Donnerstag, 12. Juni 2014

Homo Shitstormus.



Der Ausdruck „geil“ wurde zunächst als so drastisch empfunden, daß man ihn selbst nicht benutzen mochte und dann erlebte man, wie er völlig in den normalen Sprachgebrauch einging.

Den Neologismus „Shitstorm“ fand ich anfangs auch überexkrementell deutlich.
Aber inzwischen ist er zu einer unverzichtbaren Vokabel geworden.
Damit wird ein unheimliches, nicht wirklich erklärbares Phänomen beschrieben und die anonyme Masse der Internetuser als etwas sehr Bedrohliches dämonisiert.
Scheißestürme scheinen völlig willkürlich über einen hinein zu brechen.
Wie Sandstürme. Einem bleibt dann nur die Möglichkeit abzutauchen und in der Ecke verbarrikadiert abzuwarten bis „es“ vorbei ist.
Der Shitstorm ist die Windhose des Social-media-Zeitalters.
Gewaltig, schmutzig und erbarmungslos können sie jeden treffen.

Inzwischen gibt es eine regelrechte journalistische Kultur des Shitstorm-Opfer-Bedauerns. Warmherzig und mitfühlend berichten beispielsweise die SZ-Feuilletonisten über den armen, armen Christian Wulff, der mit seinem just vorgestellten Buch „Ganz Oben, Ganz Unten“ wieder einem Shitstorm trotzen muß.

Hätte er doch bloß geschwiegen. Das Buch "Ganz oben, ganz unten" von Christan Wulff war noch nicht gelesen, da wussten viele schon, dass es schrecklich sein würde. Was ist das für eine Medienlandschaft, die so unbarmherzig reagiert? […]  Dazu noch ein paar Auszüge aus den Kommentarspalten und den "sozialen" Netzwerken, alle anonym abgesetzt vor Verkaufsstart des Buchs:
"Osnabrücker Würstchen." "Idiot." "Keine Einsicht, kein Rückgrat." "Nimm deine Rente und verkrümel dich." "So ein Schund." "So langsam sollte er sich mal in Behandlung begeben." "Wenigstens hat er jetzt mit seiner hohlen Ex-Frau gleichgezogen, was Peinlichkeit angeht."
[…] In ihrer ersten Reaktion schlagen viele Medien die Einladung Wulffs zur Diskussion aus. Sie gestatten sich kaum einen Moment des Innehaltens [….]  Und jetzt: wurde schon der Titel des Buchs verrissen, bevor überhaupt eine Seite davon im Umlauf war, weil einer wie er mit fast 200 000 Euro Ehrensold nie "ganz unten" sein kann.  Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes klagt sogar, der Titel sei "ein peinlicher Fehlgriff, der bestenfalls noch Kopfschütteln auslöst", er verhöhne Hartz-IV-Empfänger. […]

Einen Tag später springt Wiegands Kollege und Chef Heribert Prantl ihm bei, indem er die Fähigkeit zur Selbstkritik des Mannes preist, der sich mit seinem 218.000-Euro-Ehrensold auf Lebenszeit „ganz unten“ wähnt:

Christian Wulffs Buch ist gewiss keine Selbstanklage; aber das Buch ist selbstkritisch gesprenkelt. Die Selbstkritik wird dort nicht in Kübeln ausgegossen; aber sie ist deutlicher als in zehn anderen Politikerbüchern zusammengenommen. Das macht das Buch genießbar und lesenswert, sehr viel lesenswerter jedenfalls als viele Kommentare, die über dieses Buch schon vor und gleich nach seinem Erscheinen geschrieben wurden.

Heute steht allerdings schon der nächste Shitstorm ins Haus. Es trifft, wie in 90% der Fälle, wieder einmal einen CDU-Politiker.

Nun umweht die Scheiße den Kopf des Rheinland-Pfälzischen Bürgermeisters (Herschbach) und JU-Politikers Sven Heibel.
Er hatte sich an das Thema „Schwule“ gewagt und auf den „man wird doch wohl noch sagen dürfen, daß…“-Effekt gehofft.
Heibel mag nämlich keine Schwulen, weil sie, frei nach Kreuznet, die Kinder verderben.

