Freitag, 30. Mai 2014

Merkels Wechselwirkungen.



Während die Politjournalisten nach 24 Jahren Merkel in Bundesregierungsverantwortung, bzw Oppositionsführerin, immer noch rätseln, ob Merkel eigentlich noch irgendetwas anderes antreibt als die pure persönliche Machtgier, hat sich für den Urnenpöbel wenigstens eine Gewissheit herausgebildet.
Das Merkelsche Gesetz.

Seit Thomas Oppermann das Merkelsche Gesetz postulierte, stiegen ihre Popularitätswerte kontinuierlich an und kratzen gegenwärtig an der 80%-Marke.

Sie beläßt es bei vagen Ankündigungen, wolkigem Gewaber und einigen konkreten Aktionen, die sie für die Zukunft „ausschließe.“

Merkel treibt planlos vor sich hin - durch ihren aberwitzigen ZickZack- und Hinhaltekurs hat sie die Eurorettungsaktion zigfach verteuert. 
Ihr abstruses Spardiktat würgt die Konjunkturen diverser Nationen ab.
 So ein Rezept hätte sie nie für Deutschland gewollt. Hier reagierte sie 2008/2009 völlig gegenteilig auf die Krise; nämlich mit gewaltigen Ausgaben-Orgien, zwei dicken Konjunkturpakten und Geldrauswurfmaßnahmen wie der Abwrackprämie.

Die Chaotisierung der europäischen Finanzarchitektur durch Wolfgang Schäuble und Angela Merkel folgt einer Grundregel, die SPD-Fraktionsgeschäftsführer Oppermann sehr schön auf den Punkt brachte, nachdem der eben noch endgültig auf maximal 218 Milliarden Euro begrenzte Haftungsrahmen von Merkel doch auf 280 Milliarden
aufgeblasen wurde.

Wieder einmal, so Oppermann, komme das "Merkel'sche Gesetz" zur Anwendung: Je vehementer die Kanzlerin etwas ausschließt, desto sicherer ist, dass es später doch eintritt. Der Ärger der Genossen erscheint verständlich, denn es ist beileibe nicht das erste Mal, dass Merkel in der Schuldenkrise eine Position revidiert. Im Gegenteil: Die meisten Bundesbürger haben angesichts des Hü und Hott längst den Überblick verloren. Sie registrieren nur noch, dass die Summen, für die sie einstehen sollen, immer astronomischer werden und dass mittlerweile halb Europa auf ihre Kosten zu leben scheint. Wut, Frust und Missverständnisse haben ein Maß erreicht, das geeignet ist, die Demokratie in ihren Grundfesten zu erschüttern.    Die Hauptschuld daran trägt die Kanzlerin, der es nicht gelingt, mit den Bürgern so zu kommunizieren, wie es die Schwere der Krise von ihr verlangt. Keine Fernsehansprache, keine Rede zur Lage der Nation, stattdessen Gemauschel in Hinterzimmern nebst anschließender Kurskorrektur.

Griechenlandumschuldung, Wehrpflicht, Atomkraft, Mehrwertsteuer, Gesundheitsreform - wohin man auch blickt; man kann sich stets darauf verlassen, daß das was die Kanzlerin als absolut alternativlos einnordet doch nicht kommt, sondern eher das Gegenteil dessen angepeilt wird.

Dieses Gesetz scheint allgemeine Gültigkeit zu haben.
Man erinnert sich an Merkels großartige Ankündigungen ein „No Spy Abkommen“ abzuschließen und ihren Kommentar „Abhören unter Freunden – das geht gar nicht!“, als ihr Handy abgehört wurde.
Inzwischen war sie in Washington, erwähnte dort den NSA-Skandal mit keinem Wort, begrub das No-Spy-Abkommen und sieht jetzt sogar tatenlos dem Kotau des Generalbundesanwalts zu, der erklärt, daß er noch nicht einmal ermitteln werde.

Das kanzlerische Handling der Europawahl gestaltet sich also genauso wie man es von ihr kennt.
Erst stellt sich Merkel hinter Juncker, wirbt für ihn, verspricht diesmal würde nicht in Hinterzimmern gemauschelt, sondern das Wählervotum gelte. Stunden nach der Stimmenauszählung wendet die Kanzlerin den Leitsatz des ersten CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlers an: „Wat kümmert mich ming Jeschwätz von jestern?“
Juncker? Auf den hat sie nun doch keine Lust mehr und was das Parlament möchte, ist ihr ohnehin egal – es soll wieder ausgeklüngelt werden.
100% Merkel also. Soweit, so normal.



