Donnerstag, 14. September 2023

Hoffnungslos rechts

Ja, die Ampel streitet viel.

Ja, die Wähler hassen Streit in der Regierung.

Ja, alle drei Ampelparteien sind in der Wählergunst katastrophal abgerutscht.

Ja, Journalisten aller Couleur stürzen sich genüsslich auf jeden Ministerdissens und überbieten sich mit „Schon wieder Streit in der Regierung“-Schlagzeilen.

Aber die Wähler irren sich. Streit ist nicht schlecht. Schlecht war die 16-jährige Merkel-Harmoniesoße, bei der jede Problemlösung auf den St. Nimmerleinstag verschoben wurde und damit die gewaltige Problemballung, vor der Olaf Scholz nun sitzt, erst auslöste.

Ja, Scholz-Politik aus einem Guss, ohne das ganze Ringen und Kompromisse schmieden, wäre schöner. Aber dafür hätte der Urnenpöbel der SPD und den Grünen bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 je fünf Prozentpunkte mehr einschenken müssen. Stattdessen zwangt er aber Scholz und Habeck die destruktive Lindner-FDP auf, die zu jeder sinnvollen Maßnahme erst mal „Nein!“ sagt und nur danach trachtet, die Superreichen zu verwöhnen.

Angesichts dieser denkbar schlechten Bedingungen, liefert die Scholz-Regierung verblüffend konsequent ab und packt die Dinge an, die 16 Jahre lang im CDU-Kanzleramt sträflich verbummelt wurden. Die Bertelsmann-Stiftung hat genau hingesehen und attestiert der Ampel zur Halbzeitbilanz, konsequente Einhaltung ihrer Versprechen.

[…..] Änderungen, die die Ampel zum Wohl der Bürger durchgebracht hat (natürlich geht immer mehr, in der Zeit der Union ging GAR NIX  FÜR DIE BÜRGER) und man kann immer noch ein wenig mehr rumheulen und "aber aber" schreien und die Tatsachen ignorieren.

Man kann aber auch einfach mal anerkennen, dass diese Regierung in dieser kurzen Zeit mehr für die Menschen getan hat, als die Union in 16 Jahren.....:

2021 Mindestlohn auf 12 Euro

2021 höheres Kindergeld   

2021 höheres Wohngeld   

2022 Tötungsverbot von 1-Tages-Küken

2022 Lobbyregistergesetz   

2022 LNG-Terminals   

2022 Energiepreisentlastung I 15 Mrd.  

2022 Energiepreisentlastung II 17 Mrd. 

2022 Energiepreisentlastung III 35 Mrd. 

2022 Energiepreispauschale 300 Euro (in Energiepreisentlastung II) 

2022 Sondervermögen Bundeswehr 100 Mrd. 

2022 Nord Stream 2 Moratorium   

2022 9-Euro-Ticket (in Energiepreisentlastung II)   

2022 sofortiger Hartz IV Bezug für Ukraineflüchtlinge   

2022 Gasumlage   

2022 Corona-Schutz-Regeln  

2022 Heizkostenzuschuss Rentner, Studierende, Wohngeldempfänger  (in Energiepreisentlastung III) 

2022 Energieabwehrschirm 200 Mrd.  

2022 AKW-Restlaufzeit bis 15. April 2023  

2022 Mindestlohn für Azubis   

2022 Bürgergeld, Grundsicherung 

2023 Selbstbestimmungsgesetz   

2023 Gebäudeenergiegesetz   

2023 Staatsangehörigkeitsgesetz  

2023 49-Euro-Ticket   

2023 Zuverdienstgrenze bei Renten aufgehoben 

2023 Wohngeldreform (plus 1,4 Mio. Haushalte – insgesamt 2,0 Mio.)   

2023 CO2-Kostensufteilung   zwischen Mieter und Vermieter  

2023 Gebäudeeffizienzgesetz   

2023 Gesetz zur erleichterten Planung (2020) verlängert  

2023 Förderung beim Kauf von E-Autos 

2023 Mehrwegverpackungsgesetz 

2023 mehr Flächen für Getreideanbau  

2023 Strom- Gas- und Wärmepreisbremse   

2023 EEG (2023 – bis 2030 mindestens 80% Erneuerbare)  

2023 Offshore-Windenergie-Gesetz

2023 vorgezogener Braunkohleausstieg (NRW)  

2023 Triage-Gesetz  

2023 BRAO-Reform   

2023 Tabaksteuererhöhung   

2023 Transparenzregister Geldwäsche Terrorismus erweitert   

2023 Gesetz gegen Steueroasen  

2023 Patentrechtsreform 

2023 Recht auf Ganztagsschule für Grundschüler (ab 2026) 

2023 Mindestfrauenquote in Vorständen 

2023 ESM-Reform

2023 Sicherungsfonds für Pauschalreisen 

2023 Pflegereformgesetz inkl. Tariftreue   

2023 Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts 

2023 Tattoo-Farben-Gesetz  

2023 ÖPNV-Förderung 1 Mrd. 

2023 Lkw-Maut-Erhöhung

2023 Lieferkettengesetz   

2023 Chancen-Aufenthaltsgesetz für gut Integrierte 

2023 Asylbeschleunigungsgesetz 

2023 Gesetz zur Modernisierung des Verkündungs- und   Bekanntmachungswesens   

2023 Wahlrechtsgesetz – EU-Wahlen ab 16  [….]

(Bunte Seite, 14.09.2023)

Die Regierungsrealität steht im grotesken Gegensatz zu der Stimmung im Wahlvolk, welches zu drei Vierteln unzufrieden mit der Regierung ist.

Schon Helmut Kohl wußte: „Die Wirklichkeit ist anders als die Realität“.

Wie es zu diesem extremem Missverhältnis kommt, ist wenig überraschend:

Der ganz große rechtspopulistische Schulterschluss aus CDU, Hubsi Aiwanger, SPRINGER, Julian Reichelt, rechten Hetzblogs, CSU, AfD, FW, trägen Talkshowmoderatoren, Weidelknechten, TERFs und renitenten freidrehenden FDP-Geronten!

