Sonntag, 9. Oktober 2022

Erwartetes in Niedersachsen.

Wenn ich groß bin, werde ich Wahrsager. Bei der heutigen Landtagswahl kam alles exakt so, wie ich es antizipierte. Aktueller Auszählungsstand um 21.00 Uhr: SPD gut 33%, Grüne gut 14%, CDU 28%, AfD 11%, FDP 4,9%, Linke 2%.

Das FDP-Ergebnis gefällt mir gut, CDU und AfD hätte ich mir selbstverständlich schwächer gewünscht.

In einer Lage, die eine derartige soziale Unsicherheit generiert und alle Menschen, die keine Topverdiener sind, in Sorgen treibt, sollten bei der LINKEN die Korken knallen, weil das eine optimale Ausgangslage für sie ist. Dennoch, wie bei den drei Landtagswahlen zuvor, in die Bedeutungslosigkeit zu krachen, erfordert schon eine außergewöhnliche Dümmlichkeit. Und eben auch Borniertheit, um trotz der für jeden offensichtlichen Desaster-Ursache Sahra Sarrazin, tumb weiter an der Rechtspopulistin festzuhalten. Wagenknecht arbeitet kontinuierlich an ihrer völkischen Querfront, bekommt nur noch von der AfD und faschistischen Bloggern Applaus. Damit ist „die Linke“ selbstverständlich für alle anständigen Menschen des linken Gesellschaftsspektrums unwählbar. Mohamed Ali, Bartsch, Wissler und Schirdewan wissen es und lassen die Wagenknechte gewähren. Die Linke ist unrettbar verloren. Wer nicht hören will, muss fühlen.

Die AfD Niedersachsen ist ein selbst für Faschisten-Verhältnisse extrem unseriöser Haufen. Die bisherige Landtagsfraktion löste sich im Streit selbst auf. Die AfD-Politiker bekämpfen sich gegenseitig mit härtesten Bandagen, werden vom Verfassungsschutz beobachtet.

[…] Zudem störte die niedersächsischen Wählenden nicht, dass der Landesverband der AfD schwerste Krisen hinter sich hat und über lange Zeit ein desaströses Bild abgab: Die Fraktion zerfiel, weil mehrere Mitglieder wegen politischer Differenzen austraten. Dadurch ging der Partei der Fraktionsstatus verloren. Untreuevorwürfe, Graben- und Lagerkämpfe prägten die AfD, in einer Kampfabstimmung riss 2020 der dem radikalen Flügel angerechnete Bundestagsabgeordnete Jens Kestner den Landesvorsitz an sich. Kurz darauf wurde die Landes-AfD von der Bundesebene her zwangsverwaltet, um einen Parteitag einberufen, der endlich Kandidaten für die Landtagswahl aufstellt. Denn eine von Kestner offenkundig aus machtpolitischen Gründen aufgesetzte Briefwahl war für unzulässig erklärt worden.  […]

(ZEIT, 09.10.2022)

Die AfD ist allerdings die einzige Partei, dessen Wähler sich nicht daran stören, für so offensichtlich inkompetente Kriminelle zu votieren. Sie wollen nur ihren Hass und Hetzbotschaften kanalisieren.

Wenig umstritten dürfte die Deutung des roten und grünen Ergebnisses sein:

Ja, Scholz hat es gerade sehr schwer, die Bundes-SPD ist wieder einmal in turbulenten Fahrwasser, aber die Niedersachsen kennen und schätzen ihren Landesvater Weil. Daher konnte er, wie schon 2017 unmittelbar nach der Schulz-Katastrophe im Bund, auf Landesebene viel besser abschneiden.

Die Grünen haben sich auf 14,5% verdoppelt, weil a) die Grünen Themen Nachhaltigkeit und regenerative Energien höchstaktuell sind und weil b) die Bundesminister Baerbock und Habeck die beliebtesten Minister (und Norddeutsche) sind. Gleichwohl lagen die Umfragen im Sommer stabil bei 22%; acht Prozentpunkte weniger wirken aus der Perspektive wie ein herber Verlust.

Die Erklärung dafür ist neben dem Gasumlage-Desaster, sicherlich der Groll der Basis über das allzu begierige Krötenschlucken der Grünen Bundesminister, die AKW-Laufzeiten verlängern und nun auch noch Waffen an das Scharia-Regime in Saudia-Arabien liefern.

Interessanter ist die Betrachtung der Schwarzgelben.

Friedrich Merz schwor schon vor Monaten endgültig der konstruktiven Mitarbeit ab und betreibt nahezu ausschließlich Rechtspopulismus.    

Er wettert gegen Ukrainische Flüchtlinge in Todesangst, indem er perfide Lügen über sie verbreitet. Anschließend holte er zum xenophoben Rundumschlag gegen alle Flüchtlinge aus.

Es war seine Partei, die CDU, die aus der Kernkraftgewinnung ausstieg, die Abhängigkeit von Putins Gas verstärkte und die einstige Weltmarktführung Deutschlands in der Photovoltaik und Windenergiegewinnung vernichtete.

Trotz der nicht möglichen Rückkehr in die Kernenergiewirtschaft, fordert Merz stoisch längere Laufzeiten, der inzwischen maroden deutschen AKWs. Er will damit von dem Versagen seiner Partei ablenken, die Grünen piesacken und populistisch punkten – offenbart aber gleichzeitig mal wieder groteske Wissenslücken.

Merz, der noch nie eine Wahl gewann und noch nie regierte, glänzt auch heute wieder mit mangelnder Solidarität. Bei CDU-Wahlverlusten lässt sich der Egoist nicht öffentlich blicken, weil es ihm nur um die eigene Popularität geht.

