Samstag, 19. Januar 2019

Wenn Schule Politik wird.


Schulpolitik kann die Wähler bei Landtagswahlen extrem ärgern.
Wenn da viel schiefgeht wie in NRW unter Rotgrün, oder in BW unter Schwarzgelb, kann das durchaus mal eine Landesregierung aus dem Amt fegen.

Wenn die Bürger glauben ihr Nachwuchs werde durch schlechte Ausbildung um die Chancen gebracht, werden sie garstig.
Der erbärmliche deutsche Föderalismus verhindert nachhaltig die Zukunft der Kinder sinnvoll zu gestalten.
Seit Jahrzehnten gibt es Myriaden Lehrer zu wenig und an den Grundschulen jobben Quereinsteiger, die nie Pädagogik studierten, weil irrlichternde Landesregierungen annehmen bei den Jüngsten käme es nicht so drauf an.

Von Schulpolitik verstehe ich nicht so viel. Das hängt sicher damit zusammen, daß ich keine Kinder habe und sehr lange keine Schulen mehr von innen gesehen habe.
Meine Schulzeit war wenig aufregend; Grundschule Gymnasium, fertig, keine zusätzlichen Wechsel.
Die Gymnasialjahre verliefen a posteriori betrachtet fast ohne Stress. Da waren zwar einige wirklich schlechte Lehrer, mit denen ich mich in den Haaren hatte, aber auch einige sehr Gute und viele Mittelmäßige.
Ungerechterweise genoss ich große Narrenfreiheit, konnte so viel schwänzen wie ich wollte, weil ich eine tolerante Tutorin und sehr gute Noten hatte.

Mein Problem war eher, daß ich mein Studium schon mit 18 anfing. Da war ich noch viel zu unreif, um mich richtig zu entscheiden. Für mich wäre so ein amerikanisches College-System besser gewesen. Also noch ein paar weitere Jahre Schul-ähnlicher Betrieb, bei dem man seine Interessen breiter auffächert, bevor man sich für die eine Sache entscheidet, die man dann an der Uni ganz gründlich lernt. Ich konnte schon als 14-Jähriger Fächer auswählen, beendete nach der zehnten Klasse den Französisch-Unterricht, weil ich darin a) nicht besonders gut war und b) den Lehrer, der in der 11. Unterrichten würde nicht mochte.

Heute bin ich schlauer. Damals hatte ich aber keinerlei Vorbereitungen, keine Beratung, keine Eingangstests. Ich wußte gar nicht was „Uni“ ist.
Man schrieb sich als Teenager für irgendetwas ein, das dann den Rest des Lebens bestimmen sollte.
Von eben auf jetzt sollte man ganz selbstständig sein.

In den ersten Semestern jobbte ich natürlich – wie die meisten Studenten.
Auch da hatte ich Glück, konnte an der Uni selbst etwas Geld verdienen und gab außerdem Nachhilfe.
Dabei kamen mir erstmals große Zweifel am Schulsystem.
Bis dahin dachte ich alle Abiturienten würden in etwa das gleiche wie ich lernen.
Aber weit gefehlt. Nachhilfeschüler auf Wirtschaftsgymnasien und Aufbauschulen hatten noch in der 11., 12., 13. Klasse keinerlei Grundlagen in Mathe und Physik.
Ich erinnere mich an einen, der Abitur machte, dem ich erklärte was ein Platzhalter in einer mathematischen oder physikalischen Formel ist. Ich konnte es nicht fassen.
Und ich erlebte Schüler, die wirklich schlechte Lehrer hatten; nicht die Sorte, die ich an meiner Schule für schlecht hielt, sondern echte Sadisten, die unter Aufsätze schrieben „Fabian, Du kannst wirklich gar nichts! Du kannst nur Hilfsarbeiter werden!“
Als ich noch studierte lernte ich eine Lehrerin kennen und fragte wie es eigentlich angehen könne, daß Schüler ohne irgendwelche Grundlagenkenntnisse versetzt werden und andere, die sich sichtbar Mühe gaben offenbar mit Wonne gedemütigt wurden.
Ihre simple Antwort: Das hinge vom Stadtteil ab. Sie hätte jahrelang auf einer katholischen Schule in den Hamburger Walddörfern (konservative Vorortgegend) unterrichtet und sei nun nach Wilhelmsburg (Problemviertel!) versetzt. Wenn sie dort die Maßstäbe ansetze, wie an der alten Schule, müsse sie alle durchfallen lassen, keiner wäre besser als „vier“.
Nun gäbe sie Schülern schon mal ein „gut“, die an ihrer vorherigen Schule gerade mal ausreichend bekommen hätten.
Aber anders ginge es gar nicht, wenn man den Schulbetrieb nicht zusammenbrechen lassen wolle. Schließlich liebe sie ihren Beruf und wolle die Schüler nicht demotivieren.

