Freitag, 4. Januar 2019

Zurück ins Mittelalter

Unglücklicherweise lässt sich jeder Fortschritt zurückdrehen.
Polen und Ungarn waren in den 1980er und 1990ern Vorreiter der Liberalität, öffneten die Grenzen als die DDR noch steinzeitkommunistisch war.
Ausgerechnet das Gorbatschow-Russland wurde 1985 Anführer einer Bewegung für Demokratie und Bürgerrechte.
Und wir alle kennen die Bilder von fröhlichen Studentinnen mit modischen Frisuren und kurzen Röcken, die in den 1970ern im Irak und Afghanistan unbeschwert auf der Straße spazierten.
Die Attatürk-Türkei war eins der säkularsten Länder der Welt. Dort durften in öffentlichen Gebäuden keine Kopftücher getragen werden, weil religiöse Bekundungen in staatlichen Angelegenheiten verboten waren. Eine türkische Muslimin, die den ganzen Tag Kopftuch tragen wollte, musste dafür nach Deutschland auswandern.
Nun trägt Emine, Gattin des almmächtigen Staatschefs selbst Kopftuch.

Wer hätte gedacht, die mühsam erkämpfen Homo- und Trans-Rechte ließen sich in den USA wieder zurückdrehen?
Aber das ist die Realität der Trumpjahre. Alle geistigen Errungenschaften werden geschliffen. Umweltschutz, Menschenrechte, Folterverbot.
Und der Süd-Trump, Jeir Bolsonaro, rechtsradikaler Hassfanatiker, gibt als erste präsidentielle Handlung den brasilianischen Urwald zur Rodung frei.

Wie konnte das passieren?

So ein backlash entsteht, wenn sich der Staat aus der Bildung zurück zieht und den Religiösen den Raum freimacht, um sich zu entfalten.

Unter Erdoğan kehrte der Koran in die Schulen und Universitäten zurück.
Die Amerikaner fingen während der verhängnisvollen Reaganomics an die staatlichen Schulen kaputtzusparen und überließen Millionen Kinder dem evangelikalen Irrsinn ihrer religiotischen Homeschooling-Eltern.
Es waren auch die USA, die zusammen mit islamischen Kämpfern aus Saudi Arabien die sowjetisch-staatlichen Strukturen in Afghanistan zerschlugen und so die Taliban an die Macht brachten. Da steckt es schon im Wort „Taliban“, welches aus dem arabischen talib (طالب),  „Schüler“ stammt. Taliban sind Koranschüler. Sie warfen die Frauen aus den Bildungsanstalten und steckten sie in Burkas.

Und so kommt es in einem Hightechland wie den USA zur Bildung einer Bildungs-Unterschicht aus zig Millionen Menschen, die Evolution für Unfug halten, das Erdalter auf 6.000 Jahre schätzen und die Bibel in Erwartung der Endzeit wörtlich auslegen.

Noch hanebüchener sind die Verhältnisse im noch jüngeren und technikaffineren Israel.
Der erst 70 Jahre alte Staat mit seinen 8,9 Millionen Einwohner ist technisch in vieler Hinsicht weltweit führend.
Software, Kommunikation, Gentechnik, aber auch die modernste Landwirtschaft der Erde kommt aus Israel.
Und dennoch leistet sich das Land eine Regierung, in der Ultraorthodoxe sitzen, die dafür sorgen, daß ihre Kinder konsequent von Bildung und Internet ferngehalten werden, daß Mädchen möglichst gar nichts lernen, sondern nur gebären, während sich ihre Ehemänner ihr Leben lang auf Poppen und den Talmud konzentrieren.
So sehr, daß sie nicht zur Armee können und üblicherweise niemals einer Erwerbsarbeit nachgehen.
Ja, knapp die Hälfte der Israelis sind säkular und interessieren sich kaum für Religion, aber 15 % sind orthodox und die völlig fanatischen Charedim (ultraorthodoxe Juden) stellen weitere 7-8% der Bevölkerung. Jeder fünfte Israeli liebäugelt also mit dem Gedanken das Land in eine fundamentalistische Theokratie umzuwandeln.
Genau wie salafistische Muslime und evangelikale Christen sind auch die Charedim eine echte Gefahr für die Demokratie.
Alle drei Gruppen zeichnen sich durch extreme Bildungsferne und extreme Vermehrung aus. Ihre Frauen sind partiell entrechtete Gebärmaschinen, die möglichst kontinuierlich schwanger sein sollen; kochen und putzen müssen.

Diese ultraorthodoxen Juden lehnen des Staat Israel ab.

[….] Micha Brumlik: „Die Satmarer Chassidim sind gegründet worden schon vor dem Holocaust – von Rabbi Yoel Teitelbaum, der die geschichtsphilosophische These vertreten hat, dass der Holocaust, also die Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden Gottes Strafe für Zionismus und Assimilation gewesen sei.“
Micha Brumlik lehrt und forscht am Berliner Zentrum für Jüdische Studien zur Geschichte des Judentums und der Diaspora. Als deutscher Jude kann er Rabbiner Yisroels Sicht auf die Dinge nicht nachvollziehen:
„Der Zionismus war eine zeitgemäß nationalistische Reaktion auf den Judenhass und das hat sich dann natürlich nach dem zweiten Weltkrieg durch die Erfahrung der Ermordung von sechs Millionen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland verstärkt und heute sagen viele Jüdinnen und Juden, ob sie mehr oder weniger Antisemitismus erfahren, dass das im Zweifelsfall so etwas wie eine letzte Fluchtmöglichkeit ist, weil ja der Staat Israel allen Jüdinnen und Juden sofort bei Eintritt auf das staatliche Territorium die Staatsbürgerschaft gewährt.“ [….]

