Montag, 16. Juli 2018

Realpolitik


Gerade rauschen wieder hämische Kommentare voller Hass auf Gerd Schröder durch die sozialen Netze, weil er auf Wunsch der Bundesregierung Deutschland beim Amtseid Recep Tayyip Erdoğans vertrat.
Da ging es hoch her bei den linken Schlechtmenschen.
Hass und Verachtung wurden kübelweise über den Ex-Kanzler ausgeschüttet.
Offenbar leben viele Linke immer noch in einer Ponyhof-Fantasiewelt, in der man sich die passenden Präsidenten selbst backen kann und wie damals in der Sandkiste einfach nicht mit denen spielt, die man nicht mag.

Dabei ist das gerade die Kunst der Diplomatie; Realitäten anerkennen und mit denen in Dialog zu treten, zu denen der größte Dissens besteht.
Russland und die Türkei sind für Deutschland extrem bedeutende Staaten in vielerlei Hinsicht.
Russland ist als größtes Land der Welt, als Atomsupermacht und UN-Vetomacht sogar für jedes andere Land sehr bedeutend.
Es zeugt von erstaunlicher Naivität zu glauben, eine Regierung könne sich darauf beschränken nur zu den Staaten Beziehungen zu unterhalten, die von ganz lieben Menschen regiert werden.
Überraschung: Die wenigstens Regierungschefs und Staatsoberhäupter sind lieb!
Im Gegensatz zu Trump ist Putin zweifellos rechtmäßiger Präsident, weil er mit einer ¾-Mehrheit gewählt wurde.

Gerd Schröders diplomatische Fähigkeiten sind ein Segen für Deutschland. In einer hochangespannten Lage mit gegenseitigen Sanktionen und wüsten Beschimpfungen, ist es umso notwendiger zusätzlich zu den offiziellen Regierungskontakten über vertrauenswürdige Kanäle zu verfügen, so daß man im Notfall einen Krieg abwenden kann.
Schröder hat diesen Einfluss zum Wohle Deutscher schon mehrfach unter Beweis gestellt, indem er beispielsweise Geiseln befreite.

[….] Der frühere Bundeskanzler hatte bei der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel und des Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner vermittelt, die beide in der Türkei inhaftiert waren. [….]

Gerade diejenigen, die Putin nicht trauen, sollten umso erleichterter sein, daß der Mann, der über ein derart gewaltiges Atomwaffenarsenal in einem riesigen unübersichtlichen Land verfügt, im Krisenfall stets über eine besondere Verbindung zu Deutschland verfügt.
Das sollten wir eigentlich seit 1969 wissen, als Egon Bahr damit begann die von ihm so genannten „Kanäle“ zu den damals durchaus feindseligen Regierungen des Warschauer Pakts einzurichten.
Kanäle, die auch die Nachfolgeregierung Kohl dankbar übernahm und nutzte.

Vereinfacht ausgedrückt: Während Merkel ihrer Russlandphobie frönt, macht ein anderer die notwendige Drecksarbeit. In IHREM Auftrag wohlgemerkt.

Trump ist ein ganz anderer Typ. Er hat nicht die geringsten Skrupel mit Diktatoren und Gewaltherrschern zu sprechen. Im Gegenteil, er schätzt sie offensichtlich viel mehr als seine demokratischen Amtskollegen und Verbündeten.

Grundsätzlich begrüße ich natürlich Regierungskontakte aller Art. Aber die Neben-Kanäle gibt es nicht ohne Grund.
Denn ein offizielles Treffen mit dem eigenen Staats- oder Regierungschef ist immer auch eine große diplomatische Ehre, die Merkel als amtierende Kanzlerin nicht unbedingt leichtfertig an Erdoğan vergeben sollte, während dieser Myriaden politische Gegner und Journalisten in den Knast steckt.

Das ist der eine Grund weswegen es falsch war, daß sich Trump mal eben so ohne Vorbedingungen mit Kim Jong Un traf.
Denn dadurch erfuhr Nordkorea eine gewaltige diplomatische Aufwertung, die man sich hätte dafür aufsparen müssen, wenn es wirklich mal Resultate gäbe.
Der zweite Grund liegt in der Persönlichkeit Trumps. Er ist schlicht und ergreifend zu dumm und zu ungebildet, um Vier-Augen-Gespräche zu führen.
Er merkt gar nicht, wie leicht er sich vorführen lässt.