Sie überziehen ganz Deutschland mit einer massiven Lügenkampagne über nicht existente „grüne Verbotsorgien“ und schüren absurde Enteignungsängste bei Immobilienbesitzern.

Insbesondere die beiden Parteichefs Markus Söder und Friedrich Merz handeln nicht nur destruktiv, sondern auch zutiefst amoralisch, indem sie immer wieder Signale nach Rechtsaußen senden, das faschistische AfD-Vokabular übernehmen und somit systematisch die verfassungsfeindlichen Demokratieverächter stärken.

Ein schwarzbrauner Tabubruch jagt den Nächsten.

Das hat massive Auswirkungen auf die Wahlabsichten des Urnenpöbels.







Merz Lo Vult. Die Menschen wählen immer das Original und genau den faschistischen Dreck stärken CDU und CSU.

Nachdem sich Markus Söder in den letzten beiden Wochen als Deutschlands aktivster Faschistenverstärker etablierte, passierte genau das, was jeder politische Beobachter erwartet und begreift – außer den alten Männern in der CDUCSU-Führung: AfD und FW rauf, CDUCSU runter. Söder boostet die FW von 11% auf 16%. Heute legten die Merzianer im tiefbraunen Höckistan nach und küssten dem Hitler-Fan im Landtag den Hintern.

Volksverhetzer Arm in Arm mit FDP und CDU – schon wieder.

[….] CDU und FDP stimmen mit AfD gegen Ramelow

Gegen den Willen der rot-rot-grünen Regierung hat die Opposition in Erfurt eine Steuersenkung durchgesetzt. Der linke Ministerpräsident spricht von einem "Pakt mit dem Teufel". AfD-Mann Höcke freut sich.

Die Opposition hat in Thüringen erstmals gegen den Willen der rot-rot-grünen Regierung eine Steuersenkung durchgesetzt. Ein Gesetzentwurf der CDU für eine niedrigere Grunderwerbsteuer bekam am Donnerstag im Landtag in Erfurt eine Mehrheit, weil neben der FDP die AfD die entscheidenden Stimmen beisteuerte. Beschlossen wurde mit 46 zu 42 Stimmen eine Senkung der Grunderwerbsteuer. Erbauer von Eigenheimen und Immobilienkäufer müssen danach nur 5,0 statt 6,5 Prozent Steuer zahlen. Der Einnahmeverlust des Landes liegt nach Prognosen bei 48 Millionen Euro jährlich.

Die CDU-Initiative sorgte für Wirbel und für Fragen bei der politischen Konkurrenz, wie es die größte Oppositionsfraktion im Thüringer Landtag mit der Brandmauer zur AfD halte, die in Thüringen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft ist.  [….]

(SZ, 14.09.2023)

Demonstrativer Pakt der Merz-Partei mit den vom Verfassungsschutz als „rechtsextrem“ eingestuften Fanatikern des Bern Höcke. Faschistenbeglückung durch die Christdemokraten.

Es wird wirklich Zeit, hier die Hühner zu satteln.

Mittwoch, 13. September 2023

Alpenalptraum

Die Schweiz ist für viele Deutsche erstaunlicherweise so eine Art Terra Incognita.

Natürlich kennt man die Eidgenossen. Sie sind für viele Dinge berühmt: Handwerkskunst, Uhren, Schokolade, Käse, Wintersport und natürlich die Schweizer Garde des Papstes.

Ich war auch immer ein großer Fan von Jean Ziegler und habe 1990 mit großer Faszination sein „Die Schweiz wäscht weißer“ gelesen, das aber bei vielen Schweizern nicht gut ankam.

Es ist in Deutschland üblich, sich über das Schwyzerdütsch lustig zu machen, das ähnlich wie Niederländisch, verächtlich als „Halskrankheit“ bezeichnet wird.

Völlig unkomisch. Ich mag beide Sprachen und finde, gerade die Deutschen sollten es dringend unterlassen, andere Sprachen zu verballhornen.

Besonders liebe ich es, wenn Schweizer Hochdeutsch sprechen. Darin liegt in meinen Ohren so ein angenehmer Singsang. Ich habe schon erlebt, von einem irritierten Schweizer gefragt zu werden, wieso ich ihn so weggetreten angucke und mußte ihm erklären, das sei keinesfalls despektierlich gemeint, ich hörte einfach seiner Sprachmelodie so gern zu.

Das war dann für uns beide unangenehm.

Wie die Schweiz genau funktioniert, weiß aber kaum jemand in Hamburg. Sie ist eben kein EU-Land, funktioniert ohne Euro und organsiert sich mit einem, den anderen deutschsprachigen Ländern wenig ähnlichen politischen System.

Wir sind schließlich ziemlich auf Brüssel fixiert. Daher „kennt man“ auch viele Minister und Regierungschefs aus anderen Europäischen Nationen. Nur eben nicht die Schweizer Vertreter, weil die nie dabei sind. Und was ist eigentlich die offizielle Amtssprache; Rätoromanisch aus dem Kanton Graubünden? Darunter kann Hamburger sicher nichts vorstellen.

Da ich den aus Frankreich stammenden Johannes Calvin und die Calvinisten so stark mit Genf und dem „Schweizer Arbeitsethos“ assoziiere, halte ich die Schweiz für einen protestantischen Staat.

Tatsächlich bezeichnen sich rund drei Viertel der Schweizer als Christen.

Die Mehrheit aller Schweizer – knapp 40% - ist aber römisch-katholisch. Ein Viertel ist evangelisch-reformiert und weitere 6% gehören zu Freikirchen.


Die bekanntesten Schweizer Kleriker; darunter der nach Liechtenstein verbannte Erzbischof Wolfi Haas, der emeritierte Bischof Vitus Huonder (Chur), der KTV-Extremist Pfarrer Hans Buschor, Kurt Kardinal Koch (ehemaliger Bischof von Luzern) oder Opus Dei-Mann Joseph Maria Bonnemain (Bischof von Chur); sind allesamt erzkonservative Knochen.

Die Schweizer Kinder, die unter dem Einfluss Schweizer Katholiken aufwuchsen, stellen unglücklicherweise aber gar keinen Sonderfall dar.