Beeindruckend ist die Lernunfähigkeit der Unions-Oberen, die immer und immer wieder versuchen, populistisch zu punkten, indem sie AfD-Hetze nachplappern und dann immer und immer wieder, bei Wahlen das gleiche erreichen: Absturz der CDU und Rekordzuwächse bei der AfD. Die Leute wählen das Original. Siehe 2017*

Punkten können hingegen CDU-Politiker wie Daniel Günther, die eben nicht AfD-Sprüche kloppen.

*(…) Es ist ein tiefsitzender Reflex des rechten Randes der CDU/CSU beim Auftauchen Rechtsextremer selbst auch rechtsextremer werden zu wollen.

Wie Pawlowsche Hunde schworen heute Herrmann, Dobrindt, Seehofer und Scheuer nun aber die „offene rechte Flanke“ zu schließen und noch mehr Härte gegen Einwanderer zu praktizieren.  Was dieses Heranwanzen an die AfD wahlpolitisch bringt, konnten wir gestern sehen

Von allen ostdeutschen Bundesländern hat Sachsen das höchste AfD-Ergebnis.  In Sachsen konnte die AfD auch am stärksten zulegen, nämlich um ungeheuerliche 20,2 Prozentpunkte, von 6,8% auf 27%. Mit 27% ist Gaulands faschistoide Gang sogar stärkste Kraft in Sachsen. Die CDU verlor sagenhafte 15,7 Prozentpunkte, stürzte von 42,6% auf 26,9%.

[….]Die AfD ist die strahlende Siegerin der Bundestagswahl in Sachsen. Für die seit der Wende dominierende CDU setzte es dagegen eine schallende Ohrfeige der Wähler. Denn sowohl bei den Erststimmen als auch bei den Zweitstimmen feierte die AfD Erfolge. [….] Sowohl im Wahlkreis Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge (SSOE), als auch in Görlitz und Bautzen holten sich AfD-Kandidaten Direktmandate.  Am deutlichsten setzte sich AfD-Chefin Frauke Petry durch. Sie erzielte im Wahlkreis (SSOE) 37,4 Prozent der Stimmen und deklassierte damit ihren Konkurrenten, den bisherigen CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus Brähmig. [….] Auch aus den Wahlkreisen Bautzen I und Görlitz schicken die Wähler AfD-Kandidaten direkt in den Bundestag.[….]

(MDR, 25.09.2017)

In Westdeutschland erzielte die AfD ihren größten Zugewinn in Bayern.  Die CSU verlor 10,5 Prozentpunkte, stürzte von 49,3% auf 38,8%.  Die AfD gewann in Bayern seit 2014 ungeheuerliche 632.594 Wählerstimmen hinzu und holte mit 12,4% ihr bestes Ergebnis aller westdeutschen Bundesländer. Den größten Absturz gab es im Wahlkreis Ingolstadt, der Heimat Seehofers, mit Einbußen von 13,9 Prozentpunkten.

Wenn das in dem Bundesland passiert, dessen Regierungschef sich so brutal und unversöhnlich wie niemand anders gegen Merkels Flüchtlingspolitik stellte, bestätigt das die simple Regel „man wählt lieber das Original“.  Die AfD nachzuäffen hat Tillich und Seehofer die höchsten Verluste an die AfD beschert.

[….] Dann muss sich Joachim Herrmann aber auch die Frage nach seiner eigenen Rolle und der Ausrichtung der CSU in den vergangenen Monaten gefallen lassen. Nur wenige Tage vor der Bundestagswahl hat sich der bayerische Innenminister mit falsch interpretierten Zahlen zu Sexualdelikten und Flüchtlingen heftige Kritik eingehandelt, weil es ein misslungener Annäherungsversuch an AfD-Sympathisanten war. [….]

(Ingrid Fuchs, SZ, 25.09.2017)

Es bleibt das Geheimnis der CSU wieso sie nach diesem wuchtigen Aufprall von Kopf auf Wand diese gescheiterte Strategie weiter ausbauen zu wollen.  Auf die Frage, wie er sich eigentlich eine Koalition mit der CSU vorstelle, die unisono ankündigte weiter nach rechts zu rücken, sagte Jürgen Trittin gestern in der ARD, diese Strategie sei eben „genau falsch“.

Recht hat er, der Trittin. Ganz offensichtlich. (…)

(Dummerhafte Dümmlinge in Süd- und Ostdeutschland, 25.09.2017)

Als Sozialdemokrat könnte ich mich über die sagenhafte taktische Unfähigkeit des Merz freuen, weil er damit der CDU schadet. Aber der Preis – in diesem Fall 18 Faschisten im Niedersächsischen Landtag – ist viel zu hoch. Shame on you, Merz.

Bernd Althusmann fing heute buchstäblich an zu heulen, kann sich aber bei seinem eigenen Bundesvorsitzenden für die krachende CDU-Niederlage bedanken.

[….] Dann sagt Althusmann den entscheidenden Satz, auf den viele im Saal bereits gewartet haben: »Ich werde dem Landesvorstand morgen vorschlagen, dass ich für das nächste Amt des Landesvorsitzenden nicht mehr zur Verfügung stehe. Das ist meine persönliche Konsequenz aus diesem Wahlergebnis.« Der unterlegene Spitzenkandidat bedankt sich bei seinen Freunden und bei seiner Familie für die Unterstützung. Seine Stimme bricht, Tränen schießen ihm in die Augen.  [….]

(SPON, 09.10.2022)

Genauso plump und vergeblich wie die CDU, setzte auch die FDP auf den vermeidlichen Wahlkampfschlager „Atomkraftwerke.“ Damit schob Lindner gleich mal 40.000 FDP-Wähler von 2017 direkt zur AfD.  

Sie landete  bei 4,7 Prozent. Die vierte krachende FDP-Niederlage in vier Landtagswahlen seit sie in die Ampel eintrat.

