Montag, 9. Oktober 2023

Rechtspopulistisches Versagen

Es ist ein Glück. Durch die heute nahezu jedem zur Verfügung stehenden Technik, kann man das Weltgeschehen live und in Farbe über ein nur wenige Gramm schweres 6-Zoll-Gerät verfolgen und sich dabei umfassend informieren.

Es ist ein Pech. Durch die heute nahezu jedem zur Verfügung stehenden Technik, kann man das Weltgeschehen live und in Farbe über ein nur wenige Gramm schweres 6-Zoll-Gerät verfolgen und dabei unweigerlich in Depressionen verfallen.

Nach den gestrigen Wahlen und den grauenvollen Bildern aus Israel, ist wieder einer dieser Tage, an denen man sich eine Auszeit von der Welt wünscht, die aber nun einmal unmöglich ist.


Die Konsequenzen der rechtspopulistischen Spalter in Regierungsverantwortung – Trump in Washington und Natanyahu und Jerusalem – erleben wir jetzt.

[…..] Israels Präsident Izchak Herzog geht davon aus, dass seit dem Holocaust nicht mehr so viele Juden an einem Tag getötet worden sind, wie bei den Terrorattacken der Hamas am Samstag. Eine konkrete Zahl nannte der Präsident nicht. „Seit dem Holocaust haben wir nicht mehr erlebt, wie jüdische Frauen und Kinder, Großeltern – sogar Holocaust-Überlebende – in Lastwagen gepfercht und in die Gefangenschaft gebracht wurden“, sagte er in einem auf X zu sehenden Video.

Auch unschuldige Muslime und andere Gläubige hätten die Hamas-Anhänger gefoltert. Ganze Familien seien kaltblütig ermordet worden. „Wir werden mit voller Kraft und unerschütterlichem Engagement handeln, um diese Bedrohung für unser Volk zu beseitigen“, so der Präsident. Hamas habe die Grausamkeit des sogenannten Islamischen Staates übernommen. Die Angreifer seien kaltblütig in Häuser eingedrungen und hätten ganze Familien ausgelöscht. Dies alles zeuge von der Brutalität, Unmenschlichkeit und Barbarei von Monstern. „Nicht von Menschen, Monstern“, setzte Herzog nach.  [….]

(SZ live, 09.10.2023)

IQ45 hatte seinen zutiefst korrupten und menschenfeindlichen Schwiegersohn eingesetzt, um, wie Trump offenbar glaubte, mal eben den Nahost-Konflikt zu lösen.

Jerusalem als Hauptstadt anerkannt, um die Hamas maximal zu reizen.

Aber die Welt ist nicht so einfach, wie es sich ein ungebildeter Golfer aus Florida vorstellt. In Kombination mit Bibi, dem rechtsradikalen Antidemokraten mit schwerer Macht-Hybris, wurde ein toxisch-tödliches Gemisch angerührt. Es scheint wirklich so zu sein, wie Stephan Stetter von der Bundeswehr-Uni in den Tagesthemen vom 07.10.2023  andeutete; die israelischen Geheimdienste waren womöglich gar nicht so ahnungslos und haben ihre Regierung durchaus gewarnt. Allein, die rechtsradikalen Irrem Im Bibi-Kabinett hatten anderes zu tun.

[…..] Das pogromartige Gemetzel, das die islamistische Hamas am vergangenen Samstag an israelischen Zivilisten veranstaltet hat, ist in der Geschichte des Landes einzigartig. Die Verantwortung dafür tragen allein die palästinensischen Terroristen. Doch dass sich Israel in solch einer Situation wiederfindet, nämlich geschwächt, überrascht, attackiert, hat viel mit der Politik des israelischen Premiers Benjamin Netanyahu zu tun.

Netanyahu ist klarer Gegner einer Zweistaatenlösung. […..] Damit teilt er ein Ziel mit der ideologischen Siedlerbewegung. Auch sie will das Gebiet behalten, aber aus theologischen Gründen: Weil es Teil des von Gott an die Juden verheißenen Landes sei. Diese Gründe interessieren ihn weniger. Und doch unterstützt er die Siedler seit den Anfängen seiner politischen Karriere. […..] Da Netanyahu stets klar war, dass eine offizielle Annexion des Westjordanlands weder von den USA noch von einem Großteil der weiteren Staaten akzeptiert werden würde, ließ er sie inoffiziell geschehen. […..] Gleichzeitig aber betrieb er eine Politik des »divide et impera«, des Teilens und Herrschens. Er begrüßte die Spaltung der Palästinenser in zwei Lager: mit Palästinenserpräsident Abbas im Westjordanland auf der einen Seite und der radikal-islamischen Hamas in Gaza auf der anderen Seite. Sie führte zu einem kompletten Stillstand des Friedensprozesses. Das wiederum war Netanyahu wohl nur Recht. Dass man auf Dauer ein Volk mit knapp sechs Millionen Menschen nicht unter Besatzung halten kann, ließ er unter den Tisch fallen. […..] Der Überfall der Hamas am vergangenen Samstag hat diesen Friedensvertrag in weite Ferne gerückt. Und bewiesen, dass Netanyahus Politik der reinen Krisenverwaltung nicht funktioniert. […..] Dass eine Explosion in den Palästinensergebieten kommen würde, davor hatten Geheimdienste und Militärs schon lange gewarnt. Nach dem Wahlsieg im vergangenen November, der Benjamin Netanyahu nach knapp anderthalb Jahren wieder zurück an die Macht brachte, schmiedete er die rechtsextremste und ultrareligiöseste Koalition in der Geschichte des Staates Israel. […..] Nicht nur die Kampfkraft der Armee begann zu leiden, schlimmer noch: Die Feinde Israels beobachteten genau, wie sich Israel innenpolitisch selbst zerlegte. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand in der Nachbarschaft Israels diese Situation ausnutzen würde, war groß. Genau davor hatten die Militärs Angst. Wie desinteressiert Netanyahu war, zeigte sich Anfang Juli, als kurz vor der Verabschiedung eines ersten Gesetzes der Justizreform Generalstabschef Herzl Halevi seinen Premier in der Knesset aufsuchte, um ihn über die Sicherheitslage zu briefen. Netanyahu weigerte sich, vor der Abstimmung für das Gesetz mit Halevi zu reden.

Netanyahu schien sein eigenes Wohl wichtiger zu sein als das des Landes und seiner Bürger. Und um an der Macht zu bleiben, um eines Tages seinen Prozess beenden zu können, gab er seinen Koalitionspartnern, was auch immer sie forderten. Sie hatten ihn in der Hand, allen voran der rechtsextreme Nationale Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich. Letzterer gibt der Siedlerbewegung immer mehr Geld, um immer schneller neue Siedlungen zu bauen, um die Annexion des Westjordanlands voranzutreiben. Smotrich und Ben-Gvir machen keinen Hehl aus ihren Plänen. Die Folgen dieser Politik waren unübersehbar. Immer häufiger kam es zu Anschlägen von palästinensischer Seite, immer härter griff die Armee durch. Die Zahl der Toten auf beiden Seiten wuchs. Und ebenso wuchs die Selbstermächtigung der radikalen Siedler, die nun zwei der ihren in der Regierung wussten. […..]

(Richard C. Schneider, 09.10.2023)

Ja, sicher, kurzfristig stehen Israelis zusammen. Sie spenden alle Blut. Stellen sich ohne Wenn und Aber hinter ihre Armee und die Regierung. Aber sie werden den Blutzoll aus dem Oktober 2023 nicht vergessen, die Demütigung verinnerlichen und Netanyahu künftig auch an den mutmaßlich weit über 100 israelischen Geiseln in der Hand der Hamas messen.

