Dienstag, 5. April 2016

Schlimmer fromm.



Daran kann ich mich auch noch erinnern.
Jimmy Carter war uns ja als Präsident immer etwas suspekt. War halt vorher Erdnuss-Farmer aus Georgia und dann auch noch so unfassbar fromm.
Wie schwer genervt Bundeskanzler Schmidt von ihm war, ist legendär.
Carter war nicht sachorientiert, sondern sah alles durch seine christliche Brille.
Dabei kam er offensichtlich während seiner Gebetssessions auch immer wieder zu anderen Ergebnissen und hielt sich nicht an Abmachungen.
Wenn solche Leute wie Carter die Weltpolitik bestimmen, wird es schwierig für ihre Partner.
Helmut Schmidt erläuterte das im Jahr 2008 noch einmal am Beispiel des westlichen Boykotts der Olympischen Spiele in Moskau 1980.

Schmidt: An unsere Situation erinnere ich mich sehr genau. Kurz nach Weihnachten 1979 war die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert. Ich hörte, dass es in Washington Stimmen gab, die zur Strafe die Olympischen Spiele in Moskau boykottieren wollten. Ich hielt das für dummes Zeug und rief den amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter an. Er sagte, da sei nichts dran. Daraufhin habe ich den deutschen Sportverbänden gesagt: Ihr könnt fahren. Nach nicht allzu langer Zeit rief mich Carter an und sagte, er hätte seine Meinung geändert, die Amerikaner würden nicht nach Moskau fahren – und wir sollten das auch nicht.

ZEIT: War das ein Befehl?

Schmidt: Er hat auf alle Nato-Partner in Europa Druck ausgeübt – auch auf die Engländer und die Franzosen. Die haben aber gesagt: "Ihr könnt uns mal", und sind trotzdem gefahren. Nur drei haben nachgegeben. Das waren die Länder, die an ihrer Grenze unmittelbar mit der sowjetischen Militärmacht konfrontiert waren, nämlich Norwegen, die Türkei – und die Bundesrepublik.

ZEIT: Hatten Sie wirklich keine Wahl?

Schmidt: Ich hatte zu der Zeit ohnehin erhebliche Auseinandersetzungen mit den Amerikanern – denken Sie nur an den Konflikt über die Neutronenbombe oder über die Finanz- und Währungspolitik – und kam mit großen Bauchschmerzen zu dem Ergebnis, dass wir Deutsche uns einen zusätzlichen Konflikt mit Amerika nicht leisten können.

ZEIT: Aber Sie finden den Boykott bis heute falsch?
Schmidt: Es hat nichts gebracht. Die russischen Fernsehzuschauer haben gar nicht gemerkt, dass ein paar Staaten gefehlt haben.
(Zeit, 10.04.2008)
Wer hätte gedacht, daß es noch viel schlimmer kommen konnte, und dieser Western-Schauspieler auf Carter folgen würde.

Ronald Reagan und George H. Bush verachtete ich wegen ihrer Außenpolitik über alle Maßen. Das waren echte Krieger, die skrupellos kleinere Länder angriffen und mit SDI sogar das All mit Atomwaffen bestücken wollten.
Was für ein relief, als 1992 der junge Bill Clinton gewählt wurde.
Vermutlich weil ich den jungen Starjuristen aus Arkansas mochte, der sich als junger Mann dem Krieg verweigert und stattdessen in Europa mit linken Studentengruppen rumzog, war ich irritiert, als er ebenfalls dieses „God bless America“ von sich gab.
„Sag mal, hast Du das auch gehört? God bless America? Wieso macht Clinton das denn“ fragte ich meine Mutter damals am Telefon.
Wir kamen zu dem Schluss, daß es sich dabei offenbar um eine Art Wahlkampftaktik handeln müsse. Clinton galt damals als so links und unerfahren, daß er diese „moral majority“, die sich damals formierte, nicht verschrecken wollte.
Bizarre Sache.
Aber das würde sicher auch wieder vergehen. Die Clintons waren verglichen mit ihren Vorgängern tatsächlich enorm progressiv. Hillary sollte eine allgemeine Krankenversicherung durchdrücken und Bill besuchte als erster US-Präsident eine Schwulen-Veranstaltung.
Das würde sich diese alberne Gottes-Rhetorik auch schon wieder aus seinen Ansprachen verabschieden.

