Samstag, 19. Juli 2014

SPIN


Immer noch weiß niemand was nun ganz genau mit Flug MH17 passiert ist und es wird vermutlich auch schlecht zu ermitteln sein.
Wenn ich all die TV-Experten richtig verstehe, braucht es für eine richtige Untersuchung eines auf so viele Quadratkilometer verteilten Unglücks mindestens 1000 professionelle Investigators, die a) vollen Zugang zu allen Trümmerstellen brauchen und b) natürlich über die entsprechende Technologie (Kühlwagen für die Leichteile z.B.) verfügen müssen.
Die Ukraine hat nicht die technischen Möglichkeiten und auch keine Kontrolle über das Gebiet, weil da irgendwelche heterogenen Rebellengruppen rum patrouillieren, die keiner gemeinsamen Autorität untergeordnet sind.
Russland hätte die technischen Möglichkeiten, wird aber den Teufel tun sich dem Verdacht zu unterziehen die Beweise zu manipulieren.
EU und USA sind ebenso Partei im „Russland-Ukraine-Konflikt" und scheiden somit als neutrale Untersucher aus.
Theoretisch könnte eine sehr neutrale Nation die Untersuchungen leiten. Brasilien oder so. Möglicherweise angeleitet oder finanziert von Holland, das die Mehrzahl der Opfer beklagt. Aber damit bleibt immer noch das Problem, daß es sich um ein Kriegsgebiet handelt, in dem es keinen sicheren Zugang zu den Leichen- und Wrackteilen gibt.
Zudem ist die Zeit schon weggelaufen. Die Verwesung hat eingesetzt und angeblich wurden schon viele Wrackteile bewegt und manipuliert.

Klarheit wird also höchstwahrscheinlich nie zu erreichen sein. Spekulationen schießen ins Kraut, Verschwörungstheorien werden im Minutentakt kolportiert.

Mir fällt auf, daß die gesamte deutsche Presse heute einen extrem antirussischen Kurs einschlägt. Obwohl allgemein konstatiert wird, daß Putin die Entwicklung sehr ungelegen kommt, da das amerikanisch-europäische Lager nun ein starken antirussischen Boost bekommt, macht man dennoch Putin verantwortlich, da er „seine Prorussen“ nicht unter Kontrolle habe.
Diese „Prorussen“, die es als homogene Gruppe mit extrem negativen Konnotationen nur auf dem Papier, besser gesagt in den Schreibfedern der Journalisten existieren, werden dem dümmlichen Leser als Sündenbock präsentiert.
Und Putin, dem eine direkte Befehlsgewalt über diese „Prorussen“ angedichtet wird, steht somit wieder einmal am Pranger.

Um es klar zu sagen: Ich behaupte nicht, daß ich die wahren Tathergänge kenne und schließe auch nicht aus, daß es wirklich so gewesen ist, wie Obama behauptet. Obama übt gerade möglichst großen Druck auf Moskau aus; wohl auch um den Amerikanern zu gefallen.
Wir wissen aber nicht was los ist. Was wir wissen, ist lediglich, daß die amerikanische Regierung in solchen Fällen die internationale Gemeinschaft schon oft belogen hat und als neutrale Faktenquelle kaum noch taugt.
Eigentlich sollten die deutschen Journalisten also extrem vorsichtig sein und Mutmaßungen als solche darstellen. Aber sie schmeißen sich allesamt auf die US-Seite.

Offenbar hält man Putin in vielen Redaktionsstuben schon für allmächtig, geradezu gottgleich.
Mir erscheint es geradezu als manisch, wie dem russischen Präsidenten Superkräfte zugeschrieben werden.
Was mögen die psychologischen Ursachen dafür sein?

Es ist nicht so, daß noch nie ein Passagierflugzeug abgeschossen worden wäre. Auch die Amis haben schon ein paar vom Himmel geholt.

LN114 Die libysche Boeing 727 hatte sich am 21. Februar 1973 bei schlechtem Wetter über dem Sinai verirrt. Israelische Kampfflugzeuge schossen sie ab. 108 Tote […]

IH870 Am 27. Juni 1980 stürzt die italienische Maschine ins Mittelmeer. Die Ursache wurde nie offiziell geklärt. Vermutlich aber wurde sie versehentlich von Nato-Kampffliegern abgeschossen. 81 Tote […]

IR655 Der zivile iranische Airbus A300 wird am 3. Juli 1988 über dem Arabischen Golf von einem amerikanischen Marschflugkörper getroffen. 290 Tote […]

OAO1812 Die Maschine der Siberian Airlines stürzt am 4. Oktober 2001 ins Schwarze Meer. Eine versehentlich abgefeuerte ukrainische Rakete hatte sie getroffen. 78 Tote
(SZ vom 19.07.2014)

Früher konnten solche „Vorfälle“ aber mit weniger Hysterie behandelt werden, weil die Weltordnung klar geregelt war.
Eine absolute und unumstrittene Supermacht wie die USA, bzw die NATO konnte sich da einiges herausnehmen.