Hier ist die Schweiz, wie jedes andere katholisch geprägte Land. Völlig durchschnittlich. Schweizer Geistliche missbrauchten, vergewaltigten und quälten tausende Kinder – stets beschützt von den Topklerikern, denen die Opfer gleichgültig waren.

[….] Die 136 Seiten sind nur der Anfang, eine Art erster Überblick nach einem Jahr Forschungsarbeit. Nichtsdestotrotz ist das, was zwei Professorinnen und drei Historikerinnen und Historiker am Dienstag in Zürich vorstellen, erschütternd: 1002 Fälle sexuellen Missbrauchs durch katholische Kleriker, kirchliche Angestellte und Ordensangehörige können die Forscher für die Schweiz und den Zeitraum 1950 bis heute belegen.

Die fast 1000 Betroffenen, die das Forschungsteam identifiziert hat, waren zu 74 Prozent minderjährig, unter ihnen waren sogar Säuglinge. Die gut 500 Beschuldigten wiederum waren und sind fast ausschließlich männlich, der Anteil an geweihten Männern ist nach Aussage der Wissenschaftler "sehr, sehr hoch". Mehr als die Hälfte der Fälle ereignete sich laut der Studie im Rahmen der Gemeindearbeit, also in der Seelsorge, dem Ministrantendienst oder bei der Kinder- und Jugendarbeit.

Die übrigen Vorfälle spielten sich in katholischen Heimen, Schulen und in Ordensgemeinschaften ab. Die Kirche habe häufig mit Vertuschung auf Missbrauchsfälle reagiert, schreiben die Historiker. Die Täter wurden innerhalb der Schweiz oder sogar ins Ausland versetzt; das kirchliche Strafrecht wurde oft nicht angewendet. Die Ergebnisse der Studie seien zweifellos nur die Spitze des Eisbergs, sagt Marietta Meier, Geschichtsprofessorin an der Uni Zürich und eine der beiden Leiterinnen des Projekts. Das habe einerseits mit dem begrenzten Zeitrahmen zu tun, aber auch mit vernichteten Akten und einer mutmaßlich sehr hohen Dunkelziffer. Man müsse davon ausgehen, dass nur ein kleiner Teil der Fälle überhaupt jemals gemeldet wurde, so Meier und Co-Leiterin Monika Dommann.  [….]

(Isabell Pfaff, 12.09.2023)

Dienstag, 12. September 2023

Das föderale Großversagen

Die Langsamkeit der politischen Entscheidungen im föderalen Deutschland ist schon seit Dekaden als extremer Standortnachteil bekannt.

Vor einem Vierteljahrhundert, im Dezember 1998, wollte die frisch ins Amt gekommene Schröder-Regierung die verworrenen und verschachtelten Bund-Länder-Beziehungen entwirren. Zunächst funkte aber das Verfassungsgericht mit Neuregelungen zum Länderfinanzausgleich dazwischen. Schließlich, 2003 setzten Bundestag und Bundesrat eine gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung ein.

Die beiden Vorsitzenden Stoiber und Müntefering waren gut gewählt. Beide verfügten über Parteivorsitz-Autorität, waren schon lange im Geschäft. Einer Union, einer SPD, einer stand für Bundes-, einer für Länderinteressen. Nach 14 Monaten, Ende 2004, scheiterte die Müntefering/Stoiber-Kommission an den verbissen auf ihren Pfründen beharrenden konservativen Ministerpräsidenten.

2005 kollabierte die Schröder-Regierung, aber auf Druck der SPD wurde in der Merkel-Groko das Thema erneut aufgegriffen. Nun habe man die Block-übergreifenden Mehrheiten, dachten sich die Optimisten.

Da Merkel nicht Schröder war, verlor sich das Projekt im Klein-Klein, es wurden abstruse Kompromisse gemacht. Zwar waren ab 2006/2007 tatsächlich weniger Bundesgesetze auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen, aber dafür übertrug der Bund fatalerweise viel zu viele Kompetenzen auf die Länder.

[….] Die Bildungspolitik ist weitgehend Ländersache. Beim Bund verbleiben lediglich die Kompetenzen zur Regelung der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse − von der die Länder abweichen können − sowie jene für den betrieblichen Teil der beruflichen Bildung im dualen System. Die bisherige Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau geht ebenso in die Autonomie der Länder über wie die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung. Damit zieht sich der Bund aus der Finanzierung des Hochschulbaus und aus den direkten Finanzhilfen im Schulbereich zurück. Die diesbezüglichen Bestimmungen werden häufig mit dem Schlagwort „Kooperationsverbot“ belegt. [….] Durch den weitgehenden Rückzug des Bundes aus der Bildungspolitik (70 % der Kosten für den Hochschulbau sollen in Zukunft die Länder tragen) und seiner Abkehr von einheitlicher Beamtenbesoldung und einheitlichem Ladenschluss entledige sich der Bund seiner sozialen Verpflichtungen und Hoheitsbefugnisse und zwinge so die Länder in einen Wettbewerb um die niedrigsten Kosten, unter anderem zu Lasten von Studenten, Forschungseinrichtungen und Beamten. [….]

(Wikipedia)

Statt eines eher Kooperativen, wurde in der Bildungspolitik ein  konkurrenzorientierter Föderalismus, in den sich der Bund nicht einmischen darf, ersonnen. Ein katastrophales Ergebnis, das für Schüler und Studenten eine klare Verschlimmbesserung bedeutete. Merkel war es, wie üblich, völlig egal. Hauptsache, es gab irgendeinen Kompromiss, mit dem sie sich schmücken konnte.

Knapp zwei Dekaden später wurschteln also bei Schulthemen weiterhin 16 Landes-Bildungsminister in der unverbindlichen Kultusministerkonferenz (KMK) vor sich hin, dürfen aber keinesfalls Geld vom Bund bekommen.

Leidtragende sind die Jugendlichen, die Ökonomie und Deutschlands Zukunft.

Als Industrie- und Export-orientiertes Hochlohnland ohne Bodenschätze, ist es für Deutschland extrem wichtig, auf gut gebildete Menschen zu setzen. Nur die Qualifikation der Deutschen, kann im internationalen Wettbewerb einen Vorteil erschaffen. Erreicht wird aber das Gegenteil: 2023 gibt es Millionen Verblödete und massiven Fachkräftemangel. Was für ein unfassbares Versagen der föderalen deutschen Bildungspolitik!