Das freut mich, damit wird die Rotgrüne Sitzmehrheit komfortabler.

Das freut mich aber auch nicht, denn nun werden Lindner und Kubicki noch eiserner in der Ampel blockieren, was getan werden muss, noch verbissener das dringend notwendige Tempolimit verhindern, noch hartnäckiger die Superreichen vor Steuererhöhungen schützen.

Im Oktober gab es diese Zitrus-Liebesbilder zwischen FDP und Grünen. Noch bevor die Ampelkoalitionsverhandlungen begannen. Die FDP setzte sich besser als die anderen Partner durch, schien geradezu übermächtig. Davon berauscht, verteilte der Porsche-Minister Milliarden an die ohnehin in Gewinnen schwimmende Ölindustrie (Tankrabatt) und ließ sich mit seiner WELT-Franka wochenlang als Königs-Hochzeitspaar auf der Superreichen-Insel Sylt feiern, während er das 9-Euroticket abschaffte und vor Gratismentalität warnte.

In den Medien wurde das Bild von den rivalisierenden kleinen Ampelpartnern ventiliert. Habeck gegen Lindner. Die FDP konnte dabei nie von ihrem hohen Ross herunter, geht ganz selbstverständlich davon aus, „die Wirtschaftspartei“ zu sein. In dieser Lesart kann ein Grüner als Bundeswirtschaftsminister nur eine Fehlbesetzung sein.

Die Kollision mit der Realität ist für die Hepatitisgelben natürlich hart: Habeck ist Lindner beim Beliebtheitsranking haushoch überlegen – schon das muss nahezu unerträglich sein, für die Inkarnation der Eitelkeit Lindner. Aber dazu kommt der demoskopische Abschwung der FDP, während die Grünen nun die stärkste Ampelpartei sind. Vier Landtagswahlen, vielmal schwere FDP-Verluste, viermal kräftige Grüne Gewinne. Das nervt die Lindneristen!

Es gibt zwei mögliche Erklärungen, die sich gegenseitig ausschließen:

A)   Die Wähler mögen die FDP nicht, weil sie sich in der Ampel viel zu wenig gegen die beiden linken Partner durchsetzt. Sie betreibt zu wenig Lobbypolitik für ihr Klientel.

B)   Die Wähler mögen die FDP nicht, weil sie sich in der Ampel viel zu viel durchsetzt und konstruktive Regierungspolitik verhindert. Sie betreibt zu einseitig Lobbypolitik – Porsche, EFuels, kein Tempolimit, keine Reichensteuer – für ihre Klientel.

Die extremen Pole sind einerseits FDP-Fraktionschef Christian Dürr, der richtigerweise auf die staatspolitische Verantwortung der FDP verweist, die in dieser Superkrise zu gemeinsamen Regierungshandeln verdamme. Er ist Anhänger der Erklärung B.

Populist Wolfgang Kubicki ist Team A und kündigt äußerst verantwortungslos an, zukünftig noch mehr innerhalb der Regierung zu opponieren zu blockieren. Auch Lindner schlägt sich auf Seite A und wettert gegen die beiden LINKEN Parteien in der Regierung, beklagt sich darüber, daß seine geliebte CDU der FDP schade.

Meine Güte, die FDP kündigt als Konsequenz aus der #Niedersachsenwahl jetzt an, dass sie noch mehr "linke Projekte" in der Ampel verhindern will.  Als würden sie einfach nie verstehen wollen, dass genau diese destruktive Verhinderungspolitik dahin geführt hat, wo sie jetzt steht.

(Erik Marquardt, 09.10.2022)

FDP-General Bijan Djir-Sarai ist Gruppe AB, steht äquidistant zwischen Lindner und Dürr.

Das könnte zu wenig sein.

Es steht zu befürchten, daß die FDP in den nächsten Wochen noch mehr AfD und CDU nachläuft und damit dem Ampel-Erfolg schadet.


Samstag, 8. Oktober 2022

Merkwürdige Minderheit

Natürlich fragt man sich immer wieder mal, ob GOP-Abgeordnete noch dümmer werden können. 

Lange Zeit dachte ich, mit Sarah Palin und Michele Bachmann wäre ein Intelligenz-Minimum erreicht. Noch ein IQ-Punkt weniger und sie würden biologisch zu den Pflanzen zählen.

Aber dann kamen die beiden Brüllaffen Lauren Boebert und Marjorie Taylor Greene, die Palin wie eine smarte Frau wirken ließen.



Die radikale Bösartigkeit der beiden Schulabbrecherinnen mit krimineller Vergangenheit überdeckt dabei, wie radikal verblödet die beiden sind.


Es scheint aber immer noch nicht rock bottom erreicht zu sein. Mit Herschel Walker, einem ehemaligen Football-Star und Hardcore-Trumpiot hat nun einer Chancen US-Senator des Staates Georgia zu werden, der geradezu hanebüchen bekloppt ist.

[….] The dude is an imbecile and a great example of what Republicans are cool with representing them.  The great thing about America is that any citizen of a certain age can run for office. The bad thing about America is that any citizen of a certain age can run for office.  The bar is extremely low and former football star Herschel Walker is at the bottom.  […]

(Carron J. Phillips, 07.10.2022)

Der Mann ist dümmer als Bohnenstroh und gibt derartigen Unsinn von sich, daß selbst ich, als maximal desillusionierter Misanthrop immer wieder versucht bin, das für Satire zu halten.

Er verbreitet selbstverständlich die abstrusen Trump-Verschwörungstheorien und die ultra-radikalen schwulen- und frauenfeindlichen Positionen der QTrumpliKKKans. Aber er stellt sich dabei in jedem Moment hoffnungslos geistig überfordert dar.

