Sonntag, 17. April 2016

Bis zur Nasenspitze gedacht.



Na toll, jetzt ist der Frust der SPDler so gewachsen, daß Köpfe rollen sollen.
Die Sozi-Funktionäre sind ratlos, frustriert und fühlen sich ungerecht behandelt.
Da regiert man solide und skandalfrei, setzt gegen die 2013 übermächtige CDU/CSU eine Menge sozialdemokratische Kernanliegen durch – Rente mit 63, Mindestlohn, Mütterrente, Mietpreisbremse – und dennoch zeigen die Daumen der undankbaren Wähler kontinuierlich nach unten.
Natürlich ist es auch ungerecht, wenn man bedenkt, daß andere Parteien wie die AfD ganz ohne irgendwelche Arbeit, ohne Programmatik, ohne durchgesetzte Gesetze, ohne Anstand mal eben 15, 20 oder mehr Prozent einfahren.
Nun soll einer büßen.

Gabriel, das Kassengift, der I-Gitt-Faktor an der Wahlurne soll weg.
Seine eigene Partei hat genug von ihm.

 [….] Selbst wenn Gabriel bis 2017 im Amt bleiben sollte, ist das Ende lediglich aufgeschoben.
Man muss sich nur die Intervalle ansehen, in denen zuletzt über einen Rücktritt oder Sturz Gabriels spekuliert wurde - und zwar nicht aus journalistischer Erfindungslust, sondern unterfüttert vom Getratsche und Geraune in einer tief verunsicherten Partei. Nach Gabriels 74-Prozent-Klatsche beim Parteitag im Dezember, vor dem absehbaren Debakel bei den Landtagswahlen im März und nun nach zwei miesen Umfragen: Jedes Mal galt ein Rückzug des Vorsitzenden ebenso als Option wie ein Putsch. Das vermittelt eine Vorstellung davon, wie es um Gabriels Autorität noch bestellt ist. Und das soll jetzt eineinhalb Jahre so weitergehen?
Dann wird nach jetzigem Stand der Bundestag gewählt, und man vermag sich derzeit nicht vorzustellen, wie die SPD für Gabriel mit der nötigen Begeisterung in den Wahlkampf ziehen soll. Gabriel hat es sich durch Positionswechsel, Unbeherrschtheiten, Alleingänge mit dem Rest der Parteispitze verdorben. Er hat durch Beschimpfungen weite Teile der Funktionärsschicht gegen sich aufgebracht. Er hat den Jusos seine Verachtung gezeigt und sich mit ihrer Vorsitzenden auf offener Parteitagsbühne eine Art verbaler Schulhofklopperei geliefert. Ausgeblendet hat er die Tatsache, dass die Jusos noch immer das logistische Rückgrat jedes SPD-Wahlkampfs bilden. Sollen sie im nächsten Jahr ernsthaft mit "Sigmar wählen"-Shirts durch die Gegend laufen? Die Junge Union könnte so etwas - wenn es um die Macht geht, sind die Konservativen immer diszipliniert. Die SPD ist anders. Wenn sie übel nimmt, dann richtig. [….]

Und welcher einigermaßen an Bürgerrechten und Gerechtigkeit Interessierte wäre nicht von Gabriels Alleingängen genervt?

Hypothetische Geschichte ist sinnlos, aber ich nehme durchaus an, daß eine SPD in der Konstellation von 2013 unter einer Kanzlerin Merkel deutlich besser dastehen könnte, wenn der Parteichef klare Alternativen verkörpert hätte.
Leider gab aber Gabriel Waffenexportgenehmigungen wie Schwarzgelb, besuchte privat die Pegida-Pest, überstimmte Industrie-hörig die Kartellbehörde im Tengelmann-Fall, mäanderte erbärmlich um TTIP, poltert gegen Flüchtlinge und zwang Maas dazu die Vorratsdatenspeicherung einzuführen.
So wird die eigene Partei natürlich nicht beliebt. Aber das liegt an Gabriel und nicht der politischen Konstellation insgesamt.

Nach sechseinhalb Jahren Gabriel gibt es tatsächlich genügend Gründe ihn nach Hause zu seiner jungen Familie nach Goslar zu schicken.

Die Väter des Grundgesetztes haben dafür gesorgt, daß der Staat nicht handlungsunfähig werden kann, falls frustrierte Abgeordnete den eigenen Kanzler stürzen wollen.
Für einen Kanzlerwechsel gibt es außer Neuwahlen nur die Möglichkeit eines konstruktiven Misstrauensvotums. Man schickt einen Regierungschef also nur dann in die Wüste, wenn man gleichzeitig einen Neuen bestimmt.

Stünde wie vor 21 Jahren in Mannheim ein dynamischer zupackender Lafontaine bereit, um die Lusche Scharping abzulösen, wäre ich der erste Sozialdemokrat, der das unterstützte!

