Sonntag, 24. April 2016

Das kleinere Übel Teil II



Das war ja vielleicht ein Dreck in Frankreich 2002.

Vor genau 14 Jahren erreichte der konservative Präsident Jacques Chirac bei der Staatspräsidentenwahl mit 19,88 Prozent das schlechteste Ergebnis, das jemals ein amtierender Staatschef einfuhr.
Der eigentlich beliebte und fähige sozialistische Ministerpräsident Lionel Jospin wurde mit 16,18 Prozent abgestraft und landete ganz knapp hinter dem faschistischen Jean-Marie Le Pen (16,86 Prozent der Stimmen).
Im zweiten Wahlgang trat also ein Rechter gegen einen Ultarechten an.
Die Franzosen waren so geschockt über den Mist, den sie zusammengewählt hatten, daß Chirac 14 Tage später im zweiten Wahlgang über 82% der Stimmen holte.
Was hätte man auch sonst tun können, außer Chirac zu wählen?

Der Österreichische Bundespräsident ist bei Weitem nicht so wichtig und mächtig wie der Amerikanische oder gar Französische, aber immerhin direkt gewählt und somit auch nicht ganz so irrelevant wie Gauck.

Bei den heutigen Wahlen kam der Rechtspopulist Norbert Hofer, FPÖ, auf sagenhafte 36,4 Prozent der Stimmen und tritt in der Stichwahl gegen den Grünen Alexander Van der Bellen (~20%) an.
Eigentlich können die Österreicher nun nur noch grün wählen; das dürfte für ÖVPler genauso schmerzhaft sein, wie für französische Sozialisten im Jahr 2002 die Wahl Chiracs.
Aber die FPÖ ist in Österreich schon viel anerkannter als der FN vor 14 Jahren in Frankreich.
Die Rechtspopulisten regieren im Burgenland, in Oberösterreich und traten 2000 in die Österreichische Bundesregierung Schüssel ein.
Das könnte also noch sehr sehr übel ausgehen hinter der Südgrenze Deutschlands.

Wenn sich Bayern und Österreicher nicht so hassen würden, sollten sie sich zu einem neuen faschistoiden Staat zusammentun. Es fehlte nur noch die Wiedervereinigung mit Ungarn und Europa hätte ein braunes Konglomerat, das zeigen könnte wie weit man ohne Globalisierung und Multikulti käme.
Es wäre interessant zu sehen, ob eine Verbindung aus Heinz-Christian Strache, Viktor Orban und Horst Seehofer damit einen stabilen rechtskonservativen Regierungsblock bildete, oder ob sie ihrerseits von noch extremeren Nazis, wie Jobbik unter Druck gerieten.

Möglich ist es, denn selbst innerhalb Bayerns und innerhalb der CSU ist Crazy Horst nicht der schlimmste Politiker – trotz seines sadistisch-soziopathischen Charakters.
Von einer moralischen Warte aus betrachtet, ist Seehofer ebenfalls ein kleineres Übel.
Er ist mit all seinem Populismus und seiner Xenophobie schon sehr übel, aber eben nicht ganz so übel wie sein designierter Nachfolger Söder.
So sehr ich mir aus bundespolitischen Überlegungen das politische Ende Seehofers herbeisehne, so sehr hoffe ich aber auch, daß er es irgendwie schafft noch so lange im Amt zu bleiben, bis er den fiesen, fränkischen Finanzminister kaltgestellt hat.
So verrückt es klingt, aber ich bin auf Seehofers Seite, wenn er seinem obsessiven Hass auf Söder nachgeht.

Immer wenn es so richtig schwachsinnig, teuer, bürokratisch, xenophob, kontraproduktiv wird, steckt Horst Seehofer dahinter: Anti-Ausländer-Maut, Bildungs-Fernhalteprämie, Hotelsteuerermäßigung oder Umstellung auf Sachleistungen bei Flüchtlingen.

In den letzten Tagen vermochte es Markus Söder, der Mann mit dem Gesicht, das nur eine Mutter lieben kann (Hildebrandt), noch eine Umdrehung hinzuzufügen.

In abscheulichster Matussek-Manier ging er auf die Opfer des IS los, die gerade noch ihre Haut vor dem Terror retten konnte und unterstellte ihnen auch Täter zu sein.
Ekeliger geht es kaum noch.
Man darf getrost davon ausgehen, daß diese widerlich-populistisch-xenophobe Sicht von den meisten CSU-Politikern geteilt wird und dadurch auch in die Bundesregierung getragen wird.
Das sind die Momente, in denen man an Max Liebermann und das „fressen“ und „kotzen“ denkt.

Nun passiert aber etwas unerwartet Lustiges.
Eine zweite Ebene der Bayernpolitik wird sichtbar, so sichtbar, daß sie die Flüchtlingspolitik überlagert.
Horst Seehofer, 66, befindet sich in seinem politischen Herbst und mag wie so viele andere vor ihm – man denke nur an Stoiber und Kohl – nicht rechtzeitig loslassen.
Eifersüchtig auf seine egoistischen Machtinteressen fixiert beißt Seehofer alle jüngeren Konkurrenten weg. In diesem Punkt ähnelt er seiner Schwesterparteichefin Merkel: Auch sie verhindert konsequent, daß ein möglicher Nachfolger gefunden wird.

