Sonntag, 31. August 2014

Perfekt gemerkelt.



Sachsen schickt die Regierungspartei FDP in die APO und wählt rechts.
Das war heute in Sachsen das Resultat von Tillichs klassischer Merkel-Strategie der „asymmetrischen Demobilisierung“ von 2009.

Der CDU-MP forderte eine Polizeireform – nachdem dies alle anderen Parteien auch gefordert hatten. Die Partei, die seit einen Vierteljahrhundert ununterbrochen die Regierung stellt, tritt dreist als Oppositionskraft auf und der Urnenpöbel honoriert es auch noch.
So gewinnt man in Deutschland für die Konservativen Wahlen in Deutschland: Bloß nicht festlegen, unendlich rumeiern, nichts ausschließen, niemals konkretisieren und Forderungen der anderen Parteien einfach mitübernehmen, so daß der Urnenpöbel ganz schnell vergisst wozu man überhaupt eine andere Partei wählen soll.

Dazu versuchte Tillich den Wahlkampf möglichst unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu führen. Mitten in den Sommerferien; der Wahltag selbst dann einen Tag vor Schulbeginn.
So wurde die Wahlbeteiligung auf unter 49% gedrückt.
In absoluten Zahlen sieht man eine dramatische Abkehr von der CDU.

Bitter für die CDU: Sie erreicht nach jetziger Schätzung gerade noch 650.000 Stimmen. Bei der Landtagswahl 1999 waren es mit gut 1,2 Millionen noch doppelt so viele.

Die CDU hat also die Hälfte der Stimmen verloren, weil der Urnenpöbel durch das wolkige Blabla des MP so demobilisiert ist, daß er sich gar nicht mehr zur Wahl aufraffen kann.
Diese Demobilisierung erfolgt aber durch dreisten Themenklau und Ausweichen vor jeder Debatte ASYMMETRISCH, so daß die anderen Parteien noch mehr leiDen und unter dem Strich die CDU in Relation zu den anderen gut dasteht.
Unser Wahlrecht macht es möglich, daß die so gewonnenen parlamentarischen Mehrheiten genauso groß sind, als wenn alle Bürger abgestimmt hätten.

Daß Nichtwähler ihre Stimme wegwerfen und damit den Regierenden geholfen wird, begreifen die Nichtwähler nicht.


Mit der CDU-Strategie der asymmetrischen Demobilisierung kann man lange erfolgreich sein – sofern drei Voraussetzungen erfüllt sind:

1)
Der Urnenpöbel muß sehr verblödet sein und so phlegmatisch saturiert dahin dämmern, daß er mehrheitlich gar nicht erst zur Wahl geht.
Von völliger Verblödung kann man beim deutschen Urnenpöbel im Allgemeinen mit Fug und Recht reden. Insbesondere gilt das aber für Sachsen, wo Sachsensumpf, korrupte Justiz, Einschränkungen der Pressefreiheit locker hingenommen werden, ohne daß irgendwer Konsequenzen fordert.
Andererseits schlottern den Sachsen die Knie vor „Überfremdungsangst“ – bei einem Ausländeranteil von zwei Prozent. (Zum Vergleich: Ausländeranteil in Hamburg: 28%)

2)
Die Presse muß tumb eingelullt die PR der Landesregierung nachplappern und darf nicht anfangen kritisch zu hinterfragen.
Auch das trifft zweifellos zu. Heute loben alle Sender unisono die „blendenden Wirtschaftsdaten“ und die „vorbildliche Haushaltsdisziplin“ der schwarzgelben Regierung.

Ostdeutschland sei eine Erfolgsgeschichte, sagt Angela Merkel. Und sie hat Recht - wie schon Helmut Kohl, als er von blühenden Landschaften sprach. […] Sachsen dürfte einer Studie zufolge bereits in sechs Jahren finanziell von allen 16 Bundesländern am besten dastehen und sogar Bayern abgehängt haben.
(Malte Lehming, TS, 18.08.2014)

Sachsen, das bereits seit 2006 ohne Neuverschuldung auskommt, wird zudem wie in den Vorjahren jährlich 75 Millionen Euro in die Tilgung stecken, um die Pro-Kopf-Verschuldung trotz sinkender Einwohnerzahl konstant zu halten. […]
„Wir schaffen schon heute, was Deutschland und Europa erst noch erreichen wollen: einen ausgeglichenen Haushalt", hatte Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zu Beginn der zweitägigen Etatdebatte erklärt. Für ihn ist der Haushalt in Zahlen gegossene Zukunft.
(Sächsische Zeitung 12.12.12)

Wie sich rund 300 Millionen Euro Haushaltsüberschuss in Sachsen anhören, wenn man 6,5 Milliarden Zuwendungen durch die Bundesfinanzausgleiche abzieht, wird nicht erwähnt.

Ganz anders beim rot regierten Hamburg, das als Geber-Land eine halbe Milliarde Haushaltsüberschuss erwirtschaftete. Hier mäkelt die Springerpresse.

Diese Zahl hat selbst Experten den Atem verschlagen: Sagenhafte 572Millionen Euro hat Hamburg im ersten Halbjahr 2014 mehr eingenommen als ausgegeben. Einen Haushaltsüberschuss von mehr als einer halben Milliarde Euro innerhalb von sechs Monaten – das hat es in dem Stadtstaat an der Elbe vermutlich noch nie gegeben. Manch einer mag angesichts dieser Zahlen schon zur Schampuspulle greifen und durchrechnen, was man sich nun alles schönes leisten könnte. Aber leider sind derlei Überlegungen völlig unangebracht. Denn tatsächlich ändert die aktuell gute Haushaltslage an der finanziellen Situation der Stadt wenig bis gar nichts.
(Andreas Dey, DIE WELT 18.08.14)

3)
Die Oppositionsparteien sollten die Hosen so voll haben, daß sie weitgehend auf Schmuse- und Anbiederungskurs setzen.

Da ist die fromme Grüne Spitzenkandidatin Antje Hermenau, die sich öffentlich wünscht mit an Tillichs Kabinettstisch sitzen zu dürfen.

Das kleine goldene Kreuz, das Antje Hermenau, 46, seit wenigen Wochen am Hals trägt, offenbart die Wandlung. In der Osternacht hat sie sich und ihren vierjährigen Sohn in der Dresdner Frauenkirche evangelisch taufen lassen. Zuvor hatte Sachsens Grünen-Fraktionschefin dort den siebenwöchigen Kursus »Religion für Neugierige« besucht. »An eine göttliche Kraft«, sagt sie, »glaube ich schon, seit ich vor Jahren erstmals in den Alpen auf Berge gestriegen bin.«

Mit ihrem CDU-Schmusekurs wirtschaftete sie die Grünen heute auf knapp über 5% herunter; ein Resultat, das der mehr und mehr verwirrte Bundesparteichef Özdemir als „tolles Ergebnis“ bezeichnet.