Der Ortsbürgermeister von Herschbach im Westerwald, Sven Heibel, wirbt auf Facebook für den Paragrafen 175, der abgeschafft wurde, weil er Homosexualität unter Strafe stellte. Nun hagelt es Rücktrittsforderungen.
[…] Noch ist Sven Heibel Ortsbürgermeister von Herschbach, macht aber mit einem Facebook-Post einen großen Schritt rückwärts: "Vor 20 Jahren wurde die Strafbarkeit der Homosexualität, § 175 StGB, abgeschafft. Ich weiß nicht, ob das ein Grund zum Feiern ist", lautete sein Eintrag in dem sozialen Netzwerk, den Heibel mittlerweile gelöscht hat.
Dazu stellte er ein Foto von einem aufgeschlagenen Strafgesetzbuch. Darin: ein gefalteter Zettel mit der Gesetzesfassung vom 25. Juni 1969, in der noch Paragraf 175 aufgeführt ist. Unzucht zwischen Männern wurde damals noch mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. In den Kommentaren muss sich der CDU-Politiker nun als "Hinterwäldler" oder "dummer Typ" beschimpfen lassen. "Wir leben im 21. Jahrhundert, nicht im Mittelalter", heißt es etwa.
[…]   Mehr als 500-mal wurde sein Post innerhalb von sechs Stunden auf Facebook geteilt, versehen mit den Kommentaren "Immer wieder peinlich…", "Kein Scherz!" oder schlicht: "Trottel". […]

Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber…
Nach den ersten Tiefausläufern des Shitstorms verschlimmbesserte Heibel seine Aussagen noch einmal, indem er, rechtschreibgeschwächt die Opferrolle einnahm.

Liebe Freunde und vor allem nicht-Freunde, zur Klarstellung:
Der von mir heute morgen veröffentlichte Poste:

"Vor 20 Jahren wurde die Strafbarkeit der Homosexualität, § 175 StGB, abgeschafft. Ich weiß nicht, ob das ein Grund zum Feiern ist. In einem Seminar fragte mich mein Strafrechtsprof mal, ob dies mein Ernst sei? Ich sagte natürlich: klar! - in meinem StGB immer noch vorhanden...und es bleibt es auch!"

bleibt so in der Welt. Er spiegelt meine e i g e n e Meinung wieder, und diese ist von der Meinungsfreiheit unserer Verfassung gedeckt. Diese lasse ich mir auch nicht verbieten, auch nicht von der eigenen Partei, in deren Namen ich nicht gesprochen habe. Was allerdings von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt ist, sind Beleidigungen und Diffamierungen, die ich zuhauf bekommen und gelesen habe. Dies zeigt mir wie weit es mit der Toleranz "anderer Meinungen" in unserer Gesellschaft bestellt ist. Viele denken: Meinungsfreiheit ja, aber nur soweit auch die eigene Meinung abgedeckt wird. So ist es nicht!
Mit meinem Poste wollte ich auch nicht Homosexuelle diskriminieren, sondern vielmehr zum Ausdruck bringen, dass man nicht alles in unserer (angeblich so liberalen) Gesellschaft auch gut finden muss. Toleranz ja, aber Toleranz heißt nicht, dass man alles gut heißen muss.
Wenn man seine Meinung nicht mehr sagen darf, dann gute Nacht Deutschland!
(SH via Facebook 12.06.14)

Der arme Heibel.
Und der arme Wulff.

Ich bin bekanntlich auch kein Anhänger von Plebisziten, ich glaube nicht an Schwarmintelligenz, sondern an Schwarmdummheit und ich halte den Urnenpöbel auch keineswegs für weise.

ABER:

In den sozialen Netzwerken erregen sich schließlich nicht die Durchschnitts-Phlegmatiker, sondern diejenigen, die zumindest ein Grundinteresse am Thema mitbringen.

Bei Wulff und Heibel kann es schwerlich zwei Meinungen geben. Die beiden haben es nicht besser verdient.
Wer sich dumm, dreist und diskriminatorisch an die Öffentlichkeit wendet, muß nun einmal damit rechnen, daß diese Öffentlichkeit reflektiert.
Scheißestürme können durchaus sinnvoll sein!