Montag, 29. Februar 2016

Fuck the shit



Als ich in der Grundschule war, schnappte ich eines Tages das Wort „geil“ auf.
Ich wußte, daß es irgendetwas Schlimmes ist und wollte auch nicht unbedingt provozieren. Aber irgendwann rutschte es mir zu Hause dann doch raus.
Die Gesichtsfarbe meiner Mutter verwandelte sich in ein ungesundes grün. Sie war normalerweise nie streng, aber das Wort würde ich in Zukunft jedenfalls nicht mehr verwenden.

Das Wort „fucking“ hörte ich zum ersten mal bewußt als Schimpfwort, als meine US-Cousins mal zu Besuch waren.
Meine Oma fiel aus allen Wolken. Was war denn das für ein ungesittetes Pack, das da aus New York bei uns eingefallen war?
Lustigerweise erging es den Amis ähnlich, als sie bei uns das Wort „Scheiße“ ungeniert ausgesprochen vernahmen.
So lernte ich früh, daß es in Deutsch und englisch eine unterschiedliche Schimpf-Kultur gab.
Während die Germanen gern anale und fäkale Begriffe benutzten, vermutlich sogar als einziges Volk rein exkrementell schimpfen, pöbeln Angelsachsen eher koital. Daneben gibt es noch die italienische Variante, dort schimpft es sich religiös.
Solche kulturellen Betrachtungen gehen für die Deutschen nicht unbedingt gut aus.
Vielfach wird die Meinung vertreten, daß der amerikanische Humor selbstironisch ist, der Britische trocken und schwarz, während sich die Deutschen Schadenfreude gepachtet haben.

Natürlich verändert sich die Sprache kontinuierlich.
Seit wir alle mit dem englisch dominierten Internet leben, mischt sich auch die Metaphorik immer schneller.
Im 21. Jahrhundert ist „verfickt“ auch in Deutschland ein fester Bestandteil der Sprache und die Amerikaner hauen durchaus auch mal „Shit“ raus.
Für Typen meiner Generation bestehen allerdings zumindest noch gefühlte Unterschiede. Im amerikanischen Sprachgebrauch ist „cunt“ zwar immer noch sehr derbe, aber durchaus üblich.
Die deutsche Entsprechung, von der ich noch nicht mal weiß, ob sie mit „F“ oder „V“ geschrieben wird, habe ich erst vor ca drei Jahren das erste Mal über die Lippen gebracht und mich sofort geschämt dafür. Ausschreiben kann ich es immer noch nicht.

Mit ein bis zwei Dekaden Verspätung kommt die Umgangssprache auch im offiziellen Gebrauch an.
Das ist so wie schwule Mode, die mit entsprechender Verspätung von Heteromännern übernommen wird.
Zu meiner Schulzeit war es noch extrem schwul, bzw kaum bekannt, daß Jungs Ohrringe trugen oder sich womöglich Körperbehaarung entfernten.
Inzwischen findet man kaum noch einen Hetero ohne Metall im Gesicht. Achselhaare gibt es scheinbar durchaus noch bei amerikanischen Männern, in Deutschland läuft kein Mann unter 25 noch mit sowas rum.

Aber zurück zur Sprache: Während die Normalos schon lange „Scheiße“ und „geil“ sagten, konnte Helmut Schmidt vor ca zehn Jahren noch richtig schocken, als er, der geachtete ehemalige Bundeskanzler, öffentlich im Fernsehen den Weltkrieg „diese ganze Scheiße“ nannte.
Ich saß mit aufgerissenen Mund vor der Glotze, als ich ihn das erste Mal dieses Wort benutzen hörte.
Als Politiker, zumindest als (ehemaliger) Amtsträger verwendet man eine gewähltere Sprache.

Mir scheint, bzw schien diese politische Sprachkorrektheit in den USA besonders ausgeprägt.
Öffentlich das „N-Wort“ zu benutzen, geht nicht.
In dem Punkt sind die Deutschen übrigens gleich.
Als der bayerische Innenminister Herrmann in der ARD verkündete Roberto Blanco sei doch immer „ein wunderbarer Neger“ gewesen, schlackerten den meisten die Ohren.
Und ja, ich bin für diese Tabus.
Dazu gehört auch, daß ich keine Hitlerwitze reiße und öffentlich keine NS-Vergleiche anstelle.