Die LINKE in Sachsen kopierte sogar die AfD-Forderung nach mehr Polizei im Freistaat – nachdem gerade Linke Politiker auf Dresdner Demonstrationen gegen Neonazis mehrfach Opfer von Polizeigewalt wurden.
Rückgrat geht anders.

Die Wahl in Sachsen hatte immerhin den positiven Nebeneffekt, daß zwei vollkommen überflüssige Null-Themenparteien abgeschafft wurden.

Die FDP schrumpfte von rund 180.000 Listenstimmen bei der Landtagswahl 2009 auf heute etwa 50.000 Stimmen zusammen. Dabei gab sie nahezu gleichmäßig an alle anderen Parteien ab.

Die Piraten liegen Sachsen-weit unter einem Prozent und sind kaum noch messbar.
                   
Die Wahl in Sachsen hatte außerdem den negativen Nebeneffekt, daß durch Schmusekurs und Kopieren des AfD-Programms nun 15% der Stimmen und somit etwa 21 von 130 Sitzen neofaschistischen Parteien zuzurechnen sind.
AfD und NPD sind nach derzeitigem Auszählungsstand im Parlament.

CDU und der rechtsnationale Rand sind in Sachsen kaum noch auseinander zu halten.

Die AfD hat vor allem Wähler am Rande der CDU zu sich herüber holen können, 34.000 an der Zahl. Etwa gleich große Zuströme gibt es von FDP, Linken und NPD mit jeweils 15.000 bis 18.000 Stimmen. Interessant daran: Auch bei früheren Landtagswahlen haben Wähler von CDU und FDP den Weg zu Protestparteien und sogar ins rechtsextreme Lager zur NPD gefunden. Zwischen dem bürgerlichen und dem rechten Lager scheint es in diesem Bundesland keine richtige Trennung zu geben.

Eine wenig überraschende Entwicklung angesichts einer schwarzgelben Regierung, die im Landesparlament immer mal wieder mit der NPD stimmte und deren Regierungschef sich partout nicht von der AfD distanzieren wollte.

Im Wahlkampf konnte man die AfD-Parolen wie schon bei der Europawahl nicht von denen der NPD unterscheiden.




Samstag, 30. August 2014

Christenverfolgung


Der fromme Matthias Drobinski durfte wieder einmal den Leitartikel der auflagenstarken Wochenendausgabe der SZ schreiben.
Der Titel lautet, wenig überraschend: „Christenverfolgung“
Nicht gerade innovativ angesichts der Myriaden Berichte über das Wüten des IS wortreich das Elend der Christen im Irak und Syrien zu beklagen.
Mit dem ganz dicken Pinsel trägt Drobinski auf; wirft biblische Metaphern und NS-Analogien in seinen Artikel.

Ein arabisches „N“ malen sie den Christen auf die Hauswand, die Männer, die da angeblich im Namen Gottes das Land heimsuchen. Nasrani, Nazarener, so heißen die Christen im Koran. Und wen die Killer des Islamischen Staates als Nazarener brandmarken, der muss seinem Glauben abschwören oder eine Kopfsteuer zahlen. Oder er stirbt. Oft genug helfen weder Schwur noch Geld, oft genug machen die muslimischen Nachbarn von gestern mit, in dieser Mischung aus Angst und Gier, die auch die Nazis nutzten, um die Juden auszurauben und zu ermorden.
Im Irak, aber auch in Syrien findet eine mörderische religiöse Säuberung furchtbaren Ausmaßes statt. Sie zerstört die Kultur der Region, zu der auch die vielen uralten christlichen Gemeinschaften gehörten. Sie wird weitere Gewalt gebären, Glaubenskriege und Glaubenskrieger.
(Matthias Drobinski, SZ 30.08.14)

Es liegt mir fern die Situation der irakischen Christen zu beschönigen.
Zweifellos schweben viele von ihnen in tödlicher Gefahr.
Der Autor sieht die Christen ausschließlich als Opfer, die nun stellvertretend für diejenigen leiden müßten, welche der IS nicht zu fassen bekommt.

Sie zahlen den Preis, dass seit der iranischen Revolution 1979 und den Anschlägen von 2001 Auseinandersetzungen als heilige Kriege und Kreuzzüge überhöht werden. Die Christen zahlen für George W. Bushs Messianismus, mit dem er den Irak per Invasion zu einem besseren Land machen wollte. Den Ex-Präsidenten kriegen die IS-Terroristen nicht, also halten sie sich an jene, die in ihren Augen die Agenten des Westens sind – und ihnen wehrlos ausgeliefert.
(Matthias Drobinski, SZ 30.08.14)

Auch die Darstellung ist in etwa richtig.
Aber der überzeugte Christ Drobinski sieht nicht das Gesamtbild.
Für ihn scheinen Christen die ersten und ganz besonders unschuldigen Opfer zu sein. In diesem Zusammenhang weist er daraufhin, daß in Deutschland bisher eher erzkonservative Politiker und fundamentale Christen und von „Christenverfolgung“ sprachen. Dies sei inzwischen aber einen Tatsache und insofern müsse sich jeder mit dem Drama beschäftigen.
Daß zuvor schon mindestens 1,7 Millionen Menschen im Irak und Afghanistan durch westliche Interventionen gekillt wurden, daß 200.000 Syrer hingemetzelt und weitere 10 Millionen auf der Flucht sind, fällt Drobinski nicht ein.
Offenbar ist ein toter Christ für ihn beklagenswerter als ein totgefolterter Musel.
Konstruktive Vorschläge sind dem SZ-Kirchenschreiberling ebenso fremd.

Aufgabe des Westens sei es nun strikt auf Religionsfreiheit zu drängen und den Verfolgten zu helfen.

Zur Hilfe gehört, verfolgte Christen großzügig und schnell in Deutschland aufzunehmen, zu ihr gehört aber auch, alles zu tun, dass die christlichen Gemeinden im Nahen Osten nicht sterben. Zu dieser Hilfe gehört auch, gegenüber islamischen Staaten klarer als bisher Religionsfreiheit zu fordern – für alle.
(Matthias Drobinski, SZ 30.08.14)

Ich staune immer wieder über die Naivität von schreibenden Christen. Drobinski steigt hier regelrecht auf Käßmann-Niveau herab.

