Montag, 25. September 2023

Quot erat expectandum – Teil III

Als aufmerksamer Medienbeobachter, Zeitungsleser, der kein ungewaschener Wutbürger ist, trainiert man sich die Überraschung über gewisse immer wiederkehrende Themen ab.

Rassistische Lügen der US-Republikaner, rechtsradikales Blinken der C-Parteien, sexuelle Übergriffe von katholischen Geistlichen auf Schutzbefohlene sind einfach zu häufig. Zu alltäglich, um jedes Mal wieder die Neurotransmitter in den eigenen Hirnsynapsen abzufeuern.

Andererseits sind die Taten an sich so übel und verwerflich, daß man seine Missbilligung irgendwie kanalisieren muss. Dafür hat der liebe G*tt Zynismus, Ironie und Sarkasmus erfunden. Und Memes.

Es ist notwendig, sich die Wut zu bewahren, weil die genannten Ekel-Organisation nicht nur im luftleeren Raum agieren, sondern kontinuierlich Opfer produzieren.

Die Kirche konnte und kann nur deswegen Hunderttausende Kinder und Pubertierende quälen und vergewaltigen, ohne dafür aus dem Verkehr gezogen zu werden, oder wenigstens finanziell zu bluten, weil ein breiter Gewöhnungsprozess eingesetzt hat. Die christliche Unwertegemeinschaft ist indolent gegenüber den Opfern und tolerant gegenüber den Tätern geworden.

Kinder vergewaltigen? Na und? Ist doch kein Grund, denjenigen, die das ermöglichen keine Denkmäler zu setzen und sie fürstlich zu bezahlen.

Stichwort Hengsbach-Affäre.

Da kann Ruhrbischof Overbeck, der schon vor zehn Jahren mit derartig abfälligen homophoben Sprüchen in Talkshows saß, daß er sogar den rechtsradikalen Erz-Dunkelkatholiken David Berger aus der Kirche trieb, herzlich lachen.

Wir, die gesamte Gesellschaft, jeder, der nicht aus der Kirche ausgetreten ist; jeder, der nicht jeden Tag vor einer Kirche demonstriert; jeder, der nicht jeden Tag seine Parlamentsabgeordneten mit Anfragen nach staatlichen Untersuchungen des Kirchensexsumpfes überschüttet, hat Mitschuld.

Wir sind gegenüber den von Priestern vergewaltigten Opfern genauso abgestumpft, wie gegenüber den in der Ägäis ertrinkenden Kleinkindern aus Syrien. Wir reagieren sowohl auf die Täter in Soutanen, als auch auf die FRONTEX-Pushbacks nur mit Milde.

Wenn eine Organisation, die im großen Maßstab Kinder verprügelt, psychisch quält und sexuell missbraucht, keine Lust hat, später Entschädigungen oder Schmerzengeld zu bezahlen, stört es uns nicht. Das überlassen wir achselzuckend den Tätern selbst, was sie bereit sind zu zahlen. Wir halten sie nämlich für moralische Instanzen – nachdem sie 2.000 Jahre mit einer weltweit einmaligen Kriminalgeschichte eindrucksvoll bewiesen, eben gerade nicht als Moral-Vorbild zu taugen.

[….] Eva Behring hat zweimal Geld bekommen von der katholischen Kirche, und zweimal war es für sie ein schmerzender Schlag. Einmal bekam sie 3000 Euro, später 2000 Euro. Zusammen 5000 Euro für das, was ein katholischer Pfarrer ihr als Kind angetan hat und worunter sie seither leidet. Sie ist keine Ausnahme. Viele Betroffene von Missbrauch fühlen sich durch die "Anerkennung des Leids" ein weiteres Mal verletzt und gedemütigt - durch die geringen Summen und das Verfahren selbst.

[….] Ein aus Sicht vieler Betroffener nach wie vor unbefriedigend gelöstes Thema ist aber der Umgang mit den sogenannten Anerkennungsleistungen - also freiwilligen Entschädigungszahlungen für erlittenes Leid. Der Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz fordert jetzt eine Weiterentwicklung des bestehenden Systems. [….] Im Jahr 2016 stellt Eva Behring den ersten Antrag auf "Anerkennung des Leids", wie es offiziell heißt. Sie füllt einen Fragebogen aus, in akkurater Handschrift schildert sie die Taten und was sie mit dem Kind und später der erwachsenen Frau gemacht haben. Sie leidet seither, wird psychisch krank, kann über Monate nicht arbeiten. [….] Die zuständige Stelle bei der Deutschen Bischofskonferenz empfiehlt die Zahlung von 3000 Euro, das Bistum überweist ihr die Summe, vom Generalvikar ihres Bistums erhält sie 2017 ein kühles, formales Schreiben. Es ist das erste Mal, dass eine Zahlung der Kirche sie trifft wie ein Schlag. 3000 Euro für lebenslanges Leid? [….] Das hat sich allerdings in diesem Juni geändert: Da verurteilte das Landgericht Köln das Erzbistum Köln zur Zahlung von 300 000 Euro an den ehemaligen Ministranten Georg Menne. [….] Allein: Eine Zivilklage ist anstrengend und kostet viel Geld, Betroffene müssen sich offenbaren, vor Gericht aussagen und sich unter Umständen langwierigen Begutachtungen unterziehen, wie jener Mann, der derzeit vor dem Landgericht Traunstein das Erzbistum München verklagt. [….]

(SZ, 24.09.2023)

So ist das eben, wenn man sich den Moralvorstellungen einer primitiven Hirtenkultur von vor 2.000 Jahren aussetzt. Da wird man diskriminiert und misshandelt.

Auf die Solidarität der Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts kann man nicht bauen. Uns ist es egal. Kirchen dürfen ihre Mitglieder misshandeln. Nicht nur die Katholische Kirche; sondern alle Christen-Vereine sind mies; entziehen sich Antidiskriminierungsregeln und dem Arbeitsrecht.

[…..] Wie schwer es queeren Menschen weiterhin in einer der freien evangelischen Gemeinden gehen muss, wird klar, wenn man sich die aktuelle Diskussion in deren Dachorganisation anschaut. Am Samstag trifft sich der Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG) zu seiner Bundestagung und will dort eine homophobe Ausrichtung bekräftigen. Laut einem internen Entwurf zu den künftigen Leitlinien der Gemeinden, der der taz vorliegt, heißt es in einer Empfehlung der Bundesleitung: „Homosexuelle Partnerschaften finden aus biblischer Sicht keine Zustimmung.“ Weder Traugottesdienste noch Segnungen sollen möglich sein, ebenso wenig die Rolle als Gemeindeleitung oder als Pastor oder Pastorin.

Mehr noch: Homosexuellen Menschen wird empfohlen, auf Sexualität zu verzichten. So heißt es in Punkt 4 des Leitlinien-Entwurfs: „Aufgrund des biblischen Leitbildes der Ehe von Mann und Frau ergibt sich die Herausforderung, auf sexuelle Gemeinschaft mit Menschen gleichen Geschlechts zu verzichten […]. Eine zölibatäre Lebensform kann allerdings nur mit einer individuellen Bejahung gelebt werden.“  [….]

