Sonntag, 27. September 2015

Der Wert der Ehe an sich


In Hamburg werden 50% der Wohnungen von Singles okkupiert.
So ein typischer Häuserblock, wie der in dem ich hause – zentral gelegen, aber die Wohnungen haben maximal drei Zimmer -  beinhaltet sogar ausschließlich Singles. Wer sich paart und/oder vermehrt zieht üblicherweise weiter an den Rand von Hamburg, wo man sich mehr Quadratmeter und/oder Gärten dazu leisten kann. Diejenigen, die trotz beschränktester finanzieller Mittel Leibesfrüchte produzieren, können es sich ohnehin nicht leisten so zentral zu wohnen. Dafür gibt es die Problemstadtteile Neuwiedenthal, Steilshoop, Billstedt und so weiter.
Ich denke, die Verhältnisse sind in den anderen deutschen Großstädten entsprechend.
Untersuchungen zeigen, daß der Wohnraum jetzt nicht nur deswegen so knapp ist, weil zu wenige Sozialwohnungen gebaut wurden, sondern weil wir so wohlhabend sind, daß wir pro Person sehr viel mehr Quadratmeter beanspruchen.

Laut Statistischem Bundesamt verfügten die Deutschen 2010 im Durchschnitt über 42,8 Quadratmeter und 2,2 Wohnräume. Unterversorgung herrscht dort, wo weniger als ein Zimmer pro Kopf zur Verfügung steht. Dies ist nur noch in 3,5 Prozent der Haushalte der Fall, oft bei Paaren mit Kindern bis 16 Jahren.
Seit 1965 hat sich die Wohnfläche pro Kopf verdoppelt. Dabei verfügen ältere Menschen über mehr Raum als junge (abgesehen von Altersheim-Bewohnern mit oft kleinen Zimmern), Eigenheimbesitzer und Landbewohner dagegen über mehr als Großstädter. Die durchschnittliche Wohnfläche für einen Hamburger lag 2010 laut Statistikamt Nord bei 37 Quadratmetern, laut Statistischem Bundesamt bei 36,2 Quadratmetern. [...]  Den wenigsten Platz pro Kopf hat man in Billbrook (25,2 m²) und auf der Veddel (25,4 m²), am anderen Ende der Messlatte liegen die HafenCity (80,9 m²) und Wohldorf-Ohlstedt (57,4 m²).

Offensichtlich strebt der Mensch des 20. und 21. Jahrhunderts danach sich auszubreiten und unabhängig zu machen.

Eine Menge Ratgeberbücher unterscheiden sorgfältig zwischen „Alleinsein“ (=gut) und „Einsamkeit“ (=schlecht).

Diesen Trend bestätigen auch Spanien, die USA und Griechenland, wo aufgrund der gewaltigen Wirtschaftskrise viele Menschen dazu gezwungen werden ihre zu teuer gewordenen Häuser/Wohnungen aufzugeben und zurück zu den Eltern zu ziehen:
Solange es ihnen finanziell möglich war, bevorzugten sie offenbar eine räumliche Trennung. Erst durch Armut gezwungen, bilden sich wieder die alten Familienverbände.
Ähnlich wie Religiosität, korrelieren Kinder und Ehe mit Bildung und Wohlstand.
Je gebildeter die Menschen, desto kirchenferner. Je besser die Karriere läuft, desto weniger Kinder.
Ursula von der Leyen ist mir ihren sieben Kindern nur scheinbar eine Ausnahme. Sie gehört zu den Frauen, die sich mehrere Kinder UND Promotion leisten können, weil sie von Haus aus schwerreich ist.
Mit genügend Personal – von der Putzfrau über Gärtner, das Kindermädchen bis zum Therapeuten – kann man auch überdurchschnittlich viele Kinder „bewältigen“.
Aber um in dem Bild zu bleiben: Wenn man wie von der Leyens Kommilitonen „nur“ das Medizinstudium hat und (zumindest anfangs) von einem sehr mäßigen Assistenzarztgehalt im Krankenhaus leben muß, kann man damit natürlich nicht sieben Kinder durchbringen. Dafür bietet Deutschland keine Strukturen.
Die Folge ist, daß wir in Deutschland zwar nicht unbedingt zu wenig Kinder haben, daß aber ökonomisch betrachtet die falschen Leute Kinder bekommen.
Die erfolgreichen Akademikerinnen über 40 Jahre, die Kindern perfekte Voraussetzungen bieten könnten, sind zu über 50% kinderlos, während in prekären Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit und HartzIV als Haupteinnahmequelle fast alle Frauen mit 40 mindestens ein Kind haben.

Thirty-somethings halten die Berufswelt für zu fordernd und komplex, um sich Partner und Kinder überhaupt zeitlich leisten zu können.
Man optimiere sich kontinuierlich selbst, meint der Autor und Blogger Michael Nast, da passten stetigere Lebensentwürfe nicht dazu.
   