Aber wer, bitte schön, sollte das machen?

Gabriels sechs Stellvertreter stecken allesamt den Kopf in den Sand.
Hannelore Kraft und Olaf Scholz, die beiden Mächtigsten haben deutlich erklärt nicht zur Verfügung zu stehen.
Manuela Schwesig ist im Mutterschaftsurlaub und zu jung, Thorsten Schäfer-Gümbel gilt als ewiger Wahlverlierer und notorisch uncharismatisch, Aydan Özoğuz gilt als profillos und monothematisch, Ralf Stegner schließlich ist der Unsympath, der weiten Teilen der Partei nicht vermittelbar ist.
Allen sechs Personen gemein ist, daß sie nicht wollen.

Demonstrativen Unwillen bekunden auch die SPD-Bundesminister.
Steinmeier gilt seit 2009 als verbrannt und schielt auf den Job des Bundespräsidenten. Maas beugte sich bereits mehrfach deutlich Gabriels Willen, auch wenn er dezidiert anderer Meinung war. Die fromme Nahles intrigiert im Hintergrund für 2021, hält sich aber feige aus der Tagespolitik heraus.
Manuela Schwesig ist zu jung, Barbara Hendricks zu alt und zu unbekannt.

Anders als die SPD-Ministerpräsidenten von vor 20 Jahren, sind die heute Amtierenden fast alle reine Landesgewächse, die außerhalb ihrer Scholle niemand kennt und die sich auch so gut wie nie bundespolitisch äußern.

Michael Müller (Berlin), Dietmar Woidke (Brandenburg), Carsten Sieling (Bremen), Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern), Stephan Weil (Niedersachsen), Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) und Torsten Albig (Schleswig-Holstein) sind alle einige Nummern zu klein.
Nur Scholz (Hamburg) und Kraft (Nordrhein-Westfalen) kämen überhaupt in Frage, aber beide haben sich glaubhaft immer wieder dazu verpflichtet in ihren Ländern zu bleiben.

Bliebe noch ein Blick auf die Landesvorsitzenden, aber da muß man die notorisch Erfolglosen, die bereits bewiesen haben, daß sie an der Wahlurne immer bloß abgestraft werden auch schon streichen:

Nils Schmid (Baden-Württemberg), Florian Pronold (Bayern), Jan Stöß (Berlin), Thorsten Schäfer-Gümbel (Hessen), Martin Dulig (Sachsen), Burkhard Lischka (Sachsen-Anhalt) und Andreas Bausewein (Thüringen).

Zwei SPD-Ministerpräsidenten regieren ohne zugleich Landeschef zu sein, die dortigen Parteivorsitzenden sind sogar noch schwächer: Dieter Reinken (Bremen) und Roger Lewentz (Rheinland-Pfalz).

Es bleibt nur noch Saarlands SPD-Vorsitzender Heiko Maas übrig, dessen Landesverband immerhin im Verhältnis zu Gesamtbevölkerung die höchste Mitgliederzahl hat.

Auch wenn Maas inzwischen einige zweifelhafte Entscheidungen mittrug, ist er für mich gegenwärtig der beste Bundesminister. Außerdem ist er an der Parteibasis beliebt.
Aber wie sollte sich der nette Maas gegen das Schwergewicht Gabriel in der Partei durchsetzen, nachdem er sich schon so von ihm in der Regierung dominieren ließ und es noch nicht einmal zum stellvertretenden Parteivorsitzenden brachte?
Wird schwer.
Im Ausschlussverfahren komme ich trotzdem zu dem Schluß, daß nur Maas Gabriel ersetzen könnte und halbwegs erfolgreich die Partei in den Wahlkampf 2017 führen könnte.
Aber der Bundesjustizminister lässt diesbezüglich keinerlei Ambitionen erkennen.

Daher müssen wir wohl Gabriel behalten, mit dem sich die SPD 2017 entweder nur schwer gerupft in ein Kabinett Merkel IV rettet, oder gleich in die Opposition geschleudert wird. Vielleicht als vierte Kraft hinter Union, Grünen und AfD?

Merkel wird definitiv eine vierte Legislaturperiode anstreben. Sollte sie sogar 2021 noch einmal antreten, kann die SPD sich auch nach Torsten Albigs Rat richten und gleich darauf verzichten einen eigenen Kandidaten aufzustellen.

Vielleicht hat aber auch Volker Pispers Recht: Der deutsche Urnenpöbel ist unfähig nicht Merkel zu wählen. So lange sie möchte, wird sie auch Kanzlerin bleiben. Die Wahlen könnte man sich also sparen und die deutsche Demokratie darauf reduzieren die Kanzlerin alle vier Jahre zu fragen, mit wem sie regieren möchte.