Freitag, 24. Juni 2016

Ein Platz im Geschichtsbuch



Es hat lange gedauert Großbritannien so zu einen, wie es heute der „Union Jack“ zeigt.


David William Donald Cameron (* 9. Oktober 1966 in London) könnte nun als der schlechteste britische Premierminister aller Zeiten in die Geschichte eingehen.
Gut möglich, daß er den Abstieg des britischen Empires über die europäische Regionalmacht Großbritannien zum ökonomische kränkelnden Kleinbritannien angestoßen hat.

"Schottland wird jetzt die Unabhängigkeit anstreben. Camerons Vermächtnis wird es sein, zwei Unionen zerstört zu haben. Beides hätte nicht passieren müssen."
(Harry Potter"-Autorin J.K. Rowling auf Twitter, 24.06.2016)

Zwischen Nordirland und Irland wird zukünftig also eine EU-Außengrenze verlaufen.
Steinmeier wurde heute von seinem irischen Außenministerkollegen darüber aufgeklärt, daß er deswegen so lange nichts mehr vom blutigen Nordirlandkonflikt gehört haben, weil die Grenze zwischen den EU-Ländern Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland offen wäre.
Das könnte sich schnell wieder ändern.
Die Nordiren werden sich womöglich auch nach einen erfolgreichen Unabhängigkeitsreferendum mit Irland vereinigen.


Zurück bliebe ein Schrumpfland aus England und Wales, welches ohne die Protektion Europas auskommen müßte und mutmaßlich auch noch seinen florierenden Finanzwirtschaftszweig verloren haben wird.
Allein die Stadt Frankfurt rechnet damit, daß in kurzer Zeit über 10.000 Banker-Arbeitsplätze von London an den Main wechseln werden.

Düsterste ökonomische Szenarien werden gezeichnet und so sehr man für die Briten hofft, daß es nicht so schlimm kommen möge, so erhoffen sich die EU-Größen Graf Lambsdorff (Vizeparlamentspräsident), Jean-Claude Juncker, Martin Schulz und Elmar Brok andererseits auch einen disziplinierenden Effekt einer englischen Wirtschaftsdepression.
Je stärker das abschreckende Beispiel der Insel ist, desto schwerer werden es rechtsradikale Nationalisten in Holland, Frankreich, Dänemark und Deutschland haben ebenfalls erfolgreiche Anti-EU-Referenden herbeizuführen.
Der britische Corgie hat in Brüssel auf den Tisch gekackt und nun muß man ihn auch mit der Nase in seine Exkremente drücken.

Wir brauchen angesichts der Megakrisen in der Welt Europa mehr denn je.
Nur innerhalb eines gemeinsamen Europas können sich die im Vergleich zu Russland, China, Indien oder der USA winzigen EU-Nationen in der Globalisierung behaupten, nur zusammen können sie gegen Krieg und Terror bestehen, nur als Einheit können sie mit Massenmigration fertig werden.

 
In den letzten Jahren blieb die EU sehr oft unter ihren Möglichkeiten.
Schuld sind nationale Egoismen, die eigenartige Tradition statt der besten lieber gescheiterte und ausrangierte Politiker wie Stoiber und Oettinger in wichtige EU-Posten zu hieven und schließlich die leidenschaftslosen, dröge-desinteressierten Regierungschefs.
Über Jahrzehnte gab es dynamische französische-deutsche Paarungen an der Regierungsspitze, die für Europa brannten und sich leidenschaftlich für die EU stark machten.
Die Doppelspitzen Schmidt- Giscard d'Estaing, Kohl-Mitterand, Schröder-Chirac sind Legende.

Dann aber kam Merkel, die für gar nichts Leidenschaft aufbringt, sich nie ernsthaft für Europa interessierte und schon gar nicht mit zukunftsorientierten Plänen vorpreschen würde. Dazu gibt es einen François Hollande, der vermutlich privat ganz nett ist, aber über das Charisma eines Wischmopps verfügt.

Solche Luschen begeistern niemand.

Hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Teilschuld am Brexit? Dieser Meinung ist zumindest der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki. "Es ist ein Tag des europapolitischen Scheiterns der Bundeskanzlerin. Hätte Angela Merkel nur halb so viel Energie dafür verwandt, in Großbritannien für den Verbleib in der EU zu werben, als sie für die Besänftigung Erdogans in Ankara gebraucht hat, wäre zumindest die Chance größer gewesen, Großbritannien in der EU zu halten.“
(MoPo 24.06.16)

Vielleicht wären selbst diese beiden Low-Energie-Typen weiter gekommen, wenn nicht stets die Briten mit beiden Füßen auf der Bremse gestanden hätten.
Nach 2008 wurde die englische Finanzwirtschaft zwar von EU-Geld gerettet, aber dennoch verweigerte London jegliche Bankenregulierung.

Dabei spielte der Populist David Cameron eine unsägliche Rolle.
Aus niederen Machtinstinkten spielte er wider besseres Wissen mit dem Feuer.
Er wollte Regierungschef und wiedergewählt werden.
Dafür hatte er eine volle Dekade mit negativen Emotionen gespielt, antieuropäische Ressentiments geschürt und wollte dann plötzlich in den letzten sechs Wochen seine Landleute vom Gegenteil überzeugen.
Aus Machtgier hatte  er alles verraten; jetzt ist er machtlos.

"Das war eine Fehlentscheidung, für die bitter bezahlt werden muss", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU). Er machte den britischen Premierminister David Cameron für die Niederlage der EU-Befürworter persönlich verantwortlich. "Man muss sich auch nicht wundern, wenn David Cameron zehn Jahre lang erklärt, wie schlecht Europa ist."

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz gab Cameron eine Mitschuld an dem Abstimmungsergebnis: Der Premier habe "große Verantwortung auf sich geladen", sagte Schulz im ZDF.

Der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen kritisierte die europäischen Staats- und Regierungschefs scharf. Ihre Tatenlosigkeit sei für die gegenwärtige Situation mitverantwortlich, sagte er im "Mitteldeutschen Rundfunk", wie dpa berichtet. "Aber ich muss leider sagen, dass unsere Staats- und Regierungschefs die Zeit bisher nicht gefunden haben, eine wirklich ernsthafte Reform der Europäischen Union auf den Weg zu bringen", so Verheugen. "Und jetzt müssen sie es. Wenn sie es jetzt nicht tun, dann fliegt uns das ganze Projekt um die Ohren." Auch die britischen Politiker kritisierte Verheugen: Sie hätten es über Jahrzehnte versäumt, "den Wählern in Großbritannien klar zu machen, dass Europa mehr ist als ein wirtschaftliches Unternehmen."

In die gleiche Richtung zielt die Kritik von Europaparlaments-Vize Alexander von Lambsdorff. Er nannte das Brexit-Votum im ZDF eine schlechte Entscheidung für Europa, aber eine viel, viel schlechtere Nachricht für Großbritannien. Schuld hätten die politischen Eliten in beiden großen Parteien im Vereinigten Königreich.
Der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann geht davon aus, dass die Briten den Austritt aus der EU bitter bereuen werden. "Europa wird durch den Brexit geschwächt, aber die schwerste Last werden Bürgerinnen und Bürger in Großbritannien zu tragen haben", sagte der Vorsitzende der Europa-SPD.

"Schätzungen gehen davon aus, dass dem britischen Durchschnittshaushalt jährlich Tausende Pfund an Einkommen verloren gehen, wenn Großbritannien den Zugang zum europäischen Binnenmarkt verliert." Dass solche EU-Privilegien weiterhin zum Nulltarif genutzt werden könnten, sei "schlichtweg nicht vorstellbar".
(Spon 24.06.2016)

Nigel Farage, der nur Stunden nach dem Brexit-Ergebnis sein zentrales Wahlversprechen einkassierte, tut nun so als könne man alle Segnungen der EU zum Nulltarif haben: Zollunion, Handelsverträge und dergleichen mehr.
Johnson und er nennen es „Modell Norwegen und Schweiz.“

Ja, den Weg Norwegens könnte England gehen, aber dann müßte es wie bisher in alle Infrastrukturfonds etc einzahlen, bekäme aber keinen „Briten-Rabatt“ mehr. Es würde für England also teurer als bisher und dazu verlöre die Insel auch noch alle Stimm- und Mitspracherechte.