Ursula von der Leyen, der man schwerlich übertriebene Putin-Nähe vorwerfen kann, berichtete einst von den deutsch-russischen Regierungskonsultationen das worin sich Putin-Fans und Putin-Hasser immerhin einig sind.
Der Mann verfügt nicht nur seit Jahrzehnten über exklusivstes Geheimdienstwissen, ist nicht nur sehr intelligent, sondern auch ein extremer „Aktenfresser“.

Von 1999-2014 fanden jährlich bilaterale Regierungskonsultationen auf höchster Ebene statt; vulgo „gemeinsame Kabinettssitzungen“.
Während die deutschen Minister nicht sehr tiefgehend in die Arbeit ihrer russischen Amtskollegen informiert sind, scheint es umgekehrt ganz anders zu sein.
Von der Leyen konnte nur staunen, als sie 2006  ins westsibirische Tomsk reiste, um dort mit Putins Kabinett zu tagen.

Seine Detailkenntnis und sein Geschick im Umgang mit seinem Wissen sind legendär. Er hat es natürlich nicht nötig damit zu prahlen und andere einzuschüchtern. Keinesfalls wird er so doof sein Trump schlecht aussehen zu lassen oder ihn deutlich spüren lassen für wie dumm er ihn hält.

Also: Regierungskontakte müssen sein.
Tiefergehende Konsultationen auf allen Ebenen: Gerne.
Das eigene Land dabei von einem bornierten Deppen vertreten zu lassen: Nicht gut.


Nach dem heutigen Putin-Trump-Treffen in Helsinki sagte der Russe etwas, das er sicher sehr ehrlich meinte:
Ja, er habe sich Trump als Präsidenten gewünscht und keinesfalls Hillary Clinton.
Trump war begeistert und fasste diese Bemerkung in seiner ganzen Dämlichkeit als Lob auf. Dabei hatte Putin nur wahrheitsgemäß gesagt, daß er Clinton, die ebenfalls als hochintelligente Aktenfresserin bekannt ist, wohl kaum hätte übertölpeln können, wie es ihm jetzt so leicht mit Trump gelang.

Trumps einzige Gipfelvorbereitung bestand offensichtlich darin vorher ordentlich Fast Food zu fressen, in Schottland zu golfen und das westliche Bündnis zu schrotten.
Gut für Putin.
So muss es sich anfühlen, wenn im Kreml Weihnachten, Geburtstag und Silvester auf einen Tag fallen.


Das permanent aus Finnland sendende hochkarätige CNN-Panel konnte nur staunen, wie unvorbereitet und planlos die US-Delegation in die Gespräche mit den Russen gestolpert waren. Es war rein gar nichts zu erfahren. US-Diplomaten aller Ebenen waren ahnungslos – und es gibt nicht mehr sehr viele Ebenen, da unter Trump nach wie vor das halbe Statedepartment nicht besetzt ist.

"You have been watching perhaps one of the most disgraceful performances by an American president at a summit in front of a Russian leader certainly than I've ever seen."
(Anderson Cooper on Trump-PutinJuly 16, 2018)


Es gibt zwar diverse amerikanische Geheimdienste, die Trump in klaren Worten bestätigen, daß es vielfache russische Einmischungen in den Wahlkampf von 2016 gab, aber Trump glaubt ihnen nicht, sondern hält sich lieber an die Auskünfte des ehemaligen KGB-Offiziers Wladimir Putin.
Unversehens plapperte der amerikanische Depp wieder von „her emails“!

[….] Trump declined to condemn the Russian interference, and instead brought up former Secretary of State and presidential nominee Hillary Clinton’s emails and repeatedly asked about the Democratic National Committee’s email server.
“What happened to Hillary Clinton’s emails? 33,000 emails gone, just gone,” he said. “I think in Russia they wouldn’t be gone so easily.”
The president said that he doesn’t “see any reason” why Russians would have been behind the Democratic National Committee hack, despite his own Director of National Intelligence Dan Coats telling him that the intelligence community thinks Russia was behind the interference.
The U.S. intelligence community has concluded that Russia interfered in the presidential election. [….]

