Vor einem Viertel Jahrhundert reichte der frisch zum russischen Präsidenten aufgerückte Putin uns die Hand, hielt eine epochale Rede im Bundestag; teilweise auf Deutsch. Ein „gemeinsames europäisches Haus“ schien möglich. Putins Russland transformierte sich in eine Demokratie, die Willkür der Oligarchen wurde gebrochen. Russland schuf die Voraussetzungen für intensive Handelsbeziehungen und erwies sich insbesondere in der Phase zwischen dem WTC-Anschlag (2001) und dem Beginn der völkerrechtswidrigen US-Invasion in den Irak (2003) als verlässlicher Partner. Die Achse Paris-Berlin-Moskau war stabil und effektiv.
Ich halte es immer noch für unverzeihliche Fehler, daß wir, daß Deutschland, daß die EU, daß der Westen Putin die Tür vor der Nase zuschlugen. Mit der Amtsübernahme Merkels verschlechterte sich das Verhältnis zu Russland rapide. Die Präsidenten Gauck und Obama zerschlugen mit ihren gehässigen antirussischen Sprüchen wertvolles diplomatisches Porzellan und fügten Putin ganz sicher erhebliche Kränkungen zu. Diese vor 20 Jahren geschehen Dinge handeln aber von einem anderen Russland und einem anderen Putin. Der verlässliche, völkerrechtlich orientierte Kreml-Herrscher existiert nicht mehr. Ich bin nicht sein Psychiater; daher kann ich seinen Charakterwandel nicht kompetent erklären. Ganz sicher ist die Suche nach Erklärungen für die Putin-Metamorphose niemals eine Rechtfertigung für sein heutiges Handeln.
(….) Selbstverständlich soll und muss eine deutsche Regierung sich um Dialog und Partnerschaft mit Russland bemühen, wenn es irgendwie möglich ist. Und Putins Auftritt vor dem Bundestag 2001, als er auf Deutsch vor dem Parlament sprach und die Hand reichte, zeigte klar, daß es möglich ist.
20 Jahre später haben wir es mit einem anderen Russland zu tun. Mit dem Post-24.02.22-Putin kann man selbstverständlich nicht kooperieren. Man kann ihm nicht trauen. Wer heute das tut, was Schröder vor 25 Jahren richtigerweise mit Putin tat, ist verrückt.
Nun stellt sich die Frage, was in den gut zwei Dekaden, seit Putin vor dem deutschen Bundestag sprach, schief gelaufen ist.
Lag es am Westen, lag es an Russland, lag es an beiden, lag es an Putins charakterlichen Veränderungen durch die enorme Zeit mit enormer Machtfülle?
Wann hätten wir erkennen müssen, daß es mit der Demokratie unter Putin vorbei ist, daß man keine lukrativen Geschäfte mehr mit dem Erdgas-Giganten machen darf, weil der politische Schaden zu groß ist? Das dürfte schon vor 2022 sicher gewesen sein. Schon 2014? Psychologen können die Mechanismen sehr gut erklären, wie man a posteriori seine eigenen Fehleinschätzungen ausblendet. Auf einmal wollen alle schon damals gewußt haben, was Putin für ein schlechter Mensch ist. Das ist wie bei Quizshows mit Multiple Choice-Antworten. Die Leute gucken das gern, weil es so ein wohliges Gefühl ist, sich für schlauer als die Menschen im TV zu halten. Egal welche Antwort richtig ist, man belügt sich im Moment der Enthüllung signifikant oft selbst mit „ach, das hätte ich gewußt“. (…)
Drastische Fehler der Vergangenheit zu analysieren, mag sinnlos erscheinen, kann aber den Erkenntnisgewinn bringen, in Zukunft nicht mehr so träge und halbherzig zu reagieren.
Unglücklicherweise sind Deutschland und die EU aber nicht lernfähig.
Wir erlebten seit dem Beginn der Merkel-Kanzlerschaft drei Daten, die drastische Nackenschläge waren und zu mutigem Handeln aufriefen:
Ø 22.02.2014 Landung russischer Truppen auf der Krim.
Ø 21.01.2017 Beginn der Präsidentschaft Trump.
Ø 24.02.2022 Angriff auf die Ukraine.
Jedes Mal wäre ein gewaltiger Ruck durch die EU notwendig gewesen. Jedes Mal wußten wir, was unbedingt zu tun ist: Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in Brüssel. Koordinierung der Außenpolitik, Schaffung einer von anderen Kontinenten unabhängigen modernen EU-Armee.
Jedes Mal versagten wir. WIR! Nicht bloß „die in Brüssel“ oder „die Politiker“, sondern wir, die Wähler, die vor lauter Desinteresse für den Status Quo votierten, die Köpfe in den Sand steckten; Merkel, die Inkarnation der Bräsigkeit wählten; wir, die europafeindliche rechtsradikale Spinner ins EU-Parlament schickten.
Wir, als ökonomisch mächtige Demokraten Europas können es einfach nicht. Wir sind zu doof zum Überleben. Also folgte der vierte große Lehr-Schlag:
Ø 21.01.2025 Zweite Trump-Präsidentschaft und Project 25.
Jetzt brennt die Welt aber wirklich. Putin ist der Gewinner, Trump lässt die Ukraine fallen.
