Dienstag, 3. Januar 2017

Elf Jahre bräsig merkeln

Am 05.11.2016 schrieb Deutschlands beliebtester Politiker, der Bundesaußenminister und designierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiner einen Grundsatzartikel über die Rolle der Medien für die F.A.Z..
Das sei ja alles ganz schrecklich wie man neuerdings mit Fakten umgehe.
Man möge doch in Zukunft wieder bei der Wahrheit bleiben und in sich mehr Mühe beim Medienkonsum geben.

Es sei überlebenswichtig für eine demokratische Gesellschaft, dass Debatten auf der Grundlage von Fakten geführt würden: „Nur so erhalten wir unsere Fähigkeit zum produktiven, wahrheitssuchenden Dialog.“
Gründe dafür, dass gefühlte Wahrheiten an die Stelle von überprüften Fakten treten, sieht Steinmeier in der Komplexität unserer vernetzten Welt.
Die digitale Revolution erzeuge einen nicht enden wollenden Schwall von Informationen: „Darauf sind wir weder intellektuell noch kulturell vorbereitet.“
Diese „objektive Überforderung“ erzeuge Gegenreaktionen, die sich in der Rückbesinnung auf Nation und Religion, „auf das, was leichter Sicherheit und festen Boden unter den Füßen verschafft“.
Als Antwort darauf fordert Steinmeier: „Wir müssen in unsere Urteilskraft investieren, in jene Institutionen und Systeme, die in unseren Gesellschaften Wahrheit produzieren: Schulen, Wissenschaft, Justiz, aber auch die Medien.“
(dts, 06.11.2016)

Ein typischer Steinmeier.
Er spricht ein Problem an, beklagt ein wenig den Ist-Zustand, eroiert wolkig drum herum und tut keinem weh.
Das mag der Wähler so gern an ihm. Fromm, vage, weit weg.

Falls Steinmeier die Titelgeschichte des aktuellen SPIEGELs gelesen haben sollte, könnte er allerdings ein wenig verschnupft sein.

Ulrich Fichtner verfasste unter der Überschrift „Die große Erosion“ einen über weite Strecken großartigen Text, in den ich viele Ausrufezeichen und nur wenige kleine „No“s hineinmalte.

