Donnerstag, 14. März 2019

Die einäugigen Deutschen


Heute Morgen macht der Mopo-Kolumnist Andreas Niesmann folgende Überlegung zum einjährigen Geburtstag der Groko auf: Sie nerve, sei anstrengend und eigentlich eine Zumutung für die Deutschen.
Wir alle hätten nur gelitten, bezeichnend wäre, daß die drei Parteichefs, die die Groko aushandelten – Merkel, Schulz und Seehofer – allesamt von der Wut über das angerichtete Desaster aus ihren Parteiämtern gefegt wurden.

Ein Dreivierteljahr verplempert, weil insbesondere ein vollkommen amtsunfähiger Psychopath im Innen/Bau/Heimatministerium geradezu wollüstig die komatöse Koalition kollabieren lässt (Maaßen, Flüchtlinge).
Aber das alles sei eben noch Gold verglichen mit den hirnverbrannten Deppen, die in anderen Ländern regieren.
Ein Argument, das man schwerlich nicht von der Hand weisen kann und eine beliebte Argumentationslinie, wenn es mal mies läuft: Finde irgendetwas, das noch schlimmer ist und vergleiche dich damit.
Die Merkel-Regierung muss nicht lange suchen, um sich mit solchen Abwärtsspiral-Vergleichen aus dem Sumpf zu heben:

[….] Das ist ihnen nicht immer gelungen, aber manchmal hilft bei der Bewertung einer Regierung auch der Blick über den eigenen Tellerrand. Welche Staatsführung hätten wir denn stattdessen gerne? Die von Rechtsextremen getriebenen Präsidenten-Bewegung aus Paris? Die Chaos-Koalition aus Rom? Die im Brexit-Nirvana verhedderten Konservativen aus London? Oder die Truppe um den narzisstischen Präsidentendarsteller aus Washington?
Man kann es auch so sehen: Während in den Hauptstädte Europas und der Welt ein Flächenbrand wütet, schwelen in Berlin nur einzelne Glutnester. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass trotz aller Groko-Kritik die rechtspopulistische AfD im Vergleich zur Bundestagswahl ausweislich aller Meinungsumfragen in der Wählergunst nicht zulegen konnte.
Die Groko ist also besser als ihr Ruf. [….]

Wohl wahr.
Verglichen mit dem untersten Bodensatz der Regierungen in der Welt – nehmen wir noch Recep Tayyip Erdoğan, Jair Messias Bolsonaro, Abd al-Aziz Bouteflika oder Rodrigo Roa Duterte als Eichwerte – sollten wir vor Glück über die Groko Luftsprünge machen.
In Deutschland sind immerhin nur die C-Minister verblödet – allen voran die bei den Instituten historisch schlecht bewerteten Spahn und von der Leyen, aber Altmaier, Klöckner und Seehofer sind ebensolche Totalausfälle.
Die Hälfte der Kabinettsmitglieder leistet solide Arbeit. Von den sechs Sozen stellt sich bisher nur Frau Schulze als Fehlbesetzung heraus. Sogar Hubertus Heil macht seine Sache etwas besser, als ich vor einem Jahr befürchtete.
40 Gesetze haben die Grokominister auf den Weg gebracht, sie arbeiten also sogar fleißig, schaffen es nur nicht bessere Stimmung zu erzeugen.

In den USA ist nicht nur der Präsident ein Korrupter, verlogener, radikal bornierter Verbrecher, sondern auch alle Minister sind moralisch völlig verkommen und hinzu kommt, daß der arme Irre auch nach zweieinhalb Jahren im Amt noch nicht die elementarsten Regierungsfunktionen leistet. Noch immer sind ganze Flure der Ministerien verwaist und Dutzende Botschafterposten nicht besetzt.
Im Parlament wurde einer Hälfte der Volksvertreter chirurgisch das Rückgrat entfernt, so daß sie tumb grinsend jede Perversion mitmachen.