[…]  Kategorie eins. Das ist die niedrigste Stufe bei der PIAAC-Studie der OECD. Vor einem halben Jahr ist diese kleine Schwester der PISA-Studie erschienen. Oder vielmehr die große Schwester: Es ging um die 16- bis 65-Jährigen. Etwa 18 Prozent der Bürger im erwerbsfähigen Alter sind demnach "funktionale Analphabeten". Sie können nicht oder kaum lesen und schreiben, ein paar Worte vielleicht, ihre eigene Unterschrift, bestenfalls Kurztexte. Fast neun Millionen Bürger, die Bevölkerung von Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt zusammen.  Doch die Reaktion war eine andere als bei der PISA-Studie, die Anfang des Jahrtausends den berühmten PISA-Schock ausgelöst hat. Es gab ein PIAAC-Schöckchen, kurzzeitige Aufregung. [….]

(Johann Osel, 03.05.14)

Fast 20 Prozent der Erwerbstätigen können nicht, oder kaum Lesen und Schreiben.

Viele davon haben mit Schulabschluss. Das ist Deutschland, Millionen bekommen Abschlusszeugnisse, ohne Lesen und Schreiben zu können.


[….]  6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben, die Sache ist nur die: Die allerwenigsten von ihnen gehen in einen Grundbildungskurs. Die allermeisten wurschteln sich durch den Alltag, irgendwie. Und die Frage ist, wie man jemanden findet, der vielleicht gar nicht gefunden werden will. [….]

(Süddeutsche Zeitung, 07.09.2023)

Jede internationale Studie zeigt: Die Probleme in der deutschen Bildungspolitik werden größer und nicht kleiner. Durch Totalversagen der Landesregierungen und Desinteresse der Bundespolitiker wie Bettina Stark-Watzinger oder Karliczeck, vergrößern wir täglich das Heer der Dummis, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, während immer mehr Branchen verzweifelt im Ausland nach Arbeitskräften fahnden. Nur daß immer weniger Menschen nach Deutschland kommen wollen, weil zu viele Deutsche garstig und xenophob sind. Kinder von Migranten berichten immer wieder ihren fassungslosen Eltern, wie sie im Haus von Mitschülern vor dem Abendessen gebeten werden zu gehen, weil man doch bitte ohne sie essen wolle. Wir kennen keine Gastfreundschaft und Willkommenskultur.

Wenn aber keine qualifizierten Ausländer in Deutschland arbeiten möchten, sollten die von der AfD „Biodeutschen“ Genannten, befähigt werden.  Das wird aber nichts.

[….] Die aktuelle OECD-Studie »Bildung auf einen Blick«, die an diesem Dienstag vorgestellt wurde, zeigt: Die Schere zwischen formal top und gar nicht Qualifizierten öffnet sich in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen in Deutschland immer weiter. Die Forscher sprechen von einer »Bildungspolarisierung«: So gibt es deutlich mehr junge Menschen mit Hochschulabschluss. Ihr Anteil ist seit dem Jahr 2015 von 30 auf 37 Prozent gestiegen. Gleichzeitig bleiben mehr junge Menschen ohne Berufsausbildung: Ihr Anteil ist im gleichen Zeitraum von 13 auf 16 Prozent angewachsen. Deutschland liegt mit dieser Quote zwei Prozentpunkte über dem OECD-Durchschnitt und nimmt eine unrühmliche Sonderrolle ein. Es ist neben der Tschechischen Republik eins von nur zwei OECD-Ländern, in denen der Anteil junger Menschen, die weder die Hochschulreife noch einen Berufsabschluss haben, größer geworden ist. »Diese Entwicklung ist besorgniserregend«, sagte Nicola Brandt, Leiterin der OECD-Sektion in Berlin. In vielen OECD-Ländern sei der Trend gegenläufig.  [….] Jens Brandenburg, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, mahnte: Wenn fast jeder Sechste nicht über entsprechende Mindestqualifikationen verfüge, betreffe dies fast 1,7 Millionen junge Menschen. Diese würden angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland dringend als Arbeitskräfte benötigt. [….]

(SPON, 12.09.2023)

Das Gute ist; wenn man den Blick in die Zukunft richtet, muss man sich gar nicht erst Hoffnung machen, sondern hat die beruhigende Gewissheit, daß es noch viel schlimmer kommen wird, weil kein politisches Interesse an Bildung besteht und niemand mehr Lehrer werden will.

Schon jetzt fehlen 40.000 bis 50.000 Lehrer in Deutschland, so daß es zu massiven Unterrichtsausfall kommt. Die verbliebenen Lehrer müssen sich aber nicht nur um zusätzliche 200.000 Ukrainische Kinder kümmern, sondern gehören überproportional zur Boomer-Generation und werden demnächst ihr Berufsleben beenden, ohne daß es Nachwuchs in den Lehrerzimmern gibt. Zu allem Übel ist die Lehrer-Ausbildung in Deutschland so antiquiert und desillusionierend, daß Lehramtsstudenten nach ihren Abschlüssen in Deutschland lieber direkt ins Ausland wechseln. Ändern lässt sich das Desaster nicht; siehe oben: Die Föderalismus-Reform aus der Merkel-Zeit hat es unmöglich gemacht.


[….] Dass monatelang Unterricht ausfällt, auch in wichtigen Fächern, ist keine Ausnahme. An vielen Schulen gehört es inzwischen zum Alltag. [….] Der Lehrkräftemangel ist längst eines der gravierendsten Probleme des Landes, er verschärft die Bildungskrise und hat dramatische Folgen für die ganze Gesellschaft. [….] Schon jetzt scheitern die Schulen zu oft an der Vermittlung grundlegender Fähigkeiten. Bei jeder großen Bildungsstudie der vergangenen Jahre, sei es deutschlandweit oder international, sind die durchschnittlichen Leistungen der Schüler in Deutschland gesunken. Wie Wissenschaftler betonen, liegt das nicht allein an den Schulschließungen während der Pandemie. Zuletzt hat die Iglu-Studie gezeigt, dass jeder vierte Viertklässler einfache Texte nicht versteht. Das ist ein Skandal, wird von der Politik aber ebenso tatenlos zur Kenntnis genommen wie der Umstand, dass jedes Jahr etwa 50 000 Jugendliche ohne Abschluss - und ohne Chance auf eine Berufsausbildung - die Schule verlassen.

