Donnerstag, 12. November 2015

Besserwisserei



Der Manichäismus ist die vom persischen Religionsstifter Mani (* 14. April 216 in Mardīnū; † 14. Februar 276 oder 26. Februar 277 in Gundischapur) inspirierte dualistische Weltreligion.
Mani stammte aus frühchristlichen Kreisen und hatte einige göttliche Offenbarungen, nach denen er die bereits bestehenden Religionen als einen Kampf zwischen Gott und Teufel, Gut und Böse, Licht und Finsternis weiterentwickelte.
Manis Lehren überzeugten; er wurde von den Königen seiner Zeit gefördert, schuf eine streng hierarchische Kirche und verbreitete seinen Glauben.
Schließlich fiel er aber in die Hände von Priestern des Zarathustrismus und starb im Kerker.

Mani empfand es als falsch, daß seine Religionsstifterkollegen Vorgänger Buddha, Zarathustra und Jesus nicht selbst Bücher mit ihren Lehren verfassten, so daß man sich auf sehr unterschiedlich interpretierte mündliche Überlieferungen stützen mußte.
Daher legte er alles schriftlich nieder und verfasste sieben außerordentlich prächtig und kunstvoll gestaltete heilige Schriften, von denen heute leider nur Fragmente erhalten sind:
„Das lebendige Evangelium“, „Der Schatz des Lebens“, „Pragmateia“, „Das Buch der Mysterien“, „Das Buch der Giganten“, „Briefe“ und eine Sammlung von Psalmen und Gebeten.
Manis Lehren waren sehr komplex und wurden von ihm nachfolgenden Christen systematisch diskreditiert.
Kirchen bezeichneten ihn wahlweise als Sklaven, Kannibalen und Leichenschänder, der Zauberei praktizierte und daher auf Befehl Gottes von einem Engel getötet worden sei.

„Manichäisch“ kennen wir heute eher als Adjektiv, welches eine schwarz-weiß-Sicht auf die Welt bezeichnet.

Das beste Beispiel für einen Manichäer heutiger Auffassung ist George W. Bush, der sich von den Geheimdiensten eine seiner eingeschränkten Weltsicht entsprechende „Realität“ erschaffen ließ. Schon am Abend des 11. Septembers 2001 wies er die CIA an Beweise für die Urheberschaft Saddam Husseins zu beschaffen.
Die Schlapphüte, die ihm erklären, das entspräche nun einmal nicht den Fakten wurden entlassen. Man „schuf Fakten“, die dann schließlich in der legendären UN-Sicherheitsratssitzung vom 05. Februar 2003 präsentiert wurden.
Washington verfuhr streng nach der Maxime „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ und Gegner wurden gestraft oder ignoriert.
Niemals aber akzeptiert und schon gar nicht wurden ihre Argumente zur Kenntnis genommen.
Schröder wurde zur persona non grata in der USA und so erging es auch allen anderen, die es wagten an Bushs „Wahrheit“ der Urheberschaft Saddams für den WTC-Anschlag und Iraks gewaltige Massenvernichtungswaffenlager zu zweifeln.

Manichäismus in diesem Sinne ist auch nach GWB noch weit verbreitet. Barack Obama mag Putin nicht und redet daher nicht mit ihm.
Und auch in Europa gilt zunehmend, daß der eigenen Agenda widersprechende Perspektiven ausgeblendet werden.
Russische Politiker werden einfach von Gipfeltreffen ausgeladen, ignoriert. Es gilt einzig und allein die Sicht der faschistoiden Regierung in Kiew.
Ähnlich verhält es sich mit Assad oder Rohani. Sie werden geschnitten.
Amerika ist grundsätzlich auf der Seite Netanjahus, des Saudischen Königshauses und as-Sisis.

Es gibt auch eine manichäische Sichtweise des Islams, der in vielen Medien als prinzipiell schlecht dargestellt wird – im diametralen Gegensatz zum prinzipiell guten Christentum, auf dessen angebliche Werte man immer wieder begeistert schwört. Schon das Wort „christlich“ wird extrem positiv konnotiert; Grausamkeiten bezeichnet man automatisch als „unchristliches Verhalten“.
Die Apotheose des selbstlosen guten Menschen bildet in der westlichen Welt „Mutter Teresa“, die schon in den Sprichwort-Schatz eingegangen ist.