Das Eigenartige ist aber, daß dieses völlig erwartungsgemäße Merkelverhalten urplötzlich einige der altbekannten Politjournalisten gar sehr aufregt.
Rolf-Dieter Krause konnte im Tagesthemen-Kommentar kaum noch an sich halten.


Genauso äußerte sich Heiner Bremer in einem Kommentar für ntv. Die Kanzlerin habe den Wähler in nie dagewesener Weise „desavouiert“ und kümmere sich nicht um ihr Geschwätz von gestern.

Die Süddeutsche diagnostiziert streng „Merkels Undank.“

Es wäre absurd, Cameron ein Vetorecht einzuräumen
[….]   Dramatisch hat die Kanzlerin begründet, warum Jean-Claude Juncker eine zügige Nominierung zum Präsidenten der Europäischen Kommission verwehrt bleibt und sie selbst ihrem eigenen Kandidaten nun eine entschlossene Unterstützung versagt. Es drohe sonst ein Vertragsbruch, der Europa erneut an den Rand der Katastrophe führen könnte, hat Merkel erklärt. Wenn dem so wäre, bliebe den Staats- und Regierungschefs nur die Wahl zwischen Vertragsbruch und Vertrauensbruch. So tragisch ist die Lage nicht.
Merkel würde mitnichten vertragsbrüchig, bliebe sie nun bei dem, was sie zwar zunächst widerwillig, aber dann doch eindeutig im Wahlkampf getan hatte: Juncker in seiner Kandidatur für das Amt des Kommissionspräsidenten zu unterstützen. Der Vertrag von Lissabon verlangt keine Einstimmigkeit, sondern eine qualifizierte Mehrheit. Christ- und Sozialdemokraten im Rat erreichen diese Mehrheit leicht. […]
 (SZ vom 30.05.2014)

Andere Kommentatoren sind nicht weniger angewidert vom Verhalten der beliebtesten Kanzlerin aller Zeiten.

Lavieren, taktieren, auf die lange Bank schieben – die übliche Merkel-Taktik, könnte man meinen. Doch diesmal hat die Kanzlerin keine Ausrede. Es ist ihr Job, die nötige Mehrheit im Rat zu organisieren, der den nächsten Kommissionschef vorschlägt. Wenn sie das nicht energisch vorantreibt, schießt sie Juncker ab. Denn die Gegner sind gut organisiert. Angeführt werden sie vom britischen Premier Cameron. Zu seinen Verbündeten zählen Ungarn, Niederländer und wohl auch Schweden. Die Kanzlerin kann nicht so tun, als habe sie keine Ahnung.
Schließlich weiß sie nur zu gut, wie man Kandidaten abschießt. 2004 war sie es, die im Bunde mit Camerons Amtsvorgänger Blair den Kandidaten der damaligen Bundesregierung abblockte. Merkel und Blair zauberten den Portugiesen Barroso aus dem Hut – der sich dann als ausgesprochen schwacher Kommissionschef erwies. Das darf sich nicht wiederholen, sonst ist die EU am Ende. Und die nächste Europawahl kann man sich dann auch gleich schenken.

Jakob Augstein, der als einer der wenigen schon länger die Merkelpolitik deutlich kritisierte, gibt sich ebenfalls schwer genervt von seiner Kanzlerin. Er fährt schweres Geschütz auf und bezichtigt sie sogar der Zerstörung der EU.
Leider ist das nicht besonders übertrieben.