[…..] Der israelische Staat hat gleichzeitig sein Grundversprechen auf Abschreckung und Verteidigung vernachlässigt. Die Sicherheit der Grenzen und der Schutz durch die Freunde waren geschwächt. Das Land, das stets und vor allem anderen darauf achten musste, möglichst wenig verwundbar und angreifbar zu sein, war abgelenkt. […..] Premierminister Benjamin Netanjahu mag sich noch so sehr als eiserner Beschützer gerieren. Aber seine Machterhaltungsstrategie der vergangenen Jahre, die obskuren Winkelzüge im Koalitionsspiel und die ideologische Polarisierung des Wahlvolks haben Israel gefährdet. Eine Bevölkerung von nicht mal zehn Millionen Menschen kann sich die Spaltung nicht erlauben, die Netanjahu aus niedrigem, politischem Überlebensinstinkt befeuert hat. Die Verfassungskrise hat den Bruch zwischen der radikalen Netanjahu-Front samt ihrer obskuren Koalition und den Institutionen des Staates sichtbar gemacht. Militär und Sicherheitsapparat haben sich Netanjahu offen verweigert. Die Spaltung des Landes verläuft mitten durch die Dienste. Das hat sie geschwächt und ihren Fokus verschoben. […..] Auch die Bedingungen in Israels Nachbarschaft haben sich zu Ungunsten des Landes verändert. Die von Donald Trump willkürlich inszenierte Abraham-Übereinkunft zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie Bahrain hat Israel freie Hand in der Siedlungspolitik gegeben. Palästinensische Interessen wurden dabei marginalisiert und ignoriert. Die arabischen Staaten haben diesem seltsamen Deal zulasten Dritter zugestimmt, weil sie einen Vorteil daraus zogen: Isoliert wurde vor allem Iran, ihr Gegner und die Patronatsmacht von Hamas und Hisbollah. So geriet der Gazastreifen zum weißen Fleck auf der Landkarte, eine terroristische Brutstätte unter iranischer Obhut. Der Terrorangriff belegt nun brutal, wie undurchdacht und kurzlebig diese Verabredung war. Die Sympathien vieler Araber werden am Ende wie stets den Palästinensern gelten, der Hamas-Terror wird zum heldenhaften Widerstand stilisiert. Dass es vor allem diese Organisation ist, mit der kein Frieden zu finden ist und die auf dem Rücken der Gaza-Bewohner ihr Mordgeschäft betreibt, geht im Schlachtenlärm unter. […..]

(Stefan Kornelius, SZ, 09.10.2023)

Tom Segev berichtet ebenfalls von dem schweren Versagen seiner Regierung. Eine starke Arme zu haben, ist das eine. Aber eine zutiefst inkompetente rechtsradikale Regierung zu haben, das andere.

[…..]  Als der Historiker am Tag zuvor um sechs Uhr früh in seiner Wohnung in Jerusalem Sirenen und Raketenalarm gehört hatte, schaltete er den Fernseher ein, ehe er in den Schutzbunker flüchtete. Beim Anblick der Bilder habe er zuerst gedacht, es handle sich um einen der vielen Filme über den Jom-Kippur-Krieg, die in den vergangenen Wochen ausgestrahlt wurden, sagt Segev. Immer wieder habe es geheißen, so etwas könne erneut drohen. "Offenbar hat man sich nur theoretisch damit beschäftigt, aber nicht für den Ernstfall vorbereitet. Es ist genauso eine Situation wie 1973."

Segev ist einer der international bekanntesten israelischen Historiker, er hat Standardwerke zur Geschichte seines Landes verfasst und sich intensiv mit der Zeit der Staatsgründung 1948 und mit den nachfolgenden Kriegen auseinandergesetzt. Er verweist darauf, dass auch dieser Krieg 1973 mit einem Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens am 6. Oktober, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, auf dem Sinai und den Golanhöhen, begonnen hatte. […..] "1973 haben die Dinge in Israel nicht funktioniert. Jetzt ist es wieder so", sagt Segev. Eine Milliarde Euro habe man in den angeblich sichersten Grenzzaun investiert. "Und dann kommen die Jungs aus dem Gazastreifen mit einem Bulldozer und reißen das einfach weg." […..]

(SZ, 08.10.2023)

Die militärische Aufgabe, die vor der politischen Führung liegt, scheint ohne schwere Verluste und Menschenrechtsverletzungen nicht lösbar zu sein. Militärexperten geben äußerst düstere Prognosen.

[…..] Wenn Israel die Kontrolle über sein eigenes Territorium zurückerlangt hat, beginnt die heiße Phase der Bodenoperation. Dabei wird Israel sich aller Wahrscheinlichkeit zunächst auf die Befreiung der israelischen Geiseln konzentrieren. Sollte der Geheimdienst Informationen darüber haben, wo sich die Geiseln aufhalten, werden wohl zunächst Spezialkräfte in Gaza operieren, um diese zu befreien. Erst danach würde es zu einer massiven Bodenoffensive kommen, die im urbanen Gelände stattfindet und aller Wahrscheinlichkeit nach einen hohen Blutzoll nach sich ziehen wird - auch auf israelischer Seite. […..] Unklar ist, was nach einer erfolgreichen Bodenoffensive (die Monate dauern kann) passieren wird. In Israel gibt es durchaus Stimmen, die fordern, den Gazastreifen erneut zu besetzen.

Man sollte sich dabei aber keine Illusionen machen. Eine dauerhafte Besetzung des dichtbesiedelten Fleckens der Welt würde jahrelange Spannungen und terroristische Aktivitäten gegen Israel in Gaza und in Israel nach sich ziehen. Deshalb erscheint es eher unwahrscheinlich, dass Israel diese Option ernsthaft ins Auge fasst.

Doch Israel kann sich nicht nur auf die Operation in Gaza konzentrieren. Es muss auch sicherstellen, dass keine ihm feindlich gesonnenen Akteure eine zweite Front eröffnen. Und diese zeichnet sich gerade im Libanon ab, wo die Hisbollah Raketen auf den Norden Israels abfeuert. Und auch aus Syrien könnte die Gefahr einer Eskalation gegenüber den Golanhöhen drohen.  [……]

(Carlo Masala, ZDF, 09.10.2023)

Es ist vielleicht der einzige winzige Lichtblick der Katastrophe, daß die Israelischen Wähler endlich erkennen mögen, wohin ihr Dauerregierungschef Netanyahu sie steuert. Möge er endlich abgewählt und durch den Verlust seiner Regierungsimmunität genau wie sein amerikanischer Orange-gesprühter Zwilling im Knast verrotten.

[…..] Geschwächt war der israelische Sicherheitsapparat diesmal durch die innenpolitischen Konflikte, überdehnt durch die irregeleitete Siedlungspolitik der rechtsreligiösen Regierung, die mehr Militär als je zuvor im Westjordanland gebunden hat. Die Regierung wiegte sich dennoch in trügerischer Sicherheit, nachdem selbst Saudi-Arabien zu einem politischen Ausgleich bereit zu sein schien. Die Hamas und zweifelsohne ihre Helfer in Iran haben diese doppelte Angreifbarkeit erkannt, sie wollten Israel treffen und dem saudischen Herrscher die Macht der Straße vor Augen führen.  […..]

(Stefan Kornelius, SZ, 10.10.2023)

Was für ein Desaster!

Sonntag, 8. Oktober 2023

Nicht weiter Feuer ins Öl gießen!

Die heißen auch noch alle so ähnlich; Stoiber, Streibl, Weigel; sagen wir doch einfach Stroibel“ – so analysierte die Scheibenwischer-Crew um Dieter Hildebrandt zum CSU-Amigo-Desaster der Post-Strauß-Phase.