In Amerika bröckeln diese Tabus offenbar.
Zumindest bei den wahnsinnigen Republikanern, bzw „repukelicans“.
Der grölende Prolet Trump unterbietet alles bisher Dagewesene.


Der Schlagabtausch der US-Republikaner erreicht neue Tiefen. Es ist unfassbar, wie ungesittet, mit welcher Härte Marco Rubio und Donald Trump aufeinander losgehen. Kann der Wahlkampf überhaupt wieder ins Lot kommen?
Am Ende dieses verrückten, wilden Tages steht Donald Trump auf einer Bühne in Fort Worth in Texas und weiß, dass er es wieder einmal allen gezeigt hat. Dem Land, der Partei, sich selbst. Trump fühlt sich unantastbar. Und ungeheuer gut.
Mitt Romney, der Ex-Präsidentschaftskandidat? "Läuft wie ein Pinguin", ruft Trump seinen Leuten zu: "Selbst wenn er mir seine Unterstützung anbieten würde, ich würde sie nicht nehmen." Jubel.
Marco Rubio, sein ärgster Rivale? "Ein Baby. Ein schrecklicher Typ", ruft Trump. Und wie Rubio schwitzt! "Ihr solltet ihn mal im Backstage-Bereich sehen. Er musste sich gestern mit der Kelle das Make-up draufmachen." Lacher.
Trump wedelt mit einer Plastikflasche, er schwenkt sie einmal nach links, einmal nach rechts, dann öffnet er sie. "Das ist Rubio!", schreit er seinen Fans zu, gießt die Hälfte der Flasche auf den Boden, spritzt die andere Hälfte durch die Luft, wirft die Flasche schließlich einfach hinter sich. Dann schneidet er Grimassen. Das Publikum kreischt, seine Fans sind außer sich.
Ja, was will man sagen? Es ist ja auch alles zum Kreischen gerade in diesem Wahlkampf. Die Geschwindigkeit. Die Szenen. Die Tonlage. Manchmal fragt man sich, was das alles eigentlich noch mit Politik zu tun hat, aber dann denkt man: Richtig, wir sind ja in den USA. Da ist eben alles etwas anders als bei unseren Merkels und Steinmeiers. Ist ein Stück weit normal hier. Oder? "Es ist unglaublich, gerade jetzt leben zu dürfen", schreibt eine langjährige US-Reporterin, und dann weiß man, dass das, was aufseiten der Republikaner gerade passiert, dieser Kampf um die Zukunft des Konservatismus in den USA, auch für Amerikaner etwas Surreales hat. […]

Es überrascht nicht sehr, daß Trumps proletige und überhebliche Denkstrukturen auch auf seine gesamte Familie übergegriffen haben.
Sohn Eric, 32, ein phänotypisch extrem abstoßender Spross bezeichnete Waterboarding als etwas harmloses, das man in jeder Studentenverbindung erlebe.






Don Trump, 38, macht derweil in Rassismus.

Don Trump Jr. said he would happily pay for some of his father’s black critics to leave the United States.
The Republican presidential candidate’s son appeared Monday morning with his brother, Eric Trump, on “Fox and Friends” to discuss the “Super Tuesday” primary elections and the concerted attacks on their father by his GOP rivals.
“You know, it’s sad to see,” Eric Trump said of the attacks. “We love our father. He’s an amazing guy — he would do such an unbelievable job for this country. He’s an amazing businessman, he’s an amazing negotiator. He’s funding himself, right?” [….] Fox News showed video clips of Whoopi Goldberg, Al Sharpton and Raven-Symoné — all of whom are black — vowing to move to another country if Trump or another Republican won.
“I’ll buy them their airfare,” Trump Jr. said, laughing. “I’m more than happy to chip in.”

Gemeinsam gehen die beiden Brüder der Herzen übrigens als Großwildjäger in Afrika auf die Pirsch und knallen alles ab, was ihnen vor die Flinte kommt.