Bekanntlich kam es anders.

"And may God bless America" - Bill Clinton, "And God bless America" - George W. Bush, "God bless you and God bless the United States of America" - Ronald Reagan, "And may God bless the United States of America" - Barack Obama, "And may God always bless and strengthen this great nation, the United States of America. Thank you and God bless you all" - Marco Rubio
Susan Jacoby kann es nicht mehr hören. Ganz gleich, welcher Partei sie angehören, hält ein US-Politiker eine gewichtige Rede, dann endet diese fast unweigerlich mit einem  "God bless America ", Gott segne Amerika.

GWB, Schande über ihn, zettelte ungeniert illegale Angriffskriege an, während er im Kabinett Bibelstunden abhielt und verkündete Gott spreche mit ihm.

Inzwischen ist die gesamte Amerikanische Politik total verfrömmelt.
Kandidaten aller Parteien versuchen sich gegenseitig mit ihrer Gottesfürchtigkeit zu übertreffen. Die amerikanische Verfassung, die gerade keine Verquickung von Kirchen und Staat zuläßt, wird dabei einfach ausgehebelt.
Republikaner behaupten viel mehr völlig ungeniert die constituion fuße auf der Bibel.
Das ist zwar eine glatte Lüge, aber wen stört das heute noch?

Insbesondere die GOPer rücken seit 20 Jahren kontinuierlich nach rechts, hin zu den radikalen Evangelikalen, welche die Bibel wörtlich verstehen.
Konservative Christen vermehren sich viel schneller als durchschnittliche Amerikaner und da sie ihre Blagen homeschoolen, werden sie von Generation zu Generation radikaler. Säkulare und Liberale hingegen lassen sich scheiden, verhüten, praktizieren gleichgeschlechtlichen Sex, lassen Frauen Karriere machen. Da werden also weniger Kinder geboren.
Man kann also leicht ausrechnen wie lange es dauern wird bis alle Amerikaner strenggläubige Evangelikale sind.
Davon gehen die republikanischen Präsidentschaftskandidaten bereits aus und drehen die Uhrzeit um 200 Jahre zurück.
Abtreibung, Homosexualität, Verhütung – all das soll radikal bestraft werden. Evolution und Klimawandel gelten als Hoax.

So ähnlich stellen sich das auch die ultraultraorthodoxen Juden in Israel vor. Sollen die liberalen Hippies in Tel Aviv ruhig beim CSD rumtanzen – auf Dauer wird es ihnen nichts nutzen, wenn jede ultraultraorthodoxe Jüdin zehn Kinder und hundert Enkel bekommt.
In wenigen Generationen sollten die Superreligiösen eine gewaltige Mehrheit stellen.

Erstaunlicherweise geht diese Rechnung aber weder in Amerika noch in Israel auf. Die streng evangelikale und die ultraultraorthodoxe Lebensweisen sind zu unattraktiv und zu offensichtlich bigott.
Es werden eben nicht alle Kinder aus diesen Sippen wieder genauso religiös, sondern viele wenden sich ab.
Selbst Amish und Hutterer, denen es über Jahrhunderte gelang ihre Kultur durch radikale Abschottung zu konservieren, sind inzwischen durch das Internet schwer gefährdet.
Verständlich. Wer will sich noch ohne Strom, Telefon und Waschmaschine abmühen, wenn nebenan jeder Teenager Klugtelefon und Auto besitzt?

Anders als Carter und Reagan können also heutige Frömmler wie Cruz und Rubio, die sich schriftlich zur radikalen Bekämpfung der Homosexualität verpflichtet haben, nicht mehr ein ganzes Land auf ihre Seite ziehen.