„Men­schen, die Fun­da­men­tal­kri­tik an den Me­di­en üben“, sagt Rei­ne­mann, „tun dies of­fen­bar, weil sie po­li­tisch un­zu­frie­den sind. Sie fin­den ihre Mei­nung nicht in den Me­di­en re­prä­sen­tiert und emp­fin­den die Me­di­en des­halb als Stüt­ze der eta­blier­ten Kräf­te.“ Und wenn eben­die­se eta­blier­ten Kräf­te so tief in der Grüt­ze sit­zen, wie sie das ge­ra­de tun, dann zie­hen sie die Me­di­en und al­ler­lei an­de­re In­stan­zen zu sich her­ab.
Die­sen Zu­sam­men­hang ver­kennt die Po­li­tik, Bun­des­au­ßen­mi­nis­ter Frank-Wal­ter Stein­mei­er ver­kann­te ihn, als er in ei­nem Gast­bei­trag für die „Frank­fur­ter All­ge­mei­ne“ ein­mal re­la­tiv gön­ner­haft mah­nen­de und trös­ten­de Wor­te an die Me­di­en aus­teil­te. Me­di­en sei­en die Grund­la­ge ei­ner sta­bi­len De­mo­kra­tie, schrieb Stein­mei­er, und so wei­ter, aber sie sei­en eben in der Kri­se, in­halt­lich und öko­no­misch, und wenn sich die Bun­des­re­gie­rung ein so schlech­tes Kri­sen­ma­nage­ment leis­te­te wie die Me­di­en­bran­che, dann kön­ne sie sich, so Stein­mei­er, in Schlag­zei­len und Kom­men­ta­ren „auf ei­ni­ges ge­fasst ma­chen“.
Der Mi­nis­ter zähl­te dann Grün­de auf, war­um der Jour­na­lis­mus in der Kri­se ste­cke, und sie wa­ren alle falsch. Dass die Po­li­tik im All­ge­mei­nen und Be­son­de­ren auch et­was mit ei­ner Kri­se der Me­di­en zu tun ha­ben könn­te, die­sen Ge­dan­ken streif­te Stein­mei­er nicht ein­mal, viel­leicht kommt er als Bun­des­prä­si­dent noch ein­mal auf das The­ma zu­rück.
Er könn­te dann näm­lich dar­über re­den, wie vor al­lem die Po­li­tik das In­ter­net ver­schla­fen hat und wie sie seit Jah­ren, wenn nicht seit Jahr­zehn­ten, nicht das Ge­rings­te da­für ge­tan hat, den hier be­schrie­be­nen Wild­wuchs ein­zu­däm­men.
Nichts hat die Bun­des­re­gie­rung un­ter­nom­men, um die de­mo­kra­tie­ge­fähr­den­de Macht der Di­gi­tal­kon­zer­ne zu zäh­men, nichts ha­ben SPD, CDU und die an­de­ren zu­stan­de ge­bracht, um die stän­di­gen Rechts­ver­let­zun­gen im Netz, den Hass, die il­le­ga­len An­grif­fe, die Schmä­hun­gen und Volks­ver­het­zun­gen, die Se­xis­men und ras­sis­ti­schen Aus­fäl­le al­ler Art zu un­ter­bin­den. Die Par­tei­en ha­ben, von ein paar irr­lich­tern­den Exo­ten Mar­ke „Pi­ra­ten“ ab­ge­se­hen, die größ­te ge­sell­schaft­li­che Bau­stel­le un­se­rer Zeit ein­fach weit­räu­mig um­fah­ren. Ob es jetzt reicht, ab und an Jus­tiz­mi­nis­ter Hei­ko Maas dort vor­bei­zu­schi­cken, ist zu­min­dest frag­lich. [……]
(SPIEGEL, 30.12.2016)

Houston, wir haben ein Problem.
Während die Kanzlerin noch von „Neuland“ faselte, haben die neuen asozialen Medien bereits die Bundesrepublik übernommen.
Die Generation unter 25 ist bereits völlig von den drei Säulen des Journalismus abgekoppelt, die Merkels Vorgänger noch aufzählte: „BILD, BamS, Glotze.“

Die Quietscher von heute brauchen gar keinen Fernseher mehr, sehen gar nicht ein weswegen sie sich an eine altmodische Kiste mit einem Korsett aus starren Sendungsanfangszeiten binden sollten, wenn sie doch alles, was sie wirklich interessiert zu jeder beliebigen Zeit downloaden/streamen/sharen können.

Sie sind längst in eine Medienwelt ohne Gatekeeper hinüberdiffundiert und sehen sich einer gewaltigen Flut aus ungeprüften und irrelevanten Meldungen ausgesetzt, ohne einen kritischen Umgang gelernt zu haben.

Während also die ganz Jungen schon im Morgen stehen, plagt sich meinereins damit ab überhaupt Zugang zu Hardware zu bekommen.

Klammer auf: Im November 2016 wandte ich mich an VODAFONE, um für eine Wohnung in Hamburger-Barmbek (also einen zentral gelegenen Stadtteil in der prosperierenden, reichen 1,8-Millionen-Stadt HH) einen Internetanschluss legen zu lassen. Vodafone einfach deswegen, weil ich wie 99% der Bundesbürger schon so viele schlechte Erfahrungen mit anderen Anbietern gemacht hatte. Nach diversen Telefonaten, Emails und Briefen, ist der Stand der Dinge, daß Ende Januar 2017 ein Techniker kommen soll, der erst mal feststellen muß, ob und wo vorher ein Telekom-Telefonanschluss bestand. Internet dann erst später. Klammer zu.

Glasfasernetz, schnelles Internet? Deutschland befindet sich diesbezüglich noch im IT-Mittelalter, während in baltischen Staaten schon seit Jahren Behörden und Verwaltung wie selbstverständlich nur noch digital arbeiten und für jeden Esten jederzeit mit ein paar Klicks zu erreichen sind.