Für Markus Söder, 1995 bis 2003 Landesvorsitzender der JU Bayern, erfand Bruno Jonas eigens das Verb „södern“, um eine selbst für CSU-Verhältnisse besonders niederträchtige und perfide Politmethode zu charakterisieren. Söders „Schmutzeleien“ (Seehofer) sind seit Dekaden so bekannt, daß ich schon im letzten Jahrtausend bange meine bayerischen Verwandten fragte „Ihr habe ja wirklich schon üble Ministerpräsidenten gewählt, aber Söder ist doch wohl hoffentlich selbst für die CSU und selbst für Bayern komplett unwählbar, oder?“

Im folgenden Vierteljahrhundert vermochte es der Franke, mir kontinuierlich noch unsympathischer zu werden. Seine legendäre Illoyalität innerhalb der CSU, insbesondere gegenüber seines zutiefst verhassten Vorgängers Seehofer, war im Land der Biersäufer offenbar aber mitnichten ein Hindernis auf dem Weg nach ganz oben in Partei und Staat.

Er ist mit Sicherheit der eitelste und am meisten in sich selbst verliebte Ministerpräsident Deutschlands, der sich so ungeniert unablässig selbst lobt, daß er als Kanzlerkandidat in nördlichen Bundesländern hoffentlich für breite Schichten unwählbar gilt.

Heute aber, am Abend der bayerischen Landtagswahl, als er zum dritten Mal (Landtagswahl 2018, Bundestagswahl 2021 und LTW23) das schlechteste CSU-Ergebnis aller Zeiten holte, nötigte mir seine Chuzpe ungeniert zu lügen, fast so etwas wie Respekt ab: "Es ging uns nie um einen Schönheitspreis, aber um einen klaren Regierungsauftrag", sagt Söder.

Das diametrale Gegenteil ist der Fall: Es geht Söder fast ausschließlich darum, stets als Schönster und Größter dazustehen. Erneut alle seine  Parteivorgänger unterboten zu haben, erfordert einige Verrenkungen beim Schönreden des Ergebnisses.

[….] "Am Ende kommt es auf den Ministerpräsidenten an", so oder ähnlich hatte es Markus Söder in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt - womit der CSU-Vorsitzende sich einigen Spielraum nahm, die Verantwortung für eine mögliche Wahlniederlage irgendwo anders abzuladen als bei sich selbst. Und dass er die bayerische Landtagswahl früh als "Schicksalswahl" tituliert hatte, konnte man sowohl auf die CSU münzen als auch auf ihn höchstpersönlich. Nicht ohne Grund betont er am Wahlabend seine Persönlichkeitswerte in Umfragen, die stets besser waren als die Werte der CSU insgesamt.

Und was könnten 36,8 Prozent nun für die Frage bedeuten, ob Söder nochmal mitlaufen darf im Rennen um die Kanzlerkandidatur der Union? Vor der Wahl schien die Ausgangslage fest umrissen. Würde die CSU deutlich unter den 37,2 Prozent der Bayern-Wahl 2018 bleiben, wären seine Kanzlerchancen ziemlich dahin. Würde er das Ergebnis steigern, vielleicht sogar deutlich, wären seine Chancen entsprechend gewachsen. Am frühen Sonntagabend sieht es danach aus, als bekämen Söders Kanzlerkandidatenchancen mindestens einen Dämpfer.  [….]

(SZ, 08.10.2023)

Und damit zu den Ergebnissen der hessischen und bayerischen Landtagswahl von heute. Es wurde der erwartete allgemeine deutliche Rechtsruck. Es wurde, ebenfalls erwartet, ein Desaster für alle drei Ampelparteien.

Die Wahlanalysen von ARD und ZDF zeigen es; als Linksgrünversiffter, dem humanistische Werte und Menschenrechte wichtig sind, der nicht Tausende Menschen im Mittelmeer ersaufen sehen mag, bin ich in einer klaren Minderheit.

CDU, AFD, FDP, SPRINGER, BILD, Julian Reichelt, FW, CSU, PEGIDA und Rechtspopulisten aller Art, haben es vermocht, das Thema Migration zum Giga-Popanz aufzublasen. In der „Berliner Runde“ war Kevin Kühnert der einzige von sieben Parteienvertretern, der sich nicht dem Pöbel ergab und pauschal Migranten als größtes Problem adressieren wollte, sondern klug auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt verwies.

[….] Vor einfachen Antworten auf komplexe Fragen warnte Kühnert in der Berliner Runde. Man brauche reale Lösungen für reale Probleme, keine Parolen. Diese würden Menschen aufwiegeln, sagte der SPD-Generalsekretär.  […..]

(Tagesschau, 08.10.2023)

Die arme hoffnungslos überforderte Grüne Bundesgeschäftsführerin Emely Büning wollte vermutlich etwas ähnliches ausdrücken, stammelte aber bloß undeutlich in Richtung Linnemann, es helfe nicht weiter, Feuer ins Öl zu gießen. Zahlen, Fakten, deutliche Worte – Büning lieferte wieder einmal NICHTS davon.

Statt einer Million Asylanträge wie 2015/2016 haben wir es 2023 mit unter 200.000 Anträgen zu tun.

Die Lage ist aber insofern verschärft, weil Deutschland heute viel mehr als noch vor acht Jahren unter dramatischen Personal- und Wohnungsmangel leidet.

Es gibt zu wenig Pfleger, zu wenig Kindergärtner, zu wenig Lehrer, zu wenig von allen. Wir brauchen unbedingt viel Zuwanderung.

Die personellen Kapazitäten, sich um die Geflüchteten zu kümmern sind also kleiner.

Zudem gibt es zwei weitere entscheidende Unterschiede zu 2015:

·        Pandemie, Krieg, Inflation und Energiewende haben die Menschen gestresst; die Nerven liegen blank.

·        Zudem wird die CDU heute von einer klar rechtspopulistischen und nicht an Lösungen interessierten Person geführt.

Eins bleibt aber seit der Bundestagswahl 2017 immer gleich und wird bei jeder Wahl neu bewiesen: Wenn demokratische Parteien anfangen, ihre eigene Konzeptionslosigkeit mit menschenfeindlicher Rhetorik zu kompensieren, rechtspopulistisch blinken und AfD-Sprech nachplappern, stärken sie immer nur das Original und werden selbst abgestraft.

Der hessische CDU-Ministerpräsident Boris Rhein ging auf deutliche Distanz zu seinem xenophoben Parteichef Merz, widersprach seiner gelogenen Zahnarzt-Suada und der Absurdität, die Grünen zum Hauptgegner zu küren. Rhein gab sich betont moderat, ging auf Günther-Kurs und gewann sensationell 7,5 Prozentpunkte hinzu.

Der bayerische CSU-Ministerpräsident Söder hingegen tat das Gegenteil. Er wetterte genau wie Merz gegen die Grünen und kopierte die rechtsextremen Aussagen der AfD. Dafür kassierte seine CSU das schlechteste Landtagswahlergebnis seit 1950. Die beiden rechtsextremen Landtagsparteien AfD und FW hingegen, schossen auf Rekordwerte hoch.

Genauso verbohrt wie Söder und Merz, beharren auch die Hepatitisgelben auf ihrem Irrweg, attackieren die Grünen und versuchen sich als maximal migrantenfeindlich zu inszenieren.

Auch hier jeweils mit klarem Ergebnis: Die FDP flog aus dem hessischen Landtag. Die FDP flog aus dem bayerischen Landtag. Während die Grünen in beiden Bundesländern dem desaströsen Bundestrend trotzen konnten und jeweils ihre zweibesten Ergebnisse ihrer Geschichte holten.

Aber auch FDP-General Bijan Djir-Sarai ist strikt unbelehrbar, will diesen xenophoben Kurs, der seine Partei immer wieder direkt ins parlamentarische Aus schießt, noch verstärken und glaubt irrsinnigerweise, genau das, was die Ampel so unbeliebt macht, nämlich die ständigen Querschüsse der FDP, die jeden Erfolg überdecken, sollten noch verschärft werden.