Wie wird das eigentlich, wenn der Serienlügner Trump, der als erster Bewerber ungeniert vor sich hin flucht US-Präsident wäre?




Sonntag, 28. Februar 2016

AfD-Enthaltsamkeit.




Heute bekam Beatrix von Storch eine Torte ins Gesicht und postete wie ihr amerikanischer feuchter Traum Trump sofort empört einen Tweet mit Rechtschreibfehlern. Torte geschweißt?
Man weiß ja, sie rutscht immer mal mit der Maus ab.


Klar, jetzt glühen die Drähte der sozialen Netzwerke.
Was für eine Vorlage.









Auch wenn man wie ich jegliche physische Gewalt ablehnt, kann man ein gewisses Amüsement nicht unterdrücken.
Die Storch ist einfach zu unsympathisch, als daß man seine Schadenfreude unterdrücken könnte.

Allerdings stellt sich wieder einmal auch die Frage „dreht sich eigentlich alles nur noch um die AfD?“

Es ist schon unheimlich wie drei Landtagswahlen nur noch ein Thema kennen.
Alle Parteien fürchten sich so sehr vor ein paar unsäglichen Salon-Nazis, daß sie ihre gesamte Agenda vergessen und in vorauseilendem Gehorsam xenophob palavern, um vermuteten potentiellen AfD-Wählern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Um es mal überspitzt auszudrücken:
Ich hätte lieber 15% statt 10% AfD im Landtag X, wenn dafür die anderen 85% der Parteien keine AfD-Politik machten.
Was nützt mir eine auf 9 oder 10% heruntergedrückte AfD, wenn dafür die 90% der anderen auch wie AfD klingen?

Die Bundestagsfraktion der SPD hat bis auf 20 Abgeordnete einem „Asylpaket II“ zugestimmt, welches kaum mit den UN-Menschenrechten zu vereinbaren ist und daher von der UN überprüft werden wird.

Crazy Horst kuschelt mit Orban und Putin, redet wie die NPD und will als CSU-Chef die eigene Bundesregierung verklagen, die er in die Nähe eines „Unrechtsstaates“ rückt.

Die CDU-Wahlkämpfer in BW, SA und RLP stehen dem kaum nach und versuchen sich auch in AfD-Mimikry.
Burka-Klöckner kuschelt öffentlich mit Seehofer und setzt sich weit rechts von Merkel ab.

Wie die PR-Maschine Trump der als self-fulfilling prophecy omnipräsent ist, wird auch die AfD-Xenophobie öffentlich so extrem gepusht, daß es gar keine anderen Themen mehr zu geben scheint.
Dabei ist doch die vorgebliche Überforderungen der Deutschen offensichtlich weit übertrieben. Die meisten Gemeinden kommen gut mit den Flüchtlingen zu Recht, es gibt immer noch große Hilfsbereitschaft.

Die AfD lebte trotz 100 ARD- und ZDF-Talkshows zum Thema „HILFE, die Ausländer überrollen uns!“ von dem Mythos, sie traue sich als einzige die Stimmung des Volkes ausdrücken.

Ich denke, es wird eher umgekehrt ein Schuh draus.
AfD, PEGIDA und CSU haben große Teile der Bundestagsparteien und der Presse thematisch gekapert und sprechen nur noch über ein Thema, das möglicherweise eben nicht so eins wäre, wenn nicht ein mediales Dauerfeuer auf die niederen Instinkte der Bundesbürgerlichen herrschte.

Wir sollten das Thema deutlich niedriger hängen und nicht mehr so viel über die AfD sprechen. Sie soll nicht tabuisiert werden, aber eine 10%-Partei muß nicht 90% der Presseberichte dominieren.

There's no such thing as bad publicity except your own obituary.
(Brendan Behan)

Statt also wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen vor den Höckes, Storchs, Petrys und Gaulands herumzugackern, wäre es ganz schön, wenn sich CDU, SPD, Linke und Grüne auf echte Sacharbeite beschränkten.
(5 Euro ins Phrasenschwein; ich weiß. Aber trotzdem.)