[…..] Am Dienstagabend gab er von Florida aus seine Version im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine zum Besten. Seine Ausführungen, bei denen sich eine Falschinformation an die andere reihte, hätten von einer Vorlage des Kreml abgeschrieben sein können. Nicht Moskau, sondern Kyjiw sei für diesen Krieg verantwortlich, da es Gebietsabtretungen nicht zugestimmt und daher auch keinen Platz am Verhandlungstisch verdient habe. „Sie hätten den Krieg niemals beginnen, sondern stattdessen einen Deal beschließen sollen“, sagte Trump.
Auch das Thema Präsidentenwahlen in der Ukraine machte er wieder zum Thema. Das Mandat von Wolodymyr Selenskyj ist im Mai 2024 ausgelaufen. Doch unter Kriegsrecht ist die Abhaltung von Wahlen laut Verfassung verboten. Trump erneuerte seine Forderung nach zeitnahen Wahlen. Diese Forderung komme von ihm und anderen Staaten, das sei keine Sache Russlands. Am Mittwoch bezeichnete er Selenskyj gar als „Diktator ohne Wahlen“.
„Herr Trump ist gerade dabei, einen der prägnantesten Wendepunkte der amerikanischen Außenpolitik seit Generationen zu vollziehen, eine 180-Grad-Wendung, die Freunde und Feinde zu einer grundlegenden Neuausrichtung zwingen wird“, schreibt die New York Times über den Auftritt des US-Präsidenten. [….]
[….] Häfen, Öl, Erden, Gas – das fordert Trump von der Ukraine
US-Präsident Trump will Militärhilfen an die Ukraine an Gegenleistungen knüpfen. Zwei Medien liegen laut eigener Aussage die US-Forderungen vor. Deren Folge: eine Quasi-Kolonialisierung der ukrainischen Wirtschaft. [….]
Die Außenpolitiker der Münchner Sicherheitskonferenz sind jetzt sehr aufgeregt. Journalisten mahnen drastisch an, was nun allerspätestens zu tun ist.
[….] Der US-Präsident gibt der Ukraine die Schuld am Krieg und nennt seinen Amtskollegen in Kiew einen Diktator – eine schwindelerregende Wahrnehmung bar jeder Rationalität. Trump schenkt dem Kreml mehr, als der jemals zu hoffen wagte.
Nach den sogenannten Verhandlungen von Riad schält sich heraus, dass die USA in dem seit einem Jahrzehnt andauernden Ukraine-Krieg die Seiten wechseln und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem politischen Triumph unvergleichbaren Ausmaßes verhelfen werden. Der Ton in diesen Gesprächen und die Begleitmusik durch Trump müssen Anlass zu größter Sorge geben. Nicht nur wird in atemberaubendem Tempo das Schicksal der unabhängigen Ukraine besiegelt. Vielmehr findet hier die Revision des amerikanischen Verständnisses von Freund und Feind, von Bündnis und Gegnerschaft statt. [….] Jetzt lässt Trump keine Zweifel. Er nennt den ukrainischen Präsidenten einen Diktator; er gibt der Ukraine die Schuld an diesem Krieg; er wirft dem Land vor, es habe drei Jahre lang versäumt, Verhandlungen zu führen; und schließlich behauptet er, Wolodimir Selenskij verfüge lediglich über vier Prozent Zustimmung in der Bevölkerung, es müsse deshalb gewählt werden. Diese Worte lassen nur den Schluss zu, dass Trump nach wie vor in seiner Geisteshaltung lebt, ausgestoßen zu Beginn des US-Wahlkampfes und damals gerichtet gegen vermeintlich säumige Beitragszahler in der Nato: Putin könne mit den Europäern machen, was er wolle.
Diese amerikanische Regierung fühlt sich also nicht mehr der Ukraine verpflichtet, sie deutet die Kriegsgeschichte um und delegitimiert die Führung des gebeutelten Landes. Der amerikanische Präsident ist nicht mehr Sachwalter ukrainischer Interessen und damit Gegner Russlands – er hat nun die russische Position eingenommen. Für einen derart monumentalen Seitenwechsel gibt es kaum ein historisches Vorbild.
Nun ist der Augenblick gekommen, das Spiel mit der Hoffnung zu beenden und sich auf den schlimmsten anzunehmenden Fall einzustellen. Donald Trump hat den Stab über die Ukraine gebrochen. Die geradezu irrwitzige Drehbewegung in der amerikanischen Russland-Politik entzieht sich jeder Rationalität, sie ist brandgefährlich, gegen die eigenen, die deutschen und die europäischen Interessen gerichtet. Vor allem aber verhöhnt Donald Trump durch seine zynische Täter-Umkehr die zehntausenden Opfer dieses Angriffskrieges. [….]
(Stefan Kornelius, 19.02.2025)
Es nützt nur nichts. Wir, der Urnenpöbel, werden in vier Tagen mit breiter absoluter Mehrheit für Putin-Freunde (AfD/BSW) und/oder Greenhorn-Leichtgewichte wie Merz, der lapidar sagt, er käme fabelhaft mit Trump zurecht und es brauche keine Abschaffung der Schuldenbremse, stimmen.
Putin lacht sich tot über uns.