburg könnte ihn arbeitslos machen.

[…..] Das Unheil trifft die FDP nicht vollkommen unerwartet. Das Unbehagen, dass der Chef seinen Instinkt verloren haben könnte, ist in der Partei schon länger zu spüren. Die Jüngeren schüttelten den Kopf, als er sich mit der Empfehlung, die Klimapolitik den Profis zu überlassen, verrannte. Und die liberaleren Liberalen waren unglücklich über die Verve, mit der er sich als Kämpfer für die angeblich bedrohte Meinungsfreiheit gerierte. "Die Meinungsfreiheit ist in unserem Land natürlich formal garantiert, aber wie ist es mit der Meinungspluralität?", fragte Lindner beim Stuttgarter Dreikönigstreffen.
Nicht zum ersten Mal klang es so, als biete er sich den Unzufriedenen ganz rechts an. Und dann war da noch die Geschichte vom Opel-Werker, der aus Frust über die SPD nun zwischen FDP und AfD schwanke. "Wir sind keine Protest-, wir sind eine Gestaltungspartei. Aber dennoch betrachte ich es als Teil unserer staatspolitischen Verantwortung, dass wir politisch Heimatlosen eine Alternative zu den Rechtspopulisten bieten", sagte Lindner. […..]

Bevor man aber zu viel Mitleid mit der angeblich so ungerecht behandelten Hamburger FDP-Spitzenkandidatin ausbreitet, sei daran erinnert, daß von Treuenfels wie Lindner und Kubicki ebenfalls zunächst Kemmerichs AfD-FDP-Wahlpakt bejubelte.

Sie selbst zeigte in den letzten fünf Jahren in der Hamburger Bürgerschaftsfraktion deutlich wie es die Elb-FDP mit den Faschisten hält.

[….] Die Druckwelle aus Erfurt könnte die Hamburger FDP aus der Bürgerschaft tragen. Auch die Liberalen in der Hansestadt haben schon ihre Erfahrungen mit der Unterstützung von Rechtsaußen gemacht.
[….] Die Hamburger Liberalen sind gebrannte Kinder, was die Mitverantwortung für politische Dammbrüche angeht - und deren Folgen. 2001 trug die FDP als kleinster Partner eines Dreierbündnisses dazu bei, dass die SPD nach jahrzehntelanger Herrschaft das Chefbüro im Rathaus räumen musste. Dazu ging sie, naheliegend, eine Allianz mit Ole von Beust (CDU) ein, Schwarz-Gelb brauchte für den erzwungenen Machtwechsel aber die Stimmen des Rechtspopulisten Ronald Schill. Anders als heute in Erfurt paktierten CDU und FDP in Hamburg damals offen mit der rechten Schill-Partei, das Ziel aber war das gleiche: die Roten, obwohl stärkste Kraft, zu verhindern. Die SPD hatte 36,5 Prozent der Stimmen bekommen, die FDP gerade mal 5,1, die CDU lag bei 26,2. Schill hatte mehr als 19 Prozent zu bieten. [….] Die Grünen zählen 43 Anträge der AfD in der Bürgerschaft, denen die FDP zugestimmt habe[….] Mit Blick auf die historische Schill-Episode stellte Gallina fest: "Es gibt eine große Flexibilität der CDU und FDP zum rechten Rand hin." [….]

Nein, Lindner und AKK sind wahrlich nicht in der Position nun RRG Bedingungen zu diktieren und Vorschriften zu machen.
Sie sollten sich ganz devot und still verhalten.
Insbesondere im angebräunten FDP-Landesverband und den ebenso stramm rechten CDUlern der Hansestadt.

[…..] Beust, Bürgermeister von 2001 bis 2009, hat die CDU in der Hansestadt nicht nachhaltig verändert. Die Partei, so sehen das heute Beobachter wie der Politik-Analyst Elmar Wiesendahl, habe ihn eher gewähren lassen, weil er ihr viele Posten einbrachte. Heute sei die Hamburger CDU sogar konservativer, als sie es vor der Ära Beust war, den Hauptfeind sieht sie nun im einstigen Verbündeten, den Grünen. [….]