[...] In the aftermath of the Robb Elementary School shooting that resulted in the deaths of 19 children and two teachers, Walker was asked about his position on solutions to school shootings. Walker replied, "Cain killed Abel. You know, and that's a problem that we have. And I say what we need to do is look into how we can stop those things". Walker then said that he supported "a department that can look at young men that's looking at women that's looking at social media".  Walker supports increased government spending on mental health care as a partial solution to gun violence. When asked about his position on gun control legislation, he replied "what I like to do is see it and everything and stuff." […]

(Wiki)

Er ist mental ganz offensichtlich nicht zurechnungsfähig und mäandert am Rande des Schwachsinns durch den US-amerikanischen Wahlkampf.

 
[...] When asked about the Green New Deal environmental program, Walker said that he opposed it because "Since we don't control the air, our good air decided to float over to China's bad air, so when China gets our good air, their bad air got to move," adding, "So it moves over to our good air space. Then, now, we got we to clean that back up." In August 2022, in response to questions about the passage of the Inflation Reduction Act of 2022, which includes funding to counteract climate change, Walker said, "They continue to try to fool you that they are helping you out. But they’re not". Possibly referring to a provision that allocated $1.5 billion to the U.S. Forest Service’s Urban and Community Forestry Program, Walker added, "Because a lot of money, it’s going to trees. Don’t we have enough trees around here?" […]

(Wiki)

Der arme Mann ist völlig verwirrt. Und lügt genau wie seine oranges Idol.

Der LGBTI-feindliche, fromme Christ und  radikale Abtreibungsgegner ist darüber hinaus, fast unnötig das extra zu erwähnen, ein extremer Heuchler.

Er führte auf dem Papier eine Musterehe mit seiner Highschoolfreundin Cindy DeAngelis Grossman, vögelte aber nebenbei offenbar alles, das nicht bei drei auf dem Baum ist. Von mindestens vier Frauen bekam er Kinder. Wie viele er insgesamt schwängerte, ist unklar. Sicher ist aber, daß der radikale Abtreibungsgegner seine schwangere Gespielin zu einem Abbruch drängte und diesen auch bezahlte.

[….] Selbst für die stets turbulente Kampagne des republikanischen Senatskandidaten Herschel Walker ist dies eine außergewöhnliche Woche. Walker ist ein ehemaliger American-Football-Profi, der in knapp fünf Wochen für den US-Bundesstaat Georgia in den Senat in Washington D.C. gewählt werden möchte. Er verfügt zwar über keinerlei politische Erfahrung, aber dafür präsentiert er sich als gläubiger Christ und entschiedener Abtreibungsgegner. Abtreibung, sagte Walker mehrmals, sei Mord. Das kommt gerade bei den Evangelikalen in Georgia gut an.  Anfang der Woche hat die [….] Nachrichten-Website The Daily Beast einen Text veröffentlicht, der ziemlichen Wirbel auslöste. In dem Artikel heißt es, Walker habe 2009 seiner damaligen Freundin eine Abtreibung bezahlt. Die besagte Frau [….] legte der Website eine Quittung vor, sowie eine Karte mit Genesungswünschen und einen Scheck von Walker. Dieser sagte daraufhin, er kenne die Frau nicht, es handele sich um eine Lüge, er werde umgehend Klage wegen Verleumdung einreichen. Davon hat er bisher allerdings abgesehen. [….] Am späteren Mittwoch hat die Frau nun gesagt, Walker habe nicht nur seinerzeit die Abtreibung bezahlt. Sie habe zudem ein Kind mit ihm. Das lässt seine Aussage, er wisse nicht, um wen es sich handele, in neuem Licht erscheinen. [….] Bereits am Dienstag hatte das Magazin Politico unter Berufung auf nicht namentlich genannte Quellen berichtet, dass Walkers Kampagnenteam schon länger von der bezahlten Abtreibung gewusst habe. Man habe gehofft, dass die Sache nicht vor der Wahl herauskommen würde. [….] Walker ist in den vergangenen Wochen öfter beim Lügen erwischt worden. Er übertrieb die Zahl seiner Angestellten massiv, und dass er, obwohl angeblich tiefgläubig, drei weitere Kinder mit drei weiteren Frauen gezeugt hat, gab er erst kürzlich nach Berichten in Nachrichtenmedien zu. Am Mittwoch ging er in die Offensive, auf dem republikanischen Haussender Fox News. "Ich bin ein Sünder", sagte er, "wir alle sündigen vor der Größe Gottes." Doch wenn andere versuchten, seine Vergangenheit gegen ihn zu verwenden, gebe ihm das nur noch mehr Kraft. Denn: "Ich bin erlöst." [….]

(Christian Zaschke, 06.10.2022)

Wieso engagiert sich ein Afroamerikaner so massiv für einen extremen Rassisten wie Donald Trump? Es gibt zwei mögliche Erklärungen. Entweder, er sich so sagenhaft dumm, daß er diesen Widerspruch gar nicht kapiert.

Oder aber er will unbedingt US-Senator werden, versteht aber wie radikal unterqualifiziert er ist und zieht daraus den durchaus logischen Schluß, nur als Trump-Mann in einem Red State wie Georgia Chancen zu haben, weil dort die Wähler so unfassbar unterbelichtet sind, daß sie auch eine MTG als Kongressabgeordnete wählen.

Tatsächlich sind Walkers Chancen nach wie vor gut.

Auch nachdem sein ältester Sohn mit einem emotionalen Video an die Öffentlichkeit ging.