Die Definition von Wahnsinn ist: immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

(Albert Einstein)

Ich werfe der Porschepartei diesen Irrsinn schon lange vor, inzwischen sehen es viele Journalisten so.

Allein, Lindner und Co sind offenkundig völlig erkenntnisresistent.

[….] Die Zustimmung für Parteichef Christian Lindner sei »sehr, sehr groß«, hatte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem SPIEGEL gesagt. Und tatsächlich gibt es innerhalb der Partei keine erkennbaren Bestrebungen, den Vorsitzenden infrage zu stellen, trotz seiner schlechten Wahlbilanz. Dennoch werden ab morgen die Diskussionen in der Parteiführung losgehen: Was muss die FDP ändern, um wieder mehr Stimmen zu erlangen? Ihr Kurs der letzten Monate, sich innerhalb der Ampel sehr deutlich und offensiv mit eigenen Themen und Vorstellungen zu profilieren, hat offensichtlich nicht funktioniert. Auch die scharfe Attacke gegen den grünen Koalitionspartner (»Sicherheitsrisiko«) hat sich offenbar nicht in Zugewinnen ausgezahlt. Wird die FDP unter Christian Lindner jetzt also zahmer, konzilianter? Kaum vorstellbar.  [….]

Martin Knobbe, SPON, 08.10.2023)

Bedauerlicherweise ließ es auch Kerstin Palzer, Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio, in der Berliner Runde so stehen, als Linnemann Grenzschließungsorgien und Djir-Sarais Betonung des „Asylkompromisses“ von 1992, als „Problem-Lösungen“  deklariert wurden. Dabei sind gerade genau das nicht, sondern nur Verschiebebahnhöfe.

Dabei liegt in ihnen die Wurzel des Übels: Das Verschließen der Augen vor der Wirklichkeit.

1992 wurden die Asylanten aus Deutschland in die anderen EU-Staaten gedrückt. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Damit hat man aber a) die Integrationslast nur auf andere EU-Staaten verschoben, sich b) aus der Solidarität verabschiedet, damit c) zukünftige gesamteuropäische Asylpolitik erheblich belastet, weil niemand mehr Deutschland traut, sich d) um die Chance gebracht, die dringend benötigte Zuwanderung zur Abmilderung des Fachkräftemangels zu Nutze zu machen und e) keine einzige Fluchtursache abgemildert.

Alles, das rechte Parteien derzeit stolz als „Lösung der Migrationsfrage“ präsentieren, also

Grenzschließungen,

Abschiebungen,

Umdeklarierung von Krisennationen in „sichere Herkunftsstaaten“,

Familiennachzug behindern,

Pushbacks,

Obergrenzen,

Frontex-Aufrüstung,

Mauern und Zäune,

Stopp der Seenotrettung,

möglichst viele Frauen und Kinder zur Abschreckung im Mittelmeer sterben zu lassen, sind allesamt keine „Lösungen.“

Das mildert kein bißchen den Migrationsdruck auf einen einzigen Menschen.

Krieg, Hunger, politische Verfolgung, Klimaerhitzung bleiben nicht nur als Fluchtursachen vollständig erhalten, sondern werden stärker. Der nächste politische Flächenbrand droht gerade rund um Gaza zu entstehen.

Auf konstruktive Lösungen kann ich nicht mehr hoffen.

Vielleicht liegt eher in der Destruktion ein Funke schaler Hoffnung für die Ampelparteien. Söder ist angeschlagen und ein so nachtragender, bösartiger Charakter, daß er sich rächen will.

[……] In Bayern kann die Koalition des Stillstands aus CSU und Freien Wählern weiterregieren. Ob sie aber bis bis zur nächsten Landtagswahl 2028 durchhält, ist zweifelhaft. Denn nun bricht die Zeit der Rache an. In der CSU hat sich gewaltiger Ärger über die Freien Wähler und speziell über deren Chef Hubert Aiwanger aufgestaut. Den wird er schon bald zu spüren bekommen.

Ministerpräsident Markus Söder und Aiwanger waren zwar noch nie Freunde. Nach fünf Jahren am Kabinettstisch verbindet sie inzwischen aber eine gegenseitige Abneigung, die an Feindschaft grenzt. Söder hat seinem impfscheuen Wirtschaftsminister weder die Illoyalität während der Corona-Krise vergessen noch die offene Provokation zuletzt in der Flugblatt-Affäre. Als ihm der Ministerpräsident Demut ans Herz legte, stachelte Aiwanger seine Anhänger weiter auf und stilisierte sich zum Opfer einer vermeintlichen Hetzkampagne. Damit nicht genug, forderte er noch vor der Wahl das Landwirtschaftsministerium - ein Schlüsselressort für die CSU, das Söder auf keinen Fall aufgeben wird.  […..]

(Sebastian Beck, SZ, 08.10.2023)

Samstag, 7. Oktober 2023

Politfatique

 Gestern hatte ich in einem Geschäft eine Unterhaltung mit einer schick angezogenen Hamburger Mittdreißigerin über die USA. Wir kennen uns „vom Sehen“ und sie wußte von meiner US-Staatsbürgerschaft, sprach mich darauf an, weil sie einen Urlaub in Florida (ausgerechnet!) plante.

Wie es manchmal so ist, verquatschten wir uns; sie stieß ein paar Dutzend mal „Ist das krass! Wie krass! KRASS!“ aus und ich zog ebenfalls staunend von dannen.

Sie hatte schon von Donald Trump gehört und wußte von der US-Affinität für Schußwaffen. Allerdings brachte ich drei weitere Stichworte in die Unterhaltung ein, die ihr völlig neu waren und unglaublich erschienen: Oxy, Opioidkrise, legale Leihmutterschaft.

Natürlich weiß ich, daß es Menschen bar jedes politischen Interesses gibt, die nie Zeitungen lesen und gar nicht auf die Idee kämen, wählen zu gehen. Aber wenn man so direkt in seiner eigenen Nachbarschaft damit konfrontiert wird, staunt man eben doch, wie es möglich sein kann, daß jemand Trumps Abwahl gar nicht mitbekommen hat.

Es zeigt sich wieder einmal das altbekannte Dilemma unserer Desinformationsgesellschaft, in der große Teile der Bevölkerung in ihren eigenen Blasen leben, die keinerlei Verbindungen untereinander haben.

Das macht es destruktiven Populisten leicht, Macht und Einfluss zu gewinnen. Das führt die Demokratie ad absurdum, wenn der Souverän durch Realitätsblindheit und politische Apathie gar nicht in der Lage ist, „souveräne“ Entscheidungen zu treffen.

So reiten wir uns als Demokraten immer weiter in den Abgrund, in den wir sehenden Auges, weitgehend passiv hineinschliddern. Selbst wenn man das Glück hat, mit Ach und Krach unter schwieriger Mehrheitsbildung einen Kanzler zu bekommen, der nicht verblödet ist und weiß, was eigentlich dringend getan werden müsste, ist es Scholz fast unmöglich dies umzusetzen, weil das Trägheitsmoment des Urnenpöbels viel zu groß ist, um alle mitzunehmen, ohne daß Populisten und Presse die Regierung zerschießen.

Die einzige Möglichkeit, das Abgleiten der Demokratie in die Dysfunktionalität zu verhindern, wäre enorme Anstrengungen in die Bildung und Aufklärung aller Bevölkerungsschichten.

Es müssten quasi alle Bundesbürger zu Politjunkies mutieren, die ganz genau wissen, wie man seriös recherchiert, Quellen bewertet und nicht das glauben, was ihnen am besten gefällt, sondern das, was wahr ist.

Schluß mit BILD und Reichelt! Süddeutsche und ZEIT für alle.