Linke in Deutschland pflegen ihren eigenen manichäischen Kodex.
So sieht man in alternativen Stadtvierteln immer wieder „Free Tibet“-Flaggen. Der Friedensnobelpreisträger Dalai Lama wird weltweit verehrt, während die Bösen wegen der Okkupation Tibets eindeutig die Chinesen sind.
Eine andere Sichtweise, die der grausamen Mönchsherrschaft unter dem Dalai Lama mit allgemeiner Leibeigenschaft und schweren Verstümmelungsstrafen eine Befreiung durch die Chinesen entgegensetzt, passt nicht in unser manichäisches Narrativ.
Für Linke sind immer die Chinesen die Bösen, basta.
Man empörte sich darüber, daß Außenminister Klaus Kinkel den vom Dalai Lama offerierten weißen Schal verweigerte und springt vor Zorn im Dreieck, wenn der ausgewiesene China-Experte Helmut Schmidt die westliche Sichtweise der Vorgänge am Tian’anmen-Platz von 1989 bezweifelt.
Man weiß es ja schließlich alles besser als jemand, der das Land immer wieder ausführliche bereiste und engste Kontakte pflegt.
Daß Schmidt überhaupt Kontakte zu chinesischen Regierungsstellen hat, wird ihm bereits übel genommen.
Linke verhalten sich da manchmal nicht anders als GWB: Man spricht nur mit denen, welche die eigene Meinung voll unterstützen.
Ein CDU-Mitglied, ein Unternehmer oder ein Bischof muß ein schlechter Mensch sein und auch prinzipiell Unrecht haben.

Ich werde vermutlich nie emotional nachvollziehen können, wieso man sich für Kirche oder CDU engagiert.
Das bedeutet aber noch lange nicht, daß jeder CDU-Wähler, jeder Christ, jeder Chinese, jeder Iraner oder jeder Russe doof ist.
Es gibt sogar nette Amerikaner.
Möglicherweise sogar sympathische Sachsen.

Die große Gefahr des Internets 2015 liegt im Schaffen inzestuöser Informationsblasen. Man liest und hört nur noch das, was man selbst auch denkt, hält sich dadurch schnell für die Majorität und geringschätzt alles andere.
Das ist digitaler Manichäismus.

Auf Facebook gibt es immer mehr Postings des Wortlautes „Hiermit entfreunde ich alle User, die mit xy befreundet sind.“
Das ist die zweite Stufe des manichäisch-beschränkten Denkens: Ich will nicht nur mit keinen Menschen befreundet sein, die andere Meinungen haben, sondern meine Freunde dürfen noch nicht einmal jemand kennen, der anders denkt.
Daran hätte George W. seine wahre Freude.

In der Realität sind Freundschaften wesentlich komplexer, weil „Chemie“, „Pheromone“, „Gefühle“, „Erotik“, Dankbarkeit, Vertrautheit und vieles andere mehr eine Rolle spielen.
Es gibt offensichtlich sogar Fälle von Liebe oder körperlicher Anziehung unter zwei Menschen, die sich gar nicht mögen.
Freundschaften auf Abziehbilder seiner selbst beschränken zu können, ist eine fatal-manichäische Sackgasse der menschlichen Entwicklung.

Und so komme ich noch einmal auf Helmut Schmidt und seinen Freund Henry Kissinger, der über ihn sagte:

Ein, wie ich finde sehr respektvolles Lob, in dem aber auch geradezu ein Liebesbeweis steckt.
Einige linke Deppen wenden das nun gegen Schmidt und verurteilen ihn, so einen Freund gehabt zu haben.

Nun, Helmut Schmidt wollte keine Menschen um sich haben, die ihm nur zunickten. Er war stets neugierig und im Gegensatz zu vielen früh gealterten in einem kontinuierlichen Prozess des Weiterbildens befindlich.