[….] Sein eigener Sohn Christian, 23, bezichtigte Walker in einer Botschaft in den sozialen Medien, gegenüber seiner Familie gewalttätig geworden zu sein. Das Problem für den Kandidaten Walker: Sein Sohn hat mehr als eine Million Follower auf den diversen Plattformen, und die Geschichte schlägt in sämtlichen US-Medien reichlich Wellen. [….] Natürlich bestreitet Walker alle Vorwürfe. In einem Interview mit dem Sender Fox News wies er die Anschuldigungen wortreich zurück. Sein Sohn sei inzwischen ein Teil der »Linken«, polterte Walker dort. Dieser klassische Vorwurf der Republikaner eigentlich an alle Kritiker findet an der Basis meistens positiven Widerhall. [….]

(Roland Nelles, 08.10.2022)


Christian, der als Inkarnation des Klischees über Kinder von Schwarzen und Weißen Eltern, atemberaubend gut aussieht, ist natürlich ein willkommener und authentischer Wahlhelfer für die Demokraten.

Cristian ist nicht nur schwarz*, sondern auch noch schwul.

*In der abstrusen US-amerikanischen Sicht sind Kinder, die wie zB auch Barack Obama, einen weißen Elternteil haben, ebenfalls schwarz, obwohl sie mit 50% weißem Elternteil genauso berechtigt „weiß“ genannt werden könnte.

Schwule und Schwarze besitzen in der GOP-Wählerschaft allerdings keinerlei Ansehen. Eine Kombination aus beidem wird also keinen FOX-propagandisierten Wähler überzeugen.

Christian ist selbst ein SCHWULER und SCHWARZER Hardcore-Trumpfan!

[….]  He's a Staunch MAGA Supporter

Christian — who describes himself as a "free-speech radicalist" on his Twitter bio — has gained fame for his outspoken pro-MAGA videos. In some videos, he echoes the baseless claims of former President Donald Trump in alleging that the 2020 presidential election was stolen.  Christian, who is openly gay, is a loyal Trump fan, and led a Gays for Trump march in West Hollywood in 2020. Christian has also appeared on Fox News and hosts what he calls an "anti-woke podcast" focused on entertainment, called Uncancellable. [….]

(People, 04.10.2022)

Im Gegensatz zu seinem Vater, zeigt Christian keine Anzeichen galoppierenden Schwachsinns. Er wirkt klug und eloquent.

Wieso trommelt der für die QTrumpliKKKans?

Freitag, 7. Oktober 2022

Kawumm!

Das kenne ich natürlich schon aus den USA. Die GOPer geben sich nicht einmal mehr die geringste Mühe, ihre hanebüchenen Lügen wenigstens etwas plausibler klingen zu lassen. Das müssen sie nicht. Sie leben ohnehin alle in ihrer Hassblase, zu der die Realität keinerlei Zugang hat.

Die Republikaner haben sich von der streng antikommunistischen, russlandfeindlichen Partei amerikanischer Patrioten, über mehre Zwischenstufen, zum heutigen in Putin verliebten, antiamerikanischen Mob entwickelt, der gegen Polizei. Justiz und FBI hetzt.

Putin und Trump sind die weißen alten anti-woken Sehnsuchtsmänner der christlichen Rassisten in vielen Teilen der (noch) demokratischen Welt.

Um ausgerechnet die beiden als strahlende moralische Vorbilder und Friedensengel zu stilisieren, braucht es eigentlich eine erhebliche Menge psychogener Drogen. Allerdings funktioniert auch eine 1:1-Mischung aus Dummheit und Boshaftigkeit.

Dem selbsternannten christlichen Philosophen und Aufklärer David Berger, verdanken wir nicht nur eine strengen Fäkaliengeruch über Berlin-Schöneberg, sondern auch die bahnbrechende Erkenntnis, der bösartige Ukrainische Präsident Wlodomir Selensjyj habe den Krieg gegen das unschuldige Russland angezettelt, weil er danach strebe, einen Atom-Weltkrieg zu entfesseln.

[….]  Der ukrainische Präsident Selenskyj zündet nun die nächste Eskalationsstufe seiner Agenda, mit der er die übrige Welt an der Seite der Ukraine in den totalen Weltkrieg zerren möchte.  Die Nato müsse es, so Selenskyj bei einem Auftritt vor dem Lowy Institut, Russland einen Atomwaffeneinsatz unmöglich machen. Das gehe notfalls nur mit atomaren Präventivschlägen: [….] Hinzukommt, dass Selenskyj kurz vor der nun Schlagzeilen machenden Äußerung „The Guardian“ ein Interview gegeben hat, in dem er die USA sehr eindeutig auffordert Putin mit Atomwaffen zu vernichten:   Dass in der neuesten Ansprache das Wort „atomar“ direkt nicht fällt, aber eindeutig aus dem Zusammenhang hervorgeht, passt zum durch und durch demagogischen Agieren Selnskyjs. Und er weiß auch ganz genau: Selbst ein nicht-nuklearer Präventivschlag der Nato gegen Russland wäre der endgültige Ausbruch des Dritten Weltkriegs, der sehr schnell zum Einsatz nicht nur nuklearer, sondern teilweise noch viel gefährlicherer moderner Waffen führen würde. Kurzum: Die Aussagen Selenskyjs sind geradezu apokalyptisch-diabolischer Natur.

Nun müsste auch dem Letzten aufgehen, dass es sich bei Selenskyj um einen gefährlichen Wahnsinnigen handelt. [….] Inwieweit das Statement des Ukrainers mit Biden & Co (bzw. der Schattenregierung unter Führung des notorischen Kriegstreibers Obama) abgesprochen war. Und da sieht es leider düster aus. [….]

(PP, 07.10.2022)

Marjorie Taylor Greene gefällt das

Über Putins Motive und den weiteren Kriegsverlauf lässt sich deswegen so viel schreiben, so viel behaupten, weil ohnehin alles Spekulation ist. Alternde Generäle werden genauso bei CNN in die Pundit-Runden, wie in deutsche Talkshows gesetzt. Man brennt darauf, von ihnen erhellt zu werden. Generäle müssen sowas schließlich wissen.