Die britischen Minister können zwar theoretisch im Gegensatz zu ihrem amerikanischen Kollegen ihre Amtsgeschäfte wahrnehmen, aber dafür sind im englischen Unterhouse gleich beide großen Parteien kollektiv unzurechnungsfähig.

Ein größeres Politikversagen als in den letzten anderthalb Jahren in London kann man sich nicht mehr vorstellen.
Zweieinhalb Jahre polterte Frau May „Breixit is Brexit“, um 14 Tage vor dem EU-Austrittschließlich zu drohen, es könne auch gar keinen Brexit geben.
Oder man verschiebt noch mal die Entscheidung. Damit warf sie natürlich das einzige Druckmittel aus der Hand, das einem noch bleibt, wenn man keinerlei inhaltliches Politik vorlegen kann: Den Zeitdruck.
Wenig verwunderlich, daß nun die gesamte britische Politik in heillosem Chaos versinkt.
Nach der Brexitentscheidung stellten wir anderen Europäer uns die gewaltigen Probleme vor, die es bereiten würde die englischen Wünsche mit denen der Rest-EUler auf einen Nenner zu bringen.
Wie sich inzwischen herausstellte war selbst das eine viel zu optimistische Annahme. EU und GB konnten nie richtig anfangen zu verhandeln, weil GB bis heute noch nicht weiß was es eigentlich will.
Die Parteien zersplittern, die Regierung ist gelähmt, das Volk frustriert und die Ministerien können sich um nichts anderes mehr kümmern.
Und alles was erreicht wurde seit 2016 sind vage Aussagen darüber was man nicht will: Nämliche keinen Backstopp, also keine irgendwie zur EU offene Irisch-Nordirische Grenze und keinen No-Deal.
Was man stattdessen möchte konnte hingegen noch nicht von den Konservativen formuliert werden und weil die Regierung so dermaßen debakuliert, gibt sich die Opposition Mühe dem nicht nachzustehen.

[…..]  Alternativ gingen auch Neuwahlen. Bekäme Labour die absolute Mehrheit könnten sie einfach den Brexit absagen. Theoretisch.
Praktisch ist aber auch die Opposition von so unfassbarer Unfähigkeit geschlagen, daß SPD und US-Demokraten aufgeweckt und patent wirken.

   [….] Neben der unerträglichen Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit der Tories ist es nämlich die Labour Party, die sowohl den Zerfall der politischen Kultur als auch die Prinzipienlosigkeit verkörpert.
Corbyn hat das Kunststück vollbracht, dass er zweieinhalb Jahre nach dem Brexit-Votum keine belastbare Aussage über das Ziel seiner Partei vorlegen kann. Labour will einen Brexit, aber keinen unkontrollierten. Eine Mehrheit der Mitglieder würde allerdings auch gerne in der EU bleiben, nicht aber der Vorsitzende. Die Partei will möglicherweise ein neues Referendum, aber auch nur unter bestimmten Bedingungen. Kommt auf die Frage an.
Sicher ist nur: Corbyn will an die Macht, und deswegen will er eine Vertrauensabstimmung und dann Wahlen gewinnen. Brexit? Wird irgendwie gelöst. [….]

Wenn Politik so richtig schiefgeht, spricht man gern von “Neustart“.
Wäre das nicht toll, wenn man die fatalen Entscheidungen der letzten drei Jahre rückgängig machen könnte? [….]