Die Bürger würden in ihrer Freizeit keinen Love-Island-House der Sommerstars-Trash auf Sat1 glotzen, sondern Dokumentationen auf Phoenix und Arte. In der Konsequenz würden sich große Mehrheiten für vernünftiges Verhalten im Alltag entscheiden, sich Klima-bewusst benehmen, nicht mehr AFDP wählen, kaum Fleisch essen, sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, statt Geld für homöopathischen Murx und esoterische Schwurbler zu verprassen. Man würde seine Verbrenner stilllegen, dafür Bahn fahren. Keine Produkte in Plastikverpackungen oder Coffee to go kaufen. Statt Convenience Food aus frischen Zutaten selbst kochen.

Die Wahrscheinlichkeit, daß es soweit kommt, liegt natürlich fast genau bei Null. Insofern stellt sich die Frage, ob die fröhliche Mittdreißigern im Kostüm auf dem Weg in ihren Florida-Urlaub, nicht klüger ist, als ich. Sie kennt die meisten Probleme gar nicht, glaubt, der lustige Orangehaarige regiert und verplempert keine Zeit mit dem traurigen Dasein als Politjunkie.

Wozu sollte man überhaupt noch Politjunkie werden, wenn einem die so gewonnenen Erkenntnisse unweigerlich mindestens in Pessimismus verfallen lassen, aber auch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Depression und Erschöpfung führen?

Weil man nicht anders kann. Weil doof zu sein, möglicherweise nur für die Klugen verlockend ist, die es sich nicht aussuchen können.

Weil man glückliche Doofe zwar ehrlich beneidet, aber insgeheim doch froh ist, nicht zu ihnen zu gehören. Weil Wissen an sich eine befriedigende Komponente hat, obwohl die Wissensinhalte maximal unbefriedigend sein können.

Aber es macht wirklich müde.

manchmal frage ich mich, warum ich die ganze Zeit so müde bin, aber dann fällt mir ein, dass in den letzten vier Jahren eine Pandemie, eine Wirtschaftskrise, Kriegsausbrüche, eine Energiekrise, eine Inflation und ein paar Naturkatastrophen waren und dann weiß ich warum

(@elhotzo · 6. Okt. 2023)

Heute gönnte ich mir wenigstens ein paar Stunden Auszeit vom Dauer-Nachrichtenkonsum. Morgen klopft schließlich garantiert in Hessen und Bayern wieder das ganz große braune Elend an, der Triumpf der Populisten. Es wird ein ganz mieser Abend!

Aber politische Auszeiten, so etwas wie Digital-Info-Detox, ist eine Illusion. Man kann nur sich anhalten und nicht die Welt.

Das Elend galoppiert unabhängig von meinem Informationskonsum weiter.

Drei Stunden nicht hingesehen und dann steht auf einmal Israel wieder in Flammen, während ich gerade noch, in der gestern Nacht gedruckten SZ, Peter Münchs Geschichte über Yoram Zamos gelesen hatte.

[…..] Im Jom-Kippur-Krieg vor 50 Jahren geriet der jüdische Staat in größere Gefahr als je zuvor und je danach. Zu den Soldaten, die Israel retteten, gehört Yoram Zamosh. […..] 81 Jahre ist er alt, ein fast jugendlich erscheinender Mann in Jeans, in T-Shirt und Turnschuhen. Früher hat er an der Front gekämpft, an vielen Fronten, überall da, wo sein Land ihn brauchte. Auch 1973 war er dabei, im Jom-Kippur-Krieg zwischen dem 6. und 25. Oktober, als Israel der Niederlage, ja dem Untergang so nah war wie nie zuvor und nie mehr danach. Heute, genau 50 Jahre später, kämpft er auf der Straße, bei den Demonstrationen für Israels Demokratie. Es sind andere, friedliche Mittel. Aber es ist die gleiche Mission: "Wir werden unser Land retten", sagt er. Wer Yoram Zamosh in Aseret besucht, einem Dorf im südlichen Zentrum Israels, wo die Straßen ruhig sind und der Blick ins Weite geht, der lernt an diesem einen Lebensweg, wie alles mit allem zusammenhängt: Die Familie mit den deutschen Wurzeln, die im Holocaust fast vollständig ausgelöscht wurde. Der Aufbau Israels, den Yoram Zamosh als "unglaublichen Erfolg" preist und als "Wunder". Und die Verteidigung dieses Landes gegen all die Feinde von außen und nun gegen die Bedrohung von innen.  […..]

(SZ, 07.10.2023)

Und 12 Stunden später meldet dieselbe Quelle:

[…..]    Erneut eskaliert der Konflikt im Nahen Osten: Überraschend greift die radikal-islamische Hamas Israel massiv mit Raketen an.

    Bewaffnete palästinensische Kämpfer dringen auf israelisches Gebiet vor - es ist von Entführungen und Geiselnahmen die Rede. Mindestens 250 Israelis sterben.

    Als Reaktion beschießt Israel Ziele im Gazastreifen. Dabei sterben nach palästinensischen Angaben mehr als 230 Menschen.  […..]

(SZ-Liveblog, 07.10.2023)

Es ist dieser enorm komplexe Konflikt mit so vielen Perspektiven und so vielen Interessen, die berücksichtigt werden müssen, um zu verstehen, was die Kämpfer immer noch antreibt. Je intensiver man sich damit beschäftigt, desto hoffnungsloser wird es.

[…..] 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg erinnert Ausmaß und Zeitpunkt stark an jenen Überraschungsangriff am höchsten Jüdischen Feiertag 1973. Die Hamas versucht, ein Momentum auszunutzen, in der ihr angesichts der bevorstehenden Annäherung zwischen Israel, USA, Saudi-Arabien und auch den Palästinensern im Westjordanland der Bedeutungsverlust droht. Auch dürfte Irans zuletzt erfolgte Teil-Befreiung aus der internationalen Isolation dazu beigetragen haben, die militärischen Möglichkeiten seiner verbündeten Milizen in der Region zu stärken.

Gleichzeitig will die Hamas die innenpolitische Spaltung in Israel auszunutzen. Seit Monaten demonstrieren Tausende Israelis gegen die geplante Justizreform der Regierung, Reservisten und Armeeeinheiten haben angekündigt, den Dienst zu verweigern. Auch gegen den extrem rechten Kurs in der Siedlungspolitik protestiert die israelische Gesellschaft. Diese Spaltung dürfte durch die Angriffe der Hamas vorübergehend überwunden werden, wenn die israelische Gesellschaft angesichts dieser Bedrohung wieder eng zusammenrückt.

Wir verurteilen den terroristischen Angriff der Hamas auf Israel auf Schärfste.   [….]

(Jürgen Trittin, 07.10.2023)

Als neuer Twist kommt heute noch hinzu, daß der rechtsradikale, antidemokratische und in Israel extrem umstrittene, ja regelrecht bekämpfte, Regierungschef Netanjahu nun einerseits, wie immer wenn eine Nation angegriffen wird, das ganze Land hinter sich versammelt, weil Landesverteidigung dann zur alleinwichtigen Kernkompetenz der Exekutive wird. Andererseits ist die völlige Überraschung Bibis auch ein Zeichen für seine enorme Inkompetenz.

Ausgerechnet die weltweit legendären israelischen Geheimdienste hatten keine Ahnung davon, was ihrer Nation heute blüht.

[…..] Eine unglaubliche Schmach für die stärkste Armee des Nahen Ostens

Wie konnte sich die israelische Armee vom Angriff der Hamas so überraschen lassen? Viele Ortschaften an der Grenze zu Gaza sind in der Gewalt der Terroristen, Israel steht unter Schock – und rückt nach Monaten der Spaltung entschlossen zusammen. [….]