Mit zu wenig Personal werden sich die Schulen schwertun, daran etwas zu ändern. Mit zu wenig Personal werden sie auch an anderen Herausforderungen scheitern. [….] Um den Lehrkräftemangel in den Griff zu kriegen, gibt es keine einfachen und vor allem keine schnellen Lösungen. An vielen Stellen muss sich etwas bewegen, an Schulen, Universitäten, besonders dringend aber in den Köpfen der verantwortlichen Politiker. Bisher plant jedes Bundesland für sich, wie viele Lehrkräfte es braucht und ausbildet. Wie gut das funktioniert, zeigt der aktuelle Engpass - vor dem Experten übrigens seit zwei Jahrzehnten warnen. Trotzdem wollen die Kultusminister sich nicht zusammentun. Im Gegenteil, seit Anfang des Jahres wird offen um Lehrer aus anderen Bundesländern geworben, besonders aggressiv in Bayern. Diese Ellenbogenmentalität ist verantwortungslos. [….]

(Lilith Volkert, SZ, 11.09.2023)

Montag, 11. September 2023

Diskursverschiebung

Wenn rechte Proleten, wie Alice Weidel oder Hubert Aiwanger, im Bierzelt unter frenetischem Jubel ihrer besoffenen Basis rumbrüllen, sind zwei Elemente immer gleich: Sie lügen und sie überschreiten die Grenze zur Satire so weit, daß man selbst als geübter Beobachter der rechtsextremen Szene zweifelt, ob es sich noch um Realität handelt, oder ob eine KI ein groteskes Deep-Fakevideo erstellt hat.

Sie wollen uns die Heimat kaputt machen!

Sie wollen uns die Schweinshaxe, die Bratwurst, das Schnitzel verbieten.

Und das sage ich ihnen; ich lasse mir nicht mein Schnitzel wegnehmen! Niemand geht an mein Schnitzel!

(Alice Weidel, September 2023)

So brüllte die Schweizer Lesbe in Gillamoos, mit der ihr ureigenen tiefsitzenden Bosheit in der Stimme, über ein frei erfundenes Verbot.

Was waren das für schöne Zeiten, als man noch so naiv war, sich nicht vorstellen zu können, ein Wahlvolk wäre jemals so vollkommen verblödet, um Mehrheiten für solche abstrusen und zutiefst unsympathischen Lügner zu generieren.

Klar, Hitler wurde auch mit demokratischen Mehrheiten gewählt, aber da gab es auch noch keine freien Informationen im Internet. Außerdem wurden die NSdAP-Erfolge von einer damals hochmodernen Propaganda-Abteilung des Joseph Goebbels orchestriert. Leni Riefenstahls extrem beeindruckende neue Techniken gelten auch 90 Jahre später noch als wegweisend. Die zig Millionen Nazi-Wähler in den 1920ern  und 1930ern haben Hitler tatsächlich geglaubt.

Aber spätestens seit Donald Trump als Politiker auftauchte, weiß man, daß es einer derart intelligenten PR-Strategie gar nicht mehr bedarf. Auch ungebildete Schreihälse, die wie Clowns aussehen, sich pausenlos selbst widersprechen und für jeden offensichtlich lügen, werden jetzt von den Massen gefeiert.
Offensichtlich schreitet die allgemeine Volksverdummung rasant voran; Stichwort „Negativer Flynn-Effekt“.

[….] Ende des Flynn-Effekts. Auch in den USA zeigt die Intelligenzkurve nach unten

In vielen Industrieländern scheinen die durchschnittlichen IQ-Testwerte seit Ende der 1990er-Jahre zu sinken – die Ursachen sind unklar.  [….]

(Thomas Bergmayr, 16. März 2023)

So kann Markus Söder bei seinen über 100 Landtagswahlauftritten immer wieder, unter dem Jubel der CSU-Fans, seine Empörung über die Verbotsorgie der Grünen herunterrattern.

Der kleine Schönheitsfehler, daß nichts davon wahr ist, sondern nur bösartige CSU-Lügen sind, die immer wieder öffentlich widerlegt werden, schadet gar nicht.

CSU-Wähler sind nämlich entweder zu unterbelichtet für rudimentäre Medienkompetenz, oder, noch schlimmer, sie wissen, daß Söder sie anlügt.

Ganz am Anfang der Trump-Präsidentschaft, im Januar 2017, mussten sich seine öffentlichen Erklärer, wie Spicer und Conway noch beschämt verbiegen, um seine für jeden offensichtlichen Lügen – Stichwort „Crowd Size“ – als „alternative facts“ schönzureden. Das ist längst vorbei. Inzwischen preisen die Trump-Fans auch seine abenteuerlichsten Lügen als Ausweis dafür, ein genialer „Salesman“ zu sein.

Alice Weidel nutzt diesen Effekt, indem sie ungeniert gegen das nicht existente Schnitzelverbot anbrüllt. Fakten – gibt es so ein Fleischverbot, ja oder nein? – sind längst irrelevant. Es zählt nur noch, wie es die aufgeschaukelten Brüllhorden empfinden. Wenn diese sich über das Wurstverbot ärgern, ist das in der Söder/Trump/Aiwanger/Weidel-Welt ein reales und berechtigtes politisches Anliegen. Unabhängig davon, daß es gar kein Wurstverbot gibt.

Verlustängste sind reale Sorgen, auch wenn sie unberechtigt sind und künstlich erzeugt wurden. Das funktioniert offenbar sogar bei hochgradig absurden Behauptungen, die ausschließlich die imaginären Wahnvorstellungen des Redners illustrieren. Man denke an Trumps Besessenheit von Klospülungen. Es vergeht keine Rally, bei der er nicht detailliert über den Wasserdruck von Toilettenspülungen lamentiert, phonetisch das Rauschen imitiert und den Zuhörern ausführlich darlegt, wie oft er die Spülung drücken muss, um die riesigen Trump-Kackhaufen wegzuspülen.

