Dienstag, 17. März 2015

Kanzler und das Christentum



Merkel steckt moralisch ganz schön in der Bredouille; sie will „den Griechen“ aufoktroyieren wie man sich (finanzpolitisch) vernünftig benimmt, sich an Deutschland ein Beispiel nimmt und gleichzeitig ist die maximale deutsche Amoral in den weltweiten Feuilletons wieder ein Thema.
Berlin drückt sich darum die von den Nazis gequälten Griechen finanziell zu entschädigen.
Merkel, die in den letzten Jahren immer deutlicher sagte wie sehr ihr das Christentum als Richtschnur ihres Handelns diene, gibt gegenüber dem Atheisten Tsipras damit ihre ganze Heuchelei preis: Von Christlichen Werten reden, aber in der praktischen Politik setzt sie sich dafür ein, daß Zehntausende Menschen an den hermetisch abgeriegelten Europäischen Grenzen ersaufen, daß Waffen in die Krisengebiete der Welt geschickt werden und möchte die Nachfahren der Nazis davor bewahren zu ihrer moralischen Schuld zu stehen.

Auf die Bundesregierung wächst der Druck, sich in der Entschädigungsfrage zu bewegen. […]
 Auch 70 Jahre nach Kriegsende steht eine Frage im Raum; es geht darum, ob Deutschland für das NS-Unrecht auf griechischem Boden ausreichend Entschädigungen geleistet hat.
[…]. In Sachen NS-Vergangenheit sollten wir "vor der eigenen Tür kehren", schreibt Gesine Schwan in einem Gastbeitrag für SPIEGEL ONLINE. "Das ist ausgestanden. Es gibt keinen Anspruch. Die Griechen sollen sich mal mit ihrer Hausaufgabe beschäftigen und nicht immer woanders Schuldige suchen", sagt dagegen Unions-Fraktionschef Volker Kauder.
Die Diskussion setzt die Bundesregierung unter Druck. Bislang konnte sie die Forderungen aus Athen als politische Spielchen einer bankrotten Regierung abtun, doch das wird angesichts der Debatte immer schwieriger. Mit aller Kraft versucht die Koalition, die Deutungshoheit zu behalten - und geht damit das Risiko ein, ausgerechnet beim Umgang mit der deutschen Geschichte als kalt wahrgenommen zu werden.
[…]  Merkel und Co. wollen hart bleiben. Dahinter steckt auch die Sorge vor einer Verfahrenslawine aus Ländern, die NS-Deutschland einst besetzt hielt oder deren Staatsangehörige Unrecht erlitten. […] Merkels Problem der Entschädigungen ist weniger ein juristisches als ein moralisch-politisches. Darauf weisen auch die Unterstützter von Entschädigungszahlungen hin. "Es geht um historische Verantwortung", formuliert es der frühere Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin - und bringt eine mögliche Lösung ins Spiel. Wie man diese Frage klug angehen könne, belege der Umgang mit der Geschichte der Zwangsarbeit in Form der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft", über die ein Ausgleich jenseits der Gerichte gefunden wurde. […]

Merkels Amtsvorgänger, der Atheist Gerhard Schröder wollte hingegen nicht, daß diejenigen, die auf Kosten der Juden und Zwangsarbeiter von den Nazi-Verbrechen profitieren, sich völlig aus der Verantwortung stehlen und setzte in moralisch vorbildlicher Weise im Alleingang die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" durch.

Nicht unter den Tisch fallen sollte daneben die einzige wirklich erfolgreiche Großaktion, die der rot-grünen Bundesregierung gelang: die internationale Vereinbarung über die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter im Dritten Reich, die im Jahr 2000 zur Gründung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" führte. Rund elf Milliarden Mark wurden für das gigantische Unternehmen zur Verfügung gestellt.
Dass die Unterhandlungen mehr als schwierig waren, blieb seinerzeit niemandem verborgen. Die Jewish Claims Conference und der Jewish World Congress wollten zuerst jüdische Verfolgte entschädigt sehen. Vertreter von Sinti und Roma hatten sich anfangs in den Kopf gesetzt, man trachte sie zu übergehen, und ließen sich nur mühsam vom Gegenteil überzeugen. Die Repräsentanten der osteuropäischen Nationen fürchteten, übervorteilt zu werden.
Dabei sollte der Fonds besonders all jenen zu Zwangs- oder Sklavenarbeit verdammten Osteuropäern zugutekommen, die bis 1990 hinter dem Eisernen Vorhang von den "Wiedergutmachungszahlungen" der Bundesrepublik abgeschnitten gewesen waren. Die deutsche Industrie empfand das Ansinnen zunächst mehrheitlich als dreiste Zumutung. Die Verhandlungsrunden boten nicht selten das Schauspiel, wie eben noch gesittete Herren hochroten Gesichts zum Brüllen anfingen. Derweil verrann die Zeit, und an einem jeden Tag ging der Tod unter den alten Menschen um, über deren Entschädigung gestritten wurde.
(Franziska Augstein 13.12.2008)

Es ist beeindruckend, aber einleuchtend, daß es Atheisten sind, die moralischer handeln, während die Christen umso deutlicher von sich behaupten moralischer zu sein.

