Mittwoch, 12. Februar 2020

Positive Botschaften.

Derzeit gehe ich mit vielen Meinungsartikel der von den Rechtsextremen so genannten „Mainstreampresse“ d’Accord: Die CDU definiert ihre „Position der Mitte“ mit der äquidistanten Abgrenzung  nach rechts (AfD) und links (Linke).
Die Hufeisentheorie des gesamten Parteipräsidiums, die selbstverständlich bösartiger Schwachsinn ist, wird aber von dem liberaleren Parteiflügel, der Ramelow zumindest nicht als verfassungsfeindlichen Kommunisten ansieht, wie von dem Werteunionflügel, der große Schnittmengen mit den Höcke-Nazis sieht, in Frage gestellt.
Der potentielle AKK-Nachfolger wird nach seiner Position zwischen den beiden Hufeisenpolen bewertet.
Wird es ein Günther-Typ, der die Linke inzwischen als eine normale demokratische Partei ansieht? Ein Merkel/AKK-Zentrist wie Ziemiak, der weiterhin auf Äquidistanz besteht, oder gar ein Parteirechter wie Merz und Spahn, die selbst immer wieder mal wie Gauland klingen?
In allen drei Fällen bleibt aber die CDU selbst ein inhaltliches Vakuum, das selbst für nichts steht, sondern lediglich das hohle Gebilde zwischen den beiden Außengrenzen ist.
Keiner definiert wofür die CDU eigentlich genau stehen soll im dritten Jahrzehnt dritten Jahrtausends.

Hier besteht auch ein wesentlicher Unterschied zur SPD, deren „Richtungsstreit“ unabhängig von den Positionierungen anderer Parteien verläuft und sich stattdessen immer mit dem inneren Kern des sozialdemokratischen Selbstverständnisses beschäftigt. Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Frieden.
Es gibt von Kahrs bis Kühnert keinen Dissens über diesen SPD-Nukleus, sondern im Grunde nur um Detailfragen mit welchen Rezepten man am besten die Ziele erreicht. Die Sozialdemokratie steht in Angesicht der Thüringen-Krise sehr gut da, weil von Esken bis Scholz alle gleichermaßen antifaschistische Überzeugungen teilen.
Diese eisernen gemeinsamen Werte gibt es innerhalb der CDU eben nicht. Sie zerlegt sich auch deswegen bei der Beschlussfassung über die Partei-Außengrenzen, weil einige CDUler grundsätzlich Neonazis und Antisemitismus ablehnen, während andere wichtige Mitglieder – zB Maaßen, Otte, Mitsch – durchaus selbst für die AfD werben und spenden.

