Samstag, 4. August 2012

Panik macht sich breit.


Journalisten der liberalen Blätter „Tagesspiegel“ und „ZEIT“, sowie prominente grüne Bundestagsabgeordnete ergehen sich in apokalyptischen Warnungen.

Der „aggressive Atheismus“ stehe ante portas!

Man bedient sich Ratzingerischen Wortbildern. 
Hatte doch der Papst höchst selbst über die bösen Kritiker gejammert, die es wagten es nicht für eine gute Idee zu halten, wenn ein Deutscher Papst und früheres Hitler-Jugend-Mitglied einen offen antisemitischen holocaustleugnenden Bischof rehabilitiert und in seine Arme schließt.

«Betrübt hat mich, dass auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten», schreibt der Papst in einem Brief an alle Bischöfe, der auf der katholischen Internetseite kath.net veröffentlicht ist.

Scheinbar waren die Dämme gebrochen. 
Neben den usual suspects, also einer winzig kleinen Gruppe notorischer Kirchenkritiker, wagten es nun auch „ganz normale Männer“ den Vatikan zu kritisieren. 
Die übliche „Christentum ist eine wunderbare Sache“-Grundstimmung der Feuilletons kippte von wolkig-rosarot in neutralere Farben um. 
Zwar wußten die, die es wissen wollten, schon lange von dem zigtausend-fachen Missbrauch katholischer Geistlicher an Kindern, aber ab Januar 2010 diffundierten diese Meldungen von ihrem Dreizeiler-Dasein auf den letzten Seiten bis in die Titelstories.

Die Gläubigen staunten nicht schlecht, ob der neuen offenen Kritik an der katholischen Amtskirche. 

Und das alles nur weil sich Bischöfe und Pfarrer Jahrzehnte lang schützend vor die Kinderficker in ihren Reihen gestellt hatten, statt die Kinder vor ihnen zu schützen.

»Jetzt reicht’s!»: In Nürnberg fordern Plakate aus dem Umfeld einer totalitären Sekte zum Kirchenaustritt auf; in England setzt ein in seine eigene Gottlosigkeit verliebter Biologe alle Hebel in Bewegung, um den Papst gleich bei seiner geplanten Landung auf dem Boden des Vereinigten Königreichs verhaften zu lassen; und in Marktl wird das Geburtshaus Benedikts mit Schmierereien verunstaltet, deren Obszönität nicht einmal der Polizeibericht wiedergeben will.
[…] Der von Papst Benedikt schon früher beklagte »sprungbereite Hass» zeigt nun offen sein Gesicht. Und er findet täglich frische Nahrung in Meldungen über »neue» Missbrauchsfälle – wobei tatsächliche sexuelle Übergriffe schon mal mit ein paar Kopfnüssen vermengt werden, wenn es gilt, den Namen eines besonders missliebigen, weil besonders konservativen Bischofs ins Spiel zu bringen.
[…] Wer sich jetzt angeekelt von der »Amtskirche» abwendet, um sein religiöses Privatleben zu pflegen, macht es sich zu einfach.

Was ist da los?

Der Rubikon ist überschritten. 
Mehr und mehr leuchten aufklärerische Lichtstrahlen in all die finsteren Ecken, die kein Kirchenmann je erhellen wollte.

Die vielen kirchlichen Sonderrechte, die teilweise sogar grundgesetzwidrig sind, kennen die wenigen organisierten Konfessionslosen schon lange.

Nun könnte es aber erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik dazu kommen, daß größere Teile der Öffentlichkeit bemerken, wie schamlos sich die Großkirchen finanziell und rechtlich beim Staat bedienen.

In jenen Wochen, da sich in Europa die Zukunft des Geldes entscheidet, der Renten und Löhne, der Preise für Brot und Milch, da diskutieren die Leute ebenso erregt über die männliche Vorhaut. Über die abgeschnittene Vorhaut, genauer gesagt, denn das Kölner Landgericht hat die Beschneidung muslimischer und jüdischer Jungen als Straftat gewertet. Die Leute diskutieren auch, ob ein Satiremagazin dem Papst auf einem Foto gelbliche Flecken in den Schritt montieren darf; dies so sehr, dass der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick Religionsbeleidigung schärfer bestraft sehen will. Und im Herbst werden die Leute streiten, ob die Kirchen weiterhin ein eigenes Arbeitsrecht haben sollen, denn dann urteilt das Bundesarbeitsgericht in dieser Angelegenheit. Die Leute mögen Gott vergessen haben. Aber die Religion liefert immer noch Empörungspotenzial.

Täuschen wir uns nicht - noch immer sind die Kirchenlobbyisten tausendfach so gut vernetzt wie Atheisten.
 Bischöfe haben in Parlamenten, in Ethikkommissionen, in Rundfunkräten etc enormen Einfluß.


Eine ähnlich große Majorität der schreibenden Zunft schlug sich mit teilweise abenteuerlicher und kinderfeindlicher Argumentation auf die Seite der Kirchen, Synagogen und Moscheen.

Es grummelte eher in den hinteren Reihen. Auf Facebook, in Leserzuschriften.

Aus den vorderen Reihen des Journalismus vernehme ich leider fast immer nur Religioten-Bekenntnisse.

Die SZ „protokolliert“  heute vier Meinungen zum Thema Beschneidung aus dem einfachen Volk. 

Alle Vier sind knallhart für die Genitalverstümmelung. 

Nicht eine einzige kritische Stimme wird abgedruckt.