In der Tat, so viel Dummheit war noch nie in der US-Regierung.
Wenn sich ein Vollidiot mit einem Hochintelligenten trifft, kommt das dabei raus, was wir heute erlebten.
Allerdings, soweit ist es schon, ist niemand mehr überrascht davon wie der Amerikaner sich verarschen lässt.
Es überrascht noch nicht einmal mehr, wie widerstandslos es die Republikaner, die Jahrzehntelang glühende Russlandhasser waren, zusehen wie Amerika geschadet wird.

Antiamerikaner können nun frohlocken: Russland gewinnt.
Amerikafreunde können nur hoffen, daß Trump nun wieder möglichst viel golft und sich nicht mit Politik beschäftigt.

[….] Die frohe Botschaft vom Helsinki-Gipfel zuerst: Mit dem Treffen in Finnland beendet Donald Trump seine Europa-Reise und fliegt zurück in die Heimat. Das ist positiv zu bewerten, denn jeder Tag, den dieser US-Präsident nicht mit Außenpolitik verbringt, ist ein guter Tag.
Trumps Europa-Trip war ein Desaster in jeder Hinsicht, er hat alte Alliierte wie Deutschland oder Großbritannien vor den Kopf gestoßen und die Kluft zwischen Europa und den USA vertieft. [….] Trump hat dort praktisch alles falsch gemacht, was er falsch machen konnte. Wladimir Putin missachtet die Menschenrechte im eigenen Land, er führt in Syrien seit Jahren einen Krieg gegen Frauen und Kinder und er verstößt mit der Annexion der Krim dauerhaft gegen das Völkerrecht. Er ist kein Mann, mit dem der US-Präsident als Anführer der freien Welt eine Männerfreundschaft oder Kumpanei, zelebrieren sollte. Aber Trump tat in Helsinki genau das.
Allein die Tatsache, dass Trump sich mit Putin ohne jede Vorbedingung oder die Forderung nach russischen Zugeständnissen in Syrien traf, war schon bemerkenswert. Die Botschaft ist klar: Putin kann sich in der Welt aufführen, wie er will. Es stört Trump praktisch gar nicht. Putin erhält trotz seines Verhaltens endlich die internationale Anerkennung, ja, die Legitimation, nach der er sich schon lange sehnt. Was für ein Erfolg für den Russen! [….] Völlig absurd erschien schließlich der Auftritt von Putin und Trump vor der Weltpresse. Dabei stellten sich Trump und Putin gemeinsam gegen die Ermittlungen in der Russlandaffäre durch das FBI: Putin unterstützte Trumps Behauptung, dass es keine Zusammenarbeit zwischen Trumps Wahlkampfteam und russischen Agenten gegeben habe. Trump nickte zufrieden. Einen besseren Verbündeten kann er sich wohl kaum wünschen. Es ist zum Gruseln. [….]

Idiocracy became reality. Insanity rules.

[….] Am klarsten äußert sich seitens der Republikaner der todkranke Senator John McCain: Er bezeichnet den Helsinki-Gipfel als "einen der infamsten Auftritte, den ein amerikanischer Präsident je hatte" und als "tragischen Fehler" und wirft Trump "Naivität, Egoismus und Sympathien für Autokraten vor".
Was im Vieraugengespräch zwischen Putin und Trump sowie den Beratungen mit den Delegationen beredet wurde, ist nicht bekannt. Nimmt man jedoch nur die Pressekonferenz als Maßstab, dann hat der Kremlchef mehr erreicht als er zu träumen gewagt hatte. In Russland waren die Bilder von zwei Staatschefs auf Augenhöhe überall zu sehen - und dieser Auftritt seines Widersachers Donald Trump hat dafür gesorgt, dass sich die ohnehin schon polarisierte US-Gesellschaft noch mehr streiten wird.
Denn aus der Erfahrung weiß man: Wenn Medien und Demokraten Trump kritisieren, dann verteidigen ihn seine Anhänger und jene Republikaner-Abgeordneten, die noch Karriere machen wollen, umso mehr. […..]