Immer noch dürfte die Majorität der Amerikaner recht indolent und uninformiert sein, aber der gesellschaftliche Fortschritt ist doch unmerklich so weit durch die Ritzen des Internets diffundiert, daß es auf Bundesebene klare Mehrheiten für Haschischfreigabe und Homoehe gibt, daß Erderwärmung als Tatsache akzeptiert wird.

Das Problem an den Religioten ist aber, daß sie wie üblich viel lauter, rabiater, reicher und organisierter als die Atheisten sind.
In Deutschland gibt es grob gesagt jeweils gut 30% Katholiken und Evangelen. Dem stehen aber nahezu 40% Atheisten gegenüber. Wir sind eine relative Mehrheit.
Der Organisationsgrad der Säkularen ist allerdings so erbärmlich gering, daß sie gegenüber der kleineren Gruppen der Kirchisten lobbymäßig untergehen.
Die Kirchen beider Konfessionen sind jeweils viele hundert Milliarden Euro schwer. Die Atheisten haben gar nichts.
 Kirchen haben jeweils über 20 Millionen Mitglieder, bei gbs oder IBKA tummeln sich wenige Hundert Mitglieder.
So kommt es, daß die größte Glaubensgruppe in Deutschland de facto nicht öffentlich repräsentiert wird.
Wir werden nicht in Talkshows geladen, erhalten keine  Staatsdotationen, sitzen nicht in Rundfunkkommissionen oder Ethikräten.
Kein einziges Mitglied der Bundesregierung ist Atheist.

Ein ähnlich verzerrtes Bild bietet sich in den USA.
Es gibt je nach Schätzung 35 bis 50 Millionen Atheisten in Amerika.
Sie sind damit annähernd so zahlreich wie die politisch so unfassbar mächtige Gruppe der Evangelikalen. Im Präsidentschaftswahlkampf werden sie aber überhaupt nicht berücksichtigt.
Es konnte bekanntlich ein Schwarzer Präsident werden. Womöglich folgt bald eine Frau. Ein Jude ist möglich. Ein Mormone hätte es 2012 schaffen können. Selbst ein Schwuler ist nicht mehr ausgeschlossen.
Ein Atheist hat aber (noch) gar keine Chance auf den potus-Job.

Auf die Frage, wie wichtig es für einen US-Präsidenten sei, gottesfürchtig zu sein, antwortete Ted Cruz andächtig: Ein Präsident müsse seinen Tag betend auf den Knien beginnen, sonst habe er nicht das Potenzial die USA anzuführen.
Cruz wörtlich: "Any president, who doesn’t begin every day on his knees, isn’t fit be to be commander in chief of this country. – Amen! Amen!"
Und auch sein Republikanerkollege Marc Rubio findet, dass man gar nicht oft genug in die Kirche gehen könne. Dass es mit der Nominierung am Ende nicht geklappt hat, ist dann auch schnell erklärt: Gott habe andere Pläne für ihn gehabt, als das Amt des Präsidenten.
[….] Niemand will den Stempel Atheist aufgedrückt bekommen, sagt [Autorin und Pulitzer Preis-Finalistin] Susan Jacoby, selbst wenn er einer ist. Denn Atheismus hat in den USA - anders als in vielen anderen Ländern, einen negativen Beigeschmack.
[….] "In Europa kann man als Atheist auch Staatschef werden. Das ist den Leuten egal. Ein atheistischer US-Präsident ist derzeit noch undenkbar. Die Statistiken sagen, dass Atheisten sehr viel unbeliebter sind."
[….]  Atheistische Organisationen sind klein und in der Regel schlecht finanziert. Sie haben keine Sprecher, keine Anführer, die Atheismus auslegen. Sie haben keine Päpste, Rabbiner oder Imame. Jacoby spricht von einem PR-Problem. Deshalb bemühe sich kaum ein Politiker offiziell um diese Wählergruppe. Dabei liegen die Konfessionslosen in den Vereinigten Staaten inzwischen nur noch knapp hinter den evangelikalen Christen. 36 Millionen sind es laut PEW Forschungszentrum, Tendenz steigend. [….]