Donnerstag, 28. Mai 2015

Einseitigkeit.


Gefühlt hundertausendfach habe ich schon die bigotte Russlandpolitik Europas kritisiert.

Es muß endlich aufhören, daß man Putin, Russland und den Kreml synonym verwendet. Russland ist kein homogener Block, in dem jeder das will und tut was Putin möchte.

Es muß endlich aufhören, daß man Russlands Historie ignoriert. Kein einziges mal in hunderten Jahren hat Russland den Westen angegriffen. Es war immer der Westen, der in Russland einmarschierte. Als Deutschland das zuletzt tat, gab es 25 bis 27 Millionen Tote in der Sowjetunion. So einen Blutzoll hat noch keine andere Nation gezahlt.

Es muß endlich aufhören Russland wie eine x-beliebige Demokratie der EU zu betrachten. Die Russen sind vom Zarenreich über die Bolschewisten bis zu Gorbatschow Jahrhunderte lang von einer zentralistischen Diktatur beherrscht worden. Dann kam in den 1990er Jahren unter Yelzin die Demokratie und zeigte sich als Staatsbankrott, Hungersnot, explodierende Kriminalität und in Form des Zusammenbruchs aller Sicherheiten. Zig Millionen Rentner und Beamte bekamen kein Geld mehr und waren gezwungen zu hungern und/oder zu betteln. Als Putin übernahm und die Zügel wieder fester in die Hand nahm, ging es dann ökonomisch gewaltig bergauf.
Darin besteht auch einer der Hauptgründe weswegen viele Menschen auf der Krim und in der Ostukraine zu Russland gehören möchten: Putin hatte seit Jahren kontinuierlich und großzügig die Rentenbezüge erhöht. Russen haben schlicht und ergreifend sehr viel mehr im Portemonnaie als Ukrainer.

Es muß endlich aufhören willkürlich verschiedene Maßstäbe anzusetzen.
Während man (zu Recht) die Schwulenpolitik und die Medienpolitik Moskaus kritisiert, ist Berlin eng verbandelt mit China und Saudi-Arabien. Das sind unsere engsten Handelspartner, die von allen deutschen Politikern umschmeichelt werden.
Riad und Peking sind aber noch Lichtjahre davon entfernt ihren Menschen so viel Bürgerrechte wie den Russen zuzugestehen.

Es muß endlich aufhören Regime-Change-Gedanken in die Diplomatie einzuweben.
Präsident Putin sitzt sehr fest im Sattel, genießt die allerhöchsten Zustimmungswerte. Also ist Putin auch der natürliche Ansprechpartner Obamas und Merkels. Ob die Kanzlerin und der US-Präsident lieber einen anderen Chef im Kreml HÄTTEN, ist irrelevant.

Es muß endlich aufhören politische Differenzen mit Sprachlosigkeit und Boykotten zu kontern.
Das ist der diametral falsche Weg. Statt Putin zu schneiden, indem man ihn vom G8 auslädt und nun schmollend als G7 auf der Elmau hockt, müßte es nach den Konflikten in der Ostukraine ganz im Gegenteil eine Intensivierung der Kontakte geben. Man müßte gerade in solchen Zeiten permanent im Gespräch sein; auf allen Ebenen, auch auf der Höchsten.

Es muß endlich aufhören Fehler der russischen Seite triumphierend als Monstranz vor sich her zu tragen: „Wieder ein Beweis für die Bösartigkeit Putins!“

Es muß endlich aufhören den Versuch russische Befindlichkeiten zu verstehen, als Schwäche oder linksideologisch zu diffamieren. Es sollte ganz im Gegenteil gerade jetzt alles unternommen werden, um sich „in die russische Seele“ hineinzudenken.

Und nun die Wellmann-Hysterie.

Der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann hat nach seiner gescheiterten Einreise nach Russland mit Unverständnis reagiert. Wellmann war am Wochenende bei der Passkontrolle in Moskau abgewiesen worden und mit einem Einreiseverbot bis 2019 belegt worden.
Im ARD-Morgenmagazin kritisierte er diesen Umgang. Es sei "nicht klug und unverständlich" mit um Ausgleich bemühten Politikern so umzugehen, sagte er.

Das Geschrei ist groß. Russland führe „schwarze Listen“ meinen die Grünen Russland-Hasser Marie-Luise Beck und Rebecca Harms, die sich so demonstrativ mit Faschisten und Antisemiten in Kiew solidarisieren.

Um alle Missverständnisse auszuräumen:
Ich finde das Einreiseverbot gegen Wellmann auch peinlich und schädlich.
Nicht zu rechtfertigen.

Aber das hasserfüllte Geifern von den Becks dieser Welt ist absurd.

Zum Inkrafttreten des Gesetzes in Russland über „unerwünschte“ ausländische und internationale Organisationen erklärt Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik:
Die zunehmende Unterdrückung der Zivilgesellschaft steht in direktem Zusammenhang mit dem aggressiven machtpolitischen Auftreten des Kremls in der europäischen Nachbarschaft. Innerhalb und außerhalb Russlands werden Feindbilder erschaffen, um diesem politischen Kurs die Legitimität zu sichern. Immer schärfer geht der Staat dabei gegen diejenigen vor, die sich in grenzüberschreitender Zusammenarbeit für ein demokratisches, weltoffenes Russland einsetzen.
(PM Die Grünen 25.06.2015)

Was treibt diese alternden Grünen dazu geradezu obsessiv Öl ins Feuer zu gießen, während es bei der SPD gerade die Alten sind, die besonnen und konstruktiv argumentieren?
NGOs können nicht überall frei agieren. Das ist Mist, aber wirklich kein russisches Alleinstellungsmerkmal.
Becks heißgeliebtes Oligarchen-Regime in Kiew geht sogar noch viel weiter:

Das Parlament der Ukraine hat aufgrund des Krieges im Osten des Landes die Menschenrechte in Teilen außer Kraft gesetzt. Die Europäische Union hat sich zu diesem Vorgang in der Ukraine noch nicht geäußert.
"Der Krieg (gegen prorussische Separatisten) zwingt uns dazu", so die Vize-Chefin des Parlaments, Oxana Syrojed.
(Shortnews 21.05.2015)

Diese Meldung findet man nur ganz klein im hintersten Teil der Zeitung. Beck und Harms äußern sich natürlich nicht dazu.