(taz, 22.09.2023)

Sonntag, 24. September 2023

Migrationsjournalismus

Deutschland leidet unter massivem Fachkräftemangel. Es fehlen jährlich zwischen 400.000 und 500.000 Zuwanderer.

Die fehlenden Menschen schaden massiv der Wirtschaft, weil Betriebe Aufträge ablehnen, Geschäfte schließen und Servicezeiten reduzieren müssen.

Besonders schlimm trifft es die Gastronomie, Pflege und Hotellerie. Ohne Ausländer, können wir Deutschland gleich stilllegen.

[….] In der Heimat umworben, in Deutschland beschimpft

In der Pflege herrscht Notstand. Millionenbeträge werden aufgewendet, um auf den Philippinen Pflegerinnen und Pfleger zu rekrutieren. Doch in Deutschland angekommen, wollen viele nur eines: schnell wieder weg. [….]

(Verena Töpper, 21.09.2023)

Arbeitgeber zahlen inzwischen enorme Prämien, damit überhaupt jemand bei ihnen anfängt.

[….] Im Norden Niedersachsens, mitten in der Lüneburger Heide, zwischen Äckern und Einfamilienhäusern, hängt an einem Verkehrskreisel ein Plakat, das Reichtum verspricht. »EUR 11.000,00« steht darauf, »ab sofort!« und dazu ein Dank im Voraus: »Eure Arbeit ist uns diesen Bonus wert!« Gesucht werden Köche sowie Servicekräfte für Spätschichten, und bei der Summe handelt es sich nicht etwa um den Saisonverdienst – sondern um eine satte Prämie für neue Mitarbeiter. Wer bei uns anfängt, so die Botschaft, verdient sehr schnell sehr viel!  [….]

(Anton Rainer, 24.09.2023, DER SPIEGEL 39/2023)

Die fehlende Willkommenskultur, die generelle Xenophobie und insbesondere die intolerante Garstigkeit in Ostdeutschland, führen inzwischen zu einem ökonomischen Schaden von rund 100 Milliarden Euro im Jahr.

[….] Studie zu Diversität

Deutschland entgehen 100 Milliarden Euro – wegen mangelnder kultureller Vielfalt. Menschen aus Einwandererfamilien müssen mehr Bewerbungen schreiben, bekommen weniger Gehalt und werden seltener befördert. Das bremst nicht nur sie aus, sondern auch die Wirtschaft. Der Schaden ist enorm. [….]

(SPON, 19.09.2023)

Der SPIEGEL titelt aktuell mit einem endlosen Flüchtlingsstrom, der auf Deutschland zustrebt.

Die Aufnahmekapazität sei am Ende, die Stimmung kippe.

[….] Es ist für mich schwer nachvollziehbar, wie ein renommiertes Leitmedium wie der Spiegel, das für Qualitätsjournalismus stehen will, ein Titelbild veröffentlichen kann, das in Aufmachung und Bildsprache an die Angstmache und Hetze rechter Parteien und Verschwörungsblätter erinnert. [….]

(Lorenz Meyer, 23.09.2023)

Das Hauptargument der SPIEGEL-Autoren wider die Migration nach Deutschland, lautet in der Tat „die Stimmung“. 84% der Wähler geben bei  Civey an, es kämen zu viele Menschen, die einen Asylantrag stellten. Die AfD sei im Osten stabil über 30%.

FDP, CDU, FW und CSU tuten in das gleiche Horn, machen kräftig Stimmung gegen Flüchtlinge. Rechtspopulismus in populär und hilft im Wahlkampf.

Christen-Politiker überbieten sich gegenseitig mit Widerlichkeiten, von denen sie wissen, daß sie ohnehin nicht machbar sind, aber sie heizen gern die menschenfeindliche Stimmung an; in der Hoffnung, parteipolitisch davon zu profitieren.

[…..]  Die Opposition hat es da leichter, sie kann sich empören und Forderungen aufstellen. Die Bundesregierung habe »die Kontrolle über das Migrationsgeschehen in Deutschland vollkommen verloren«, sagt der CDU-Politiker Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. In einem Antrag fordern CDU und CSU den Stopp aller Bundesaufnahmeprogramme für Flüchtlinge und mehr Grenzkontrollen.

Der Erfolg der AfD hat die Union ein Stück nach rechts rücken lassen – und auch die FDP spürt die Konkurrenz von rechts außen. In der Ampelkoalition treten die Liberalen für ein restriktives Vorgehen an den EU-Außengrenzen ein. Besonders FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, in Iran geboren und einst als Kind von seinen Eltern nach Deutschland zu Verwandten geschickt, macht sich für eine harte Migrationspolitik stark. […..] Die Vorschläge aus der Opposition hält man in der Regierung für nicht umsetzbare Luftblasen.

Eine Veränderung oder gar Abschaffung des individuellen Asylrechts, wie es mancher aus der CDU gefordert hat, widerspreche der Verfassung und dem europäischen Recht. Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, wie es CDU-Chef Friedrich Merz vorgeschlagen hat? Das würden, heißt es in Regierungskreisen, selbst CDU-geführte Regierungen im Bundesrat ablehnen, wenn sie grüne Koalitionspartner haben.

Flächendeckende Kontrollen an den Binnengrenzen? Praktisch kaum machbar, wenn sie effektiv sein sollen. […..]

(SPIEGEL Titelstory, 23.09.2023)

Ich möchte den Gedanken weiterspinnen: Selbst wenn man die populistischen Merz/Söder/Aiwanger/Höcke-Forderungen rechtlich umsetzen könnte, würde das keinen einzigen Menschen in Nordafrika, dem Nahen Osten oder Afghanistan, der durch Klima, Krieg, Hunger, politische Verfolgung gezwungen ist zu flüchten, von seiner Not befreien. Alle Fluchtgründe blieben erhalten, die Schlepper würden noch besser verdienen und es würden noch mehr Unschuldige im Mittelmeer ertrinken, in der Libyschen Wüste verdursten oder von Tunesischen Schergen totgeschlagen werden. Das ist also das Ziel der Parteien, die sich „vom christlichen Menschenbild leiten lassen“.

[…..] Und während die deutsche Politik etwas hilflos vor sich hin debattiert, dreht sich die Welt da draußen weiter. Sie interessiert sich nicht für deutsche Obergrenzen, Integrationsgrenzen oder die Umfragewerte der AfD.

Weltweit sind laut UNHCR mehr als 108 Millionen Menschen auf der Flucht. Und es werden eher noch mehr werden, wenn durch die Klimakrise, durch Hitze, Brände, Dürren oder Überflutungen ganze Regionen zerstört werden. Spätestens dann, wenn es um Klimaflüchtlinge geht, wird sich der Kreis schließen, wird sich diese Frage stellen: Kann der Westen, kann ein Staat wie Deutschland Menschen die Aufnahme verweigern, für deren unerträgliche Lebensbedingungen er mitverantwortlich ist? Deren Heimat er mindestens indirekt mit zerstört hat, durch die eigene Lebensweise, die Art des Wirtschaftens? Die Flüchtlingsfrage wird nicht mehr verschwinden, sie wird Deutschland und Europa dauerhaft beschäftigen, auf Jahre, Jahrzehnte. [….]