Als kurz nach dem Anschluss der DDR die Debatte begann, ob man nicht die Gymnasialzeit verkürzen sollte, hielt ich das für völlig verrückt. G8 statt G9? Noch weniger Schulzeit, obwohl deutsche Schüle offensichtlich ohnehin schon verblödet waren?
Was für ein Unsinn! Heute wünsche ich mir, ich hätte G11 oder G12 genossen. Es fällt meiner Gerontenbirne so schwer Sprachen zu lernen. Warum hat man mich nicht mit 14 gezwungen den verdammten Französischunterricht noch drei Jahre länger zu machen und am besten noch Spanisch oder Italienisch dazu?
Das wäre mir verglichen mit heute so leicht gefallen.
Und wieso konnte ich durch meine gesamte Schulzeit rutschen ohne eine einzige Stunde Religionsunterricht zu haben? Ich erfuhr nichts über die Kirche und schon gar nichts über andere Glaubens-Konstrukte. Das musste ich mir alles autodidaktisch erarbeiten.

Nach meinem Eindruck ging es bei der G8 oder G9-Debatte weniger um das Wohl der Schüler, sondern um einen Standortvorteil einzelner Bundesländer.
Es war die CDU mit ihrem Leitbild Leistung, die auf das Turbo-Abi drängte. Deutsche Schüler wären viel zu alt beim Berufseinstieg.
Das müsse alles schneller gehen und man könne auch viel Geld an Schulen sparen, wenn die Kinder schneller durchgeschleust würden. Endlich Lehrpläne entrümpeln

Meine rudimentären Erkenntnisse von all dem, was schief geht an deutschen Schulen, fand ich in Philipp Möllers „Isch geh Schulhof“ bestätigt.
Die Lehrerausbildung verläuft katastrophal falsch und das Schulsystem krankt an der Unstetigkeit. Die allermeisten Änderungen der 16 einzelnen Kultusminister sind durchaus sinnvoll, oder zumindest gut gemeint, aber sie kommen so häufig, daß die Lehrer keinerlei Elan mehr aufbringen alles umzusetzen.

(….) Es dürfte sogar noch viel schlimmer werden, wenn die asozialen und desintegrierten gegenwärtigen Klein-Bälger erwachsen werden.
Lehrer berichten von unfassbaren Zuständen an den Schulen.

„Pinsel und Malutensilien werden verteilt – und die Klopperei beginnt! Es wird laut, Kinder müssen ihrem Nachbarn ins Gesicht schreien, dass sein Bild doof (das Wort war ein anderes) ist.“
„Einige werden maulig, geben unpassende Kommentare ab und antworten auf Fragen von Frau G. mit Fäkalsprache.“
„Wir malen noch einmal auf dem Fußboden der Sammlung – eigentlich eine tolle Erfahrung für Kinder. Freud- und anstrengungslose Versuche vieler Kinder, Striche aufs Papier zu bringen.“   „Endlich stehen alle, da trampeln Kinder mit dreckigen Schuhen über die Bilder! Absichtlich! Am nächsten Tag wird mir ein Kind erklären, dass ihm langweilig war – und dass es dann ja wohl klar ist, dass es das tun kann.“  „Ältere Herrschaften steigen über Butterbrotpapiere, Rucksäcke und Kinder. Den Kindern kommt das nicht einmal komisch vor. Als ich sie auffordere, Platz zu machen, schauen sie mich verständnislos an – und essen in Ruhe weiter!“
„Die Mitschüler werden angeschrien, geboxt, getreten und Rucksäcke umhergeschleudert. Ein älterer Herr bekommt auch einen ab. Eine Entschuldigung ist nicht zu erwarten.“
„Kinder lassen die Hälfte ihrer Sachen liegen in der Erwartung, dass es ihnen schon jemand hinterhertragen wird.“
„Es ist für die Kinder nicht einsehbar, dass wir in dem wuseligen Hauptbahnhof dicht zusammenbleiben müssen. Ich komme mir vor wie ein Schweinetreiber.“
„In der Bahn plötzlich vertraute Geräusche. Rülpsen! Kein Versehen, sondern volle Absicht. Wer kann es am lautesten? Sie denken: Die redet sicher von meinem Nachbarn? Falsch: Gehen Sie davon aus, dass ich auch von Ihrem Kind spreche – es gibt nur sehr wenige Ausnahmen!“
[…]   „Kinder kommen bereits um 8 Uhr früh gut gefüllt mit einer Stunde Super RTL, gewalttätigen und blutrünstigen Gameboy-Spielen und einem beachtlichen Blutzuckerspiegel in die Schule.“
„Sie springen mit erhobenen Fäusten wie Ninjakämpfer in die Klasse, semmeln erstmal drei Mitschüler über den Haufen und merken es nicht einmal.“