[….] Es ist dort nun ein neuer Typ des Experten unterwegs: der General a.D.  [….] Das Desinteresse ist der Erkenntnis gewichen, dass man die Bundeswehr womöglich doch für andere Dinge gebrauchen könnte als nur für das Stapeln von Sandsäcken. Und ehemalige Generäle sind zu zentralen Experten in den Medien geworden. Sie kommentieren, analysieren und diskutieren einen Krieg, den sie selbst nie führen mussten.   In der Bundeswehr gibt es einen Sammelbegriff für Generäle, die ihren letzten Zapfenstreich hinter sich haben und sich danach, aus Langeweile oder Sendungsbewusstsein, kommentierend von der Seitenlinie melden. Man nennt sie das Lodenmantelgeschwader, [….] Das klingt dann zum Beispiel so: »Zerstören, das können die Russen. Geradeaus fahren, Walze, Walze, Walze, reinschlagen, und dann haben wir Tschetschenien oder Aleppo.« [….] »Die Sprachlosigkeit des Ministeriums öffnet eine Flanke für uns Ehemalige«, sagt Domröse. Für einen Augenblick muss man überlegen, ob er über einen Panzerangriff redet oder über Sendezeit im Fernsehen. [….] Brigadegeneral [….] Vad sagt: »Die Eindimensionalität der deutschen Außenpolitik, die Fokussierung auf Waffenlieferungen, macht mich fassungslos.« [….] Zur jüngsten ukrainischen Gegenoffensive sagt er: »Das sind regional begrenzte Vorstöße, aber aus meiner Sicht wird es der ukrainischen Armee nicht gelingen, die Russen zurückzudrängen. Der Donbass wird sich ohne Kriegseintritt der Nato nicht zurückerobern lassen.«  Und zur Frage, wie dieser Krieg enden könnte: »Man wird da nur politisch rauskommen, mit Verhandlungen. Man wird Russland als Nuklearmacht militärisch nicht besiegen können.«  Das ist die Rolle, die Vad in Talkshows übernimmt. Er wird immer wieder eingeladen, obwohl er schon grandios falsch lag. »Militärisch gesehen ist die Sache gelaufen«, sagte er kurz nach Russlands Überfall. »Und meine Bewertung ist, dass es nur um ein paar Tage gehen wird und nicht mehr.« [….]

(Spiegel 41/2022, 05.10.2022)

Eins sollte aber klar sein, wir sollten nun dringend auch das Undenkbare denken.

Die alte Gewissheit; nach der alle Atommacht-Chefs so rational sind, niemals tatsächlich einen Atomkrieg zu beginnen, war schon mit Kim und Trump dahin. Bevor die Ukraine brannte.

Nun haben wir aber auch noch einen in die Ecke gedrängten Putin, von dem kurioserweise ausgerechnet die europäischen Bellizisten, die unbedingt die Ukraine militärisch unterstützen möchten, ganz sicher zu wissen glauben, daß er nicht zuerst eine Atomrakete abschießt.

Das hätte ich vor 20 Jahren, vor zehn Jahren, vor fünf Jahren und auch noch vor zwei Jahren ebenfalls unterschrieben.

Im Jahr 2022 glaube ich das nicht mehr und halte eine russischen Atomwaffeneinsatz mit jeder höhnischen Meldung über die Unfähigkeit der russischen Armee, über debakulierende Moskauer Militärs und triumphale Verkündigungen Kiews, für wahrscheinlicher und wahrscheinlicher.

[….]  Wie weit Putin bereit ist zu gehen, hat er bereits durch die Mobilmachung gezeigt. Es ist wahrscheinlich seine bisher unpopulärste Entscheidung. Selbst die Gewissheit, dass er dadurch viel Unterstützung im eigenen Volk verlieren wird, hat den Kremlherrscher nicht abgeschreckt. Das Lewada-Zentrum hat die Russen zu ihren Gefühlen seit der Mobilmachung gefragt, fast die Hälfte der Befragten empfand "Beunruhigung, Angst, Entsetzen", 23 Prozent fühlten "Schock", 13 Prozent "Wut".   [….]

(SZ, 07.10.2022)

Wenn Putin aber schon ohne zu zaudern, seine heimische Machtbasis riskiert, ist nicht erkenntlich, wieso er bei noch schlechterem Kriegsverlauf vor einer Mini-Nuke zurückschrecken sollte..

[….]  Die Lage ist für Putin so prekär, dass der Kremlherrscher zur ultimativen Drohung griff: »Falls unsere territoriale Integrität angegriffen wird und wir Russland und das russische Volk verteidigen müssen, werden wir sicherlich auf alle Waffensysteme zurückgreifen, die wir haben«, sagte Putin bei der Ankündigung der Mobilmachung vor zweieinhalb Wochen. »Dies ist kein Bluff.« [….] Der Westen hat es mit einem Kremlherrscher zu tun, der nicht mehr nur um Prestige und Einflusssphären kämpft, sondern um das nackte Überleben. Wenn er den Krieg in der Ukraine verliert, muss Putin um seine Macht fürchten. Das macht die Lage so gefährlich. Als Ex-Kanzlerin Angela Merkel in der vergangenen Woche einen ihrer seltenen öffentlichen Auftritte absolvierte, warnte sie eindringlich davor, die Drohungen Putins nicht ernst zu nehmen.