(Richard C. Schneider, 07.10.2023)

Das kostet einen Politjunkie jetzt wieder sehr viel Zeit, während irgendwo nebenan in Hamburg, bei so viel glücklicheren und unwissenden Menschen fröhlich gefeiert wird.

Freitag, 6. Oktober 2023

Tories als Opfer ihres eigenen Erfolges.

Wenn man völlig skrupellos ist, wenn man keine Scham hat, zu lügen, bis sich die Balken biegen, wenn man ungeniert Arme gegen noch Ärmere ausspielt, wenn man gegen Minderheiten polemisiert, gegen Migranten hetzt, den Superreichen Steuergeschenke macht, wenn man nationalistisch raunt und jede komplizierte Realitätsnähe unterlässt, kann man durchaus in einer großen Industrienation wie den USA, Großbritannien oder Italien Regierungschef werden. Es ist ein viel leichterer Weg, als umständlich seriöse Politik mit Lösungskonzepten zu erläutern.

Der Urnenpöbel ist allemal doof genug, um Rechtspopulisten auf den Leim zu gehen.

Der Nachteil ist allerdings, daß es nicht ausreicht, an die Macht zu gelangen und seine Milliardärsfreunde auf Kosten der Allgemeinheit zu beglücken.

Man muss das ganze Land regieren und in der Welt positionieren. Blöderweise passiert immer das gleiche, wenn Rechtspopulisten in der Regierung rechtspopulistische Ideen umsetzen: Die Nation wird in den Abgrund gesteuert, erleidet schweren ökonomischen Schaden und der auf fruchtbaren Boden gesäte Hass, spaltet die Gesellschaft auf. George W. Bush und Donald Trump übergaben die USA jeweils in einem absolut desaströsen Zustand an ihren demokratischen Nachfolger.

In Großbritannien herrschen die Tories aber sogar schon 13 Jahre am Stück. 

Die Brexiteers hatten im Zusammenspiel mit der toxischen Murdoch-Presse so einen Erfolg mit ihrer Hetze, daß sie gar nicht mehr abgewählt wurden.

Kein Wunder also, daß ihre Nation inzwischen einer einzigengroßen Misere gleicht, in der wirklich auf gar keiner Ebene mehr irgendetwas funktioniert.

Ökonomischer Niedergang, grotesker Personalmangel, marode Infrastruktur, kaputtes Sozialsystem, Verelendung, leere Supermarktregale.

Nun ist Tory-Parteitag, die Umfragen im Keller.

[…..] Neben Liz Truss sprachen noch ein paar andere Tory-Geister der Vergangenheit, Jacob Rees-Mogg etwa, oder die Ex-Innenministerin Priti Patel.

"Growth", Wirtschaftswachstum, ist Liz Truss' großes Thema, seit sie vor einem Jahr mit ihrer Wirtschaftspolitik das Land beinahe an die Wand gefahren hätte. In ihrer Rede sagt sie, es sei schlimm, dass es dem Land so schlecht gehe, sie biete der Partei dafür eine Lösung an: Steuern senken, neue Häuser bauen, die Staatsausgaben senken. Es ist offensichtlich, dass sie die Ironie ihrer eigenen Worte nicht hört. Robert Colvile sagt, er stimme durchaus mit manchem überein, was Liz Truss wollte, niedrige Steuern zum Beispiel. Nur: "Je weniger die Öffentlichkeit daran erinnert wird, dass Liz Truss ein Mitglied der Konservativen ist, desto besser für die Partei." Er kann sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, es wirkt gequält. Dass die Tories immer noch die Partei von Liz Truss sind, daran glaubt Colvile aber nicht. Ein beträchtlicher Teil der Zuhörer in der Trafford Suite waren Journalisten, und als man eines der Parteimitglieder in der Schlange fragt, warum er hier sei, sagt der Mann: Well, so ein Spektakel könne man sich doch nicht entgehen lassen, nicht wahr? Am Dienstagabend dann steht Suella Braverman auf der Bühne im großen Saal, die Innenministerin. Braverman vertritt rechte, zum Teil extrem rechte Positionen, sie tut das unverhohlen, "ich sage die Wahrheit", sagt Suella Braverman in ihrer Rede. Als sie davon spricht, "die Linken" würden Menschen "aus dem Job jagen", wenn sie der "Gender-Ideologie" nicht folgen würden, sagt ein Mann etwas lauter, das sei falsch, ja: "Müll". Er wird umgehend von Sicherheitsleuten und der Polizei aus dem Saal geführt. "Diese Europa-Aktivisten", sagt einer in Reihe drei verächtlich, auf der anderen Seite des Saals.  […..]

(SZ, 04.10.2023)

Da tut Tory-Premier Rishi Sunak das was Rechtspopulisten in dieser Situation tun: Lügen, sich als Kämpfer gegen nicht existente Verbote inszenieren, auf Minderheiten eindreschen und antiqueere Hetze.

[…..] Wer dachte, die britischen Konservativen seien mit Figuren wie der Innenministerin Suella Braverman oder der Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch schon arg weit am Rand des politischen Spektrums angekommen, der hat in Manchester gelernt: Die Tories sehen noch viel Luft nach rechts.

Austritt aus dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Immigration drastisch reduzieren, härtere und längere Gefängnisstrafen, stark regulierte und an frühere Jahrhunderte erinnernde Sexualkunde in Schulen - Forderungen wie diese waren überall zu hören in Manchester, nicht nur bei den "New Conservatives". Und immer fiel das Schlüsselwort "they", sie. Sie, die da oben, die Eliten, die Bösen, die Unterdrücker. Das ist das Narrativ der Rechten und Verschwörungserzähler, der Populisten und Hetzer. Es ist aber auch ein Narrativ, das andernorts in der Opposition geboren wurde, aufgezogen und groß gemacht im Wahlkampf, siehe: Trump, Meloni, Le Pen. In den Umfragen liegen die Tories konstant hinter Labour, aktuell beträgt die Differenz 16 Prozentpunkte. Es ist nicht unmöglich, 16 Prozentpunkte aufzuholen; die Art aber, in der sich die Tories präsentieren, erinnert mehr an eine Oppositionspartei als an eine, die seit 13 Jahren regiert.  […..]

(Michael Neudecker, SZ, 05.10.2023)

Donnerstag, 5. Oktober 2023

Die Amoralisten in der Ampel

Die rechtskonservativen Skandalnudeln Merz, Söder, Trump und McCarthy verstellen gerade den Blick dafür; aber wir dürfen die FDP nicht vergessen!

Ja, bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen, welche den Willen des Urnenpöbels abbilden, ist die Ampel immer noch eindeutig das kleinste Übel und somit unbedingt zu unterstützen. Ob es einem gefällt, oder nicht: Olaf Scholz ist die letzte Halte-Bastion, bevor der braune Deutschlandzug ins AfD-Purgatorium einfährt.

Ob in einer klassischen schwarzbraunen Koalition mit Vizekanzlerin Weidel, oder einer sonstigen Mehrheit jenseits der SPD. Merz, Spahn, Amthor, Kuban, Ploß, Kubicki, Schäffler, Frei, Söder, Scheuer lassen keinen Zweifel, was sie wollen: Schluß mit Asylrecht, sozialem Ausgleich, Klimaschutz, Minderheitenschutz. Schluß mit Anstand. Also lasst uns die Ampel loben und preisen!

Aber die Hepatistisgelben sind schon extrem übel.

Der Fraktionschef bezeichnet es als „perfide“, wenn arme oder nicht-weiße Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden. Dürr unterstützt damit die Faschistin Meloni vorbehaltslos.