Ich vermute, daß ein Grund für die gegenwärtige Aufregung ein westliches Ohnmachtsgefühl ist. Man fühlt sich schwach und nicht mehr durchsetzungsfähig. Syrien, Südsudan, Nahost – die USA versagen als Weltpolizist. Amerika hat keine Kraft das zu befrieden; die NATO ist hilflos. Obama hatte nicht die geringste Chance die Entwicklung auf der Krim zu beeinflussen. Die NATO sieht zu, wie ihr auf der Nase rumgetanzt wird. Jahrzehnte wird gegen den Iran und Kuba sanktioniert – ohne die Machthaber zu tangieren. Der NATO-Staat Türkei scheint dem Westen bei seiner Nahost-Politik sogar völlig zu entgleiten. Ägypten nimmt keine Befehle mehr entgegen.
Die großen Militäraktionen (Irakkrieg, Afghanistan, Libyen,..) misslingen erbärmlich. Für die angeblich übermächtigen Geheimdienste taucht völlig überraschend ISIS auf und übernimmt mal eben große Teile von zwei Staaten.

„Der Westen“, der über Dekaden ganz allein die Weltpolitik dominierte, fühlt sich kastriert und sieht fassungslos zu wie Emporkömmling-Nationen zunehmend selbstbewußt auftreten.
Russland und die BRICS-Gruppe sind stark geworden.
Und sie wirken auf viele Länder in Südeuropa, Afrika, Asien und Südamerika zunehmend attraktiv, insbesondere im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten.

Wer erwartet hatte die arrogante Außenpolitik der G.W. Bush-Administration würde sich entscheidend unter dem nächsten Präsidenten verbessern, muß heute mindestens als naiv gelten.
Klar, der Umgangston verbesserte sich, aber auch Obama empfindet andere Nationen als natürliche Untergebene. Selbst engste Verbündete werden ausspioniert und gedemütigt und wer wie einige linksliberale Südamerikanische Regierungen aufmuckt, wird mit groben Desinteresse gestraft.
Wenig verwunderlich, daß andere Große in das Vakuum vorwagen.

Moskaus Einfluss in Lateinamerika nimmt in dem Maße zu, in dem sich Washington immer weniger in seinem einstigen Hinterhof engagiert. So sind derzeit in zehn Ländern der Region keine amerikanischen Botschafter tätig, weil Präsident Barack Obama entweder keine Kandidaten für vakante Posten benannt hat oder weil die Bestätigung von Nominierungen von der republikanischen Opposition im Senat verhindert wird.

Anders als die EU und die USA erkennen insbesondere die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) in der Außenpolitik Chancen und nicht bloß Probleme.
Sie engagieren sich teilweise sehr stark ökonomisch in Afrika und Südamerika, reichen die Hand und intensivieren die Kontakte.

Amerika und Europa gelten nicht nur als zunehmend unsympathisch, sondern auch als schwach.
Da sucht man sich doch lieber potentere Freunde – so diagnostizieren es außenpolitische Thinktanks.