Während man sich aber in der CDU an das Papstnachfolger-Motto hält, demzufolge jemand der öffentlich bekundet Papst werden zu wollen es niemals werden kann, geht es bei den Christsozialen rabiater zu.
Markus Söder will unbedingt Seehofer nachfolgen. Dafür geht er über Leichen. Dafür versucht er seit Jahren Crazy Horst weidwund zu schießen. (…..)

Es gibt nur eine Sache, die Orbans aktuelle Lieblingskurtisane Horst noch weniger leiden kann als Asylanten; und das ist Markus Söder.
Der gegenwärtige CDU-Chef hasst den mutmaßlich Kommenden so sehr, daß er sein eigenes Versprechen zum Ende der Legislatur abzudanken wohl kassieren wird.
Als Parteichef gewählt bis 2017 will Seehofer auf gar keinen Fall dem xenophoben Franken das CSU-Ruder überlassen, weil er dann bis zur bayerischen Landtagswahl 2018 seinen (Partei-)Chef an seinem Kabinettstisch sitzen hätte.
Laut SPIEGEL plant der Bayern-Diktator eine außerordentliche Neuwahl des CSU-Parteivorsitzenden noch dieses Jahr, so daß er bis 2018 Chef bliebe.

Söder, der mit fremdenfeindlichen Parolen sogar noch deutlich rechts von Seehofer in der CSU positioniert ist, drängt allerdings derart machtvoll an die CSU-Spitze, daß er womöglich nicht mehr aufzuhalten ist.
Der Finanzminister ist jünger, gesünder, fieser als der Ministerpräsident und bemüht sich seit Jahren um intensive Vernetzung und Verküngelung innerhalb der CSU zu seinen Gunsten.

Unvergessen wie Söder nach den Attentaten von Paris unter Aufbringen eines Maximums an Unanständigkeit die Opfer nutzte, um sein rechtsradikales Süppchen zu kochen. Paris ändere alles – so argumentierte Söder, um mit den französischen durch den IS Getöteten, die anderen vor dem IS Fliehenden zu diffamieren. Perfider geht es nicht.

Nach den islamistischen Anschlägen von Paris zeichnet sich in Deutschland eine neue Debatte über einen härteren Umgang mit Flüchtlingen an den deutschen Grenzen ab. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralph Stegner hat vor einer Instrumentalisierung der Anschläge von Paris gewarnt. "Paris ändert nicht alles", sagte Stegner dem Tagesspiegel. Zuvor hatte Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) eine Änderung der Flüchtlingspolitik gefordert und gesagt: "Paris ändert alles." SPD-Vize Stegner widersprach  dem, eine Änderung der Flüchtlingspolitik sei "nicht erforderlich" sagte er. "Die meisten Flüchtlinge laufen vor denen weg, die die Anschläge in Paris verübt haben". In der gegenwärtigen Situation sollte jeder vor einer parteipolitischen Instrumentalisierung absehen, forderte Stegner. [….]

Seehofer, selbst alles andere als zimperlich im Umgang mit den Kriegsflüchtlingen, nutzte die Gelegenheit, um Söder kräftig vor das Schienbein zu treten.
Stoppen konnte er Sudel-Söder freilich nicht.
Nach allen Umfragen liegt der weit vorn, wenn es um die Seehofer-Nachfolge geht. Herrmann und Aigner scheinen chancenlos.
Söders Braun-Kurs scheint ihm also in Bayern sogar zu helfen.
Folgerichtig blinkt er weiterhin rechtsextrem.
So drückt auch der mächtige SZ-Chefredakteur Horst Seehofer die Daumen.

[….] Der Ministerpräsident hält Söder für charakterlich ungeeignet. Nach Aussagen des bayerischen Finanzministers, die auch AfD-Sympathisanten gefallen werden, kann man das verstehen.
[….] Warum Seehofer das meint, wird gelegentlich an Söders nahezu skrupelloser Rhetorik deutlich. Zum Beispiel verknüpfte Söder nach den Anschlägen von Paris flugs Terrorismus und Flüchtlinge in dem Satzbeginn, nicht jeder Flüchtling sei ein Terrorist, aber... Einen ähnlichen Klops hat er sich jetzt wieder geleistet.
Weil die Betreuung unbegleiteter junger Flüchtlinge nicht billig ist und außerdem gerade über die Rente diskutiert wird, kocht Söder aus beidem einen Brei, der auch AfD-Sympathisanten schmecken wird. Es gehe nicht an, polemisiert Söder, dass ein deutscher Rentner weniger vom Staat bekomme, als ein jugendlicher Flüchtling den Staat koste. Die nicht sehr versteckte Botschaft lautet: Irgendwie nehmen die Ausländer den Rentnern das Geld weg. [….][….]