Natürlich ist Abgrenzung gegenüber den Nazis absolut notwendig.
Demokratische Parteien dürfen sich nicht an AfD-Positionen heranwanzen, Journalisten sollen ihn nicht ständig Werbezeit verschaffen.
Aber es reicht auch nicht negativ zu formulieren und lautstark zu erklären was man weshalb alles nicht will.
Der gemeine Lanz-Gucker ist nicht die hellste Kerze auf dem Kuchen und nimmt das schnell als „ständigen Streit“ wahr, wendet sich ab.
Wichtiger ist es ein positives Narrativ zu entwickeln, also nicht immer an die Wand zu malen was schief geht, sondern auch Ängste zu nehmen, indem man durch Erfolgsgeschichten Assoziationen verändert.
Das Thema „Flüchtlinge“ wird beispielsweise quer durch alle Parteien negativ konnotiert. Sie übertreffen sich so sehr mit Bekenntnissen zum „Stopp des Stromes“, dazu sich abzuschotten, Grenzen zu kontrollieren, fordern „2015 darf sich nicht wiederholen“ (AKK), daß positive Gefühle entweder gar nicht mehr gesagt oder sofort diffamiert werden.
Ich habe immer wieder die vielen moralischen Grunde genannt, weswegen Deutschland noch mehr Migranten aufnehmen sollte, erhalte für einige dieser Argumente gelegentlich sogar zähneknirschende Zustimmung. Auch Konservative geben gelegentlich zu, daß sie den Erdogan-Deal für falsch halten, Waffenexport-Rekorde in Krisengebiete kontraproduktiv sind und es auch nicht förderlich für afrikanische Kleinbauern und Fischer ist, wenn extrem hoch subventioniertes EU-Billigfleisch massenhaft auf ghanaischen Wochenmärkten landet und EU-Flotten afrikanische Küstengewässer leerfischen.
Aber dahinter steht der Gedanke, daß eine Änderung dieser Politik den Migrationsdruck verringern könnte und dadurch endlich weniger Ausländer zu uns kämen.
Ich hingegen bekämpfe auch Politik, die Migrationsdruck ausübt und Menschen gegen ihren Willen zwingt ihre Heimat zu verlassen, aber ich mag Migranten und habe sie gern um mich.
Heute habe ich beispielsweise bei meiner Arbeit einen jungen Artisten aus der Ost-Ukraine kennengelernt, der nach einem Engagement in Las Vegas in einem Hamburger Musicaltheater für ein Jahr engagiert wurde.
Er spricht gar kein Deutsch und nur ein paar Brocken englisch. Es ergab sich dann so, daß ich ihn einmal quer durch die Stadt zu seinem Job fuhr, weil ich gerade Zeit hatte und er aufgrund der noch fehlenden Sim-Card kein Taxi rufen und konnte und auch keine Übersetzungsapp starten konnte.
Da saßen wir nun zusammen im Auto, er weniger als halb so alt wie ich, aus einem anderen Teil der Welt, mit völlig anderem Beruf. Wir hatten keine Gemeinsamkeiten. Und genau das war meine spannendste Begegnung seit Wochen. Auch, weil wir erst mal herausfinden mussten, wie man sich verständigt.
Es gibt doch nichts Interessanteres als mal eine ganz andere Lebens- und Weltperspektive zu erleben. Außerdem führt das immer dazu seine eigenen Gewohnheiten in Frage zu stellen.
Es gefällt mir einfach grundsätzlich mit Menschen aus ganz anderen Kulturkreisen zu sprechen. Wenn die litauische Gemüseverkäuferin mir Details aus ihrem heimischen Gesundheitswesen und der neue Physiotherapeut aus Eritrea von den Landschaften und Sitten seiner Jugend erzählt, ist das doch viel schöner als immer nur Ur-Hamburger um sich zu haben, die alle das Gleiche erlebt haben. Und ja, ich gebe zu, es gefällt mir auch meine eigenartigen drei Namen aus drei verschiedenen Ländern zu erklären. Darunter nichts deutsches und nichts amerikanisches, obwohl ich in Hamburg geboren bin und die US-Staatsbürgerschaft habe. Ich bin nicht ganz so „ethnisch schmutzig“ wie es Peter Ustinov immer über sich selbst sagte, aber doch schon deutlich verunreinigt. Und das ist auch gut so.
Ich will nicht nur deutsche Musik hören, ich will gar keine deutschen Fernsehserien gucken, ich erfreue mich am Anblick ganz anderer Kleidungsstile und begrüße selbstverständlich aus vollem Herzen die gewaltige kulinarische Auswahl, die inzwischen jedem Deutschen zur Verfügung steht.
Mich faszinieren aber auch Youtuber aus fernen Ländern, die Urlaube oder auch längere Aufenthalte in einer deutschen Stadt verbringen und aus ihrer Sicht erklären was sie von den Deutschen Sitten halten.
Viele mögen Deutschland sehr, einige wollen für immer bleiben, andere teilen ihr Insiderwissen über das typisch deutsche Essen Döner.
Diese gegenseitige kulturelle Befruchtung ist doch ein Segen für alle Beteiligten!
Ich mag auch gerne einen deutschen Eintopf oder Rotkohl, aber doch bitte nicht ausschließlich und für den Rest meines Lebens!
Ich liebe deutsche Wälder, aber meine Straße wird einmal im Frühjahr rosa-rot, weil eine ganze Allee aus japanischen Kirschbäumen blüht.
Die Japanische Gemeinde Hamburgs hatte nämlich Anfang der 1960er Hamburg 5.000 Kirschblütenbäume geschenkt, die alle als Straßenbäume gepflanzt wurden.
Das ist eine Augenweide; wir alle erfreuen uns jedes Jahr darüber.  Und niemand muss deswegen eine deutsche Eiche oder Pappel weniger gern haben.
Für die hartnäckigen Kulturverächter bleiben natürlich immer noch die ökonomischen Argumente für die Zuwanderung, die ich seit Jahren immer wieder belege.
Die staatlichen Ausgaben für die Flüchtlinge in den Jahren 2015 und 2015 haben als gewaltiges Investitionsprogramm gewirkt, den Handwerkern volle Auftragsbücher beschert und Deutschland gegen den Trend ein kräftiges Wirtschaftswachstum verpasst.
Die zusätzlichen Arbeitskräfte durch Migranten werden in Deutschland nicht nur dringend gebraucht, sondern die Wirtschaftsverbände mahnen nachdrücklich mehr und zusätzliche Migration nach Deutschland an, weil so viele Branchen bedingt durch den Fachkräftemangel ihre Produktion drosseln, bzw Aufträge nicht annehmen können.