(SPIEGEL Titelstory, 23.09.2023)

Ganz recht, Spiegel. Aber wozu dann das rechts-reißerische Titelbild?

Aber wozu das rechts-reißerische Titelbild, wenn doch die Antragstellerzahlen immer noch moderat sind und wir so dringend Arbeitskräfte brauchen?

Statt AfD-Umfragen, rechtsdrehende CDUCSU-Altherren und xenophobe Civey-Zahlen als Totschlagargument gegen Migration zu benutzen, sollte man lieber aufklären, den AfD-Ossis klar machen, wie sehr sie sich irren, überlegen, wieso Asylsuchende immer noch keine Arbeitserlaubnis bekommen und ausländischen Berufs/Schulabschlüsse nicht anerkannt werden.

80% bei Civey gegen Asylanten muss noch lange nicht heißen, daß die 80% Recht haben.

Multikulti mag in Süd- und Ostdeutschland noch so unbeliebt sein. Ökonomisch ist es aber sinnvoll. Auch wenn ich mich wiederhole: Hamburg hat einen zehnmal so hohen Migrantenanteil in der Bevölkerung wie Sachsen und gegen den Bundestrend ein deutliches Wirtschaftswachstum. Bundesweit schrumpft 2023 die Wirtschaft um 0,5%. In Hamburg wächst sie um 2,3%. Es könnte noch viel besser aussehen, wenn nicht so viele Mitarbeiter fehlten.

[….] Gegen den Trend: Hamburgs Wirtschaft trotzt der Rezession. [….] Während andernorts der Abschwung zu spüren ist, zeigen sich wichtige Branchen in der Hansestadt in besonders guter Verfassung. Schon seit einigen Monaten ist es in Deutschland mit dem Konjunkturoptimismus vorbei. Immer häufiger taucht das Wort „Krise“ im Zusammenhang mit den weiteren Aussichten für die Unternehmen auf. Dabei verweisen Volkswirte und Börsianer auf die Gefahren eines Brexits sowie auf die Handelskonflikte, vor allem den zwischen China und den USA. Doch blickt man auf wichtige Sektoren der Hamburger Wirtschaft, etwa die Luftfahrt, die Gesundheitsbranche oder das Handwerk, so ist von einer Krise nichts zu sehen: Die jeweiligen Kennzahlen steigen weiter, auch die Beschäftigung nimmt zumindest in diesem Jahr abermals zu. [….]

„Ich rechne nicht mit einer generellen Verschlechterung am Hamburger Arbeitsmarkt“, sagt Sönke Fock, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Hamburg. [….] [….] Gesundheitswirtschaft: „In der öffentlichen Wahrnehmung ist gar nicht so klar, wie wichtig dieser Sektor für die Hamburger Wirtschaft ist“, findet Birgit Schweeberg, als stellvertretende Geschäftsführerin der Handelskammer zuständig für die Gesundheitsbranche. Fast 200.000 Menschen sind dort tätig. Allein die beiden größten Einzelarbeitgeber, die Krankenhausgruppe Asklepios und das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), hatten Ende 2018 zusammen mehr als 25.000 Mitarbeiter. Das waren 1500 mehr als ein Jahr zuvor, was die Dynamik in diesem Wirtschaftszweig andeutet.

In der Branche suche man „händeringend“ weiteres Personal, so Schweeberg. „Es ist zu erwarten, dass die Mitarbeiterzahl in Hamburg in diesem Jahr weiter nach oben geht“ – wobei der Fachkräftemangel die Aufwärtsentwicklung begrenze. „Wenn sie denn könnten, würden die Unternehmen noch mehr Menschen einstellen.“ Das Geschäft der Gesundheitswirtschaft sei nicht von der Konjunktur abhängig, sondern werde von der Demografie bestimmt, sagt Schweeberg: „Wir haben eine alternde Gesellschaft, damit steigt die Nachfrage nach der medizinischen Versorgung.“ [….] [….]

(Hamburger Abendblatt, 16.08.2023)

Nicht nur, ist es moralisch und durch internationales Recht verpflichtend, Migranten in Deutschland auf zunehmen. Es ist auch ökonomisch dringend notwendig.

Zudem sind wir als europäische Industrienation einer der Hauptmitverursacher der Migrationsgründe. WIR fischen die Meere vor Afrikas Küsten leer, WIR ruinieren durch unsere protektionistischen Landwirtschaftssubventionen die Geschäfte afrikanischer Farmer, WIR beliefern die Krisenherde dieser Welt mit Waffen. WIR sind die Verursacher der Erderhitzung. WIR leisten nicht genug Wirtschaftshilfe. WIR lassen die Welthungerhilfe sträflich unterfinanziert. WIR verschließend die Augen vor den Kriegen, die wir mitverursacht haben.

[…..] In Syrien tobt seit zwölf Jahren der Krieg, in Afghanistan haben die Taliban wieder die Macht übernommen, Iran schlägt seit einem Jahr den Aufstand seiner jungen Frauen brutal nieder. Und Russland hat ein Nachbarland überfallen, mitten in Europa. Es gibt auf dieser Welt viele Gründe, um zu fliehen. Es werden in nächster Zeit nicht weniger werden. [….]

(SPIEGEL Titelstory, 23.09.2023)

Wir können doch nicht so amoralisch wie Söder und Merz sein und unsere Politik von Faschisten und Idioten diktieren lassen!

Samstag, 23. September 2023

Vom Glück des Geburtsortes und des Geburtsjahres

Große Veränderungen der Lebensumstände werden, von den meisten Menschen als unangenehm betrachtet. Schöner ist eine stetige und verlässliche Umwelt, in der es langsam aber kontinuierlich ökonomisch bergauf geht.

Mein Opa, Jahrgang 1890, in Norddeutschland geboren, hatte mit dem Ort viel Glück. Die Zeichen standen auf Aufbruch, auf Bildung und, sofern man mit Penis geboren war, standen einem viele Möglichkeiten offen. Wie sich aber im Laufe seines Lebens herausstellte, gehörte er zu der Pech-Generation, die ohne eigenes Zutun als Erwachsene gleich zwei Weltkriege mit erlebten, zweimal Freunde und Verwandte sterben sahen, zweimal Hunger und Kälte ertragen mussten und zweimal in einem ökonomischen Kollaps alles verloren.

Auch, wenn man als 1890 Geborener das große Glück hatte, überhaupt so lange zu leben, um Kinder zu bekommen, nicht selbst erhebliche psychische Schäden durch die Kriegserlebnisse genommen zu haben, finanziell sein gutes Auskommen zu finden und auch noch eine glückliche Partnerschaft zu führen, war es ein verdammt hartes Leben; geprägt durch schwere Verluste.

