Sonntag, 29. September 2019

Prinzipien


Es gab mal eine Zeit, als die GOP-Präsidentschaftskandidatur auf entweder Donald Trump oder Ted Cruz hinauslief.
Ich plädierte für denjenigen, der schlechtere Chancen gegen Hillary Clinton haben würde.
Aber es war schwer vorauszusagen welcher der beiden Männer im unwahrscheinlichen Fall einer Niederlage Clintons der schlimmere Präsident wäre.
Damals hielt man „Lyin‘ Ted“ noch für einen passenden Spitznamen. Tatsächlich war Cruz bekannt dafür die Wahrheit eher als Option zu betrachten und im Parlament zu lügen.

Bill Maher musste sich zwar heftig übergeben, plädierte aber für Cruz. Dieser wäre mutmaßlich zwar der schlechteste US-Präsident, aber Trump könnte der letzte Potus sein.


Ich erinnere mich genau an die REAL-TIME-Episode, lachte natürlich, aber in der Sache war ich anderer Meinung.
Man wußte natürlich schon, Trump war charakterlich völlig verdorben, ungebildet und gänzlich unqualifiziert. Aber ich nahm an, er würde schnell das Interesse am Amt verlieren, sehr viel golfen und mangels politischen Wissens und strategischer Überzeugungen  gar nicht viel entscheiden.
Er war schließlich auch mal Demokrat, trieb sich in der Show-Welt herum und hatte offenbar auch keinen tiefen religiösen Hass auf die LGBTI, weil ihm die Kirche ebenfalls nichts bedeutete.
Cruz hielt ich damals für gefährlicher, weil er immer ein religiöser Fanatiker war, der aufgrund seiner tiefen Neocon-Überzeugungen zu grenzenloser Brutalität fähig wäre. Er würde sich mit seinen völlig ideologisch durchgeknallten Teebeutlern umgeben, während Trump eher auf reiche Lobbyisten setzen würde.

Drei Jahre später muss ich zu Kreuze kriechen. Bill Maher lag doch richtig, ich irrte. Zwar hatte ich Trumps Faulheit und Dummheit richtig eingeschätzt, aber offenbar habe ich seine Bösartigkeit und Skrupellosigkeit unterschätzt. Der Mann, der andere im Wahlkampf als Lügner brandmarkte, war selbst unehrlich, aber 12.000 Lügen nach zwei Jahren im Amt? Damit hätte ich nicht gerechnet.
Und wer hätte gedacht, daß er so sagenhaft doof ist nicht einen einzigen Tweet fehlerfrei schrieben zu können?

[…..] Er bricht mit ethischen, politischen und moralischen Normen, wanzt sich an Autokraten heran, lässt nahe der mexikanischen Grenze Kinder in Käfige sperren und hält Rassisten für "feine Leute". Er besetzt wichtige Posten des Staates mit Mitgliedern seiner Familie oder Speichelleckern, fordert die Inhaftierung politischer Kontrahenten, belügt sein Volk über Beziehungen zu Russland, behindert die Justiz und lässt einer Pornodarstellerin Schweigegeld zukommen, um eine Affäre zu verheimlichen. Mehrere Frauen bezichtigen ihn der sexuellen Belästigung. Wenn er Militärhilfe von fast 400 Millionen Dollar zurückhält und damit Druck auf die Ukraine ausübt, um einem möglichen Herausforderer zu schaden, spielt er mit den Sicherheitsinteressen seines Landes. Es könnte an Hochverrat grenzen. [….]

Ja, natürlich wußten wir vorher, daß Trump ein klassischer Rassist ist, der keine Schwarzen in seinen Häusern als Mieter wollte, dessen Vater im KKK unterwegs war.
Aber vor drei Jahren war mir noch nicht völlig klar wie sehr die Hautfarbe seines Vorgängers seinen psychopathischen Charakter triggert.
Ja, sicher, er würde weiter auf Obama schimpfen und ihn bei jeder Gelegenheit herabwürdigen.
Dennoch ahnte ich nicht, daß Trump manisch-systematisch im Nero-Modus alles zerschlagen und verbrennen würde, das auch nur entfernt mit Obama assoziiert wird. Obamacare? Klar, Iran-Deal? Anzunehmen. Aber IQ45 zerpflückt mit seinen executive Orders jede einzelne Umweltschutz- oder LGBTI-freundliche Regel, auch wenn es Trumps Agenda gar nichts hilft. Die pure Bosheit treibt ihn an.

Verglichen mit Trump muss man schon über einen Rechtsausleger wie Sebastian Kurz froh sein, der heute die Nationalratswahl in Österreich gewann.


Der ÖVP-Mann und Ex-Bundeskanzler hatte zwar in seiner Regierungszeit auch seine tiefe Menschenfeindlichkeit und Skrupellosigkeit bewiesen, indem er gegen Flüchtlinge hetzte und Minister seines Kabinetts Nazi-Vokabular verwenden ließ.
Aber er dürfte weder ideologisch so fanatisch wie Cruz, noch charakterlich so destruktiv wie Trump sein.
Kurz ist einfach ein mieses kleines Licht, das selbst an der Macht sein will.
Mit wem und welcher Agenda ist ihm relativ egal.
Ob er nun mit Grünen oder SPÖ koaliert – beide Optionen werden für das Land und Europa sehr viel besser als die alte ÖVP-FPÖ-Koalition sein.


Inhaltsleere ist verglichen mit der puren Destruktivität im Weißen Haus geradezu ein Jackpot. Wir wissen schließlich wie rechtskonservativ Österreich gestrickt ist und konnten nicht ernsthaft mit einem guten Kanzler rechnen.

[….] Der gängigste Vorwurf gegen Sebastian Kurz, den soeben wiedergewählten österreichischen Kanzler, lautet, er stehe im Grunde für nichts außer für seinen unbedingten Willen zu regieren. Der quer durchs Land plakatierte Slogan "Österreich braucht seinen Kanzler" klang geradezu flehend, nachdem der "b'soffene" Sturz des Koalitionspartners FPÖ auch Sebastian Kurz vorübergehend von der Macht entfernt hatte.
Das Flehen wurde erhört, ein wesentlicher Teil des Landes hat befunden, dass es "seinen" Kanzler tatsächlich brauche. Die jüngsten Enthüllungen über den zweifelhaften Umgang mit Festplatten, Wahlkampfkosten und Parteispenden haben Kurz jedenfalls zahlenmäßig nicht geschadet. [….]