[…..] FDP-Fraktionschef Dürr will Subventionen für Seenotretter beenden

Christian Dürr spricht sich gegen Zahlungen der Bundesregierung an private Seenotretter aus. Auch Sozialleistungen an Asylbewerber sollten nicht mehr bar ausgezahlt werden.   [….] Das „perfide System“ müsse unterbrochen werden, dass „Menschen Geld dafür zahlen, um unter Umständen in Seenot zu kommen“, fügte Dürr hinzu. Italien hat die Finanzierung von Hilfsschiffen unter deutscher Flagge scharf kritisiert. Regierungschefin Giorgia Meloni hatte Ende September gesagt, Länder, unter deren Flagge solche Schiffe unterwegs seien, sollten dann auch die geretteten Flüchtlinge aufnehmen. […..]

(Tagesspiegel, 04.10.2023)

FDP-Justizminister Buschmann wanzt sich ebenfalls an die AfD heran, wetteifert mit Parteifreund Dürr um besonders menschenfeindliche Positionen.

[…..] Bundesjustizminister Buschmann sagt bei Lanz, dass man Asylbewerbern, also Menschen, die oftmals Krieg, Folter, Haft, Verfolgung erlebt haben, "weh tun muss". Weiter: "Aber da sind uns die Hände gebunden, weil das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass die Menschenwürde es gebietet, dass wir den Menschen nach dem deutschen Standard das Existenzminimum bieten." Unfassbar. Das BVerfG ist also unsere letzte Barriere vor der Barbarei. Ich bin sprachlos ob der Verrohung unserer Politikelite.  [….]

(Claas Gefroi, 04.10.2023)

Ihren rechtsaffinen Porscheparteichef wissen sie dabei an ihrer Seite.

Ganz allerliebst auch die Brüderle-Gedächtnis-Ansichten Buschmanns zu sexuellen Übergriffen.

[…..] Deutschland blockiert neues Sexualstrafrecht

Die EU will härter gegen Vergewaltigung kämpfen - doch die Bundesregierung wendet sich dagegen. Justizminister Buschmann hat rechtliche Bedenken. Und wird scharf kritisiert.

Es ist gerade mal sieben Jahre her, dass in Deutschland ein Grundsatz ins Gesetz aufgenommen wurde: "Nein heißt Nein". Seitdem macht sich nicht mehr nur derjenige strafbar, der Sex mit Gewalt erzwingt. […..] Sieben Jahre später könnte der Grundsatz "Nein heißt Nein" - beziehungsweise, in der europäischen Fassung "nur Ja heißt Ja" - europaweit beschlossen werden. Und damit auch in jenen EU-Ländern gelten, in denen ein Nein bisher nicht ausreicht für den Tatbestand der Vergewaltigung. Das sind in der EU aktuell immerhin 14 Staaten: von Frankreich über die Niederlande, Portugal, Italien und Österreich bis hin zu fast allen osteuropäischen Staaten (bis auf Slowenien).  Doch Deutschlands FDP-Justizminister sagt Nein

Doch diesmal ist es - neben anderen Staaten - ausgerechnet die deutsche Bundesregierung, die sich gegen eine solche Verschärfung wendet. "Das ist unglaublich bitter", schimpft die Europaabgeordnete Maria Noichl (SPD). "Der Schutz von Frauen hängt damit weiter von ihrem Wohnort in Europa ab."

Ihre Kritik richtet sich an Justizminister Marco Buschmann von der FDP, dessen Ressort in der Bundesregierung für die Richtlinie zuständig ist. Und Buschmann sagt Nein zu dem entsprechenden Absatz. […..] Ohne Deutschlands Zustimmung aber ist die erforderliche Mehrheit im Rat der Mitgliedstaaten in weiter Ferne - da auch andere Länder Bedenken vorbringen. Und so heißt Buschmanns Nein im Ergebnis: "Nein heißt Nein" hat auf EU-Ebene aktuell keine Chance.

"Ich kann die Entscheidung von Bundesjustizminister Buschmann nur mit Kopfschütteln und Unverständnis zur Kenntnis nehmen", sagt die SPD-Politikerin Maria Noichl.

Die irische Europaabgeordnete Frances Fitzgerald, stellvertretende Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion und eine der Verhandlungsführerinnen, zeigt sich gegenüber ZDFheute kämpferisch: Der Tatbestand der Vergewaltigung sei für das Europaparlament der Kern der neuen Richtlinie.

"Ich fordere Herrn Buschmann auf, angesichts einer Pandemie von sexueller Gewalt seine Position zu überdenken!" Würde Deutschland zustimmen, dann würde eine ausreichende Zahl von andere Staaten folgen, meint Fitzgerald. […..]

(Florian Neuhann, ZDF, 04.10.2023)

Völlig ohne Ironie: Olaf Scholz tut mir Leid, mit solchen Typen regieren zu müssen.

Aber der Urnenpöbel ließ ihm keine Wahl. Und wenn heute gewählt würde, säßen die Braunen höchstselbst im Kabinett. Statt ihrer Urin-gelben Platzhalter.

Mittwoch, 4. Oktober 2023

Endgame

Lindsey Graham und Ted Cruz, zwei der mächtigsten und bekanntesten US-Republikaner hatten es 2016 völlig richtig erkannt und teilten in markigen Worten aus: Sollte ihre Partei Donald Trump als Präsidentschaftskandidat nominieren, beschließe sie damit ihren eigenen Untergang und habe es für diese Dummheit auch nicht besser verdient, als unterzugehen. 



Die beiden dicken US-Senatoren waren dabei im doppelten Sinne wortstark. Einerseits wurden sie aufgrund ihrer Bekanntheit weltweit gehört und andererseits verfügen sie über enorme Phonstärke, so daß sie eine ganze Halle mühelos niederbrüllen können.





Unglücklicherweise war es 2016 schon lange zu spät, um Vernunft in der GOP walten zu lassen. Unter tätiger Hilfe zweier verantwortungsloser, destruktiver, amoralischer, machtgieriger Partei-Rechtsaußen namens Graham und Cruz, war die Partei schon so weit in die irrationale Teaparty-Hölle gerutscht, daß die rassistisch-verschwörungstheoretische Republikaner-Basis dennoch Trump auf den Schild hob.

Der orange Lügen-Clown war nun derjenige, der erst die GOP-Megadonor-Wahlkampfmilliarden einsammelte und schließlich auch an den Fleischtöpfen der Macht saß. Zum Glück für die lautstarken Trump-Gegner der ersten Stunde, hatten Cruz und Graham längst ihr Rückgrat entfernen lassen und waren trainierte Lügner, so daß sie routiniert ihr Fähnchen nach dem Wind hängen konnten, zu den Trump-Golfclubs pilgerten, um IQ45 tief in den Hintern zu kriechen.

Trump machte es ihnen leicht, da er extrem empfänglich für Schmeicheleien ist und jeden mag, der bereit ist, ihm coram publico den Allerwertesten zu küssen.

So wurden die beiden US-Senatoren aus dem Südstaaten die besten Freunde Trumps. Lobreisten ihn bei jeder Gelegenheit und ritten nun gemeinsam Nation und Partei in den Untergang. 30.000 Lügen, verlorene Zwischenwahlen, verlorene Nachwahlen, verlorener Senat, internationaler Paria-Status, ökonomischer Niedergang, massiver Jobverlust, eine Million Corona-Tote, Impeachmentverfahren, vergeigte Präsidentschaftswahl von 2020, haufenweise Zivil- und Strafverfahren gegen Trump – nichts konnte Cruz‘ und Grahams Lippen fürderhin von den nackten orangen Arschbacken des größten Con-Mans der US-Politgeschichte trennen.

Damit stehen die beiden Senatoren allerdings für fast alle GOP-Parlamentarier.