Opa hatte viele Kinder, die immerhin schon mal nur einen, statt zwei Weltkriege miterlebten. Das Geschlecht machte aber immer noch einen Unterschied. Die Töchter sollten Hauswirtschaft lernen und nach Möglichkeit einen reichen Geschäftsmann heiraten. Da seine Töchter aber die von ihm angeschleppten Verehrer verschmähten und stattdessen „Geringverdiener“ heirateten, hatten sie eben selbst schuld.

Wenige Jahre konnten einen großen Unterschied machen. Meine Tante, Jahrgang 1922, wuchs außerhalb der Stadt im Grünen auf. Als die Nazis an die Macht kamen, war sie zehn Jahre alt und kam mit 11 Jahren zum „BDM“, den sie als reine Spaß- und Abenteuerveranstaltung empfand. Singen, wandern, zelten. Toll. Sie war 18 oder 19, als ein Nachbar im Fronturlaub auf Hitler schimpfte und sagte, der Krieg ginge verloren. Sie war geschockt, konnte sich das gar nicht vorstellen, was da schief gehen sollte. Und sie erzählte ihr Leben lang, ungläubig über sich selbst, wie sagenhaft naiv sie damals war und wie verspätet sie erst alles um sich herum wahrnahm. Eine Nachbarin, die aus meiner Perspektive genauso gebildet und genauso alt war – geboren 1918 – erzählte eine diametral entgegengesetzte Geschichte. Sie war Widerständlerin. Wie konnte das angehen?

Sie wurde in Österreich geboren. Als Hitler dort 1938 an die Macht kam (statt 1933 wie bei meiner Tante), war sie kein 10-Jähriges Mädchen, sondern hatte die Matura hinter sich, studierte bereits an der Uni in Wien und erlebte, wie alle ihre (jüdischen) Professoren und Kommilitonen verschleppt wurden. Sie schloß sich der Untergrund-Opposition an und lebte das Gegenteil von Idylle, Spaß und Abenteuer, die meinte Tante damals prägten; nämlich tägliche Lebensgefahr und existentielle Angst.

Dabei waren es gerade mal vier Jahre Altersunterschied und der Zufall, in einer anderen Stadt des „Deutschen Reichs“ geboren zu werden.

Mein Opa hatte drei Söhne, geboren 1919, 1923 und 1932. Der Erste starb schon als Baby in der Not der Nachkriegszeit, weil bei einer Erkältung/Bronchitis keine Medikamente aufzutreiben waren und mutmaßlich vitaminreiche Lebensmittel und Heizung fehlten. Der Zweite verschwand im Alter von 20 Jahren an die „Ostfront“, wurde am ersten Tag zu einer Erkundigung geschickt, geriet in Gefangenschaft und kam nie aus Russland zurück. Den Eltern blieb nur der schale Trost, daß der sensible junge Mann nie eine Waffe abfeuerte und nicht selbst jemanden getötet haben musste. Sohn Nummer Drei wurde vor den Bomben „aufs Land“ in Sicherheit geschickt, mußte nicht hungern und war gerade eben noch nicht alt genug, um eingezogen zu werden, als der Krieg endete.

Alle Hoffnungen der Familie ruhten auf ihm und wieder waren es nur ganze wenige Jahre Altersunterschied zu seinen Brüdern, die sich so extrem auswirkten. Während die beiden Älteren gar nicht überlebten, wurde er genau in der Zeit erwachsen, als Frieden einkehrte und 50 Jahren Wirtschaftswachstum und Wohlstand bevorstanden. Immer nur Aufschwung und Neues zu entdecken. Durch die Welt fliegen ohne Flugscham, Amüsieren, ohne Angst vor HIV/SarsCoV2, keine Frauen, die sich #Metoo-ig beschweren, kein Krieg in Europa, keine Empörung über massenhaften katholischen Kindesmissbrauch, keinen Zusammenbruch ganzer Industrien durch Globalisierung oder Digitalisierung, keine Cyberattacken, keine politische Instabilität, keine mühselige Umstellung auf andere Energie- und Heizsysteme, keine Gedanke daran, wieso man NICHT den großen neuen Verbrenner fahren sollte. Besonders beneidenswert finde ich, das mangelnde Bewußtsein der ersten Nachkriegsgeneration auf Kosten anderer, der Umwelt, der nachfolgenden Generationen zu leben. Sie glaubte ganz selbstverständlich, es würde immer so weitergehen, hatte kein Gefühl für die Endlichkeit von Ressourcen, musste also dementsprechend auch nie ein schlechtes Gewissen haben.

Die schönen Zeiten, die fast das ganze Leben meiner Onkel-Generation prägten, sind vorbei. Heute kann man nur einen Verbrenner-SUV fahren, zum Spaß fliegen oder in einem ungedämmten Haus mit Ölheizung wohnen, wenn man sich entweder dafür schämt oder ignorant ist. 

Man konnte 1950, 1960 oder 1970 seine Kinder guten Gewissens in eine katholische Schule oder ein katholisches Internat geben. Das Bewußtsein darüber, was die verklemmten Zölibatären in ihren Soutanen mit kleinen Jungs allein anstellten, war in der breiten Öffentlichkeit schlicht und ergreifend nicht existent. Auch die Zeit ist unwiederbringlich vorbei. Wer heute seine Kinder zu Geistlichen nach Ettal oder den Regensburger Domspatzen gibt, darf zumindest anschließend nicht mehr überrascht tun, wenn der 10-Jährige Sohn sexuell missbraucht wurde.


Als „Boomer“ und „GenX“ gehört man zu der Alterskohorte, die als Teenager und Twens immerhin überhaupt Problembewußtsein entwickelten. Umwelt, Feminismus, sexuelle Befreiung, Aufklärung über die Nazizeit – all das haben wir zumindest mitgedacht. Es war nicht mehr ganz so unbeschwert, wenn man in den 1980ern intensiv und sehr konkret über sein eigenes Ende in dem von SS20s und Pershing IIs verursachten Atomblitzen nachdachte. Aber wir haben das Elend nie wirklich an eigenem Leib erlebt.

[….] Meine Generation hat immer zu den Verschonten gehört. Zu denen, die - ohne eigenes Zutun oder Verdienst - Glück gehabt hatten. Auch wenn das Wort nicht verwendet wurde. Mit diesem Bewusstsein sollten wir aufwachsen. Ich bin 1967 geboren. Meine Kindheit war durchzogen von mal bewussten, mal unbewussten Verweisen meines Vaters auf Krieg und Not, die er als Kind erlebt hatte. Überall im Alltag gab es Spuren der Versehrung, die nie so benannt wurden, aber die doch als Reste von im Krieg Erlerntem erkennbar waren. Da war diese ängstliche Unruhe in geschlossenen Räumen oder das Meiden von Menschenmengen. Es wurden Fenster und Türen auch im Winter aufgerissen. In Kinos immer nur Gangplätze. Es dauerte lange, zu lange, bis ich diese eigenartigen Gewohnheiten auch den entsprechenden Erfahrungen des Kindes, das mein Vater einmal gewesen war, mit Luftbombardements zuordnen konnte.  [….]