US-Präsident Joe Biden ging am Donnerstag sogar noch weiter und verglich die Lage mit der atomaren Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion auf Kuba vor 60 Jahren. »Seit Kennedy und der Kubakrise hatten wir nicht mehr eine derartige Aussicht auf ein Armaggedon«, sagte Biden bei einer Spendenveranstaltung der Demokraten. [….] Dass Biden nun öffentlich von »Armaggeddon« redet, ist das bislang deutlichste Signal aus Washington, wie ernst die US-Regierung die Gefahr einer Eskalation mit Nuklearwaffen nimmt. Er kenne Putin ziemlich gut, sagte Biden am Donnerstag. Und der Kremlchef scherze nicht, wenn er über den potenziellen Einsatz taktischer Atomwaffen sowie Chemie- und Biowaffen spreche, da das russische Militär in den Kampfhandlungen in der Ukraine schwächele. [….] Erstmals seit Langem werden nun in Washington, Berlin und Paris wieder Szenarien durchgespielt, wie eine nukleare Katastrophe aussehen könnte. Es fallen wieder Wörter, die mit dem Kalten Krieg in den Geschichtsbüchern verschwunden schienen: Erstschlag, radioaktiver Niederschlag, Abschreckung. [….]

(SPON, 07.10.2022)

Ich kann mir gut vorstellen, wie in ein paar Jahren die verbliebenden 10% der einstigen europäischen Bevölkerung um die letzten Iod-Tabletten kämpfen und sich fragen, wieso sie sich 2022 nicht vorstellen konnten, daß es wirklich zum Atomkrieg kommt. Und wieso einem angesichts über sieben Milliarden Toten nicht völlig egal war, ob die Ukraine zu Russland gehört.

Donnerstag, 6. Oktober 2022

Danke Andrij Melnyk

 Wir erleben gerade eine Häufung großpolitischer Dilemmata.

Ist es pazifistisch, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern? Oder unterstützt man nicht womöglich gerade mit der Verweigerung von Panzerlieferungen, einen Kriegstreiber?

Ist es mit den humanistischen Grundüberzeugungen vereinbar, ausgerechnet bei den antidemokratischen, frauenverachtenden Scharia-Regimen Flüssiggas zu kaufen und alle Augen, inklusive Hühneraugen, zuzudrücken, wenn dort Regimegegner totgepeitscht und Schwule gesteinigt werden? Oder nimmt man eher das Sterben in der Ukraine in Kauf, bezieht Nordstream2-Gas, weil in Russland wenigstens Frauen gleichberechtigt sind und Schwule nicht für das Schwulsein an sich hingerichtet werden?

Können wir bei rasant fortschreitender Erderwärmung, tödlichen Hitzesommern, schmelzenden Gletschern, steigendem Meeresspiegel und immer mehr Extremwetter-Toten weltweit, unsere CO2-Dreckchleudern wieder anwerfen und Garzweiler-Dörfer wegbaggern, weil die Grüne Landesregierung nun auf Braunkohleabbau setzt? Oder muss die Bekämpfung des Klimawandels Toppriorität haben, auch wenn dann bei gesprengten Pipelines im Winter womöglich das Licht ausgeht?

Kann man ausgerechnet als Sozialdemokrat einen 100-Milliarden-Wumms für die Bundeswehr und einen 200-Milliarden-Doppelwumms für die Energiekonzerne bezahlen, während für die Sanierung maroder Schulen, bessere Bezahlung von Pflegekräften und sozialer Sicherung verarmter Senioren kein Geld da ist? Oder muss man genau das tun, weil ohne den Trippel-Wumms bald kein Deutschland mehr da wäre, in dem man Menschen in Altersarmut besserstellen könnte?

Muß man als FDP-Finanzminister 300 Milliarden Euro unter Verwendung dubioser Buchungstricks in Schattenhaushalte schieben, auch wenn Lindner das als Oppositionspolitiker als Todsünde am Bundestagsrednerpult zerrissen hätte? Oder beharrt man auf Schwarzer Null und nimmt dafür die gewaltigste Rezession seit 80 Jahren in Kauf?

Muss man als sozialdemokratischer Politiker ein Herz für die möglicherweise eine Million ausländischen Pflegerinnen in deutschen Haushalten haben, die für umgerechnet einen Euro die Stunde arbeiten und 24/7 verfügbar sind? Muss man nicht dringend Arbeitsgerichtsurteile umsetzen und dafür sorgen, daß diese ausgebeutete Polinnen und Ukrainerinnen und Weißrussinnen tariflich bezahlt werden? Oder soll man vor möglicher Ausbeutung polnischer Arbeitskraft die Augen zudrücken, weil man anderenfalls eine Millionen zu Hause lebender Pflegebedürftiger dazu verurteilen würde, gegen ihren Willen „ins Heim“ zu ziehen, obwohl es diese Heimplätze gar nicht gibt und dann außerdem all die Polinnen und Rumäninnen arbeitslos würden?

16 Jahre Merkelsche Untätigkeit haben Deutschland an so vielen Stellen in eine so schwierige Lage gebracht, daß sich weiteres Aussitzen verbietet, auch wenn nur die Wahl zwischen sehr schlechten und katastrophal üblen Entscheidungen bleibt.

Ein weiteres Dilemma bilden nun die Flüchtlinge aus Russland. Ganz sicher lebten sie schon seit Jahren nicht mehr in einem freien Land und wurden durch die massive Kreml-Propaganda und die Hetze der russisch-orthodoxen Kirche indoktriniert. Ich gehöre nicht so den vielen Hobby-Nationalsoziologen, die genau erklären „wie Russland tickt“. Die Summe aller Berichte überzeugt mich aber dahingehend, daß eine große Majorität des russischen Volkes hinter Putin steht, den Krieg gegen die Ukraine befürwortet und es sehr begrüßen würde, sich das Ukrainische Staatsgebiet einzuverleiben. Dagegen öffentlich zu opponieren ist extrem gefährlich und entsprechend mutig.

Die Teilmobilmachung, mit der von eben auf jetzt 300.000 russische Männer unsanft eingesammelt und an die Front geschickt werden, ändert nun allerdings alles.