[…] Was ist denn geschehen in diesen panischen, planlosen, populistischen, verlorenen sechs Monaten - außer dem Dauertremolo von sichern, verschärfen, begrenzen? Wo ist der Ansatz, diesen Einschnitt in der europäischen Geschichte zu nutzen - und besser, stärker, klüger daraus hervorzugehen?
Es waren sechs Monate, in denen man eine gesellschaftliche und diskursive Abwärtsspirale beobachten konnte, ohne Ideen, die die Politik mit starker Stimme in das große Gespräch eingebracht hätte, das die Demokratie ist.
Was ist zum Beispiel mit dem neuen, modernen Einwanderungsgesetz?
Und warum sind natürlich ausgerechnet die dagegen, die, wie in der vergangenen Woche wieder, das Asylrecht einschränken, mit der Begründung, es sei schließlich kein Einwanderungsgesetz?
Also: keine Ideen, keine Initiativen, die im großkoalitionären Deutschland durchdringen. Stattdessen, wie ein Mantra, das immer und immer wiederholt wird, als wäre es schon die Antwort auf alle Fragen: Nur Festungen außen und Festungen innen. Aber Kapitalismus plus Angst ist gleich Autoritarismus. Das sieht man bei Donald Trump. Das sieht man auch bei Viktor Orbán. […]

Samstag, 27. Februar 2016

Man sieht sich immer zweimal im Leben - Teil II

So wie Rechte eher egoistisch und national denken, agieren Linke solidarischer und internationaler.

Was passiert, wenn lauter Rechte international zusammenarbeiten müssen erleben wir gerade bei dem Stück, welches Sebastian Kurz (ÖVP), Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), David Cameron (Conservative Party), Viktor Orbán (Fidesz) und Beata Szydło (PiS) aufführen:
Nach uns die Sintflut. Lieber reißen wir alles in den Abgrund, als daß wir jemand den kleinen Finger reichen.
Mit diesen Typen an der Spitze reißt sich die EU ihre ohnehin winzigen Hoden ganz aus dem Körper.

Europa verschanzt sich hinter Stacheldraht und Volksabstimmungen. Die Anti-Flüchtlingskoalition, allen voran Ungarn und Österreich, zeigen Merkel und Juncker, wie skrupellose Flüchtlingspolitik aussieht. Eine solche EU braucht niemand.
[….] Wenn die EU nicht nach unserer Pfeife tanzt, dann veranstalten wir eben ein Referendum und lassen das europamüde Volk sprechen - so lautet die neue Devise. Nicht nur in Großbritannien, sondern jetzt auch in Ungarn.
[….] Macht Orbans Beispiel Schule, dann wird über die Flüchtlingspolitik der EU nicht mehr bei Gipfeltreffen in Brüssel entschieden, sondern durch populistische nationalstaatliche Referenden. Und durch eine neue Koalition der Aufnahmeunwilligen, an deren Spitze Österreich und die Länder der Balkanroute stehen.
Bei ihrem heutigen putschartigen Treffen haben sie die beiden wichtigen Flüchtlingsaufnahmeländer Griechenland und Deutschland ebenso gezielt ausgeschlossen wie das Spitzenpersonal der EU-Kommission. Die Anti-Flüchtlingskoalition, und allen voran Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, will der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker demonstrieren, wie skrupellos-entschlossenes Handeln in der Flüchtlingsfrage aussieht.
[….] Griechenland wird zum gigantischen Flüchtlingshotspot Europas. Die humanitäre Katastrophe ist programmiert. Und der Rest der Europäischen Union verschanzt sich hinter Volksabstimmungen und Stacheldraht. [….]  Die EU-Gegner von London bis Budapest können sich ihre nationalistischen Hände reiben: Eine solche Union braucht niemand.

Und in der Tat, nach diesem Drehbuch bekommt Griechenland eindeutig den Schwarzen Peter zugeschoben – wieder einmal.