Es ist sehr unwahrscheinlich, daß dies tatsächlich ein wahlentscheidendes Thema ist, welches 75 Millionen US-Bürger umtreibt.

Aber der öffentliche Diskurs ist derartig weit in absurde Sphären verschoben, daß der ehemaliger Inhaber und jetzige Bewerber um das mächtigste Amt der Welt, damit Millionen Fans zu Jubelstürmen veranlasst.

Durch die tätige Mithilfe der C-Parteivorsitzenden verschob sich der Diskurs aber nicht nur ins den Gaga-Bereich, sondern auch in den Tiefbraunen.

Man kann heute in Bayern gegen Juden agitieren und mit antisemitischer Haltung im Amt bleiben.

78 Jahre nach dem Kriegsende, nachdem Deutschland sechs Millionen Juden getötet, 25 Millionen Sowjetbürger umgebracht und insgesamt mehr als 60 Millionen Menschen in Europa massakriert hatte; nachdem ein ganzer Kontinent von Deutschen in Schutt und Asche gelegt wurde, bedauert die AfD-Chefin Weidel die Niederlage und wünscht sich offenbar, Hitler hätte gesiegt.

[…] Kritik kam dazu von Familienministerin Lisa Paus von den Grünen. „Weidel stellt die Befreiung von Nazi-Deutschland durch die Alliierten als Niederlage Deutschlands dar“, schrieb die Grünen-Politikerin auf X (vormals Twitter) und warnte vor einem Wiedererstarken des Faschismus hierzulande. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl zeigte sich „sehr irritiert“, ob der „Geschichtsklitterung, die Befreiung Deutschlands von den Nazis sei eine Niederlage gewesen“, wie sie auf X schrieb. Zugleich kritisierte sie, dass die Äußerung zunächst völlig unkommentiert blieb. „Das trägt zur rechten Diskurs-Verschiebung bei“, so Ferschl.  [….]

(FR, 11.09.2023)

Daß Rechtsextreme ungeheuerliche Äußerungen von sich geben, gab es in den letzten 70 Jahren immer wieder. Alles andere wäre auch verwunderlich – schließlich gab es in Deutschland immer einen festen Bodensatz von 10-20 Prozent Nazi-Fans.

Neu ist aber, daß solche Äußerungen von Spitzenpolitikern, anders als bei Hohmann oder Jenniger, keine Konsequenzen mehr haben. Ihnen nicht nur, nicht schaden, sondern wie im Falle Gauland, Weidel, Höcke, Aiwanger sogar noch mehr Zustimmung generieren.

[…..] Weidel, sonst über die Maßen loyal zu ihrem intellektuell ungleichen Kompagnon, trat Chrupalla mit einer Aussage voll ins Kreuz: Auf die Frage, warum sie nicht wie dieser am Empfang der russischen Botschaft am Tag der deutschen Kapitulation am 9. Mai teilgenommen hat, antwortete sie: Sie habe sich dagegen entschieden, "die Niederlage des eigenen Landes mit einer ehemaligen Besatzungsmacht zu befeiern". Dann hängte sie noch etwas Raunendes zu einer Fluchtgeschichte in ihrer Familie an. Sie kritisierte ihren Parteikollegen also nicht, weil dieser mit den Aggressoren des Ukraine-Kriegs die Gläser gehoben hatte. Sondern, weil eine "Niederlage Deutschlands" kein Grund zu feiern sei. […..] Dieser Satz von Alice Weidel ist eine Ungeheuerlichkeit. Er ist geschichtsvergessen und versucht, den Lauf der Geschichte und die Übereinkunft darüber, was der Tag des Kriegsendes ist, auf den Kopf zu stellen.

Es ist der extremste Satz, der aus der offiziellen Führung der AfD je zu hören war. Er ist viel schlimmer als Alexander Gaulands "Vogelschiss". Als solchen hatte der geschichtskundige damalige AfD-Vorsitzende und heutige Ehrenvorsitzende 2018 die Nazizeit in der 1.000-jährigen deutschen Geschichte bezeichnet und diese damit aufs Obszönste relativiert. Er ist viel schlimmer als das Hetzblatt, das der Freie-Wähler Chef Hubert Aiwanger in seinem Schulranzen trug. Weil ihn kein rotzlöffeliger Pennäler äußert, sondern eine Parteichefin in Amt und Würden und bei voll entwickeltem Verstand.

[…..]  Was hätte sich Weidel denn gewünscht statt der Befreiung, die sie Niederlage nennt und Russland eben Sieg? Einen weiter geführten Angriffskrieg des Aggressors Deutschland, den Endsieg? Es bleibt einem die Spucke weg. Und es ist ein Armutszeugnis des öffentlichen Diskurses, wenn man die Aufregung um Aiwanger vergleicht mit der vergleichsweisen Ruhe nach Weidels fürchterlicher Einlassung. Das darf so nicht bleiben. Ohne Aiwanger damit zu exkulpieren: Das hier ist viel schlimmer. […..]

(Christoph Schwennicke, 11.09.2023)

Uns stehen abscheuliche Zeiten bevor.

Sonntag, 10. September 2023

Und nun, Sahra Sarrazin?

Die beiden rechten Postillen BILD und FOCUS ONLINE berichteten gestern, Wagenknecht habe sich nun zur Parteineugründung entschlossen und träte nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern (am 08.10.2023) damit an.


[….] Sahra Wagenknecht (54) ist – nach Verteidigungsminister Boris Pistorius (63, SPD) und CSU-Chef Markus Söder (56) – Deutschlands beliebteste Politikerin.

Umfragen (INSA für BILD) zeigen: Eine eigene Wagenknecht-Partei käme bundesweit aus dem Stand auf 15 Prozent. Sie gilt als mögliches Bollwerk gegen die Rechtsaußen-Partei AfD. Potenzial laut INSA: 25 Prozent bundesweit, 42 Prozent in Ostdeutschland! Seit Monaten rätselt ganz Deutschland: Nutzt Wagenknecht ihre Chance? Versetzt sie ihrer eigenen Linken, die ohne die „Rote Sahra“ nicht mehr in den Bundestag käme, den Todesstoß? Nun steht nach BILD-Informationen fest: Die Wagenknecht-Partei kommt! [….]