Sie zürnen wie die Bundesregierung noch über die mutmaßliche „schwarze Liste“ Moskaus.

„Unverständlich und inakzeptabel“ nannte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes gestern den Vorfall. „Die Bundesregierung erwartet die Aufhebung der Einreiseverweigerung.“ Der deutsche Botschafter protestierte sofort persönlich im russischen Außenministerium, die Bundesregierung beim Botschafter in Berlin.
Uniformierte hätten ihm für mehrere Stunden seinen Diplomatenpass abgenommen, berichtete Wellmann. „Die Nacht verbrachte ich im Transitbereich.“ [….]
Nach der Landung in Berlin-Schönefeld sagte der Bundestagsabgeordnete unserer Zeitung: „Ich habe kein Verständnis und keine Erklärung für dieses Vorgehen“. [….] Bereits im September war der Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms (49) die Einreise nach Russland verweigert worden. Harms vermute, dass der Kreml eine schwarze Liste über westliche Politiker führe – als Reaktion auf die Sanktionen der EU.

Die Erklärung für Moskaus Verhalten dürfte dabei recht simpel sein.
Es war eine Retourkutsche für die schwarzen Listen der EU.
WIR dürfen nämlich schwarze Listen führen und finden das völlig richtig. Rebecca Harms hatte als EU-Abgeordnete für eine russische schwarze Liste gestimmt, also russische Politiker, die man nicht mehr in die EU einreisen lassen darf.
 Wenn Moskau das auch tut, ist es aber „empörend, inakzeptabel und skandalös“.

Das deutsche Auswärtige Amt und Herr Wellmann kennen offenbar nicht Wikipedia, sonst könnten sie dort nachlesen:

Von den USA wurden am 17. März 2014 Einreiseverbote gegen 7 russische Personen verhängt, Vermögenswerte eingefroren und Bürgern und Unternehmen der USA verboten, Geschäfte mit den Sanktionierten zu machen. Ebenso wurde gegen 4 ukrainische Personen Beschränkungen durch das US-Finanzministerium verhängt.
Der Rat der Europäischen Union setzte am 17. März insgesamt 21 Personen auf eine Sanktionsliste, mit der Reisebeschränkungen und das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen verbunden sind.
Am 20. März wurden von Seiten der USA weitere Personen und Unternehmen auf die SDN-Liste gesetzt.   [….] Am 21. März publizierte die EU eine zusätzliche Sanktionenliste mit den Namen von 12 weiteren Personen, am 28. April eine Liste mit 15 weiteren Personen. Am 12. Mai wurden die Sanktionen auf die zwei von den Behörden der Autonomen Republik Krim konfiszierten Unternehmen Tschernomorneftegas und Feodosia ausgeweitet sowie weitere 13 Personen hinzugefügt.
Am 25. Juli erweiterte die Europäische Union ihre Sanktionsliste um 15 Personen und 18 Einrichtungen. Am 30. Juli kamen weitere 8 Personen und 3 Einrichtungen hinzu. Am 8. September erfolgte die Verlängerung und Erweiterung der Sanktionen. Dabei wurden zum 12. September 24 zusätzliche Personen auf die Sanktionsliste gesetzt.

An Wellmann statuierte Moskau offensichtlich ein „Wie du mir, so ich dir“-Exempel.
Das ist nicht sehr erwachsen, aber auch kein Skandal.

Wieso traf es ausgerechnet den braven Karl-Georg Wellmann rätselte Stefan Braun in der SZ-Ausgabe von gestern.

[….]  Nun ist Wellmann nach den üblichen Kriterien keine Berühmtheit. Und der 62-jährige CDU-Politiker gehört auch auf Berliner Boden nicht zu denen, die sich auf ihr Amt besonders viel einbilden. Aber er ist Bundestagsabgeordneter und besitzt einen Diplomatenpass, weil er im Auswärtigen Ausschuss seinen Platz hat. Deshalb ist das, was ihm am Sonntag nach der Landung in Moskau passierte, ein diplomatischer Affront erster Güte.
[….] Geschockt wirkt der Russland- und Ukraine-Experte der Unionsfraktion dennoch nicht. Eher ernüchtert. Wellmann ist kein politischer Tänzer für die Galerie und die Medien. Aber er spricht gerne aus, was er denkt, auch wenn das seinen Preis hat. [….]

So rätselhaft ist der Wellmann-Bann in Moskau allerdings nicht:

·        Wellmann ist Außenpolitiker, der laut und deutlich allein Moskau die Schuld für die Krimkrise in die Schuhe schiebt.
·        Wellmann ist Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe.
·        Wellmann arbeitet für die „Agentur für die Modernisierung der Ukraine.“

Die Einrichtung wird vom ukrainischem Oligarchen Dmytro Firtasch (50) mitfinanziert. Firtasch war 2014 aufgrund eines US-Haftbefehls wegen Bestechung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Wien verhaftet und nach einer 125-Millionen-Euro-Kaution auf freien Fuß gesetzt worden.

Alles keine Entschuldigungen, aber eben auch keine „neue Provokation“ Russlands, sondern eine eher harmlose REAKTION auf EU-Verhalten.