Mit welchen Staaten soll denn „der Westen“ reden? Mit Wahabitistan? Dort sitzt eine saudische Königsfamilie, die sich als Hüter der heiligen Stätten Mekka und Medina begreift. Da gibt es keine Religionsfreiheit und „der Westen“ kann da auch nicht das Geringste erreichen, da er von dem Öl abhängig ist und nichts mehr als eine Destabilisierung Riads fürchtet.
Oder soll Deutschland vom Irak oder von Syrien Religionsfreiheit verlangen?
Bisher gab es dort sogar so etwas wie Religionsfreiheit – hauptsächlich dank der westlich-christlichen Einmischung gibt es aber keinen Staat mehr, der das garantieren und durchsetzen kann.
Oder soll Merkel mal Kalif Abu Bakr al-Bagdadi anrufen und ihm sagen; du, mal unter Kollegen, kannste nich ma Religionsfreiheit einführen?“

Wir wissen doch was passiert wenn Demokratie und Religionsfreiheit eingeführt werden soll – dann wird wie in Ägypten oder dem Irak der stärkste religiöse Block gewählt (Schiiten in Bagdad, die Muslimbrüder in Kairo) und das Gemetzel geht erst richtig los.

Unter Assad konnten sogar rund zwei Millionen Christen friedlich in Syrien leben.
(Melkitische Kirche mit Patriarch Youhanna X., Armenische Apostolische Kirche,  Syrisch-Katholische und Griechisch-Katholischen Kirche,  syrisch-orthodoxe Gemeinden, Assyrische Kirche, Chaldäische Kirche, Maroniten, verschiedene protestantische sowie römisch-katholische Gemeinden.)
Saddam wurde aber Opfer des von Washington bestimmten „Regime-Change“; mit Assad wird das Gleiche versucht.
Und dann kamen Muslimbrüder, demokratisch gewählte Schiitenregierungen und die ISIS.
Genau wie es schon vor 2003 jeder vorausgesagt hatte, der sich in der Gegend auskennt. Peter Scholl-Latour verließ seinerzeit die TV-Studios gar nicht mehr und erklärte über Wochen und Monate was passieren würde, daß die Christen dann wohl massakriert würden oder fliehen müßten.
Nun, da die Zukunft, die kommen mußte, gekommen ist, jammern die Irakkriegsbefürworter in der CDU.

Genauso weltfremd auch Drobinskis zweite Idee von der Aufnahme der Christen in Europa.
Schon jetzt sind es doch gerade die Parteien mit dem CHRISTEN-C im Parteinamen, die die Grenzen zumachen. Das Asylrecht wurde eben weiter verschärft und Europa schottet sich durch Frontex komplett ab.
Schon jetzt quellen die Auffanglager über, weil es gerade die konservativen Landespolitiker zB in Bayern sind, die Flüchtlingen in Deutschland das Leben möglichst unangenehm gestalten wollen – mögen sie nur schnell wieder freiwillig abhauen.
Von 10 Millionen Syrern auf der Flucht hat Deutschland bisher wenige Hundert aufgenommen.
Und wieso sollten eigentlich Christen bevorzugt werden?
Ist das Leben fliehender Kurden, Jesiden und Schiiten weniger wert?

Doch es gibt alle guten Gründe, den bedrohten Christen zu helfen. Nicht, weil sie dem Westen näher wären als die Muslime, sondern weil sie ein Recht auf Religionsfreiheit haben. Sie haben das Recht zu glauben, was sie wollen, ohne dafür mit dem Tod bedroht zu werden. Das Recht, anders zu glauben – oder eben gar nicht –, für dieses Menschenrecht bezahlten Platon und Jesus mit dem Leben, in der Neuzeit wurde es erkämpft gegen die Macht und Gewalt der Kirchen. Es ist das Recht, sich öffentlich vor dem wie immer vorgestellten Höchsten in den Staub werfen zu dürfen, und das Recht, diesem Höchsten Lebewohl zu sagen.
(Matthias Drobinski, SZ 30.08.14)

Diesen Absatz kann ich kaum kommentieren, da ich ihn gar nicht verstehe. Sollen etwa nur Christen Religionsfreiheit haben und deswegen Hilfe erwarten können?
Braucht man sich nicht im Kurden im Iran, Alewiten in Syrien, Schiiten in Saudi Arabien sorgen, weil sie keine Religionsfreiheit haben?
Was geht in Kurt Kister vor, wenn er solche Wochenend-Leitartikel absegnet?

In sagenhafter Naivität schert Drobinski alle Christen über einen Kamm:

Die Christen dort wollen keine Märtyrer sein, anders als viele ihrer Vorgänger im alten Rom, die sich in heiligem Eifer vor hungrige Löwen knieten. Sie wollen schlicht leben, ohne beraubt zu werden, ohne Todesangst zu haben um ihre Kinder und sich.
(Matthias Drobinski, SZ 30.08.14)

Glaubt er ernsthaft, daß Kurden und Palästinenser nicht auch „schlicht, ohne Todesangst leben“ wollen?
Ist das etwa ein Alleinstellungsmerkmal der Christen?
Ohne es zu merken, widerspricht sich Drobinski selbst, wenn er die vielen uralten christlichen Gemeinschaften erwähnt.
Dass es in Bagdad, Damaskus, Kairo und Istanbul diese uralten Gemeinden gibt, zeigt ja, daß die Kalifen und sonstigen Islamischen Herrscher – ganz im Gegensatz zu christlichen Herrschern des Mittelalters – sehr wohl Religionsfreiheit gewährten.
Am Hofe des Kalifen machten auch Juden und Christen Karriere.
Schon Mohammed selbst arrangierte sich mit Juden und Christen; er duldete sie.
Das war im Christlichen Europa ganz anders. Dort hat man Anders- oder  Ungläubige lieber hingerichtet.
Im Nahen Osten lernten Christen über 1500 Jahre sich mit den Mächtigen zu arrangieren.
Bis zuletzt waren Christen die stärksten Unterstützer Assads, Mubaraks und Saddams.
Aus ihrer Sicht zu Recht; denn diese Diktatoren schützten sie.
Erst nachdem sie weggefegt wurden, bzw seit sie um ihre Macht kämpfen müssen, geht es auch den Christen an den Kragen.

Herr Drobinski scheint auch das nicht zu wissen:
Präsident Assad ist kein netter Mann. Myriaden Tote gehen auf sein Konto. Er wird dabei unterstützt von der katholischen Kirche in Syrien.
Da Assads Regime – unter dem Jubel des Westens – nun wankt, rächen sich die Rebellen an seinen einstigen Unterstützern.
Diese Rebellen – darunter die Al Nusra-Front, Al Kaida und IS sind allerdings nicht in erster Linie auf Religionsfreiheit ausgerichtet.
Das ist lange bekannt.
Wollte man ernsthaft die Christen in Syrien schützen, sollte man nicht nur Kurden, sondern eben auch die Regierungstruppen aus Damaskus massiv aufrüsten und damit Assad helfen.
Aber entweder ist Drobinski der Zusammenhang nicht bekannt, oder er traut sich nicht derart Unbequemes auszusprechen.
Stattdessen nur sein wolkiges doch es gibt alle guten Gründe, den bedrohten Christen zu helfen.