 [….] Griechenland bekommt auf einmal zu spüren, was es heißt, Flüchtlinge tatsächlich aufzunehmen. Das bedeutet noch eine Krise im geschundenen Krisenstaat Griechenland. Eine humanitäre Katastrophe bahnt sich an.
[….] Österreich und die Balkanländer haben sich gegen Athen verschworen, Mazedonien hat die Grenze fast komplett dichtgemacht. Am Grenzübergang in Idomeni können nur noch einige Hundert Glückliche am Tag passieren. Afghanen verweigert Mazedonien die Einreise. Auch Syrer und Iraker ohne gültige Papiere sitzen fest. [….]
Vergangenes Jahr haben nur 14 368 Migranten Asyl in Griechenland beantragt. Es hat sich bis zu den Verzweifelten herumgesprochen, dass es kaum ein ungeeigneteres Ziel gibt, wenn man in dieser Krise Sicherheit sucht. Griechenland hat genug Probleme mit sich selbst. [….] In der Flüchtlingskrise haben die Griechen den Eindruck, Europa habe sie schon fallen gelassen. Absprachen wie jene, keineswegs im Alleingang Grenzen zu schließen, werden ignoriert.
"Verträge sind einzuhalten. Wir können nicht vergessen, wie das andauernd wiederholt wurde. Aber das gilt nicht für alle", empört sich Premier Alexis Tsipras. Sein Land könne nicht zu Europas Warenhaus für Flüchtlinge werden. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ist in Griechenland nicht mehr willkommen. [….]
Aber das Land steht vor einer Zerreißprobe: Griechenland soll weitere 1,8 Milliarden Euro einsparen. Das bedeutet Aufruhr. Tsipras bittet nun ausgerechnet die Frau um Hilfe, die Griechenlands Probleme jüngst aus den Augen verloren hatte: Angela Merkel. [….]

Im Gegensatz zu Griechenland hat Deutschland volle Kassen.
 I8 Milliarden Euro Überschuss haben Bund und Länder 2015 erwirtschaftet.
Im Gegensatz zu Griechenland braucht Deutschland unbedingt Zuwanderung. 500.000 Menschen müssen Studien zu Folge jährlich einwandern, wenn Merkels Bürger dauerhaft ihren Lebensstandard halten wollen.
Im Gegensatz zu Griechenland sind die allermeisten Kommunen in Deutschland auch keineswegs überfordert mit den Flüchtlingen.

Deutschlands Regierung unternimmt nur deswegen radikale und restriktive Maßnahmen gegen flüchtende Menschen, weil alle vorm braunen Osten und der wachsenden AfD zittern.

Natürlich wäre es schön, wenn es nun einen EU-Solidarmechanismus gäbe, der dazu führte kurzfristigen Lasten einigermaßen gerecht zu verteilen.

Wir brauchen aber nicht die arme Merkel zu bedauern, die so schmählich im Stich gelassen wird von ihren EU-Kollegen.

In Wahrheit bekommt Merkel nur die Quittung dafür, daß sie als Rechte zehn Jahre lang selbst unsolidarisch in der EU aufgetreten war und nur für Deutschland günstige Lösungen durchdrückte.

Seit dem März 2003 ist die „Dublin-II-Übereinkunft“ in Kraft.
Es regelt die Zuständigkeit für Asylverfahren in der EU und besagt, daß der Mitgliedsstaat das Asylverfahren durchführen muss, der die Einreise eines Asylbewerbers erlaubt oder nicht aktiv verhindert hat.
Ein maßgeschneidertes Verfahren für das dicke reiche Deutschland, welches in der Mitte sitzt und keine südliche oder östlichen EU-Außengrenzen hat.
Durch die gesamte Kanzlerschaft Merkels zogen sich Klagen der „Frontstaaten“ Italien, Spanien und Griechenland, die es wenig überraschenderweise ungerecht fanden die gesamten „Migrationslasten“ de facto allein zu stemmen.
Merkels Innenminister Schäuble, de Maizière und Friedrich zeigten sich aber gnadenlos und waren zu keiner solidarischen Geste bereit.