Der zwar evangelisch geborene, dann aber zum Atheisten gewordene Friedensnobelpreisträge Willy Brandt war der erste Kanzler, der sich um Versöhnung bemühte, die Opfer der Nazis in seinen Focus nahm und obwohl er als strikter Nazi-Gegner gewiss frei von persönlicher Schuld war als deutscher Kanzler vor den ermordeten Opfern der Deutschen auf die Knie fiel.

Bei christlichen Kanzlern sieht die Bilanz eindeutig aus. Sie wendeten die dirty tricks an, um die Nazis zu schützen, während die Nichtchristen an deren Opfer dachten.

Von Helmut Schmidt ist der Satz überliefert: „Ich habe im Amt noch niemals aus irgendeinem bedrückenden Anlass gebetet.“
Auch Helmut Schmidt, der 1945 angesichts der verheerenden Zerstörungen glaubte, die Deutschen würden zukünftig in Erdlöchern hausen und in dieser völligen Abwesenheit von irgendwelchen Strukturen werde es vermutlich nur die Kirche sein, die wieder Orientierung bieten könne, war nie ein religiöser Mann.
Er sah schon in den 1940er und 1950er Jahren die Kirche als ein kulturelles Gut an, das in Deutschland eine große zivilisatorische Rolle spielt, das ihm persönlich aber spirituell nichts bedeutete.
Wie jeder kluge Mann wird auch Helmut Schmidt immer klüger und erkennt zunehmend den destruktiven Einfluss der Religionen.
Als beim Staatsbegräbnis für seinen Freund Siggi Lenz der Michel-Pfaff Röder den Atheisten Lenz a posteriori verchristlichte, focht Schmidt anschließend mutig dagegen.

Die Frechheit Röders sogar trotz des Widerwillens der Witwe Psalmen zu verwenden, nach denen Gott für das Lenzsche Talent verantwortlich war, muß man erst einmal haben.
Wer Lenz‘ Bücher auch nur ein bißchen kennt, dem biegen sich bei der Predigt die Fußnägel hoch.
Scheinbar ist es so bei dieser Art Großbeerdigungen, daß es aber auch immer einen gibt, der die richtigen Worte findet.
Vorgestern war es wieder Helmut Schmidt, der seinen toten Freund tapfer gegen den Pfaff verteidigte.

Es war aber ebenfalls Helmut Schmidt, der sich einer wohlüberlegten Spitze gegen das christliche Zeremoniell in Hamburgs schöner Hauptkirche nicht enthalten konnte. Michel-Pastor Alexander Röder hatte einleitend von "wir Christen" gesprochen und eine nicht ganz passende Bibelstelle zum Zentrum seiner Rede gemacht: ein Gleichnis über fünf Zentner Silber, deren selbstlose Vermehrung durch uns "Knechte" mit der freudigen Einkehr beim Herrn belohnt werde.
Dieser Eingemeindung von Lenz ins Christliche musste Schmidt im Geiste der Aufrichtigkeit, die er als Kern ihrer Freundschaft beschrieb, widersprechen: Er und "Siggi", wie er Lenz konsequent nannte, seien sich immer darüber im Klaren gewesen, dass sie "keinen metaphysischen Trost erhoffen dürfen, der uns über die Vergänglichkeit hinweghelfen könne".
Keine andere Rede reichte an diese Mischung aus tiefer Betroffenheit und Reserve gegen falsche Trostworte heran. […]

Sehr erfreulich, wenn ein Mann in einer Kirche das Wort ergreift und den Pastor verbal auskontert.

Seine grundsätzlichen Zweifel an Religionen beschrieb Helmut Schmidt schon in seinem Buch „Außer Dienst“ von 2008 und nicht erst in seinem Bestseller „Religion in der Verantwortung“ von 2011.