Zum einen beweist es, wie schlecht es für die russische Armee läuft und zum anderen unterstützt sich ein Krieg, bei dem man selbst sterben könnte, viel weniger leicht als einer, den andere für einen kämpfen.

Das sah man besonders deutlich, als 2001-2003 die US-Republikaner enthusiastisch für einen Angriff auf den Irak trommelten. Ihre eigenen Söhne waren natürlich keine Soldaten. Der selbsternannte Militärfreund Donald Trump ist das beste Beispiel: Er gehört zu dem Jahrgang, der durch die allgemeine Wehrpflicht dazu gezwungen wurde, in Vietnam zu kämpfen. Eigentlich. Aber in Wahrheit kämpften dort eher die armen und schwarzen Amerikaner, während die Millionärssöhnchen George W. Bush und Donald Trump natürlich Wege fanden, um sich zu drücken. Und selbstverständlich war auch kein Trump- oder Bush-Kind in der US-Army.

[…] Der russische Rapper Ivan Petunin - Künstlername Walkie T - hat offenbar Selbstmord begangen, um sich einer Einberufung zum Krieg gegen die Ukraine zu entziehen. Die russische Seite "Star Hit" berichtet, Petunin sei in seiner südrussischen Heimatstadt Krasnodar aus dem 10. Stock eines Hochhauses gesprungen. Der 27-Jährige hinterließ demnach ein Abschiedsvideo auf Telegram. Darin heißt es: "Wenn ihr das Video seht, bin ich nicht länger am Leben. Ich kann meine Seele nicht mit der Sünde des Mordens belasten. Ich bin nicht bereit, für irgendwelche Ideale zu kämpfen."  [….]

(NTV, 01.10.2022)

Ich kann unmöglich seriös beurteilen, wie viele der jungen Russen, die vor Putins Einberufung ins Ausland fliehen, Oppositionelle sind. Wie viele den Krieg ablehnen, wie viele in derartige Gewissensnöte wie Ivan Petunin geraten, wie viele „nur Angst“ haben (ich hätte Angst und zwar genügend Angst, um mich mit allen Mitteln zu drücken), wie viele sowieso schon länger ausreisen wollten, wie viele Freunde der Ukraine sind.

Wie verhält sich nun Deutschland dazu? Muss man als Kriegsgegner nicht jeden Deserteur oder Wehrpflichtflüchtling kompromisslos unterstützen? Aber wäre die Anwesenheit von den russischen Männern in Deutschland nicht eine Zumutung für die über eine Million geflüchteten Ukrainer?

[…]  Mein Herz bricht gerade an zwei Stellen. Ich verstehe die Ängste vieler Ukrainerinnen, die Sorge haben, wenn sie deutschen Politiker:innen zuhören, die die Aufnahme dieser Kriegsdienstverweigerer fordern. Sorge, weil sie Angst vor Retraumatisierung haben. Weil ungewiss ist, wer diese Männer sind und welche Haltung sie zu diesem Krieg und der Ukraine mitbringen. Diese Angst ist nachvollziehbar angesichts des Leids, das Russen der ukrainischen Bevölkerung angetan haben.  Mein Herz bricht aber auch bei den Bildern mutiger Menschen, die gegen den russischen Krieg und die Mobilmachung auf die Straße gehen, die verhaftet und in Gefängnissen gefoltert werden; bei Nachrichten wie die über den jungen russischen Dichter Artjom Kamardin, der für ein Anti-Kriegs-Gedicht von Polizisten geschlagen und mit einer Hantel vergewaltigt wurde. Er wurde zu zwei Monaten Haft verurteilt. Ein Bild aus dem Gerichtssaal zeigt ihn mit Wunden im Gesicht. Mit seinen Händen formt er ein Herz.  An Menschen wie Artjom Kamardin sollte gedacht werden, wenn es von deutschen Moralaposteln wieder heißt, die Menschen in Russland würden ja nicht protestieren. In einer Gesellschaft, in der trotz wiederkehrender Proteste immer alles schlimmer geworden ist, geht das Gefühl, eine treibende Kraft politischer Veränderung sein zu können, irgendwann verloren. Die Proteste in Russland mögen überschaubar sein, aber auch deshalb, weil staatliche Repressionen so stark geworden sind, dass man es sich zweimal überlegt: riskiert man Verhaftung, Gewalt, Folter? […]

(Erica Zingher, 01.10.2022

Wenig verwunderlich, daß Putin-Freund Merz schon mal gegen die Aufnahme weiterer Kriegsflüchtlinge aus Russland polemisiert und hetzt. 

In diesem Fall gibt es glücklicherweise einen Indikator, wie man sich moralisch richtig verhält. Man muss nur lesen, was Andrij Melnyk dazu herausposaunt. Der Mann ist so ein rechtsradikales Arschloch, daß man nur das Gegenteil dessen tun muss, was er will, um goldrichtig zu liegen.

[…] Melnyk twitterte am Donnerstag im Zuge der Debatte gewohnt klare Worte: „Falscher Ansatz! Sorry. Junge Russen, die nicht in den Krieg ziehen wollen, müssen Putin und sein rassistisches Regime endlich stürzen, anstatt abzuhauen und im Westen Dolce Vita zu genießen.“  In weiteren Tweets legte er am Donnerstagabend nach. Die Bundesregierung sei bereit, „russische Deserteure willkommen zu heißen“ und folge der Prämisse „Hauptsache: Putin nicht provozieren“, so Melnyk. [….]

(Peter Stroß, 23.09.2022)

Also ja, Deutschland, wenn Melnyk derartig schäumt, sollten wir unbedingt großzügig jedem Russen, der nicht in der Ukraine morden will, Asyl gewähren!