Noch nicht mal elementarste Hausaufgaben konnte London erledigen

[….] Die EU unterhält mehrere Hundert Abkommen mit Drittstaaten, über den Luftverkehr, Nuklearsicherheit und -forschung, Fischerei, Industrie- und Lebensmittelstandards oder den Umweltschutz. Der wichtigste Teil aber sind die rund 40 Freihandelsverträge. Bis zum Brexit-Termin am 29. März, das hatte der britische Handelsminister Liam Fox noch im Herbst 2017 versprochen, werde er jeden einzelnen von ihnen neu abgeschlossen haben. Man müsste die Verträge mit den Drittstaaten einfach nur auf Großbritannien umschreiben. Ein Klacks.
Doch die Operation Copy-and-paste kommt kaum vom Fleck - das beweist ein Schreiben der britischen Regierung an die EU-Kommission, das dem SPIEGEL vorliegt. [….] Demnach konnte die britische Regierung bisher lediglich sechs der 40 Handelsverträge umschreiben. Einig sind sich die Briten mit:

    Chile,
    der Schweiz,
    dem ost- und südafrikanischen Handelsverbund ESA,
    den Färöer-Inseln,
    Israel,
    Liechtenstein,
    der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Damit ist klar, wie schwer die Briten es haben, andere Länder zum Kopieren ihrer Abkommen mit der EU zu überreden. [….] Zudem zählen die bisherigen sechs Partner nicht gerade zu den Giganten des internationalen Handels. Entsprechend wenig könnten sie dabei helfen, die Folgen eines No-Deal-Brexits für die britische Wirtschaft zu dämpfen. Bei den größeren EU-Handelspartnern kommen die Briten dagegen kaum weiter. Im Gegenteil: Mit zweien - der Türkei und Japan - sind die Gespräche inzwischen gescheitert, wie aus Barrows Tabelle hervorgeht. Mit Mexiko, Kanada und Südkorea verhandelt London noch.
Mit den USA geschieht derzeit nicht einmal das. Unter "Handel" tauchen auf Barrows Liste keine Gespräche mit Washington auf. Der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer hat aber kürzlich schon ein paar Bedingungen diktiert. Sollte er sich damit durchsetzen, müssten sich die Briten nicht nur auf Chlorhühnchen gefasst machen. Sie könnten womöglich auch keine Handelsverträge mehr mit Ländern ohne freie Marktwirtschaft abschließen - etwa mit China. "So viel zum Thema, die Kontrolle zurückzugewinnen", lästerte der "Guardian" über das "Taking back control"-Mantra der Brex [….]

Das große ehemalige Weltreich, das Empire will also in Zukunft im Zollchaos seinen Außenhandel auf die Färöer-Inseln, Liechtenstein, und die Palästinensische Autonomiebehörde stützen.


Wir hingegen haben Scholz und Maas und Barley, also wahrlich kein Grund uns zu beklagen.

Und die Irren in England sind auch noch stolz auf den suizidalen Amoklauf.

Macht nichts, die Organisation „Leavemeansleave.eu“ propagiert immer noch „NO DEAL? NO PROBLEM!“, denn ohne Trade-verträge liefe alles viel besser.


Der Wahnsinn ist so weit fortgeschritten, daß man die britische Brexiteer-Pasta unmöglich zurück in die Tube bekommt.

Daher nützt auch kein neues Referendum mehr. Die Talsohle muss nun durchschritten werden. Ein Pro-EU-Votum ist keine Option, weil dann eine Hälfte der Briten Amok laufen würde. Und London wäre weiterhin eine quertreibende Bremse in Brüssel.
Es entstünden Verschwörungstheorien, die UKIP und der Rechtsradikalismus würden mit so einer Dolchstoßlegende richtig aufblühen.
50% der Briten würden noch mehr vom Brexit träumen.
Leider müssen sie das jetzt durchziehen wegen des Lerneffekts.
Und dann sollte es eine derartig brutale Rezession geben, dass auch der letzte Brexiteer versteht, was für eine Scheißidee es war Europa in den Rücken zu fallen und dass man keinen Rechtspopulisten nachrennen soll.
Und wenn die Briten so richtig in der Megakrise stecken, sollen sie einen Wiederaufnahmeantrag stellen.
Und dann sollten wir anderen EU-Staaten großzügig und nicht nachtragend sein.