Joachim Krätschell, 44 Jahre, Pastor einer Gemeinde in Wilmersdorf:
'Ich finde die ganze Diskussion völlig absurd. Es geht hier um die Ausübung der Religionsfreiheit. Nach Genesis 17 ist die Beschneidung für die Juden das Zeichen des Bundes, also des Bundes jedes einzelnen Juden mit Gott, und nur so ist das zu verstehen. Das wäre so, als würde man uns Christen die Taufe verbieten. Das kann uns aber keiner verbieten, und wir taufen die Kinder. Sie sind auch nicht religionsmündig. Wir als Eltern fällen aber die Entscheidung für unsere Kinder. Täglich entscheiden wir ja für unsere Kinder, weil sie allein noch nicht entscheiden können. Aber wir wollen sie in Gottes unmittelbarer Nähe wissen, durch die Taufe, durch die Beschneidung. […]    Ich frage mich, ob es nicht auch etwas damit zu tun hat, dass die Generation, die den Holocaust, die Nazizeit miterlebt hat, langsam ausstirbt. Vielleicht denken manche heute: So, die Schonfrist ist vorbei. Jetzt können wir die Juden so behandeln, wie wir andere auch behandeln. Das ist so ein leiser Gedanke, der sich bei mir einschleicht, leider. Immer wieder kommen antisemitische Äußerungen. Es ist irgendwie salonfähig, antisemitisch zu sein.
(SZ 04.08.12)

SZ-Kirchenmann Drobinski schafft es zwar gerade noch die Konflikt-Linien zwischen Kirche und Gesetz korrekt nachzuzeichnen, aber er schließt mit Sätzen aus dem tiefsten Religiotenfundus:

Der Glaube ist nicht einfach aus sich heraus gut. Doch ohne ihn würden die kollektiven Erfahrungen und kulturellen Kräfte fehlen, ohne die ein Staat genauso wenig leben kann wie ohne die Menschen, die sich aus religiösen Gründen um Kranke, Alte, Schwache kümmern, ohne die Gegenentwürfe zum Nächstliegenden und Nützlichen. Der Staat braucht die Kraft des Transzendenten, die sich ja in der Erregung übers Beschneiden oder Gotteslästern zeigt. Er braucht sie als Gegenkraft. Damit er sich nicht selber absolut setzt.

In diesem SZ-Fazit steckt so viel Falsches, daß ich gar nicht wüßte wo ich anfangen sollte.

Ohne den Glauben fehlten kulturelle Kräfte?
 Dabei ist es der Glaube, welcher die Kultur am heftigsten behindert, zensiert und zerstört.

Der Staat könnte ohne die parasitären Eigenschaften des Glaubens sogar viel besser leben. 

Und dann das Märchen von der Nächstenliebe gegenüber Kranken, Alten und Schwachen!

Umgekehrt wird ein Schuh draus.

Drobinski käut wider, was schon tausendfach vor ihm geschrieben wurde. Dadurch wird es aber nicht wahrer. Kevin P. Hoffmann argumentierte beispielsweise im Dezember 2009 auf diese Weise.

In den Kirchen wird es klamm. Auch katholische und evangelische Gemeinden leiden unter der Wirtschaftskrise. Doch einige Probleme sind hausgemacht


Dazu ein aufschlussreicher Leserbrief.

Zum Artikel "In den Kirchen wird es klamm" im Tagesspiegel vom 23. Dezember 2009, S. 15:
Sie schreiben: "Tatsache aber ist, daß die Einnahmen der Kirchensteuer in erster Linie in die Betreuung von Kindern, Alten, Kranken und Behinderten fließen. Man muß kein Christ sein, um das zu unterstützen."
Die Behauptung im ersten Satz dieses Zitats ist nachweislich falsch. Ein Blick auf z.B. die Internetpräsenz des Erzbistums Köln (dort: "Verwendung der Kirchensteuer 2009") zeigt, daß für die in Ihrem Artikel genannten karitativen Zwecke gerade einmal 9,7 Prozent des Kirchensteueraufkommens verwendet werden. Demgegenüber werden aber etwa zwei Drittel der Einnahmen der beiden Großkirchen aus der Kirchensteuer für die Bezahlung von Pfarrern und Kirchenpersonal aufgewendet (Quelle: Internetseite des IBKA, dort "Kirche und Geld"). Von einer Verwendung der Kirchensteuer "in erster Linie" für karitative Zwecke kann also beim besten Willen nicht die Rede sein.
Der Artikel zeigt aufs Neue die bereits in der Berichterstattung zum Thema "Pro Reli" Anfang dieses Jahres hervorgetretene massive kirchenfreundliche Haltung Ihres Blattes. Gerade im zeitlichen Zusammenhang mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest und der traditionell damit verbundenen "christlichen Wohlfühlstimmung" kann die o.g. Behauptung erkennbar nur einen Zweck verfolgen, nämlich Kirchenmitgliedern, die eigentlich nicht religiös sind und möglicherweise über einen Austritt nachdenken, eine Begründung für ihren weiteren Verbleib in Kirche zu geben.
Denn "die Betreuung von Kindern, Alten, Kranken und Behinderten" zu unterstützen kann in der Tat nicht falsch sein. Um dies zu tun ist die Kirchensteuer jedoch wie gezeigt zum weit überwiegenden Teil der falsche Weg. Richtig muß es also heißen:
"Tatsache ist, daß derjenige, der möglichst effektiv Kindern, Alten, Kranken und Behinderten helfen möchte, dies am besten dadurch bewerkstelligt, daß er aus der Kirche austritt und die ersparte Kirchensteuer direkt entsprechenden wohltätigen Organisationen zukommen läßt. Man muß kein Atheist sein, um dies zu erkennen."
(Zitiert nach Tammox 2009)

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