Wirtschaftssanktionen seien seit Jahren ein beliebtes Werkzeug der USA im Machtkampf gegen ihre Gegner, heißt es in einer Analyse aus dem European Council on Foreign Relations (ECFR) unter Verweis auf die Sanktionen etwa gegen Libyen, gegen den Irak oder gegen Iran. Der Konflikt um die Ukraine könne allerdings eine Wende bringen. Denn Russland sei immerhin die neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt; wer es mit Sanktionen attackiere, übernehme sich womöglich auf wirtschaftlichem Gebiet in einer Weise, wie es im Irak auf militärischem Gebiet geschehen sei. Es sei zu erwarten, dass die "Allianz der Bedrohten" sich zusammentue und nach Möglichkeiten suche, sich dem ökonomischen Einflussbereich der USA zu entziehen. Dafür könne es womöglich sogar Beifall aus Europa geben, heißt es beim ECFR unter Verweis auf die Strafzahlungen in Höhe von rund 6,6 Milliarden Euro, auf die sich die französische Großbank BNP Paribas jüngst einlassen musste, weil sie mit ihren Geschäften gegen Sanktionsbeschlüsse der Vereinigten Staaten verstoßen hatte.[…]
Stützen können sich diese Bestrebungen auf erste vorsichtige Absetzbewegungen gegenüber dem Westen, die Beobachter weltweit in Reaktion auf den Ukraine-Konflikt konstatieren. Bereits im April hatte der Machtkampf um das osteuropäische Land am Rande der damaligen Asien-Reise des US-Präsidenten für Diskussionen gesorgt. Die Auseinandersetzungen um die Krim gälten in Ost- und Südostasien als "Lackmustest", inwieweit die NATO-Staaten noch in der Lage seien, ihre Vorstellungen gegen ihre Gegner durchzusetzen, hieß es damals in Berichten aus der Region. Die Verbündeten der Vereinigten Staaten seien "besorgt", Washington werde beispielsweise ihre Territorialansprüche auf Inseln im Ost- und Südchinesischen Meer gegen China ebenso wenig durchsetzen können wie die Ansprüche der Ukraine auf die Krim gegen Russland. Experten konstatieren nun, selbst Japan, einer der engsten Verbündeten der USA, verlasse sich nicht mehr allein auf Washington, sondern öffne sich gegenüber Moskau, um seine Position im Inselstreit mit China zu stärken. Ähnliches gelte für Südkorea, das im Streit mit Nordkorea nach Hilfe suche. […]
Verärgerte Kommentare in deutschen Medien ruft nun schließlich auch die aktuelle Lateinamerika-Reise des russischen Präsidenten hervor. Wladimir Putin hat soeben Kuba, Argentinien und Brasilien besucht und dort umfangreiche Geschäfte abgeschlossen. Kuba hat die UN-Resolution zur Krim abgelehnt, Argentinien und Brasilien enthielten sich. "Heute ist die Kooperation mit den lateinamerikanischen Staaten einer der Schlüssel für die russische Außenpolitik", wird der russische Präsident zitiert. Deutsche Medien stellen verärgert fest: "Weltweit isoliert werde Wladimir Putin nach der Annexion der ukrainischen Krim sein, so hatten es zumindest westliche Politiker verkündet." Jetzt aber zeige sich, wer in beträchtlichen Teilen Lateinamerikas "tatsächlich unbeliebt ist: nicht Russland, sondern die USA".[…]

Die ökonomische Stärke der BRICS-Staaten stößt der USA besonders stark auf. Da kann Herr Denison in deutschen Talkshows lange über die Kleinheit Deutschlands lachen.
Ökonomisch kann er die BRICS-Länder nicht wegdiskutieren.
Jahrzehnte lang haben EU und Nordamerika im Alleingang die Weltökonomie dominiert. Der Internationale Währungsfonds (IWF) wurde „traditionell“ von einem Europäer geleitet und die Weltbank ganz selbstverständlich von einem Amerikaner. Typen wie der Helmut-Kohl-Scherpa Horst Köhler oder der George W. Bush-Einflüsterer Paul Wolfowitz wurden Präsidenten dieser Institutionen.
Inder, Chinesen oder gar Südamerikaner wurden gar nicht erst gefragt.
Und nun mucken sie auf und gründen einfach ihre eigene weltweite Entwicklungsbank.

Wie einfach war für Europa und Amerika das alte System. Die Ergebnisse der Handelsabkommen für den ganzen Erdball bestimmte man alleine. [….]  Griff der IWF ein wie in der Asienkrise, verordnete er seine Medizin: Reformen nach westlichem Geschmack, Kapitalfreiheit für westliche Banken. [….]
Mit diesem kolonialähnlichen Regime ist es vorbei, das demonstrieren die fünf sogenannten Brics-Schwellenländer nun deutlich. [….] Dass es so kommt, hat der Westen selbst zu verantworten. Seit der Jahrtausendwende erlebt er in der Welthandelsrunde Doha, dass sich der Rest des Globus nicht mehr herumschubsen lässt wie früher. Reagiert hat der Westen kaum: Er verschleppte eine Reform von IWF und Weltbank, bis es den mächtig gewordenen Schwellenländern zu blöd wurde. [….] Ihr Aufstieg wird Konsequenzen haben, die über die Zukunft von IWF und Weltbank weit hinausgehen. Warum sollte der Brics-Block, nur ein Beispiel, auf Dauer den Dollar als Leitwährung akzeptieren? Die angenehmen Jahrzehnte, in denen sich Amerika ohne Rücksicht auf jede Vernunft verschulden konnte, weil ja trotzdem alle Dollar-Wertpapiere kaufen mussten – diese Zeit könnte bald enden. [….]
(Alexander Hagelüken, SZ vom 18.07.2014)

Um dieses Gezerre geht es auch in der MH17-Causa.
Wer hat die Hosen an in der Weltpolitik? Wer hat die außenpolitische Potenz sich durchzusetzen?
Und es ist auch ein Schönheitswettbewerb.
Werden sich die Südamerikaner und Asiaten und Afrikaner weiterhin automatisch danach sehnen so wie die Gringos zu werden?
Oder empfinden sie die US-Performance mit Ausschnüffeln, CIA-Anschlägen, Drohnenkriegen und militärischer Impotenz zunehmend abtörnend?
Wie gut funktioniert das US-kapitalistische System eigentlich noch?


Und wie sexy wirkt Russlands Ölmacht und Chinas Dollars?