Verachtung? Ist es das, was unsere Kanzlerin in Wahrheit für die Menschen empfindet? Verachtung ist das Gegenteil von Respekt - und weniger Respekt als Angela Merkel jetzt den Wählern in Europa erwiesen hat, kann man als Politiker nicht an den Tag legen. Zwei Kandidaten wollten Kommissionspräsident werden. Es gibt Wahlen. Der Konservative gewinnt. Das Europäische Parlament sichert ihm Unterstützung zu. Aber Angela Merkel sagt: Abwarten!
Das berüchtigte "demokratische Defizit", das so viele Menschen an Europa beklagen, hier hat es Gesicht und Namen.
[…]  Merkel und die anderen Regierungschefs wollen ihre Macht nicht mit dem Volk teilen. Der Nationalismus ist das Problem. […] Europagegner wie Marine Le Pen oder David Cameron missachten und missverstehen das ebenso wie eine Europagleichgültige wie Angela Merkel.
[…] Die große europäische Krise wurde ja nicht durch die Sinti und Roma ausgelöst, denen Le Pen den Kampf angesagt hat. Sie wurde auch nicht von den ausländischen Hartz-IV-Empfängern ausgelöst, die Angela Merkel nicht mehr im Land haben will. Sie wurde von den Banken ausgelöst. Und gegen die Banken ist La France profonde von Le Pen allein genauso machtlos wie Merkels Wirtschaftswunderdeutschland. Und das gilt selbstverständlich auch für den Grenzstreit mit Russland, oder für den Überwachungskonflikt mit der NSA oder für den Datenkampf mit Google oder für das Handelsabkommen mit den USA.
[…] Merkels Rechthaberei hat aus Griechen, Italienern, Spaniern, Portugiesen Bürger zweiter Klasse gemacht und den Stolz der Franzosen gebrochen.
Hier liegt das große, historische Versagen dieser Kanzlerin. Sie hat im Moment der Krise nicht wie Adenauer (Römische Verträge), Schmidt (Europäisches Währungssystem) und Kohl (Maastricht-Vertrag) den europäischen Weg gesucht - sondern den nationalen. […]

Die scharfe Kritik an Merkel beschränkt sich nicht auf journalistische Kreise. Im Zusammenhang mit der deutschen Bundeskanzlerin fiel in anderen Regierungen sogar das Wort „erbärmlich.“

Es war ein EU-Gipfel, der Schockwellen ausgelöst hat. Das verkappte „Nein, aber...“ der 28 Regierungschefs zum konservativen Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker sorgte selbst in Kreisen der Europäischen Volkspartei für Empörung. „Ernüchternd bis erbärmlich“, schimpfte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn.

Ich nehme an, daß die Uckermärker Profilügnerin doch ein bißchen verblüfft war, als ihr Frau Christiansen und Frau Baumann den ungewohnt heftigen Presseshitstorm vorlegten.
Sie tat das, was ihre leichteste Übung ist: Zurückrudern.
„Merkel nun doch für Juncker“ meldete SPON heute Nachmittag.

Besser aufgepasst hatten allerdings die Jungs von der Süddeutschen.
In Wahrheit war auch diese neuerliche Kehrtwende der Kanzlerin wieder keine Richtungsentscheidung, sondern ein wachsweiches Wattestatement mit Hintertür.

Soll Juncker Präsident der EU-Kommission werden? Kanzlerin Merkel beteuert überraschend, sie führe "alle Gespräche genau in diesem Geiste". Das klingt nach Kehrtwende, aber Regierungskreise weisen auf die Feinheiten ihrer Formulierung hin. […] Auf dem Katholikentag in Regensburg sagte Merkel am Freitag, die Europäische Volkspartei sei mit ihrem Spitzenkandidaten als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen. "Deshalb führe ich jetzt alle Gespräche genau in diesem Geiste, dass Jean-Claude Juncker auch Präsident der Europäischen Kommission werden sollte."
Mit dieser Formulierung wollte Merkel nach Auskunft aus Regierungskreisen zweierlei klarmachen: Ihre Unterstützung für Juncker sei zweifelsfrei, sie sehe sich aber auch in einem Verhandlungsprozess mit 27 anderen Nationen, dessen Ende sie nicht absehen könne. Darauf deutet die Formulierung, wonach sie Gespräche "im Geiste" führe, und dass Juncker den Präsidenten-Posten bekommen "sollte".
[…] Merkel sagte am Dienstag, die (europäische) Agenda könne von Juncker, "aber auch von vielen andern durchgesetzt werden".  […]

Merkel ist sichtlich darum bemüht die ausufernde Diskussion wieder einzufangen.
Die Journalisten sollen sich gar nicht erst daran gewöhnen, daß man Angela, die Große, wie andere Politiker auch nach Kriterien des Anstands und der Vernunft kritisieren darf.
Der Urnenpöbel soll gar nicht erst aufwachen.
Sie könnte wieder einmal richtig liegen mit ihrer Strategie. Gestern war allgemeines Saufgelage („Vatertag“), jetzt ist Wochenende und ohnehin denken alle nur noch an die Fußballweltmeisterschaft.

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