Ein sehr schönes Beispiel dafür, daß sich die Strenggläubigen aller Abrahamitischen Religionen in nichts nachstehen.
Sie alle sind völlig irre.

Zu allem Unglück haben diese extremistischen Strömungen mindestens ein Bein in ihrer jeweiligen Regierung.
Der ganze Staat Saudi Arabien wird wahabitisch regiert.

Für die völlig erkenntnisresistenten Kreationisten stellt Mike Pence den US-Vizepräsident.

Diese Spinner sind so durchgedreht, daß die Darwins Erkenntnisse rundherum ablehnen, Dinosaurierknochen für maximal 6.000 Jahre alt halten, so daß T-Rex und Veloraptoren gemeinsam mit den ersten Menschen auf der Erde umherspazierten.
Sie glauben daran, daß ihr LIEBER Gott aber eines Tages keine Lust mehr auf seine Schöpfung hatte und deswegen bis auf eine Familie  und ein Pärchen jeder Tierart alle Lebewesen der Welt in einer gigantischen Flut vernichtete.

[….] Gott hat die ganze Welt vor 6000 Jahren binnen sieben Tagen erschaffen. Daran glaubt man besser - sonst kommt es zu Horrorszenarien wie dem Nürnberger Reichsparteitag. Wer daran zweifelt, sollte das Museum der Kreationisten in Kentucky besuchen. [….]

15% der amerikanischen Schüler hören in der Schule nichts von Evolution. Dafür bauen Extremisten extra ein Kreationismus-Museum, um dort Kinder zu „unterrichten“.

[….] Ich sitze in einem halbrunden Raum und schaue mir gerade ein Video über die Erschaffung der Welt an. „An Tag sechs hat Gott alle Landtiere geschaffen und auch den Menschen …“ dröhnt es auf Englisch aus Lautsprechern. Außer der sehr tiefen Erzählerstimme ist es still im Raum. Alle anderen Besucher*innen starren gebannt auf den Bildschirm. Vor mir sitzt eine Familie, die sich ehrfürchtig im Arm hält. Als die Projektion endet, steht ein Mann aus der ersten Reihe auf und murmelt: „That was amazing!“
Das ist nur einer von vielen Räumen des Kreationismus-Museums, irgendwo auf einem einsamen Feld im Norden Kentuckys. Zum Zeitpunkt des Videos bin ich noch guter Dinge, bestens von den irrwitzigen Darstellungen unterhalten und nicht ahnend, dass mich der Rundgang noch fast drei Stunden kosten wird. Die Ausstellung präsentiert die Schöpfung der Welt, wie sie in der Bibel wörtlich beschrieben wird. Bibelzitate ersetzen Erklärtafeln und wo selbst die fehlen, gilt Gott als Ultima Ratio. [….]

In Israel wird Evolution in Museen nur verschämt in der letzten Ecke hinter Vorhängen gezeigt. Mit einem ultraorthodoxen Wachmann, der aufpasst, daß kein Charedim aus Versehen mit wissenschaftlichen Fakten konfrontiert wird.

Fakten nur hinter Vorhängen; verschämt in der schmuddeligen FSK18-Ecke?
Wie kann das angehen in einem Hightechland mit hochgebildeter junger Bevölkerung? Wieso macht das Bildungsministerium den Wahnsinn mit?

Ganz einfach, die Charedim sitzen in der Netanjahu-Regierung. Gegen ihren Willen geht gar nichts und wenn man ohne Warnung Kindern Wissenschaft zugänglich machte, würden diese nur noch radikaler von solchen Einrichtungen ferngehalten werden.
Schon jetzt werden in 25% der staatlichen Schulen Israels keine der Bibel widersprechenden Erkenntnisse über das Erdalter oder die Entstehung der Arten gelehrt.

[…..] Im Naturgeschichtlichen Museum in Jerusalem haben sie sich für Vorhänge entschieden. Sie verdecken alle Exponate, die der biblischen Schöpfungsgeschichte widersprechen - egal ob es sich um Schädel früher Menschen handelt oder um Dinosaurier. Religiöse Menschen, heißt es aus dem Museum, hätten andernfalls überhaupt keine Begegnung mit der Naturgeschichte. Wer wolle, könne einen Blick hinter den Vorhang werfen. […..] Als nun das neue nationale Museum zur Naturgeschichte in Tel Aviv eröffnet wurde, warteten viele gespannt darauf, wie man damit umgeht. "Es ist wirklich ein heikles Thema im Land", gesteht Israel Herschkowitz ein. Der Anthropologieprofessor der Tel Aviver Universität hat an der ersten Schau mit dem Titel "Was macht uns menschlich?" mitgearbeitet. Die Evolution wird in dem modernen Bau zwar nicht ausgespart, aber in den letzten Winkel verbannt. Jener Teil, bei dem es um die Entwicklung des Menschen geht, wurde im letzten Stockwerk platziert. "So kann jeder entscheiden, ob er die anthropologische Schau sehen will oder nicht."
Wer sich dorthin wagt, findet neben einer Zeittafel und sechs ausgestellten Schädeln einen ultraorthodoxen Juden als Aufpasser vor. Er sei einer von zwei religiösen Museumsmitarbeitern, erzählt der junge Mann. "Das ist der Teil, den Ultraorthodoxe gar nicht mögen." […..]