(Bild, 10.09.2023)

Was für ein Paukenschlag! Während die Linke in Ostdeutschland im einstelligen Bereich dümpelt, würde Wagenknecht dort 42% abräumen und überall stärkste Partei sein. Damit wäre Regieren ohne Sahra Sarrazin so gut wie unmöglich; da es auch immer noch die AfD gibt, mit der (noch) niemand koalieren will.

Die von rechtsextremen Verschwörungstheoretikern gefeierte und gehypte Noch-, bald Ex-Linke müsste nur zugreifen.

Es gibt da nur ein kleines Problem am Rande: Die BILD lügt mal wieder und hat sich die Meldung bloß ausgedacht. Mutmaßlich, um selbst Politik zu machen und Druck auf die Putin-Freundin auszuüben; auf daß die deutsche Politik noch rechtslastiger werde.

[….] Sahra Wagenknecht hat einen Bericht der Bild am Sonntag dementiert, wonach die Entscheidung zur Gründung einer neuen Partei bereits gefallen sei. "Es gibt da keinen neuen Stand", sagte sie der SZ. Dieser Stand ist seit Monaten: Wagenknecht, die immer noch Mitglied der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag ist, beabsichtigt, eine neue, linkskonservative Partei zu gründen und macht sich auch schon Gedanken um die politische Ausrichtung des Projekts.  [….]

(SZ, 10.09.2023)

Springer, der alte Arbeitgeber ihres Mannes, hält der bei den Linken Ausgebooteten die 42%-Wurst vor die Nase und erwartet von ihr, sofort zuzuschnappen. Es wäre ein Fest für die klimawandelleugnerische, xenophobe, Grün-hassende und covidiotische Rechts-Presse, eine weitere verschwörungstheoretische Partei aufsteigen zu sehen. Ganz sicher ist Wagenknecht amoralisch und destruktiv genug, um so eine Partei anführen zu wollen.

Sie wird aber nicht so dumm sein, nach ihrem Total-Reinfall mit ihrer Quasi-Partei „Aufstehen“ von 2019, weiterhin zu glauben, man müsse nur laut „Hier!“ schreien, um die in dubiosen Umfragen prognostizierten Zahlen, in echte zahlende Parteimitglieder und konkrete Wahlerfolge zu verwandeln.

Für rechtspopulistische Sprüche Beifall zu erheischen, ist sehr einfach in Deutschland. Eine Partei zu etablieren, ist eine ganz andere Sache. Das ist teuer und erfordert sehr viel engagiertes Personal.

Oskar Lafontaines Ehefrau laboriert darüber hinaus an einem weiteren Handicap: So sehr sie als Talkshow-Gästin geliebt wird, so abstoßend wirkt sie offenbar im persönlichen Umgang. Sie ist charakterlich so verdorben, daß niemand mit ihr zusammenarbeiten will. Privat mag sie niemand, da sie illoyal, faul und verlogen agiert.

Natürlich ist es ein faszinierendes Gedankenspiel, sich vorzustellen, bei welchen Parteien, wie viele Prozentpunkte fehlten, wenn die Liste Wagenknecht (LW) tatsächlich 15% im Bund oder gar 40% in den Ossiländern bekäme.
Es wird aber mutmaßlich nicht alles vom Fleisch der AfD kommen. Viele rechtspopulistische Thesen sind im verunsicherten und Reform-unwilligen deutschen Urnenpöbel, der aber von den globalen Umständen, zu massiven Reformen gezwungen wird, populär.

So sehr ich mich über ein gewaltiges Schrumpfen der AfD freuen würde; die Wähler, die ungeniert ihr Kreuz bei Faschisten und Antisemiten machen wollen, sind damit nicht verschwunden.

Mit einer LW könnte Deutschland Unregierbarkeit drohen. Weimar könnte sich 100 Jahre später doch noch wiederholen.

Schon jetzt steht der Kollaps einer linken Arbeiter-freundlichen pazifistischen Partei so gut wie fest.

[…..]  Sie umgibt sich nur noch mit Leuten, die sie in ihren Überzeugungen bestätigen, ihr Talkshow-Ruhm hat zu Selbstüberschätzung geführt.

Wagenknecht möchte insbesondere AfD-Wählern eine neue politische Heimat bieten, erklärt sie immer wieder. Denn viele wählten die rechtsextreme Partei nur „aus Verzweiflung“. Wagenknecht will ihnen mit einem linksnationalistischen Kurs entgegenkommen. Aber stimmt ihre Analyse? Zweifel daran sind angebracht. Viel spricht dafür, dass die meisten die AfD genau für das wählen, was sie ist: rechtsextrem. Das ökonomische Programm ist für viele dagegen bestenfalls zweitrangig. Wagenknechts Alternative zur AfD droht deshalb eine Totgeburt werden. Schaden wird der Abgang von Wagenknecht vor allem der Linkspartei, deren mediales Zugpferd sie lange war. Die linke Fraktion im Bundestag wird sich spalten, ihre Wählerschaft dürfte weiter schrumpfen. Das ist eine Tragödie. Denn Deutschland bräuchte weiterhin eine starke Partei, die unverdrossen die soziale Frage stellt und SPD und Grüne von links kritisiert. […]
(Daniel Bax, taz, 10.09.2023)

Für Deutschlands Zukunft sehe ich schwarz. Und zwar dunkelschwarz.

Samstag, 9. September 2023

Natürlich gibt es hier auch Arschlöcher

Hamburg ist so etwas wie der Alptraum eines Sachsen: 56% der Jugendlichen Hanseaten haben einen Migrationshintergrund.