(Carolin Emcke, 23.09.2023)

Bei der GenZ pressiert es hingegen extrem. Das Elend klopft bereits an die Tür. Im Sommer wird es 40°C heiß, mehrere Bundesländer schockieren mit politischen Nazi-Mehrheiten, in jedem Ort gibt es Kriegsflüchtlinge. Da wird es immer schwieriger, in seine private Hygge-Welt zu fliehen und die Augen fest vor der Realität zu verschließen. Für GenZ gibt es nur noch zwei Alternativen: Entweder, sie ändert sich und die ganze Gesellschaft radikal, oder alle werden sterben.

[….] Es gab sie, immer wieder, diese Einbrüche der Gewalt und der Erschütterung, mal näher, mal ferner, wie die rassistischen Anschlagsserien, den Schrecken des Terrors. Es gab sie, die Zäsuren der historischen Umbrüche wie den Fall der Mauer, und doch korrigierten sie bei vielen meiner Generation und auch den nachfolgenden nie dieses Grundgefühl des unverdienten Privilegs.

Das ist vorbei. Die letzten Jahre haben die existenziellen Krisen so verdichtet, dass sie sich wie eine einzige ausnehmen: globale Pandemie. Russischer Angriff auf die Ukraine und das elende, uferlose Sterben dort seither. Und über allem und durch alles hindurch die Klimakatastrophe. Das ist sie. Sie war schon lange da und wir als Gesellschaft haben sie nicht verstanden als das, was sie ist: unsere Prüfung. Wir müssen bestehen. In der Klimakatastrophe werden wir mit allem, was wir dachten, wer wir seien, infrage gestellt. Sie bricht ein, sie zersetzt, sie entstellt unsere Landschaften, unsere Gesellschaften, unsere Leben. Nicht nur punktuell, nicht nur auf einem begrenzten Schlachtfeld, sondern überall. In fernen Gegenden, in der Distanz, aber auch nah, in unseren privaten, intimen Bereichen. Unsere Praktiken und Überzeugungen, das, was uns selbstverständlich schien, wie wir uns bewegen oder arbeiten, was wir anbauen und essen, wie wir heizen und bauen, nichts davon bleibt unangetastet. Die Schonfrist ist vorbei.  [….]

(Carolin Emcke, 23.09.2023)

Eine unangenehme Perspektive, vor der die GenZ steht. Sie hätte sicherlich lieber die Zukunft meines Onkels, als er so alt war wie sie: 50 Jahre Aufschwung, kein schlechtes Gewissen und die realistische Hoffnung, daß es immer nur besser wird zu den eigenen Lebzeiten.

Aber dazu muss man zu dem perfekten Geburtsjahr am richtigen Ort geboren werden. Wer jetzt Twen, Teenager oder gar noch jünger ist, hat die Arschkarte gezogen.



Freitag, 22. September 2023

Populistisch gegen die Zukunft

Rechtspopulismus ist eine feine Sache, wenn man Wahlen gewinnen will. Rechtspopulismus ist nämlich für Doofe attraktiv, weil er immer andere Schuldige findet und dem Urnenpöbel den „du machst alles richtig und brauchst dich nicht ändern“-Honig ums Maul schmiert. Wer doof ist, hört das gern und wählt diejenigen, die ihm die simplen angenehmen Botschaften bringen. Eins ist sicher; an Doofen gibt es keinen Mangel. Social Media, Infoblasen und unverantwortliche konservative Bildungspolitik – die US-Republikaner verbieten Schulbücher, ja verbrennen sogar öffentlich Bücher – lassen das Heer der Doofen immer mehr anschwellen.

Für sich im Wahlkampf befindliche Politiker ist also der Rechtspopulismus eine naheliegende und erfolgversprechende Strategie. Da in westlichen Demokratien fast immer Wahlkampf ist, erleben wir mehr und mehr Rechtspopulismus. Er kann sich für jeden Wahlkämpfer als der entscheidende Joker erweisen.

Man muss nur zwei einfache Voraussetzungen erfüllen, um sich ebenfalls an rechtspopulistischen Strategien zu bedienen:

1)   Man darf über keinerlei Schamgefühl verfügen, weil man auf maximal amoralische Weise lügen muss.

2)   Es muss einem herzlich egal sein, daß man die eigene Nation damit auf jeden Fall langfristig in den Abgrund reißt.

Wer diese Bedingungen, wie zB Aiwanger, Söder oder die AfD-Hobby-Höckes Katrin Ebner-Steiner und Martin Böhm, erfüllt, kann Erstaunliches erreichen.

So glaubt die Mehrzahl der Bayern inzwischen an eine ganze Fülle von Verboten, welche die offenbar schon ewig in Bayern regierenden Grünen den armen freiheitsliebenden Bayern aufgezwungen hätten. Aber nun gäbe es da die ganz neu erschienene Söder-Opposition, die sich mutig traue, den allmächtigen Grünen zu widersprechen.

Natürlich ist an diesem Narrativ wirklich alles gelogen. Es gibt die von Söder und Aiwanger behaupteten Verbote nicht, die Grünen haben noch nie regiert und die CSU hat immer regiert.

Södewanger bläuen aber in hunderten Bierzelten, den feisten rotnasigen Wählern mit den durchschnittlich fünf Promille Blutalkohol derartig viel rechtpopulistischen Unsinn ein, daß der Urnenpöbel nun begeistert davon ist, über keine Stromtrassen und keine erneuerbaren Energien zu verfügen und dem Klimawandel nichts entgegen zu setzen.

[….] Egal in welches Bierzelt die Grünen in Bayern gerade kommen: Die Verachtung ist schon da. Sie werden angebrüllt, ausgepfiffen, jetzt fliegen sogar Steine.   […..] „De Greana“, sagen sie auf dem oberbayerischen Land. Möchte die CSU ein Bierzelt so richtig in Wallung bringen, müssen ihre Leute nur dieses Wort sagen. Oder diesen Namen: Katharina Schulze. [….] Cem Özdemir müsste längst da sein, der Bundeslandwirtschaftsminister. Besuch aus Berlin im Bauernland Bayern, im Sommer 2023 ist das ein Sicherheitsrisiko. Drinnen 2500 Leute, viele Grünen-Fans, noch mehr Grünen-Feinde. Draußen überlegt die Polizei, Özdemirs Rede abzublasen. [….] Vor dem Bierzelt haben Männer einen Marktstand aufgebaut. Tomaten liegen da in Holzkisten, Eier – und Steine. Wurfgeschosse? Ach, sagt einer, man verkaufe die Steine gar nicht wirklich, das gehe alles „in die lustige Richtung“. Und ja, die Leute lachen sich kaputt. Manche fragen nach besonders schweren Steinen, nach faulen Eiern, „dafeide Oa“, sagen sie hier. [….] Man muss an dieser Stelle kurz erwähnen, was Markus Söder über die Grünen gesagt hat, auch im Bierzelt, weil Wahlkampf in Bayern nur noch in Bierzelten stattfindet, irgendwo muss es da jetzt ein Gesetz geben, das andere Formate unter Präventivhaft stellt. „Die Grünen passen mit ihrem Weltbild nicht zu Bayern“, sagte Söder, er sagt ja vieles über die Grünen. Dass die Grünen das Heizen mit Öl verbieten wollten, das Kurzstreckenfliegen, das Fleisch, das Böllern. Dass Söder da gern zuspitzt, muss man nicht erwähnen. [….]