[…..]  Man muss dazu sagen, was der Begriff „Job“ heutzutage eigentlich bedeutet. Die Generation unserer Eltern hatte einen Beruf UND ein Leben. Es gab eine Trennung. Nach der Arbeit pflegten sie ihr Privatleben. Heute ist das verschmolzen. Ein Job ist heutzutage mehr als nur ein Job, ein Beruf hat den Anspruch einer Berufung.
[…..] Arbeit gilt als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, der eigenen Wünsche und Träume. Man trennt nicht mehr zwischen Arbeit und Leben. Wenn man seine Träume verwirklicht, empfindet man seine Arbeit nicht als Arbeit, sondern als Leidenschaft. Man unterscheidet nicht mehr zwischen Arbeit und Privatleben, sie sind miteinander verwoben. Die Grenze löst sich auf, auch durch unsere ständige Erreichbarkeit. Mit unseren Smartphones haben wir das Büro ja praktisch immer dabei. Der Mittelpunkt des Lebens sich hat auf den beruflichen Erfolg verlagert, ganz unbemerkt.
[…..] Die Beziehungs- und Bindungsunfähigkeit, von der heutzutage so viel geredet wird, ist nichts anderes als das Streben nach universeller Selbstverwirklichung, nach vermeintlicher Perfektion. Man weiß einfach, dass es irgendwo noch jemanden gibt, der besser zu einem passt, der das eigene Leben sinnvoller ergänzt. […..]

Das ist jetzt der Zeitpunkt, an dem Kulturpessimisten anfangen zu weinen.

Deutschland stirbt aus.
Die Menschen werden immer bindungsloser.
Niemand will mehr Verantwortung übernehmen.
Viel zu viele Ehen scheitern.

Geradezu zwanghaft käuen Politiker altbackene Begriffe aus dem Familienverständnis der 1950er Jahre wieder.

Man merkt es auch beim Thema gleichgeschlechtliche Ehe, das wieder einmal hochkocht.

Der Bundesrat will die Ehe für alle. Die rot-grün dominierte Länderkammer hat für eine völlige Gleichstellung der Homo-Partnerschaften gestimmt. Jetzt ist der Bundestag am Zug - doch die Union sträubt sich.
Weite Teile von CDU und CSU wehren sich noch gegen eine Öffnung der Homo-Ehe - jetzt hat der Bundesrat den Druck auf die Union erhöht. Die rot-grün dominierte Länderkammer beschloss am Freitag einen Gesetzesentwurf, nachdem künftig mit gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften dieselben Rechte wie in der traditionellen Ehe verbunden sein sollen. Neun der 16 Bundesländer hatten den Antrag eingebracht. Nun muss sich der Bundestag damit befassen.
Die rheinland-pfälzische Familienministerin Irene Alt (Grüne) sagte, die Länderkammer gebe dem Bundestag damit eine "gute Chance, die rechtliche Diskriminierung zu beenden". Gleichgeschlechtliche Paare empfänden es als "Schikane", dass sie nach wie vor kein Kind adoptieren könnten, sagte Alt. CDU und CSU lehnen besonders das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ab und halten an der Institution Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau fest.

Ich habe eine gewisse Sympathie für Unions-Politiker wie Geis, Steinbach, Uhl, Singhammer oder Reiche, die immerhin so ehrlich sind auszusprechen, daß sie strikt dagegen sind, weil sie Lesben und Schwule für minderwertig erachten und diese daher auch keine Kinder erziehen könnten.
Da weiß man wenigstens woher der Wind weht.

Schlimmer finde ich die aufgeschlossenere Gruppe der CDU’ler, die mit aus 1950 entsprungenen adretten Schwulenpärchen zusammensitzen und demonstrieren, daß diese auch ganz ordentlich und gutangezogen und spießig sind.
Wenn sie sich nur möglichst stark an das altbackene CDU-Familienideal anpassen – Kirche, Küche, Kind, Reihenhaus und natürlich strikte Monogamie und Treue – dann könnte man ihnen doch womöglich doch Rechte zugestehen, denn sie lebten doch konservative Werte, indem sie Verantwortung für einander übernähmen.

Der Spießer der frühen 21. Jahrhunderts fürchtet sich offenbar nicht mehr so sehr vor Analverkehr und Fellatio im Schlafzimmer des Nachbarn, sondern zittert davor, daß sein eigenes simples Lebensmodell durch etwas Besseres oder Aufregenderes in Frage gestellt wird.
Dieses vermeidliche Wilde, das Unstete, das Promiske wird folgerichtig als „verantwortungslos“ oder eben als im wahrsten Sinne des Wortes „wert-los“ diffamiert.

Das ist aber Bullshit.
Singles können sehr viel verantwortungsvoller agieren als Menschen, die zufälligerweise in einer Beziehung gefangen sind.
Ich sehe jeden Tag Mütter, die intensiv auf ihr Smartphone tippend ihre Blagen im Kinderwagen umherschieben.
In Krankenhäusern und Pflegeheimen habe ich über Jahrzehnte völlig vereinsamte Menschen erlebt, die sehr wohl Kinder hatten, die sich aber nie sehen ließen.
Glücklich sind diejenigen, die echte Freunde haben. Freunde, die sich gerne um jemand kümmern. Die dies nicht nur widerwillig tun, weil sie durch wie auch immer geartete Familienbande dazu gezwungen sind.
Möglicherweise schaffen sich Singles gesündere und gefestigtere Strukturen als diejenigen, die sich ihre sozialen Partner nicht selbst aussuchen, sondern lediglich durch genetischen Zufall an sie gebunden sind.