Und wenn man Philipp Möllers brillantes und lehrreiches Buch „Isch geh Schulhof“ gelesen hat, möchte man sich bei dem Gedanken an die Zukunft gleich erschießen.
Dabei ist das Unfassbare, daß wir sehenden Auges in die Katastrohe schlittern. Wir wissen wie man es besser machen kann; Möller hat das in seinem Buch alles dargelegt. Wir wissen auch aus den PISA-Spitzenländern, warum ihre Schulen so viel besser als die Deutschen sind. Aber Kleinstaaterei, Phlegma und Ideologie verhindert, daß Deutschland endlich was ändert.

Dabei wäre es viel zu simpel „der Politik“ dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Denn der Stillstand ist vom Volk gewollt. (….)

Inzwischen gibt es fast flächendeckend G8, die CDU hat ihren Willen bekommen und endlich könnte etwas Ruhe einkehren. Da fällt der mittlerweile auf 14% abgestürzten Hamburger CDU mangels anderer Themen und mangels anderer Kandidaten in Gestalt des debakulierenden Fraktionschefs Trepoll ein das Faß wieder aufzumachen.
Die Elb-CDU will alles wieder rückgängig machen und auf G9 umstellen.
Just nachdem endlich so etwas wie Burgfrieden an den Hamburger Schulen eingetreten ist.

[….] Rathaus-Zoff um G9-Plan „Schulfrieden“ in Gefahr: CDU zettelt Bildungsstreit an. [….]

Das schafft nur Chaos hilft niemand, aber G9 ist populär.
So kommt die CDU mal wieder in die Presse.
Absolut verantwortungslos, diese Partei!

[….] Nein, nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich einmal für eine Verkürzung der Schulzeit eintreten würde. Als G8 – also das achtjährige Gymnasium – eingeführt wurde, war ich absolut gegen diese Reform. Aber jetzt appelliere ich: Lasst uns bei G8 bleiben! Denn ausgerechnet die CDU, die uns das alles eingebrockt hat, will die Reform jetzt zurückdrehen. Und das nicht nur aus Überzeugung, sondern aus wahltaktischen Gründen.
Hamburgs Parteien finden sich plötzlich in einer paradoxen Situation wieder: Grüne und SPD, die das Turbo-Abi ursprünglich gar nicht gut fanden, wollen es jetzt erhalten. Und die CDU, die es eingeführt hat, möchte die Uhr zurückdrehen. Vielleicht jedenfalls. [….] Ich habe meine Meinung in der Sache nicht geändert. Ich halte es nach wie vor für unsinnig, dass Schüler weniger Zeit zum Lernen und Reifen haben, damit sie dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung stehen. Das Ergebnis ist bei vielen, dass sie nach dem Abitur erst mal eine Auszeit nehmen oder sich durchs Studium bummeln. Oder mit 22 Jahren einen Master in BWL haben und als Unternehmensberater Firmenchefs coachen wollen, die mehr als doppelt so alt und lebenserfahren sind wie sie. [….] Die CDU triumphiert derzeit über eine Forsa-Umfrage im Auftrag des „Hamburger Abendblatts“, laut der 76 Prozent der Hamburger für eine Rückkehr zu G9 sind. Aber das ist eine Zahl, die vor jeder öffentlichen Diskussion in der Stadt erhoben wurde. Wenn CDU-Fraktionschef André Trepoll G9 zum Wahlkampfthema macht, könnte eine aktuelle Befragung ganz anders ausfallen. Insbesondere, da die politischen Gegner ihm immer wieder unter die Nase reiben werden, dass er das Thema für Wahlzwecke missbraucht. Und das dürfte kräftig an der Glaubwürdigkeit der Partei nagen. [….]