Nachdem sich „das Problem“ dieses Jahr de facto umgekehrt hat, weil die Außenstaaten so überfordert waren, daß sie die Menschen unter Umgehung des Dublin-Verfahrens durchwinken mußten, ist es nun Deutschland, welches die anderen EU-Staaten um Hilfe und Solidarität bittet.
Nachdem diese Länder aber zehn Jahre in genau dieser Frage von Merkel vor den Kopf gestoßen wurden, lassen sie unfreundlicherweise, aber verständlicherweise diesmal Deutschland im Regen stehen.

Ähnlich rigoros antieuropäisch und antisolidarisch ging Merkel bei „Big Data“, der „Southstream-Pipeline“, den CO2-Abgasregeln oder auch der Russland-Politik vor.

Es hat schon seinen Grund, daß alle drei Vorgänger-Kanzler unisono beweinten Merkel habe kein Herz für Europa.
Ausgerechnet ihr Parteifreund und Mentor Helmut Kohl ging vor viereinhalb Jahren am weitesten, beklagte, Merkel mache die Europa „kaputt“ mit ihrer Rücksichtslosigkeit gegenüber der EU.

Helmut Kohl hat für Merkels Linie offenbar gar nichts übrig.
Nach Informationen des SPIEGEL hat Kohl die Europapolitik der CDU-Chefin scharf kritisiert. Ein Weggefährte, der den Altkanzler in letzter Zeit besucht hat, berichtet, Kohl halte Merkels Europapolitik für "sehr gefährlich". Kohl habe gesagt: "Die macht mir mein Europa kaputt", zitiert ein Vertrauter den Altkanzler.

Bei den beiden größten internationalen Krisen – der Syrienkrise und der Flüchtlingskrise braucht Merkel einerseits Russland und die Türkei und anderseits die großen Player der EU, also England und Frankreich, an ihrer Seite.

Mit allen vier genannten Staaten ist die Stimmung aber hauptsächlich durch Merkels Schuld eisig.
Putin und Erdogan hätten sich niemals zu der Art Quasidiktatoren entwickelt, wenn Merkel die ausgezeichneten Beziehungen zu den beiden Ländern im Jahr 2005 weiter entwickelt hätte, dafür gesorgt hätte, daß die Türkei in die EU aufgenommen wird und auch Russland fest an Europa assoziiert hätte, statt es durch schädlichen Einfluss in der Ukraine vor den Kopf zu stoßen.
Der Türkei hatte man Jahrzehnte versprochen in die EU zu kommen und so hatte sich die Regierung in Ankara dafür wirklich gestreckt.
Bis dann Merkel kam und Erdogan unvermittelt in die Eier trat. Nichts da EU, höchstens privilegierte Partnerschaft.
Da waren die türkischen Reformen allerdings so weit gediegen, daß sich das Land auch ohne die EU ökonomisch raketenartig entwickelte. Und Erdogan schmollte – zu Recht.
Wenn nicht mit der EU, dann eben gegen die EU, so seine Devise offenbar.
Ähnliches ging in Moskau vor.
Zudem ist Merkel die erste Kanzlerin seit den Tagen General de Gaulles, die einfach kein Verhältnis zu Frankreich findet.

Einfach erbärmlich, wenn man daran denkt wie ausgezeichnet und persönlich eng freundschaftlich sich die deutsch-französischen und die deutsch-russischen Beziehungen unter Schröder entwickelten hatten.
Die Regierungen arbeiteten so eng zusammen, daß sie international an einem Strang zogen.
Merkel ließ das alles sein, interessierte sich nicht, engagierte sich nicht.
Deutschland war ja auch allein stark und der einzige, den sie wirklich liebte, war George W. Bush, an den sie sich demonstrativ herankuschelte.

In der Finanzkrise verschärften sich die Friktionen gegenüber London und Paris weiter, weil Merkel und insbesondere ab 2009 Wolfgang Schäuble erratisch-besserwisserisch in Brüssel auftraten.
Schäuble wird inzwischen in den anderen Hauptstädten regelrecht gehasst.
Die südeuropäischen Länder sind mehr als verschnupft.

2015 braucht Deutschland mal Solidarität.
Unvernünftigerweise, aber sehr verständlicherweise bekommt es sie aber nicht. Nicht mehr.