Aber auch die nackten Finanz-Zahlen belegen den segensreichen Einfluss der Flüchtlinge auf den Staatshaushalt.

[….] Die Beiträge von Migranten haben die Gesetzliche Krankenversicherung seit 2012 um acht Milliarden entlastet.
[….] Ohne Zuwanderung wäre die Beitragsbelastung der 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten höher. „Die Zuwanderung seit 2012 bedeutet für die Gesetzliche Krankenversicherung eine Entlastung in Höhe von etwa acht Milliarden Euro im Jahr oder umgerechnet 0,6 Beitragssatzpunkte“, fasst TK-Finanzchef Thomas Thierhoff die Ergebnisse der Datenanalyse zusammen.
[….] Dabei stieg die Zahl der Versicherten nach den nun von der TK vorgelegten Daten von 2013 bis 2019 durch Zuwanderung um 4,7 Millionen. Allein die Zuwanderer der vergangenen sieben Jahre stellen also 6,4 Prozent der aktuell gesetzlich Versicherten in Deutschland.
2019 zahlten diese 6,4 Prozent 16,8 Milliarden Euro an Beiträgen in den Gesundheitsfonds ein, von dem die Beitragsgelder an die gesetzlichen Kassen verteilt werden. Der Anteil der Zuwanderer an den Gesamtbeitragseinnahmen betrug damit 7,9 Prozent.
 [….] Dazu Thierhoff: „Wir vermuten, dass Zuwanderer weniger beitragsfrei mitversicherte Familienangehörige haben und schon deshalb einen etwas überproportionalen Beitrag zur Finanzierung der GKV leisten.“ [….] Auch die Annahme, Zuwanderer würden mehr Leistungen bei den Krankenkassen in Anspruch nehmen, als sie an Beiträgen einzahlen, kann mit den von der TK hochgerechneten Daten widerlegt werden. [….] Zuwanderer aus den Jahren 2013 bis 2019 stellten im vergangenen Jahr 6,4 Prozent der Versicherten. Sie zahlten 7,9 Prozent der Kassenbeiträge, nahmen aber nur 3,5 Prozent der Ausgaben in Anspruch. Sie zahlen also doppelt so viel ein, wie sie für Gesundheitsleistungen entnehmen. [….] (Peter Thelen, 11.02.2020)

Es wäre so schön, wenn wenigstens Sozialdemokraten auch diese Geschichten erzählten, wenn sie schon bei den trotteligen Wills, Plasbergs und Lanzens neben Weidel und Sarrazin sitzen müssen.