(SZ, 22.09.2023)

Noch einmal; die Grünen waren nie auch nur einen Tag an einer bayerischen Regierung beteiligt und Söder schafft es, sich als tapferer Robin-Hood-Rebell gegen die allmächtigen Grünen Gewaltherrscher darzustellen.

[….] Viele haben es bereits geahnt – jetzt ist es offiziell: Die Grünen sind an allem Schuld. Das ergab eine Studie der Dieter-Nuhr-Universität Dresden. Demnach ist die Öko-Partei, die seit zwei Jahren Teil der Bundesregierung ist, für nahezu alles verantwortlich, was in den letzten 20 Jahren in Deutschland schief lief.

"Wir haben ausführlich nach den Ursachen aller aktuellen Katastrophen und Probleme geforscht", erklärt Studienleiter Hans-Josef Berneck. "Dazu haben wir insbesondere Kommentare auf Internetplattformen und Mitschriften von Stammtischen analysiert und ausgewertet. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Grünen sind an allem schuld."

Zu der langen Liste der Missstände, für die die Partei direkt verantwortlich ist, gehören der wirtschaftliche Niedergang, der Krieg in der Ukraine, das schlechte Abschneiden der Nationalmannschaft, der Aufstieg der AfD, nachlassender Sexualtrieb, die Corona-Pandemie, der Klimawandel, Verspätungen bei der Bahn und dieses eine Stück Fleisch, das man seit Tagen zwischen den Zähnen stecken hat und einfach nicht rausbekommt.  [….]

(Postillon, 22.09.2023)

Auf Söders rechtspopulistischen Pfaden wandelt auch Rishi Sunak, der Tory-Premierminister, der mit seiner Brexit-Partei das Vereinigte Königreich mit einer jahrelangen gewaltigen Lügenkampagne in den Abgrund führte.

Der rechtspopulistische Tory-Wahlkampf funktioniert so sensationell gut, daß sie trotz katastrophaler politischer Perfomance und einem nie dagewesenen ökonomischen Niedergang, ununterbrochen seit Mai 2010 regieren – derzeit mit einer breiten absoluten Mehrheit im britischen Unterhaus.

Sunaks neuester Wahlkampfschlager ist sein mutiger Kampf gegen die bürgerfeindlichen klimapolitischen Gesetze und den ausufernden Umweltschutz. Er, der kleine tapfere Oppositionelle Sunak, werde die Bürger von diesem Irrsinn befreien. Schluß mit den von bösen Linken aufoktroyierten viel zu ambitionierten Klimazielen! Unnötig zu erwähnen; auch das sind alles Lügen. Alles, was Sunak nun streicht, stammt von seiner eigenen Partei.

[….] Er verteidigte seine Pläne, die von seinen Vorgängern festgelegten Zielsetzungen der britischen Klimapolitik abzuschwächen. Verbot von Benzin- und Diesel-Neuwagen erst ab 2035 statt 2030; doch kein Zwang, veraltete Boiler auszutauschen: [….] Rishi Sunak hat die Ambition beerdigt.

[….] Am Donnerstag verschickten die Tories per Mail noch einmal Sunaks schlagworthaft vorgetragene Versprechen, er werde Pläne, "von jedem Bürger sieben Mülltonnen" zu verlangen oder eine "Pflicht zum Carsharing" einzuführen, mit sofortiger Wirkung streichen. Nur: Es gab diese Pläne nie. Mit falschen Behauptungen Ängste erzeugen und sich dann als Retter porträtieren - das ist ein politischer Stil, der einem bekannt vorkommt. [….]

(Michael Neudecker, SZ, 22.09.2023)

Der schwerreiche Sunak belügt damit nicht nur aus purem Egoismus sein Volk, sondern er schadet ihm auch extrem. Schließlich ist der Klimawandel real und im Gegensatz zu der von Merkel gepamperten deutschen Auto-Industrie, die Dank des Schutzes der CDU im Kanzleramt, stets nur auf immer größere Benzinfresser setzte, dadurch den Anschluss an neue Techniken verpasste und nun international abgehängt ist, hatte die britische Industrie das große Glück von der konservativen Regierung mit dem harten Datum „Verbrenner-Aus 2030“ eine klare Perspektive zu bekommen, sich auf umweltfreundlichere Antriebe einzustellen und dadurch einen Weltmarktvorteil gegenüber den zuvor alles dominierenden deutschen Autobauern zu erarbeiten.

Genau diesen Vorteil zerschlägt aber der rechtspopulistische Sunak jetzt. Genau wie den Klimaschutz.

[….] Vor ein paar Tagen war die Welt von Mike Hawes noch in Ordnung. Der Chef des Verbands der britischen Automobilindustrie hatte die Branche am Montag zum E-Auto-Gipfel nach London eingeladen, gleich gegenüber der Westminster Abbey. Die Botschaft, die Hawes loswerden wollte, war eindeutig: Die Autoindustrie steht voll und ganz hinter den Klimazielen der Regierung. Da wusste er allerdings noch nicht, dass ihn ausgerechnet die Regierung ziemlich ausbremsen würde.

Gerade mal zwei Tage nach dem E-Auto-Gipfel verkündete Rishi Sunak bei einer Pressekonferenz in 10 Downing Street nicht weniger als eine klimapolitische Wende. Der Premierminister stellte am Mittwoch klar, dass die Regierung das Verkaufsverbot neuer Autos mit Verbrennermotoren von 2030 auf 2035 verschieben werde. Sunak verabschiedet sich damit von einem ehrgeizigen Ziel, das sein Vorvorgänger Boris Johnson gesetzt hatte. Nun gilt also auch in Großbritannien das, was in der EU vorgeschrieben ist. Für die meisten Autohersteller kommt dieser plötzliche Kurswechsel nicht nur überraschend, sondern auch zu einem ungünstigen Zeitpunkt. So hatte etwa Alex Smith, der Chef von Volkswagen im Vereinigten Königreich, noch am Montag davon gesprochen, dass man nun alles tun müsse, um die Menschen davon zu überzeugen, dass es wirtschaftlich vernünftig sei, auf E-Autos umzusteigen. Und jetzt? Aus Sicht der Industrie sendet die Regierung ein fatales Signal. Verbandschef Hawes sagte am Donnerstag, dass Sunaks Kurswechsel vor allem zu "Verwirrung" führe. Die Sorge sei nun, dass viele Menschen ihre Kaufentscheidung verschieben - und damit die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen einbrechen könnte. Die Verärgerung in der Autoindustrie ist groß. Am deutlichsten wurde Lisa Brankin, Chefin von Ford in Großbritannien. Sie warf Sunak vor, die Bedürfnisse der Wirtschaft vollkommen zu missachten. "Unsere Branche braucht drei Dinge von der britischen Regierung: Ambitionen, Engagement und Konsistenz", sagte Brankin. Eine Lockerung des Verbrenner-Aus würde alle drei Dinge untergraben. Dabei hatte sich die Wirtschaft gerade von Sunak erhofft, dass die Regierung nach Jahren des Brexit-Streits endlich wieder für das sorgt, was die Industrie braucht: Planungssicherheit. [….] Und so blieb Verbandschef Hawes am Donnerstag nicht viel mehr übrig, als das zu fordern, was er schon zu Beginn dieser Woche beim E-Auto-Gipfel gefordert hatte: mehr Tempo beim Ausbau der Ladestationen. Sunak hingegen sieht das nicht mehr so dringend: Die Verschiebung des Verbrenner-Verkaufsverbots gebe nun allen "mehr Zeit".[….]