Wie man helfen könnte; dazu schweigt er lieber.

Freitag, 29. August 2014

Das Persönliche in der Politik



Frieden schließt man nicht mit Freunden.
Mit befreundeten Menschen zu sprechen, mit ihnen Friede-Freude-Eierkuchen-Bilder zu produzieren, die dann wie eine Leistungsshow der Jacketkronen-Hersteller wirken, kommt beim Wahlvolk gut an.
Wähler lieben Harmonie und Gleichklang.
Aber Wähler sind eben auch doof.
Sehr viel interessanter und wichtiger ist es natürlich dahin zu gehen wo es weh tut. Da wo man nicht auf Zustimmung trifft, gegensätzliche Positionen vertritt und Vorurteile abbaut.
Große Politiker tun das.
Ich erinnere an die Grüne Antje Vollmer, die sich schon vor 30 Jahren in die Höhle des Löwen wagte, um mit Erika Steinbachs rechts-revanchistischen Nazi-Schönrednern ins Gespräch zu kommen.
Grüne, Linke und Sozis meiden das braune Vertriebenen-Gesochs üblicherweise wie die Pest. Stattdessen werden dort konservative CSU‘ler abgefeiert, die sich ohne eine politische Leistung zu erbringen dann mit absoluten Mehrheiten gesegnet sehen. Kuschen und Feigheit belohnt der Urnenpöbel; politischen Mut à la Vollmer nicht.

All die Loblieder auf die Vertriebenen, all die Gesänge von der Verständigung, all das Gesäusel von der ausgestreckten Hand - verpufft, vergessen in diesem einen Moment, da der 46. Sudetendeutsche Tag an seinem Wendepunkt steht.
Wie immer werden dem Publikum der Hauptkundgebung an diesem Wochenende zunächst die Ehrengäste vorgestellt, eine lange Prozedur. So betet der Mann am Mikrophon ein kleines christsoziales Who's who? herunter, bevor er in aller Unschuld zum entscheidenden Satz anhebt: "Und wir begrüßen die Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Dr. Antje Vollmer und Hans Klein."
Mitten im Satz bricht Protestgeheul los. Nicht nur ein paar Pfiffe gegen die Grüne Antje Vollmer, nein, ein wütendes Gebrüll; nicht von ein paar Krakeelern, sondern von einer unüberschaubaren Menge, von Zehntausenden; nicht von jung-lauten Protestierern, sondern von braven Rentnern, die sich am Morgen mühsam die langen Treppen der U-Bahn-Schächte neben den Münchner Messehallen heraufgequält hatten. So stehen sie nun da, recken die Fäuste gen Himmel und brüllen, was die Lungen hergeben, minutenlang. Ein paar Betagte, puterroten Kopfes, schreien: "Hängt sie auf!" - "Stellt sie an die Wand!"

Auch Gerd Schröder war einer, der den Mut hatte ausgetretene Pfade zu verlassen und sich die Höhle des Löwen zu wagen.
Anders als es heute oft dargestellt wird, betrieb Schröder schon zu Beginn seiner Kanzlerschaft ein strammes Reformprogramm und beendete das fröhliche Prassen und Schuldenmachen der Regierung Kohl-Merkel.
Er bekam heftigen Gegenwind, ließ sich aber ganz im Gegensatz zu seiner unablässig umfallenden Nachfolgerin nicht umpusten.
Im Gegenteil; er vertrat seine Positionen sogar auf dem erzkonservativen Bauerntag, der üblicherweise für Sozialdemokraten ähnlich verlockend wie ein Bad in siedender Gülle ist.

Leise grummelte er unterdessen vor sich hin: "Ich kann''s nicht mehr hören, dieses Geschimpfe."
Dann bahnte sich Gerhard Schröder zwischen Transparenten und pfeifenden Landwirten hindurch den Weg ans Rednerpult. Der Ring der Sicherheitskräfte schloß sich um ihn, Regenschirme standen bereit, um den Regierungschef vor tieffliegenden Agrarprodukten zu schützen.
Das war auch nötig. Denn was ein Grußwort für den Deutschen Bauerntag in Cottbus werden sollte, geriet zu einer imposanten Schweiß-und-Tränen-Fanfare - und erboste die 3000 Landwirte zutiefst.
Nach drei Minuten wischte Schröder sein Redemanuskript fort und brüllte gegen die tutende Menge an, die wegen der geplanten Einschnitte bei der Altersversorgung, wegen höherer Versicherungsprämien und Dieselpreise tobte - und sich überhaupt wegen künftig sinkender EU-Subventionen schlecht behandelt fühlt.
Doch der Kanzler ließ sich von den erzürnten Bauern nicht schrecken. "Ich bin nicht gekommen, um eine einzige der Maßnahmen zurückzunehmen", verkündete er.
Die Halle wütete, doch Schröder verließ die Bühne in Jubelpose. Er hat die Tonlage für die Sommerpause angegeben. Die Botschaft: Wer versucht, Brocken aus dem Sparpaket von Finanzminister Hans Eichel zu brechen, der wird scheitern.

Vollmer und Schröder sind so gesehen auch GROßE Politiker, weil sie wie Sadat, Rabin und Gorbatschow nicht stromlinienförmig-amöbig durch die politische Landschaft mäanderten, sondern große Schritte dahin unternahmen, wo es wehtut.
Meister dieses Fachs sind aber auch Hans-Jürgen Wischnewski und Egon Bahr, die in tatsächlich feindlicher Umgebung agierten und Überzeugungsarbeit leisteten.
Für so eine Rückgrat-Politik braucht es charismatische Persönlichkeiten, die einerseits eine führende Rolle übernehmen können und andere mitreißen, andererseits aber auch ein tiefes Gespür für den Gegner haben und diesen nicht verprellen. Mediokren Polit-Flaschen wie John Major, José María Aznar oder Angela Merkel kann eben nie etwas Bahnbrechendes gelingen, wie die von Nelson Mandela oder Zoran Đinđić oder Jitzchak Rabin eingeleiteten Friedensprozesse.
Kurzsichtige und risikolose Politik à la Merkel erspart dafür in der Regel einige Gefahr für Leib und Leben.