[…] Bis zum Ende des Krieges habe ich nicht wirklich gewusst, was an die Stelle des "Dritten Reiches" treten sollte. Ich wusste nur, dass ich dagegen war, nicht aber, wofür. Wie sollte es weitergehen? Ich habe meine Hoffnung für die Zeit danach auf die christlichen Kirchen gesetzt. Ich verstand mich als Christ, aber das hatte sich aufgrund äußerer Einflüsse gewissermaßen von selbst ergeben. Ich wusste nichts vom Judentum, nichts vom Islam, nichts von Konfuzius, nichts von Kant und der Aufklärung. Was ich vom Kommunismus Böses gehört hatte, habe ich zwar nicht geglaubt, aber eine Diktatur des Proletariats kam mir doch unheimlich vor. Als ich 1945 nach acht Wehrpflichtjahren nach Hause kam, wurde ich 27 Jahre alt. Ich war also ein erwachsener Mann, aber ich wusste sehr wenig; ich wusste nur: Dies alles darf nie wieder geschehen. […] Meine christliche Unterweisung hat nicht im Elternhaus, sondern im Konfirmationsunterricht 1934 begonnen. Dort hatte ich die wichtigsten Glaubensinhalte gelernt, aber das meiste blieb bloßer Lernstoff. Vater, Sohn und Heiliger Geist, die jungfräuliche Geburt, das leere Grab und Christi Himmelfahrt, die verschiedenen Wunder, aber auch die Geschichten aus dem Alten Testament, von Kain und Abel, von Noah und seiner Arche, von Moses am Berge Sinai – all das waren für den Fünfzehnjährigen lediglich seltsame Geschichten. Ich glaubte zwar an Gott als wirklich existent, aber seine Dreieinigkeit vermochte ich mir nicht vorzustellen. Ich konnte auch nicht glauben, dass Gott seinen Sohn auf die Erde geschickt hat, um ihn dort kreuzigen zu lassen und ihn am Ende in den Himmel aufzunehmen. Wenn Jesus der Sohn Gottes war, wieso dann nicht auch alle übrigen Menschen? Ich habe mit den anderen gemeinsam gebetet, aber die Gebete blieben mir ziemlich fremd. […]
Aber ebenso habe ich religiöse Toleranz immer für unerlässlich gehalten. Deshalb habe ich die christliche Mission stets als Verstoß gegen die Menschlichkeit empfunden. Wenn ein Mensch in seiner Religion Halt und Geborgenheit gefunden hat, dann hat keiner das Recht, diesen Menschen von seiner Religion abzubringen.
[…]  Loki kam aus einer atheistischen Familie; um kirchlich getraut zu werden, bedurfte sie zunächst der Taufe. Ihr Pastor glaubte an die Schöpfungsgeschichte im Alten Testament – Loki hingegen war von Charles Darwin überzeugt. Ein halbes Jahr lang haben sie diskutiert. Pastor Remé wusste, dass er Loki nicht überzeugt hatte, aber er taufte sie gleichwohl, weil er ihr Motiv für die kirchliche Trauung verstand und anerkannte.
[…] Während des Vierteljahrhunderts seit Ende meiner Kanzlerschaft habe ich nicht nur das Gespräch mit Vertretern der christlichen Kirchen fortgesetzt, sondern auch mehrere gläubige Muslime, Juden und Buddhisten näher kennengelernt. Auch im Gespräch mit Freunden in China, Korea und Japan habe ich manches über andere Religionen und über mir bis dahin fremde Philosophien gelernt. Diese Bereicherung hat meine Distanz zum Christentum vergrößert, sie hat zugleich meine religiöse Toleranz entscheidend gestärkt. […]

Im Interview mit Giovanni die Lorenzo legte er zwei Jahre später nach:

[…] Schmidt: […]  Ich bin ein sehr distanzierter Christ.  […]  Prinzipiell glaube ich, dass Religionsführer – egal, ob katholisch oder evangelisch, buddhistisch oder muslimisch – menschliche Wesen sind wie Sie und ich; und dass der Anteil von Leuten mit einem kleinen charakterlichen Defizit unter ihnen genauso groß ist wie unter uns gewöhnlichen Menschen ohne religiöses Amt. Es ist ein Glücksfall, wenn eine Religionsgemeinschaft oder eine Kirche jemanden zum Oberhaupt macht, der ohne solche Fehler ist oder der nur sehr geringfügige Fehler hat.
[…] ZEITmagazin: Ist die Bundesrepublik heute ein säkularer Staat?
Schmidt: Offiziell ja, tatsächlich etwas weniger.
ZEITmagazin: An welche Tatsachen denken Sie?
Schmidt: Zum Beispiel daran, dass der Staat die Kirchensteuer eintreibt. Oder daran, dass für Personen, die an der Spitze des Staates gestanden oder in der Politik eine gute Rolle gespielt haben, Totenfeiern in einer Kirche abgehalten werden. Da wirken alte Traditionen nach, obwohl der Verstorbene selbst womöglich weder in die Kirche gegangen ist noch jemals gebetet hat. Aber für ihn wird dann gebetet.
[…] ZEITmagazin: Sie meinen im Ernst, den Europäern fehle es an religiöser Toleranz?
Schmidt: Die Europäer haben lange gebraucht, bis sie religiöse Toleranz gelernt haben. Sie waren noch vor vierhundert Jahren bereit, sich für die katholische oder die evangelische Wahrheit gegenseitig den Schädel einzuschlagen. Der Dreißigjährige Krieg ist das schlimmste Beispiel. Und wer von der Meinung der Kirche abwich, der wurde als Ketzer verbrannt. […] ZEITmagazin: Ist Religion für Sie im Alter wichtiger geworden?
Schmidt: Nein, unwichtiger.
ZEITmagazin: Wie erklären Sie sich das?
Schmidt: Mit der zunehmenden Lebenserfahrung. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die mit meiner Religion nichts zu tun haben: Ich hatte chinesische Freunde, die an ihren Kommunismus glaubten; ich war mit einem Muslim aus Ägypten befreundet. Ich habe viele tüchtige und verantwortungsbewusste Menschen kennengelernt, die ganz andere religiöse Vorstellungen hatten als ich. So habe ich gelernt, dass Toleranz und Respekt eine dringende Notwendigkeit sind, wenn man den Frieden erhalten will. Ich glaube, dass die Menschheit sich im 21. Jahrhundert an zwei Leitworten orientieren muss: Respekt und Kooperation.
ZEITmagazin: Beneiden Sie manchmal ältere Menschen, die Zuversicht im Glauben finden?
Schmidt: Nein, ich beneide niemanden.
ZEITmagazin: Auch nicht jene, die den Tod nicht fürchten, weil sie an einen Übertritt in ein anderes Leben glauben?
Schmidt: Wenn jemand daran glaubt, ist das für mich in Ordnung. Es bringt mich aber nicht dazu, es ihm gleichzutun.
ZEITmagazin: Beten Sie?
Schmidt: Nein. Ich habe vielleicht äußerlich mitgebetet, aber innerlich nicht. […]

Und jetzt, in seinem 97. Lebensjahr erklärt der Altkanzler klipp und klar im Widerspruch zu Merkel, daß er die Missionierung für außerordentlich gefährlich hält.

Helmut Schmidt hält Mission für „zunehmend gefährlich“
Altbundeskanzler Helmut Schmidt (Hamburg) sieht Mission äußerst kritisch. Die Vorstellung, dass eine Religion durch Mission möglichst umfassend verbreitet werden soll, hält er für „zunehmend gefährlich“. Der christliche Missionsgedanke habe „unermessliches Leid über die Menschen gebracht“, schreibt der SPD-Politiker in seinem Buch „Was ich noch sagen wollte“ (C. H. Beck-Verlag/München). Das Christentum habe zahlreiche Feldzüge im Zeichen des Kreuzes unternommen, etwa die Kreuzzüge ins Heilige Land. Dass das Heil einer Religion in ihrer möglichst umfassenden Verbreitung liegen soll, sei ihm immer fremd gewesen, so der 96-Jährige. Er habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Theologen sich nicht durch Toleranz gegenüber anderen Religionen auszeichnen. […] Der Altbundeskanzler: „Vertröstungen auf das Jenseits sind in meinen Augen wenig hilfreich bei der Bewältigung existenzieller Herausforderungen. Die Bibel gibt keine Entscheidungshilfen – schon gar nicht in konkreten politischen Situationen.“ Schmidt kritisiert unter anderem die Aussage Jesu aus der Bergpredigt, sich nicht allzu sehr um die Erfordernisse des Tages zu kümmern. Auch die Forderung „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“, stößt auf Schmidts Widerspruch. Wo es Verbrechen gebe, müsse es auch Richter geben, die ein Urteil fällen. Schmidt: „Je länger ich über die Konsequenzen solcher Lehrsätze nachdachte, desto fremder wurde mir das Christentum.“ Der Vergleich mit anderen Religionen und Philosophien habe dazu geführt, dass er dem Christentum heute „sehr distanziert“ gegenüberstehe.
(Idea 17.03.15)