Es gibt viel Raunen über heimlich, hinter verschlossenen Türen geäußerte Abscheu gegenüber ihres Parteiführers, aber mit Trump konnten sie ihre erzkonservativen Richter durchdrücken, Billionen-Steuererleichterungen für die Superreichen ermöglichen, radikal Frauen- und Schwulenfeindliche Gesetze verabschieden und ihre eigenen Wahlkampfkassen füllen. Die wenigen GOPer, zumeist Hinterbänkler, die es doch wagen, einen gerade Rücken zu behalten und Trump nicht jede Lüge durchgehen zu lassen, wurden von der fanatisierten Basis, die hochaggressiv und allergisch gegen jede Form des Anstands reagiert, von ihren Posten entfernt. Selbst wenn es sich um erzkonservative Legenden wie Liz Cheney handelte, die in den vier Jahre der Trumppräsidentschaft fast nie gegen ihn stimmte.

Die GOP brachte nun, statt des bisherigen Typs des rückgratlosen, menschenhassenden, heuchelnden, käuflichen Abgeordneten, zunehmend eine getrumpte Version in die Parlamente: Geistig vollkommen unterbelichtete Verschwörungstheoretiker, die nur noch von Bösartigkeit und Destruktivität angetrieben werden: Gaetz, Hawley, Boebert, Cawthorne, MTG, Jordan.

Als Donald Trump am 06.01.2021 eine blutigen Putsch versuchte, einen Mord-Mob auf das Kapitol hetzte und, wie wir inzwischen von Cassidy Hutchinson wissen, selbst begeistert „Hang Mike Pence“ mitgrölte, während die Parlamentarier um ihre Leben liefen (fünf Menschen hatte Trumps Mob getötet), beschlichen drei der mächtigsten Republikaner doch Zweifel. Mitch McConnell, GOP-Chef des Senats, Kevin McCarthy, GOP-Chef des House und auch Lindsey Graham distanzierten sich in der Stunden des Not um ihr Leben von Donald Trump, waren bereit, im zweiten Impeachmentverfahren seinen Kopf rollen zu lassen. Aber selbst als buchstäblich die Grundfeste der US-Demokratie, das worauf Trump seine heiligen Amtseid schwor, von ihm vernichtet werden sollte, hielten andere US-Senatoren (zB Cruz und Hawley) eisern zu ihm.

Nach wenigen Wochen fraßen Mitch, Kevin und Lindsey ihre eigenen Worte, pilgerten brav alle nacheinander nach Mar A Lago, um öffentlich Kotau zu machen, ihrem orangen Meister devot zu huldigen. Aufrecht blieben nur Cheney und Kinzinger, die inzwischen beide aus dem Kongress entfernt wurde.

Der 06.01.2021 war die letzte, die wirklich allerletzte Möglichkeit der GOP, sich von ihrem debilen Unglückbringer zu trennen und damit ihrer Partei wieder eine Perspektive zu geben.

Stattdessen entschied sich Kevin McCarthy für die Mordor-Option. Lockte bei den Zwischenwahlen 2022 noch mehr geistig völlig umnachtete Zerstörer ins Parlament.

Von ihnen wurde Speaker McCarthy, der nach Biden und Harris drittmächtigste Mann der US-Politik, gestern Nacht gefressen.

[…..] Wut, Trotz und Sorge herrschen am Tag danach in Washington vor. Zum ersten Mal in der Geschichte der USA hat das Abgeordnetenhaus keinen Vorsitzenden, nachdem acht Abgeordnete der Republikaner gestern dafür gestimmt hatten, Kevin McCarthy abzusetzen. Newton Gingrich, ein konservativer Vordenker, forderte, den Anführer des Aufstandes aus der Partei auszuschließen.

Matt Gaetz sei ein Anti-Republikaner, der die konservative Bewegung aktiv zerstöre, so kommentierte Gingrich in der "Washington Post". So weit gingen andere nicht. Aber: Die acht müssten dafür zur Verantwortung gezogen werden, dass sie ihre eigenen Interessen über die des Landes gestellt hätten, meinte etwa Mike Lawler, ein Republikaner aus New York.  [….]

(Katrin Brand, ARD, 04.10.2023)

Die GOP stellt sich nun offen feindselig gegen die USA.

[……] Die Abwahl des Sprechers des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, durch seine eigenen Leute – die einem Putsch gleichkam – ist Symptom dafür. Das gesamte System ist dysfunktional geworden.

Die »checks and balances«, also die gegenseitige Kontrolle der unterschiedlichen Teile des Systems, funktionieren nur noch mäßig bis gar nicht. Damit ist auch eine Grundidee des modernen, liberalen Parlamentarismus, die Fähigkeit zum Kompromiss, in Gefahr. Die rechten Hardliner der Republikaner um Matt Gaetz haben die Abwahl des eigenen Chefs vor allem damit begründet, dass er mit den Demokraten von Joe Biden einen Handel zum Haushalt geschlossen habe. Das ist grotesk. Denn eine Demokratie, in der der Ausgleich der unterschiedlichen Interessen als Verrat angesehen wird, hört auf, eine Demokratie zu sein.

Dabei geht es nicht nur um Figuren wie Gaetz, sondern auch um seine Wählerinnen und Wähler. Wer wählt einen Abgeordneten, ganz gleich, ob links oder rechts, der nach Washington geht, ohne Kompromisse mit anderen gewählten Politikern zu schließen? Welche Hybris oder Dummheit steckt hinter der Annahme, dass allein die eigene Meinung selig machend ist?  […..]

(Roland Nelles, 04.10.2023)

McCarthy, der Gaetz und MTG bis zur völlig Selbstverleugnung die Hintern abküsste – das hatte er immerhin bis zur Perfektion in Mar A Lago üben können – ist Opfer seiner eigenen Brut. Nach 14 verlorenen Wahlgängen im Januar dieses Jahres, ließ er immer noch keine Spur von Rückgrat erkennen, kroch immer tiefer hinein in die Mastdarmwindungen des GOP-Crazies.

[….] Jeder Politiker mit einem Rest von Würde und Rückgrat hätte angesichts der Bedingungen der Fundamentalisten auf das Amt verzichtet. McCarthy aber wollte diesen Posten unbedingt und machte dabei den Fehler, den schon manche nicht ganz so rechte Republikaner begangen haben: Er unterschätzte den unendlichen, zerstörerischen Hass, die Unerbittlichkeit des harten Trump-Flügels dieser einst so legendär pragmatischen Partei.  Was sich in Washington soeben vollzogen hat, ist eine Geiselnahme. Acht Mitglieder der Republikaner haben die gesamte Partei in eine Sinnkrise gestürzt, angeführt von Matt Gaetz, einem Politiker aus Florida, der vor allem Freude daran hat, eine Spur der Zerstörung zu hinterlassen. Ihm assistieren in diesem Unterfangen einige teils geltungssüchtige, teils gedankenlose Politikerinnen und Politiker. Um die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs zu verstehen, muss man sich noch einmal dies vor Augen führen: Die Republikaner haben eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus. Kevin McCarthy war ein äußerst konservativer Sprecher, und er bewegte sich weiter und weiter nach rechts, wann immer die Radikalen es forderten. Er war die ideale Marionette geworden, und doch war das dem extremistischen Flügel nie genug. Dieser vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump inspirierten Gruppe geht es nicht um Lösungen. Es geht um Chaos und Krawall. [….]

(Christian Zaschke, SZ, 04.10.2023)


Und jetzt?
Die GOP ist irre genug, um Sauron selbst zum Parlamentschef zu machen.

[….] The only candidate for Speaker I am currently supporting is President Donald J. Trump.

He will end the war in Ukraine.

He will secure the border.

He will end the politically weaponized government.

He will make America energy independent again.

He will pass my bill to stop transgender surgeries on kids and keep men out of women’s sports.

He will support our military and police.

And so much more!

He has a proven 4 year record as President of the United States of America.

He received a record number of Republican votes of any Republican Presidential candidate!

We can make him Speaker and then elect him President!

He will MAKE AMERICA GREAT AGAIN!!! [….]

(MTG, 04.10.2023)