(Alexander Mühlauer, SZ, 21.09.2023)

Donnerstag, 21. September 2023

Ende einer Ära

Das Bischofsamt ist das höchste Weihesakrament. Das ist eine so verdammt große Sache, daß noch nicht einmal Gottes Stellvertreter auf Erden einen Bischof wieder entbischofisieren kann. Schließlich hatte der HeiGei (= Gott = Jesus) persönlich seine Hände im Spiel, wenn jemand dieses Supersakrament erhielt. Das kann kein Papst – Ätschibätschi – wieder wegwischen, weil er sich damit über den HeiGei stellen würde.

[….] In den Bischöfen, denen die Priester zur Seite stehen, ist also inmitten der Gläubigen der Herr Jesus Christus, der Hohepriester, anwesend. Zur Rechten des Vaters sitzend, ist er nicht fern von der Versammlung seiner Bischöfe (53), sondern vorzüglich durch ihren erhabenen Dienst verkündet er allen Völkern Gottes Wort und spendet den Glaubenden immerfort die Sakramente des Glaubens. Durch ihr väterliches Amt (vgl. 1 Kor 4,15) fügt er seinem Leib kraft der Wiedergeburt von oben neue Glieder ein. Durch ihre Weisheit und Umsicht endlich lenkt und ordnet er das Volk des Neuen Bundes auf seiner Pilgerschaft zur ewigen Seligkeit. Diese Hirten, die ausgewählt sind, die Herde des Herrn zu weiden, sind Diener Christi und Ausspender der Geheimnisse Gottes (vgl. 1 Kor 4,1).  [...] Um solche Aufgaben zu erfüllen, sind die Apostel mit einer besonderen Ausgießung des herabkommenden Heiligen Geistes von Christus beschenkt worden (vgl. Apg 1,8; 2,4; Joh 20,22-23). Sie hinwiederum übertrugen ihren Helfern durch die Auflegung der Hände die geistliche Gabe (vgl. 1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6-7), die in der Bischofsweihe bis auf uns gekommen ist.“ […..] Sache der Bischöfe ist es, durch das Weihesakrament neue Erwählte in die Körperschaft der Bischöfe aufzunehmen. [….]

(Lumen Gentium 21)

Der durchaus machtbewußte Mega-Papst JP-II biss sich daher auch an dem abtrünnigen französischen Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991) die Zähne aus. Woytila konnte ihm nicht das Bischofssakrament entziehen und ihn damit auch nicht daran hindern, immer neue Katholischen Priester und weitere Bischöfe zu weihen, bis ihm dann nervige rechtsextreme Holocaustleugner wie Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X, FSSPX-Bischof Richard Williamson (*1940) auf der Nase herumtanzten. Woytila ließ die fünf Pius-Bischöfe im Jahr 1988 exkommunizieren, also aus der RKK ausschließend, konnte damit aber nichts an der Gültigkeit der Bischofsweihen an sich ändern. Wegen HeiGei; siehe oben. Da Problem löste sich erst, als der im polnischen Widerstand gegen Nazi-Deutschland sozialisierte Woytila 2005 zum Chef abberufen wurde und sein Nachfolger, der frühere bayerische Hitler-Junge Ratzinger sich sagte „Holocaustleugner? Schwamm drüber, das stört mich nicht“, die Exkommunikation von 1988 aufhob und die vier FSSPX-Bischöfe 2009 zurück in die RKK holte.

Da der katholische Bischof Williamson aber privat eine Pestbeule zu sein scheint, geriet er mit seinen Co-Sektierern aneinander, den drei von Marcel Lefebvre geweihten Bischöfen Alfonso de Galarreta, Bernard Tissier de Mallerais und Bernard Fellay, die daraufhin ein Schisma im Schisma vollzogen und Holocaust-Richi im Jahr 2012 aus der FSSPX verbannten.

Damit stießen sie aber bloß an die Grenze, an der JP-II schon 1988 stand. Man kann einen Bischof zwar piesacken und ihm seine weltlichen Ämter aberkennen, aber er bleibt dennoch ein vom HeiGei erwählter Bischof und hat damit das Recht, andere Spinner kirchenrechtlich gültig zu Bischöfen zu erheben.

Williamson machte ab 2012 davon regen Gebrauch und erhob inzwischen sogar acht Geistliche zu regulären katholischen Bischöfen seiner eigenen Klein-Sekte St.-Marcel-Initiative. 2013 hatte Ratzi bekanntlich keinen Bock mehr auf das Amt, das ihm der HeiGei beim Konklave von 2005 aufgebrummt hatte und gab an den argentinischen Einlunger ab, der ab jetzt das zweifelhafte Vergnügen hatte, den 1988 exkommunizierten und 2009 ex-exkommunizierten Williamson bei seiner wilden Weiherei zu beobachten. 2015 platze Bergoglio der Kragen und er warf Williamson erneut raus. Der Holocaustleugner wurde also gewissermaßen ex-ex-exkommuniziert und wartet nun mit seinen acht St.-Marcel-Initiative-Bischöfen möglicherweise darauf, von einem ultrakonservativen Bergoglio-Nachfolger ex-ex-ex-exkommuniziert zu werden.

Das ist also so ähnlich wie der deutsche Affentanz vom Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Atomausstieg, den Söder, Merz und Lindi derzeit propagieren.

Bischöfe wieder loszuwerden, ist also keine triviale Angelegenheit, die auch im Kirchenrecht bemerkenswert vage geregelt ist.

Das Rentenalter für Bischöfe lautet 75 Jahre. Kardinäle müssen bis 80 durchhalten. Eigentlich.

Uneigentlich verlieren sie keineswegs mit dem entsprechenden Geburtstag automatisch ihr Amt, sondern bieten dem Vatikan ihren Rücktritt an, den die Bischofs-Präfektur prüft und dem Papst zur letzten Entscheidung vorlegt. Das kann dauern. So bot Kardinal Woelki Franzi bereits Anfang 2022 seinen Rücktritt an, über den der Argentinier aber bis heute nicht entschieden hat. Erzbischof Heßes Rücktrittsangebot vom März 2021, lehnte Bergoglio ein halbes Jahr später ab – zum Glück, den Heße ist Norddeutschlands wichtigster Säkularisationsbeschleuniger. Der dritte Bischof aus der Meisnerschen Kinderfi**er-Koalition, „Brüder im Nebel“, Weihbischof Schwaderlapp, hatte ebenfalls dem Papst im März 2021 seinen Rücktritt angeboten, aber der wurde am 25.09.2021 aus Rom abgeschmettert.