Was semimoderne CDU-Politiker wie Frau Klöckner meinen, wenn sie „Homosexuelle“ loben, die „Verantwortung übernähmen“ und „Werte lebten“ ist ein Code für „die poppen auch gar nicht sooo viel wie man immer befürchtet!“.
Da wird es völlig absurd. Denn die Frequenz des Geschlechtsverkehrs hat rein gar nichts mit „Verantwortung“ zu tun.
Das ist eine rein persönliche Entscheidung, die sich der Bewertung durch andere entzieht.
Ich finde, daß Zölibatäre, Monogame oder Menschen mit gelegentlich bis dauernd wechselnden Sexualpartnern prinzipiell gleich verantwortungsvoll und moralisch sind – und zwar gilt das für Heteros, Bis und Homos gleichermaßen.
VerantwortungsLOS ist man nur dann, wenn man andere damit verletzt und oder gewissen Konsequenzen nicht vorbeugt.
Da man aber sehr leicht ungewollte Schwangerschaften und Sexualkrankheiten verhindern kann, ist eine Frau, die dies alles bedenkt und wöchentlich mit 20 Männern schläft, moralischer als ein beispielsweise ein Mann, der in 20 Jahren einmal ein Kinder zeugt und sich nicht um dieses kümmert.

Ein Paar in einer monogamen oder offenen glücklichen Beziehung, die nur drei Monate hält, lebt meiner Ansicht nach moralischer als ein das Vorzeigeehepaar am Tage seiner goldenen Hochzeit, wenn die Frau möglicherweise zur Heirat gezwungen wurde.
Die Ehe an sich hat gar keinen Wert – auch wenn Politiker aller Parteien, das Grundgesetz und unser Steuersystem uns das glauben machen wollen.

Heute wird von rechts bis links, quer durch alle Schichten die Scheidungsrate beklagt. Eine geschiedene Ehe gilt als "gescheitert" und wenn irgendein Politiker, Talkshowgast oder zufälliger Passant einer Straßenumfrage erzählt, er wäre „schon“ 30 oder 40 Jahre verheiratet, hagelt es anerkennenden Applaus.

Dabei wird doch umgekehrt ein Schuh draus.
Es ist GUT, daß es Scheidungen gibt, weil dadurch Beziehungen nicht unter Zwang fortgeführt werden müssen.
Wenn eine Ehe/Partnerschaft nach 2 oder 7 oder 15 Jahren endet, ist sie deswegen ja nicht gescheitert, sondern es können tolle 2 oder 7 oder 15 Jahre gewesen sein.
Eine 50-Jährige Ehe kann andererseits die reine Hölle sein – für die Frau, für den Mann oder die Kinder.

Die „gute alte Zeit“, als es noch kaum Scheidungen gab, war die Zeit, als Frauen in der Ehe vergewaltigt, geschlagen und dominiert wurden, in der sie gar keine finanzielle Alternative gehabt haben, weil sie anderenfalls geächtet worden wären oder hätten hungern müssen.
Oder sie waren lesbisch, oder der Mann war schwul – Ehe mußte trotzdem sein.

Das ist doch alles Dreck, dieses Konzept der Verherrlichung der heterosexuellen Zweierpartnerschaft, deren „Erfolg“ sich an der Zahl der ausgebrüteten Uterus-Produkte misst.
Man kann es überall in der Weltliteratur finden was es für Frauen in den letzten Jahrhunderten bedeutete in totaler Abhängigkeit ihres Mannes zu leben.
Das waren sklavenartige Familienstrukturen mit Sexpflicht und Prügelstrafe, aus denen die Frauen eigentlich nur durch ihren Tod erlöst wurden.
Noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland geschiedene Frauen stigmatisiert.
Sie galten als „gefallen“ und Hunderttausende ihrer Kinder wurden ihnen einfach weggenommen und in christliche Heime gesteckt, in denen Prügel, Zwangsarbeit und sexueller Missbrauch an der Tagesordnung waren.
Daß es diese grauenhaften Verhältnisse nicht mehr in der Form gibt, zeigt den Segen der modernen Scheidungskultur.
Scheidungen und gleichgeschlechtliche Partnerschaften bedeuten Wahlfreiheit – und alles wovon Frau Steinbach und Frau Klöckner träumen ist letztendlich Zwang und widernatürlich.

Ich bewerte dabei Kinderwunsch und Form der Partnerschaft gar nicht.
Jeder wie er möchte.
Aber die Tatsache an sich, daß man also ein Kind hat oder 70 Jahre monogam verheiratet ist, verdient ebenso viel Respekt wie jede andere Lebensentscheidung.

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der alles sein kann und nichts muß.
Binationale, multireligiöse, asexuelle, polygame, patchworkige, polyamouröse, heterogame Beziehungen – all das hat nur dann einen Wert, wenn es die anderen Formen daneben gleichberechtigt und gleichakzeptiert gibt.