Bis vor ein paar Jahren ging ihm leicht der schneidende Satz über die Lippen: "Der ist noch nicht erwachsen." Und darin war – wie so oft, wenn man sich über ein Verdikt besonders ärgert – auch ein Quäntchen Wahrheit enthalten. Oder er sagte: "Das können Sie nicht beurteilen, Sie haben das alles nicht erlebt", und meinte damit vor allem Krieg und Zerstörung. Einmal sagte ich: "Ja, und ich bin froh, dass ich das nicht erlebt habe, ich glaube, man kann auch anders erwachsen werden." Er hat diesen Satz dann nicht wieder verwendet. Man konnte ihm nämlich sehr wohl widersprechen – ohne dass er es übel nahm –, auch das unterschied ihn von den meisten Politikern (und Journalisten). Wer vor ihm Angst hatte und darum besonders servil auftrat, den konnte er auf eine Weise auflaufen lassen, dass man im Boden versinken wollte.

Helmut Schmidt ist doof, weil er Kissinger mochte?
Welch dumme und heftige Pauschalisierung!
Schmidt lernte Kissinger vor annähernd 70 Jahren in Harvard kennen.
Damals lag Deutschland im Trümmern und Agonie.

"Helmut Schmidt und ich trafen uns in den 50er-Jahren, als Deutschland verwüstet und isoliert war. In all den Jahrzehnten seitdem repräsentierte er für mich ein Deutschland von historischen Werten, das sich den Hauptaufgaben unserer Zeit widmete, das ein tiefes Verhältnis mit Amerika verband, aber über diese politischen Beziehungen hinaus für Freiheit und Menschenwürde stand. Und Helmut war ein Vorbild und die Welt wird ihn vermissen."

Wir würden vermutlich noch in Erdlöchern hausen, wenn die Amerikaner damals nicht großzügig den Marshallplan entwickelt hätten.
Den Deutschen wurden damals übrigens auch die Schulden erlassen.
Ein Großzügigkeit, die Deutschland später gegenüber Griechenland nie zeigte.
(Griechenland zettelte bekanntlich keinen Weltkrieg und Holocaust an.)

Natürlich war Schmidt in den 50er Jahren von der liberalen amerikanischen Großzügigkeit und der im Vergleich zu Deutschland FREIHEITLICHEN und DEMOKRATISCHEN Gesinnung beeindruckt. Insbesondere, wenn sie auch noch von einem jungen deutschstämmigen jüdischen Historiker, nämlich Henry Kissinger kam.
Daraus entwickelte sich eine 70-Jährige Freundschaft, von der Deutschland später auch sehr profitiert hat, indem sie dem Bundeskanzler Schmidt einen direkten Draht in die US-Administration ermöglichte.

Daß man sich zwischen dem Alter von 20 Jahren bis zu 95 Jahren politisch weiter entwickelt ist für intelligente Menschen selbstverständlich.
Helmut Schmidt wurde bekanntlich immer amerikakritischer.
Amerika hat sich aber in der Zeit auch entwickelt.
Und selbstverständlich entwickelte sich auch Henry Kissinger weiter von dem Pragmatiker, der den Vietnamkrieg beendete zum Falken.

Ich finde es beeindruckend, daß die beiden dennoch trotz all der Widrigkeiten den engen Kontakt hielten.
 Kissinger war Loki und Helmut ein treuer, persönlicher Freund.
Was genau sie aneinander persönlich schätzten und worüber sie privat redeten, wissen wir nicht und müssen wir auch nicht wissen.

Ich weiß aber, daß es eine absurde Vorstellung von Freundschaft ist, daß man immer einer Meinung sein müsse und sich von jemand trennt, wenn man politisch nicht mehr auf einer Linie liegt.
Das weiß man immerhin sehr genau von Helmut Schmidt: Er konnte Servilität nicht ausstehen, schätze und akzeptierte Widerspruch und war sogar ganz besonders an entgegengesetzten Meinungen interessiert.

Darin unterschied er sich fundamental von seinem Nachfolger, der nur Ja-Sager um sich duldete.