Es bleibt ein heikler Prozess, weil weniger papsttreue Bischöfe, die sich vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn sie aufhören sollen, aber im Amt bleiben möchten, immer versucht sein könnten, die Lefebvre/Williamson-Karte zu ziehen, um ihr eigenes Ding zu machen. Recht bald nach seiner Amtsübernahme straffte Bergoglio daher das Kirchenrecht diesbezüglich.

[….] Die neue Verfügung, die Papst Franziskus in einer Audienz für Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin billigte, schreibt dieses Vorgehen nun fest. Weiterhin könnte es aber vorkommen, dass der Betreffende die Bitten des Heiligen Stuhls ignoriert. Im Extremfall hat der Papst die harte Möglichkeit einer Amtsenthebung - wie zuletzt die des paraguayischen Bischofs Rogelio Livieres, dem Falschaussage und üble Nachrede vorgeworfen wurden. Die sieben Artikel umfassende Anordnung ergänzt die Canones 401, 402, 411 und 354 des katholischen Kirchenrechts. Im Wesentlichen schreibt sie fest, was schon bisher Praxis war. Das gilt für den Amtsverzicht von Bischöfen, der nur selten pünktlich zum 75. Geburtstag mitgeteilt wird und beispielsweise auch erst nach dem 91. Geburtstag erfolgen kann. Das war das Alter, in dem der weißrussische Kardinal Kazimierz Swiatek seinen Bischofsposten aufgab. Indem Benedikt XVI. ihn so lange im Amt ließ, wollte er Swiatek als große Bekennergestalt seiner verfolgten Kirche ehren.  [….]

(Domradio, 06.11.2014)

Im August wurde Erzbischof Wolfgang Haas, Haasi, der womöglich irrste Bischof des deutschsprachigen Raumes, gewissermaßen eine gemäßtete Williams-Version, 75 Jahre alt.

(….) [….] Der frühere Churer Weihbischof Peter Henrici hat seinem ehemaligen Bischof, dem heutigen Erzbischof von Liechtenstein, Wolfgang Haas (73), und der Kirchenleitung unter Papst Johannes Paul II. schwere Vorwürfe gemacht. Haas [….] „war nicht fähig, sich als Bischof anerkennen zu lassen oder gar zu regieren", so Henrici in einem neuen Interviewband, aus dem die "Neue Zürcher Zeitung" (Samstag) zitiert.  Haas' gröbste Fehler macht Henrici demnach bei der Priesterausbildung aus. Es sei ihm darum gegangen, möglichst viele Jungpriester nachzuziehen, die sein äußerst konservatives Weltbild geteilt hätten. "Der Bischof nahm ungeeignete Priesteramtskandidaten auf, betreute sie persönlich und weihte sogar den einen oder anderen gegen den ausdrücklichen Rat von Regens Peter Rutz", so der frühere Churer Weihbischof und Generalvikar mit Sitz in Zürich (1993-2003). Der Schaden, den Haas dem Bistum zugefügt habe, liege "weniger in dem, was er tat, als in dem, was er nicht tat oder nicht tun konnte". [….] Unter dem sehr konservativ agierenden Haas (1988/90-1997) stürzte das Bistum in eine tiefe Krise, der der Papst aus Polen schließlich dadurch begegnete, dass er 1997 das kleine Erzbistum Liechtenstein schuf, um Haas aus Chur in seine Heimat zu befördern. Diese Ära der Spannungen wiederholte sich unter Bonnemains Vorgänger Vitus Huonder (2007-2019).[….]

(KNA, 27.11.2021)

Die Kombination aus Frauen- und Schwulenhass einerseits und freundlicher Toleranz gegenüber Kinderfi**ern andererseits, wird allerdings auch im Vatikan nicht mehr so uneingeschränkt positiv gesehen, wie früher. Also rüstete der Liechtensteiner Pykniker in den 10ner Jahren verbal etwas ab, um nicht wie ein zweiter TVE, als Kurienerzbischof im Vatikan zu versauern.

Das wäre natürlich insbesondere für die Atheisten äußerst bedauerlich, wenn ein Bischof mit einer so enormen Gläubigen-Vertreibungspotenz nutzlos in Rom versteckt würde. So wirkungsvolle Helden der Säkularisierung gibt es selten und sollten wie Woelki, Meisner, Mixa, Huonder, Krenn, TVE, Groer, Laun, Dyba, Burke, Viganò oder Bertone öffentlich maximal präsent sein, um die Kirchenaustrittszahlen kontinuierlich zu erhöhen.

Deshalb war ich sehr glücklich über Haasis Rückkehr in die Öffentlichkeit. Mit einem Paukenschlag reihte er sich in der Kaczyński-Kyrill-Putin-Orbán-Front ein und hetzte in einer derben menschenfeindlichen gegen Schwule.  (….)

(Wieso sich die konservativen Dunkelkatholiken im Aufwind wähnen, 18.03.2022)

Wie würde Papst Bergoglio mit dem formal angebotenen Rücktritt vom Traum-Posten des prunkverliebten Moppels umgehen?

Ein paar Jahre drüber nachdenken, wie bei Woelki?



Ihn noch weitere 16 Jahre im Amt lassen, wie Kazimierz Swiatek?

Oder würde er Haasi so schnell wie möglich absägen, mit der Gefahr, daß dieser auf den Lefebvre-Geschmack kommt und ein Dutzend homophober Liechtensteiner Nazi-Stampfer zu Bischöfen macht?

Aber in diesem Fall reagierte der Papst verblüffend klar; zu groß ist offenbar seine Abneigung gegen den dicken Aluhut aus dem Bergreich.

[….] Kontroverser Bischof geht in Ruhestand

Der Erzbischof von Vaduz in Liechtenstein, Wolfgang Haas, ist zurückgetreten. Papst Franziskus nahm den altersbedingten Amtsverzicht des 75-Jährigen an. Als Erzbischof von Vaduz und zuvor Bischof von Chur ist er oft angeeckt.

Mit der Übergangsleitung beauftragte der Papst den Bischof von Feldkirch in Österreich, Benno Elbs,wie das vatikanische Presseamt am Mittwoch mitteilte. Haas war der letzte Amtsträger aus einer Riege kontroverser und entschieden konservativer Bischofsernennungen der späten 80er Jahre unter Papst Johannes Paul II. (1978-2005) im deutschen Sprachraum. Dazu gehörten etwa die Kardinäle Hans Hermann Groer (Wien) und Joachim Meisner (Köln) oder Bischof Kurt Krenn in Sankt Pölten.  […]

(Domradio, 20.09.2023)

Ach Haasilein, ich werde ihn vermissen!