42 mal wurde ein Attentat auf Hitler versucht - keins klappte.
Attentate treffen ja ohnehin immer die Falschen - erstaunlich oft sind es doch eher „die Guten“, die fanatische Hasser wegballern, wohingegen die schlimmsten Diktatoren oft Jahrzehnte hindurch ungehindert ihr Unheil anrichten können.
Was wäre denn gewesen, wenn es 1968 nicht Bobby Kennedy erwischt hätte und dieser statt Nixon Präsident geworden wäre?
Wie könnte es zwischen Israelis und Palästinensern stehen, wenn nicht ein rechtsextremer Widerling am 4.11.1995 Jitzchak Rabin erschossen hätte und dementsprechend auch Sharon nicht provozierend auf den Tempelberg (2000) gestapft wäre?
Man möchte noch 13 Jahre später in Tränen ausbrechen. Ja, es erwischt eher die Hoffnungsträger und die Lücken sind nicht zu füllen - was uns der "liebe Gott" wohl damit sagen will???
Zoran Đinđić am 12.03.2003, die potentielle EU-Kommissionspräsidentin Ylva Anna Maria Lindh am 11.September 2003, Sven Olof Joachim Palme am 28.02.1986, Muhammad Anwar as-Sadat am 06.10.1981, Indira Gandhi 31.10.84, Muhammad Baqir al-Hakim am 29.08.2003 oder auch Benazir Bhutto am 27.12.07.

Charismatische, große Politiker sind auch in der Lage in persönlichen Gesprächen viel zu erreichen.
Ich denke da an das legendäre Zusammentreffen des Ehepaars Schmidt mit Leonid Breschnew, das mitten im kalten Krieg und großer Angst vor den sowjetischen Atomraketen ganz wesentlich zur Entspannung beitrug.

Als Staatsmann wusste Schmidt: In privater Umgebung mit Bücherwand, Heimorgel und Hausbar taut so mancher Gesprächspartner auf. Der Mensch Schmidt zeigte aber auch mit Stolz seine bescheidenen Wohnverhältnisse. Leonid Breschnew wunderte sich bei seinem Besuch 1978, dass es keine Mauern vor dem Anwesen der Schmidts gab, wie er es aus den Privilegierten-Siedlungen in Moskau kannte. "Als wir ihm klargemacht hatten, dass hier kleine Angestellte wohnen und das eine Genossenschaftssiedlung ist, hat er sich ausgeschüttet vor Lachen", erinnert sich Loki Schmidt.
(HHAbla 22.12.2008)

Helmut Schmidt ist mit Sicherheit auch einer dieser Charismatiker, der anderen zuhören und sie überzeugen konnte.
Darüber ist der frömmelnde Weltpolitik-Zwerg Jimmy Carter übrigens immer noch wütend. Er konnte dem scharfen Intellekt Schmidts nichts entgegensetzen und mußte sich immer wieder gegen seinen Willen in von Schmidt geplante Beschlüsse einfügen.
Heute wissen wir auch was Hellmut Schmidt von Carter hielt: Wenig bis nichts.
Carter verstand die Zusammenhänge nicht und war vor allem aber nicht verlässlich. Auf inneramerikanischen Druck kippte er immer mal wieder international getroffene Absprachen.

Gerhard Schröder hat offensichtlich im persönlichen Umgang ähnliches Geschick. Es ist vielfach beschrieben, wie er in kleineren Runden auch politikferne Intellektuelle und insbesondere Künstler durch seine Bildung und enorme Auffassungsgabe beeindruckt.

Das diametrale Gegenteil ist auch hier Angela Merkel, die intellektuell und musisch nie über Volkschulniveau hinauskam. Sie verblüfft in privaten Treffen ebenso mit ihren ungepflegten Fingernägeln, wie mit frappierendem Desinteresse.

Christoph Schlingensief über seinen Abend im Kanzleramt:
Das war erschreckend. Da sitzen ihr [Merkel - Red] Henning Mankell und Tilda Swinton beim Kaffeetrinken gegenüber, und sie stellt keine Fragen. Da wird nur gefragt, ob man noch ein Stückchen Kuchen möchte. Im Büro zeigte sie uns so eine potthässliche Marmorplatte mit Kamelen an der Tränke, die ihr irgendein Ölscheich geschenkt hatte. Das mussten wir uns alle angucken. Und als ich mal auf das Adenauer-Porträt von Kokoschka zuging, was wirklich ein schönes Bild ist, dann sagte sie nur: “Ja, aber machen Sie es nicht kaputt, Herr Schlingensief, ha, ha, ha.” Mankell, Tilda und Wayne Wang haben hinterher unabhängig voneinander gefragt: “Ist die immer so?”

Es spricht Bände, daß Merkel trotz ihrer gewaltigen Erfahrung mit Gipfeln noch nie irgendein Durchbruch gelungen ist.
Sie erzielt stets nur Scheinergebnisse mit allerkleinster Münze.
Niemand wird verletzt, niemand wird etwas abverlangt, niemand nützt es was.
Merkel ist wenigstens so klug, daß sie auch gar nichts anderes will – außer hohlen Scheinlösungen, die in Wahrheit nichts bedeuten.

Wesentlich dümmer ist da Alexander Dobrindt, der in völliger Verkennung seines eigenen Intellekts tatsächlich dachte er könne im persönlichen Gespräch den mächtigen EU-Kommissar Siim Kallas von seinem Maut-Konzept überzeugen.
An sich ist das legitim. Ein Helmut Schmidt könnte mit einem sinnvollen Konzept auch die Meinung eines bockigen EU-Oberen ändern.

Dorbindt ist aber erstens doof und hat zweitens ein doofes Konzept – so klappt es auch nicht im Vieraugengespräch.

Wenn es überhaupt je eine Hoffnung gab, dass ein Wandertrip mit dem Brüsseler Verkehrskommissar die Dobrindtsche Maut würde retten können, dann ist auch die jetzt hin. Diesen Freitag und Samstag hatte sich Alexander Dobrindt (CSU) mit Siim Kallas im Schloss Elmau einquartiert, vor Alpenpanorama wollte der Bundesverkehrsminister dem widerspenstigen Kommissar seine Mautpläne erläutern. […]
Zu Beginn der Woche melden sich die CDU-Chefs aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, Armin Laschet und Thomas Strobl, sie lehnen eine Maut in grenznahen Gebieten ab - aus Sorge um Tourismus, Einzelhandel und Handwerk an den Grenzen. Es ist ein Problem, das Dobrindt bis dahin immer abgetan hat. […] Sigmar Gabriel hat dafür diese Woche seine ganz eigene Offensive gestartet. Eine Kommission aus Bankern, Versicherern und Wissenschaftlern soll nach Wegen suchen, wie sich mehr privates Kapital für die Verkehrsinfrastruktur einsammeln lässt. Dobrindt, dessen Haus seit Langem an solchen Konzepten bastelt, wusste von dem neuen Zirkel nichts.