Was für eine selten dumme Idee doch das von David Cameron selbst angezettelte Referendum war. Cameron weigerte sich solidarisch mit Griechenland zu sein, wollte keine Flüchtlinge aufnehmen, erklärte „Multikulti“ für gescheitert (ausgerechnet der Premier eines Landes, das ein multikulturelles Weltreich aufgebaut hatte!)
Anfang 2013 verlangte Cameron Neuverhandlung der britischen EU-Verträge und stellte einen anschließenden Volksentscheid zum Brexit in Aussicht.
Mit der antieuropäischen Rhetorik gewann Cameron die Parlamentswahlen im Mai 2015 (absolute Mehrheit der Parlamentssitze mit einem Stimmenanteil von 36,9 %) und verlor jetzt alles.

David Cameron. Ein Typ, der sein Land durchgenommen hat wie einen Schweinekopf. Seine Ankündigung, noch ein paar Wochen im Amt zu bleiben, um das Land "auf stabilem Kurs zu halten". Das wirkt wie ein gottverdammter Witz von jemandem, der es hingekriegt hat, seine Nation vollends gegen die Wand zu fahren.
Er muss tatsächlich der größte Versager der Welt sein. Jahrelang macht er Stimmung gegen die EU, die er für die Briten als eine Bande von Gurkennormier-Nazis darstellt, nur um innerhalb von ein paar Wochen genau das Gegenteil zu vertreten und bei 180 Sachen raus aus Europa den Handbremsendrift in die andere Richtung zu versuchen. Oh, dear.

Referenden sind die Diktatur der Inkompetenz.
Dies zeigt sich bei Brexit in Reinkultur.

Wie sagte der sehr kluge Autor Jens Oliver Haas gerade eben: Volksabstimmungen sind Demokratie light. "Das Problem ist, dass die Frage immer lautet: 'Möchtest du morgens länger schlafen?' oder 'Willst du noch ein Eis?' Vernunft ist halt so schrecklich unsexy."
Sicher können wir jetzt auf die trotteligen Nachbarn auf der Insel schimpfen. Und auch auf die Demokratie. Demokratie ist eine feine Sache. Das Dumme daran ist nur, dass die Doofen mitmachen dürfen. Don't hate the game. Hate the player.
Am Ende ist die Demokratie wie die EU selbst - das kleinere Übel. Aber gibt es was besseres? Wollen wir wieder ein kleiner Krauter sein, inmitten von Big Playern? Wollen wir stundenlang an jeder Grenze warten?

Alle Wirtschaftsexperten, alle Verbündeten Großbritanniens, alle Handelsvertreter, alle politischen Partner rieten dringend vom Brexit ab.
Es gab nur genau drei internationale Leave-Stimmen:
Putin, Trump und der IS.

Da das gemeine Volk dumm ist, richtete es sich lieber danach.
Da das gemeine Volk dumm ist, wollen auch andere Rechtspopulisten von Petry über Le Pen bis Wilders jetzt Referenden.
Nur Idioten und Populisten verlangen bei derart komplexen Entscheidungen ein Referendum, um die garantiert Unqualifiziertesten Weichen stellen zu lassen.

Nach der Brexit-Entscheidung der Briten hat CSU-Chef Horst Seehofer bundesweite Volksabstimmungen auch in Deutschland gefordert. "Bürgerbeteiligung ist der Kern moderner Politik", sagte Seehofer dem SPIEGEL.

Wenigstens einer ist glücklich, daß England nun nicht mehr die fünft- sondern nur noch die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, nachdem das Pfund 11% an Wert verlor und von 1,50 Dollar auf 1,33 Dollar, den tiefsten Stand seit 1985 abrutschte.


Donald Trump hat am Tag nach dem Referendum in Großbritannien seinen Golfplatz in Schottland besucht. Dabei wurde der Anwärter auf dei US-Präsidentschaft nicht müde zu betonen, wie sehr in der Brexit freut. So weit, so normal.
Doch wie so häufig brachte Trump, der Belgien unlängst als "schöne Stadt" bezeichnete, mal wieder alles durcheinander. "Die Schotten haben sich ihr Land zurückgeholt", twitterte Trump.
Dumm nur, dass die Mehrheit der Schotten für einen Verbleib in der EU gestimmt hatten. Ein Umstand, auf den ihn die Sängerin Lily Allen - ebenfalls via Twitter - aufmerksam machte: "Schottland hat für den Verbleib gestimmt, Du Idiot", schrieb sie Trump.
(Spon, 24.06.2016)