Voran kommen wir deswegen nicht, weil DANK ANGELA MERKEL mit Oetti und Doofi zwei ganz besondere Blitzbirnen in Europa und Deutschland für die Digitalisierung, schnelles Internet und IT-Sicherheit zuständig sind.


ävrising hengs togässa

Man unterschätzt Oettinger, wenn man meint, er sei nur der Kaspar, der kein Englisch kann und mit unsäglichem Rassismus auffällt.
Nein, zusätzlich ist der Mann auch noch vollkommen auf den Kopf gefallen und hat nicht die allergeringste Ahnung von seinem Ressort. Er kennt noch nicht mal  den Unterschied zwischen Cloud und Festplatte.

Wenn also „die Politik“ schon an den hardware-Basics scheitert – wieso dauert es Monate bevor ich überhaupt einen Internetzugang in einer Großstadt bekomme? – sollte man nicht erwarten, daß irgendjemand aus der Gerontengang an Merkels Kabinettstisch tatsächlich durchdrungen haben könnte, was eigentlich „soziale Medien“ bewirken.

Ärgerlicherweise werden die fleißigen Twitterer und Facebooker wie Volker Beck, Johannes Kahrs oder Erika Steinbach automatisch als „internetaffin“ und somit als IT-Schlaumeier angesehen.
So ein Unsinn. Um Tweets rauszuhauen, muß man gar nichts begreifen; das zeigt schon Trump.
Das Beispiel von heute ist mein Bundestagsabgeordneter Johannes Kahrs, der Mann mit dem Talent und der Fragwürdigkeit.
Kahrs twittert und facebookt ununterbrochen. Jeden Morgen tippt er ein „Moin“ in sein Smartphone und Dutzende seiner Fans facebooken ergeben „guten Morgen Johannes“ zurück.
Ja, das ist auch Internet, bedeutet aber nicht, daß Kahrs die Macht der Algorithmen, die Möglichkeiten der Manipulation und die Beeinflussungstechniken der Facebook-Twitter-Instagram-Bosse durchdrungen hat.

Gestern ärgerte sich Herr Kahrs über die kritischen Anmerkungen der Grünen-Chefin Simone Peter zum NAFRI-Polizeieinsatz zu Silvester in Köln.

Kahrs ist zu 100% auf Linie der BILD-Zeitung (Überschrift heute: „Grünen-Chefin Simone Peter: Dumm, dümmer, GRÜFRI* = *GRÜn-Fundamentalistisch-Realitätsfremde Intensivschwätzerin“) und postete inzwischen mehr mehrere Dutzend einsilbige Schmäh-Attacken auf Peter; stets verbunden mit größten Lob an den Polizeilichen Co-Uniform-Träger von Bundeswehr-Oberst Kahrs.

Kahrs verkennt dabei nicht nur den grundsätzlich interaktiven Charakter des Internets, indem er erst gar keine Diskussionen aufkommen lässt, sondern scheint auch nicht zu bemerken wessen Spiel er mit seinem Bashing der vermeidlichen multikulti-aktiven Gutmenschin Peter spielt.

Dabei ist Kahrs einer, der die sozialen Medien intensiv nutzt.
Wie soll man also erwarten, daß die an dieser Stelle tatsächlich Mächtigen, Airbrain Dobrindt und Spooky-Oetti rechtzeitig etwas unternehmen, um die neuen Medien an die Kandare zu legen, dem Zuckerberg einen Zahn zu ziehen?
Woher sollten die wissen wie Hacker arbeiten, welche Möglichkeiten Social Bots bieten?

Und nein, Angela Merkel als Regierungschefin muß das persönlich auch nicht verstehen. Aber wenn sie auch nur halbwegs geeignet für ihren Job wäre, hätte sich schon vor zehn Jahren erkannt was da auf uns zukommt und entsprechende Strukturen geschaffen, Fachleute beauftragt.