Donnerstag, 28. August 2014

Naive Sozis



 I am sorry, aber da immer noch die Zeitungen voll sind mit minder oder noch minderen Stellungnahmen zum Thema „Sterbehilfe“, muß ich noch einmal darauf zurückkommen.
Es ist wirklich immer wieder erstaunlich welchen Unsinn Theologen in ihren Hirnen ausbrüten können und umso erstaunlicher, daß diese Typen ob ihres angeblichen moralischen Expertentums in Kommissionen für ethische Fragen berufen werden.
Aktuelles Beispiel ist der evangelische Theologe und Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Peter Dabrock (* 1964), der auch seit 2012 stellvertretender Vorsitzende des „Deutschen Ethikrats“ ist.
Er bekam am 25.08.2014 eine Drittel-Seite in der Süddeutschen Zeitung, vorn auf Seite 2 freigeräumt, um seine Expertenmeinung zum Suizid auszubreiten.
Würde der Gesetzgeber seinen Untertanen die juristische Möglichkeit einräumen, sich frei für einen assistierten Suizid zu entscheiden, läge dem ein „falsches Verständnis von Autonomie zugrunde“, erklärt der Herr Professor Theologe.
Wahre Autonomie erhielte der Mensch demnach nur, wenn man ihm die autonome Entscheidungsfreiheit nimmt.
Und nein, ich wundere mich keineswegs, daß solche Typen die maßgeblichen Ethikberater unserer Bundesregierung sind.
Ich erspare dem gequälten Blog-Leser weitere Zitate aus dem Dabrock-Aufsatz und gebe stattdessen zwei Leserbriefe wider, welche heute dankenswerterweise in der SZ veröffentlicht wurden.

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welchem rhetorischen Aufwand ein einfacher Vorgang abgewehrt und für illegitim erklärt werden soll: Ein Mensch beschließt nach reiflicher Überlegung und aus Gründen, die nur ihn angehen, dass er sein Leben beenden will und braucht dafür die Hilfe von medizinisch Fachkundigen. Solcher rhetorischer Schwulst bestimmt auch den Beitrag von Peter Dabrock, dessen Titel bereits heuchlerisch und verlogen ist: Natürlich kann man den (eigenen) Tod kontrollieren, wenn man nur dürfte.
Das Wissen darum macht es so unerträglich, dass einflussreiche Moralapostel vom Schlage Dabrocks (seines Zeichens immerhin stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates – und nicht umsonst zugleich Theologieprofessor) sich Entwicklungen und Bestrebungen in den Weg stellen, die, wie die medizinisch assistierte Selbsttötung, die Autonomie des Individuums auch in der Selbstbestimmung über den eigenen Tod ermöglichen, obwohl solche Bestrebungen gesellschaftlich breit akzeptiert sind. Mit hohlem Pathos behauptet er, deren Verbot diene dem „Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft“ und verkauft Autonomie als die Einsicht der Notwendigkeit der Fremdbestimmung, die Einbindung in „tragende Beziehungs- und Fürsorgestrukturen“. Anders gesagt: Wer „schwach“ ist, soll einsehen, dass seine Autonomie in der Preisgabe der Selbstbestimmung liegt – und auf jeden Fall weiterleben, egal, wie unerträglich ihm dieses Leben ist.
(Prof. Hartmut Stenzel, Gießen)

Die Äußerungen von Peter Dabrock in der „Außenansicht“ sollen zwar rational klingen, sind jedoch offensichtlich von seiner persönlichen Glaubensüberzeugung geprägt. Eben diese Überzeugung dürfte rational kaum zu erschüttern sein. Sie führt die Tradition des Ethikrates fort, der sich schon bei der Kodifizierung der Patientenverfügung – glücklicherweise vergeblich – zu großen Teilen abgeneigt zeigte, seine religiös-ethisch gewonnenen Grundsätze gegenüber der Selbstbestimmung des Menschen rational abzuwägen.
So bleibt Herr Dabrock bei der Überzeugung, er wisse besser, was dem Menschen dient, als dieser selbst. […]
Besonders merkwürdig ist in der Diskussion um Sterbehilfe meines Erachtens das gerade von kirchlichen Religionsdienern immer wieder zu hörende Argument, das Leben sei ein Geschenk, das der Mensch nicht zurückweisen dürfe – als müsse man auch ein aufgedrängtes Geschenk annehmen.
(Ekkehard Habel, Medebach)

Wir befinden uns in der klassischen Situation, die immer auftritt, wenn es um „civil rights movements“ geht. Sklaverei, gemischtrassige Ehen, Frauenwahlrecht, Kinderarbeit, Homoehe, Abtreibung usw, usf – es sind immer die Theologen, die sich Arm in Arm mit Reaktionären und Konservativen am meisten gegen solche Entwicklungen auflehnen.
Und die Macht der Theo-Trottel ist groß genug um bis heute – wir schreiben das Jahr 2014 nach Christi Tod – den Menschen ihre Ansichten aufzuoktroyieren.
Bis heute dürfen Menschen nicht frei über ihr eigenes Leben entscheiden, weil vorzugsweise alte Männer in bunten Kleidern, die einem imaginären Freund verfallen sind, das nicht wünschen.

Die SZ läßt aber nicht locker und interviewt die Palliativmedizinerin Petra Anwar, die ernsthaft verkündet: „Sterben ist nicht schrecklich.“
Wie alle organisierten Palliativmediziner lehnt sie Sterbehilfe kategorisch ab und taugt daher nur sehr bedingt als Expertin, weil sie ja eben NICHT den freien Willen der Menschen gelten läßt, sondern ihre „Alternative“ propagiert.
Eine Absurdität, aus der sie sich versucht heraus zu ziehen, indem sie die oftmals suboptimalen Umstände des Sterbens beklagt.

Das Sterben ist nicht schrecklich, wenn ich Zugang zu Palliativmedizin habe, wenn ich also eingebettet bin in ein sicheres Netzwerk, das mir auch Nestwärme geben kann mit Ärzten und Seelsorgern als Ansprechpartnern. Leider ist das nicht überall so, und dann kann es schon schlimm werden. Dabei will ich jetzt auch nicht so tun, als wäre ich Mrs. Perfekt, und alle können bei mir superselig sterben. Aber wir können schon viel tun.
(Petra Anwar, 25.08.14, SZ)

Am Ende des Interviews gibt sie eine Antwort auf die Frage wann denn der richtige Moment sei, um zum Palliativmediziner zu gehen

Wenn man aus irgendwelchen Gründen mit der Situation nicht mehr zurechtkommt. Das kann psychisch, sozial oder körperlich sein.
(Petra Anwar, 25.08.14, SZ)

Klingt gut; ist aber rein theoretisches Brimborium.
Ich habe seit 2011 in Hamburg allein drei Mal für solche Situationen einen Palliativmediziner gesucht und bin immer gescheitert. Zuletzt hörte ich von einem solchen Arzt, er mache nur bei TUMPORPATIENTEN Hausbesuche. Alle anderen müssten in die Praxis kommen.
SEHR WITZIG - wenn der Betroffene das noch könnte, bräuchte ich keinen Palliativmediziner!

Ich traue mir zu dieses spezielle Thema recht gut beurteilen zu können, weil ich sehr viel Zeit auf Intensivstationen und Pflegeheimen verbracht habe.
Außerdem kenne ich privat Fälle, in denen sich ein Sterbender sehr gut in einem Hospiz versorgt fühlte.
Aber das sind keine Erfahrungen, die man verallgemeinern könnte.
Mal ganz abgesehen, von der Tatsache, daß Deutschland weit davon entfernt ist flächendeckend mit Hospizen und Palliativmedizinern versorgt zu sein, spielt die eigene Veranlagung eine große Rolle. Viele Menschen möchten eben keinesfalls ihre letzten Lebenswochen in einem Hospiz in Abhängigkeit verbringen.

Es gilt einige falsche Vorstellungen von Suizidwilligen auszuräumen.
Die meisten sind eben KEINE Krebspatienten, sondern solche, die um den Verlust ihrer Selbstständigkeit fürchten, oder diese lange verloren haben, weil sie beispielsweise querschnittsgelähmt sind.
Kürzlich hatte lernte ich über zwei Wochen einen Schlaganfallpatienten kennen, der seit sieben Jahren in einem winzigen Heim lebte und unfähig war sich zu artikulieren und zu bewegen.
Ich konnte nicht feststellen, ob er noch klar im Kopf ist oder nicht. Es wirkte fast so, weil er mich immer interessiert beobachtete, als ich am Nachbarbett arbeitete.
Schließlich besuchte ihn seine Frau und ich nutze die Gelegenheit zu fragen, ob ihr Mann noch mitbekomme, was um ihn herum passiere.
Es stellte sie raus, daß das genau die Frage war, welche seine Frau auch umtrieb. Niemand konnte das mit Sicherheit sagen.
Mir liegt es fern für solche Situationen Ratschläge zu erteilen. Aber es steht fest, daß mir dieser Fall Angst macht.

Im US-Bundesstaat ist aktive Sterbehilfe möglich. Inzwischen gibt es Erkenntnisse darüber WER sie in Anspruch nimmt. Es wurde eine direkte Korrelation zum Bildungsstand festgestellt.
Es sind Hochgebildete, die in erster Linie Sterbehilfe wollen, weil ihnen der Verlust der Selbstständigkeit viel mehr zu schaffen macht, als Ungebildeten.
Anders als es Theologen wie Prof Dabrock behaupten, hängt die Entscheidung zum Suizid also weniger von der Art der Krankheit und den palliativmedizinischen Möglichkeiten zusammen, sondern ist von der Persönlichkeit des Kranken abhängig.
Kann und will er die Situation aushalten 100% pflegebedürftig zu sein?

Auch diesen Befund kann ich aus eigener Beobachtung bestätigen.
Für einige Bettlägerige wird es völlig normal gewaschen zu werden; sie verlieren die Scham immer wieder die Genitalien zu entblößen und von fremden Menschen beim Urinieren und Koten angefasst zu werden.
Bei anderen Patienten bleibt das aber bis zur letzten Minute extrem unangenehm; sie quälen sich auch noch bei der 100. Bettpfanne damit sich den Hintern abwischen lassen zu müssen, genau wie beim ersten mal.

Zeit auf den Blog-Titel zu sprechen zu kommen.

Ein der wirklich ärgerlich naiven Sozis, die sich ungeniert mit dem Thema vor die Kameras drängen ist die Bundestagsabgeordnete Griese.
Griese kennt Ihr nicht?
Macht nichts, erklär‘ Ich Euch:
Kerstin Griese, 47, ist Pfarrerstochter aus Münster und offenbar nicht gerade beliebt bei ihren Wählern. Die verlor einmal ihr Direktmandat und rückte später über die NRW-Landesliste nach, als Angelica Schwall-Düren zur Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien in die NRW-Landesregierung berufen wurde.
Wie alle Politiker, die sich gern zu ethischen Fragen verbreiten, ist sie schwere Religiotin.

Von 1979 bis 1989 war Griese in der Jugendarbeit der Evangelischen Kirchengemeinde Düsseldorf-Urdenbach und im Kirchenkreis Düsseldorf aktiv. Von 1987 bis 1989 war sie Jugenddelegierte zur Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Seit 2001 ist sie stellvertretendes Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland, seit 2003 Mitglied der EKD-Synode, der sie zuvor sechs Jahre lang als stellvertretendes Mitglied angehörte.
Von 2009 bis 2010 war sie als hauptamtliches Bundesvorstandsmitglied des Diakonischen Werks der EKD zuständig für den Arbeitsbereich Sozialpolitik.
Griese ist Landes-Vizepräsidentin des Arbeiter-Samariter-Bundes NRW (2006–09 und seit 2011)

Als Hardcore-Kirchistin erklärt sie den Menschen, wie die ihr Lebensende zu gestalten haben.
Dabei offenbart sie so heftige Wissenslücken und geradezu Käßmannsche Naivität, daß sich der langjährige Zeit-Feuilletonist Prof. Fritz Raddatz nur schütten kann.

Es ist schändlich, Tränen zu vergießen bei Michael Hanekes Film "L'Amour" oder Klaus Maria Brandauer in "Die Auslöschung" aufregend-genial zu finden; sich erschüttert zu zeigen darüber, dass der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf sich erschoss (Beihilfe durch Verkauf der Pistole?) oder dass Helmut Kohls Frau Hannelore sich umbrachte (Beihilfe durch Verkauf des Medikaments?) – und dann wie die Talkshow-Mamsell Kerstin Griese, sie nennt sich "Sozialpolitikerin", über "Rechtssicherheit und Freiheit für Abwägungen" zu perorieren. Den Quatsch, Dame, begehr ich nicht. Da reimt sich infam auf inhuman. Das ist genau jene Spezies Staatsbeamte, die uns mit ihrer menschenfremden Stumpfheit weit wegtreiben von der Politik; der wir nicht zu dienen haben.

Ich weiß nicht, ob der arme Herr Raddatz auch die SPD-Mitgliederzeitung „Vorwärts“ liest. Ich wünsche es ihm nicht, denn dann würde er wie ich diese Woche das Missvergnügen gehabt haben einen ganzen Griese-Aufsatz zum Thema lesen zu müssen.

Es gibt in Deutschland Vereine, deren Zweck der Tod ist. Sie bieten die Dienstleistung "Sterbehilfe" nicht nur unheilbar Kranken an, sondern auch Menschen, die den Mut zum Leben verloren haben, weil sie schwer depressiv oder einsam, behindert und alt sind. Bei einigen Vereinen bekommt man den Tod schneller, wenn man mehr zahlt. Ist das mit Menschenwürde und mit Humanität vereinbar? Ich meine Nein.
Was wir statt solcher "Sterbehilfevereine" brauchen, ist eine bessere Versorgung mit Palliativmedizin. Wir brauchen mehr Hospize, in denen Sterbende mit berührender Fürsorge begleitet werden. Wenn Jeder die spezialisierte ambulante Palliativversorgung kennen und in Anspruch nehmen könnte, wäre der Ruf nach dem angeblich so schönen Tod in der Schweiz überflüssig.

Um nicht wieder unflätig zu werden, kontere ich diesen Unsinn mit zwei Professoren.

1.) (noch einmal Stenzel, s.o.)

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welchem rhetorischen Aufwand ein einfacher Vorgang abgewehrt und für illegitim erklärt werden soll: Ein Mensch beschließt nach reiflicher Überlegung und aus Gründen, die nur ihn angehen, dass er sein Leben beenden will und braucht dafür die Hilfe von medizinisch Fachkundigen
(Prof. Hartmut Stenzel, Gießen)

2.) (noch einmal Raddatz)

Das wirft neben den ethischen auch einige andere Fragen auf, die zu beantworten fast alle kommentierenden Journalisten zu faul waren. Die nämlich – leider auch das Ehepaar Schneider – tun so, als gebe es da einen mühelosen Sterbetourismus in die Schweiz, als könne man dorthin einfach den ICE nehmen und das berüchtigte "Glas" bestellen wie einen Drink an der Bar des Baur au Lac. Das stimmt schlichtweg so nicht. Wieder einmal hat die Publizistik (mit Ausnahme des "Welt"-Kollegen Matthias Kamann) geschluchzt, gedroht, geschimpft und von der Möglichkeit "der Reichen" gefaselt – aber nicht recherchiert.
Es gibt in der Schweiz überhaupt nur eine einzige Institution, die deutschen Staatsbürgern Hilfe beim Suizid anbietet. Im Gegensatz zu meinen fahrlässig insinuierenden Kollegen habe ich mich ausgiebig mit deren Leiter Ludwig Minelli und seinen Mitarbeitern unterhalten und kann Auskunft geben: geradezu bürokratische, jedenfalls ausgefeilt penible Prozeduren müssen absolviert, mehrere Gutachten deutscher, dann schweizerischer Ärzte müssen eingeholt werden, der "Preis" ist geringer als die Kosten für einen Flachbildfernseher. Minellis Organisation ist so seriös wie hochprofessionell.

Griese vollführt im Vorwärts dann aber noch einen regelrechten Parforce-Ritt durch sämtliche billigen Klischees der Religioten.
Die bösen Sterbehilfevereine wollten die gar nicht so Kranken einfach „wegspritzen“, obwohl diese doch eigentlich nur Zuwendung und Liebe ihrer Angehörigen brauchten. Außerdem wären die meisten Sterbewilligen einfach nur depressiv und das könne man ja schließlich gut behandeln.

Ja, Menschen wollen über ihr Lebensende selbst bestimmen. Wir alle wollen möglichst schmerzfrei sterben können. Unsere Verwandten und Liebsten wollen und sollten wissen, wie wir über unser Lebensende denken, wenn wir nicht mehr selbst entscheiden können. Das kann kein anonymer "Sterbehilfeverein" ersetzen. Deshalb plädiere ich dafür, die Tätigkeit dieser Vereine zu unterbinden.

Diese Religiotin lebt ich weiß nicht wo, jedenfalls NICHT in der realen Welt.
Abgesehen davon, daß es Frau Griese einen feuchten Kehricht angeht wie krank jemand ist und ob er überhaupt krank ist, wenn er sich selbst zum Suizid entscheidet, scheint diese Person offenbar nicht zu wissen, daß es Millionen Pflegebedürftige gibt, die in Alters- und Pflegeheime abgeschoben worden sind, weil sie eben nicht dieses liebliche 50er Jahre Heile-Welt-Netzwerk haben.
Das ist noch nicht einmal unbedingt eine beklagenswerte Tatsache, denn der Verlust der früheren Großfamilienstruktur zeigt eben auch, daß es heute Wahlfreiheit gibt. Man DARF sich scheiden lassen, Frauen brauchen keine Erlaubnis mehr, um arbeiten zu gehen, Männer dürfen ihre Frauen nicht mehr in der Ehe vergewaltigen, Kinder dürfen nicht geschlagen werden.
In Hamburg sind deutlich über 50% der Haushalte Singlewohnungen – und das ist auch gut so.
Als Großstadtkind bin ich beispielsweise in einer Familie aufgewachsen, die aus lauter Single-Haushalten besteht.
Ich behaupte, daß wir uns dadurch sogar besonders nahe stehen, weil alle Zusammenkünfte freiwillig und gewollt sind. Aber jeder schätzt umso mehr seine Privatsphäre, die Konflikte verhindert.
Klar, wer eine schwere Grippe hat, muß sich dann lästigerweise dennoch allein versorgen, aber ich zum Beispiel bin längst so sozialisiert, daß ich in solchen Situationen auch hartnäckig angebotene Hilfe ausschlage.
Ich will niemanden um mich haben, wenn ich Fieber habe und Schleim aus meinen Körperöffnungen tritt.

Das muß Frau Griese nicht verstehen. Sie kann sehr gerne, wenn sie einmal so weit ist, in einem Hospiz liegen und sich für Wochen oder Monate rund um die Uhr pflegen, beatmen, medikamentieren, waschen und umbetten lassen.

ICH will das aber nicht und offenbar bin ich damit nicht allein.

Griese wäre aber keine richtige Religiotin, wenn nicht zum Schluß noch ein besonders wischiwaschi-waberiger Schwall käme:

Jeder Fall ist individuell und kann nur in Beziehung zum Betroffenen beurteilt werden. Es gibt in dieser ethischen Frage kein Schwarz und kein Weiß. Die Würde des Menschen gilt auch dann weiter, wenn er schwer krank und hilfsbedürftig ist. Und ein würdiger Tod gehört zum Leben.

Was ein „würdiger Tod“ ist, sehen wir offenbar völlig unterschiedlich.
Griese will mit dem von ihr angeregten totalen Verbot von Sterbehilfevereinen aber vielen Menschen die Würde nehmen sich selbst zu entscheiden. Insbesondere dann, wenn er in ihren Augen nicht schwer krank ist.

Was für eine inhumane Sicht auf den Menschen.
Typisch für Christen.
Christen, wie sie in der Politik nichts zu suchen haben.