[….] Fast vier von zehn Hamburgerinnen und Hamburgern haben einen Migrationshintergrund. Wie das Statistikamt Nord am Montag mitteilte, lag dieser Wert Ende 2022 bei 39,3 Prozent. 2014 hatten demnach erst 31,5 Prozent der Hamburger Bevölkerung Wurzeln im Ausland, seitdem war der Wert zwar kontinuierlich gestiegen, aber nie so stark wie im vergangenen Jahr, als er um 1,9 Prozentpunkte zulegte. In Billbrook (87,5 Prozent), Veddel (76,1) und Billwerder (67,7) ist der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund besonders hoch, [….]   Besonders auffällig: In der Gruppe der unter 18-Jährigen in Hamburg haben bereits 56,1 Prozent einen Migrationshintergrund. In manchen Stadtteilen wie Billbrook (98,5 Prozent), Veddel (92,7), Harburg (84,9), Jenfeld (81,4), Billstedt (80,3), Steilshoop (78,1) und Dulsberg (75,3) gibt es kaum noch Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund.  [….]

(Hamburger Abendblatt, 04.09.2023)

Aus diesem für Dresdner Hirne enormen Multikultikuddelmuddel ergeben sich interessante Zahlen:
77.000 Euro Bruttosozialprodukt pro Kopf in Hamburg.

Sachsen, mit nur einem Zehntel des Hamburgischen Ausländeranteils - 5,3 Prozent der sächsischen Bevölkerung sind Menschen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen – ist also dem AfD-Ideal von einer homogen biodeutschen Bevölkerung sehr nah, wie sie sich auch Hitler-Fan Hubsi Aiwanger so sehnlich wünscht, schafft mit 36.000 Euro BSP/Kopf nicht mal die halbe Wirtschaftskraft Hamburgs.

AfD-Affinität und NS-Freundlichkeit sind, ähnlich wie der Antisemitismus umgekehrt proportional zur Zahl der Ausländer, bzw Juden in der Nachbarschaft.

Je weniger Migranten es gibt, desto mehr werden sie gehasst und desto schlechter die wirtschaftliche Verfassung. Niemand will dort arbeiten und investieren.

Auch die Reaktion der sächsischen Wähler erfolgt umgekehrt proportional zur Vernunft.

Die Wahlabsicht der Sachsen am 31.08.2023 lautet: AfD 35%, CDU 29%, Linke 9%, SPD 7%, Grüne 6%, FDP 5%.

Das wird noch ein Spaß für den Putin-affinen Ministerpräsident Kretschmer, wenn er nach der Landtagswahl am 01.09.2024 mit solchen Zahlen, gemäß der CDU-Regeln, ohne AfD und ohne Linke regieren will.

Zum Vergleich, das wirtschaftlich doppelt so starke Hamburg mit zehnmal so hohem Ausländeranteil bei der letzten Landtagswahl:

(….) [….] Wie das Landeswahlamt weiter mitteilte, schaffte die AfD den Wiedereinzug in die Bürgerschaft mit 5,3 Prozent (2015: 6,1 Prozent). Stärkste Kraft wurde die SPD von Bürgermeister Peter Tschentscher mit 39,2 Prozent (45,6). Auf Platz zwei landeten die Grünen mit 24,2 Prozent (12,3). Auf die CDU entfielen 11,2 (15,9), auf die Linke 9,1 Prozent (8,5). […..]

(NDR, 24.02.20)

Durch das zusätzliche FDP-Mandat gibt es ein Ausgleichsmandat, so daß die neue Bürgerschaft 123 statt 121 Abgeordnete haben wird.

SPD und Grüne verfügen über 87 von 123 Sitzen. Das ist eine 70,7%-Mehrheit.

Sogar SPD und Linke hätten mit 67 Sitzen eine absolute Mehrheit von 54,5% der Mandate im Parlament. Den linken Durchmarsch zeigt eindrucksvoll die Addition von SPD, Grünen und Linken, die zusammen auf 100 von 123 Mandaten kommen. Das entspricht 81,3 % der Sitze. (….)

(Zahlen zum Genießen, 24.02.2020)

In Hamburg rotten sich keine Wutbürger-Horden zusammen, die „national befreite Zonen“ einrichten wollen. Flüchtlingsunterkünfte werden nicht mit Brandsätzen beworfen, sondern es wird mit breiter Hilfsbereitschaft reagiert.

In der Regel.

Natürlich gibt es auch in Hamburg einflussreiche Konservative, die in den Luxus-Stadtvierteln laut aufjaulen, wenn in ihrer Nachbarschaft eine Asylunterkunft errichtet wird. 2015 wurden peinliche Proteste in Blankenese und insbesondere in der Sophienterrassen von Hamburg-Harvestehude bundesweit bekannt.

Die um ihre Immobilienwerte fürchtenden Nachbarn kamen zwar nicht wie ihre Sächsischen Gesinnungsgenossen mit moderigen Zähnen und ungewaschenen Haaren „Haut Ab! Lügenpresse!“-grölend daher. Dafür aber mit teuren Anwälten.

(….) 2014 begannen einige Anwohner der Sophienterrasse, gelegen im allerfeinsten Stadtteil Harvestehude gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft zu stänkern.

Statt wie sonst üblich den Verfall der eigenen Grundstückspreise zu beklagen, wurden die Harvestehuder noch einen Schritt perfider und argumentierten scheinbar mit den armen Flüchtlingen mitfühlend, daß diese sich bei ihnen gar nicht ernähren könnten, weil alles viel zu teuer wäre.

Lieber sollten die Heimatvertriebenen in die randständigeren Stadtbezirke, wo es aufgrund der Armut auch mehr Lidls und Aldis gäbe.

Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen und der Hamburger Senat bekam große Probleme sich durchzusetzen, weil die Anwohner der Sophienterrasse die besten und teuersten Anwälte in Marsch setzten.

Die vermögenden Xenophoben scheiterten allerdings gerade wegen ihrer Macht und Professionalität. Der relativ neue SPD-Senat konnte schon aus Prinzip nicht nachgeben und zudem begannen sich eine Reihe Harvestehuder für ihre klagenden Freunde zu schämen. Wer will schon gern das Image als fremdenfeindlicher Schnösel mit seiner Adresse verbunden wissen?
In der Folge setzten sich viele Anwohner ganz besonders intensiv für die zukünftigen Flüchtlinge in der Unterkunft Sophienterrasse ein.

Nun, nachdem die Nachbarn die Neu-Harvesterhuder kennengelernt haben, ist es auf einmal doch vorstellbar, daß eine afghanische Familie durch das edle Pöseldorf-Center spaziert. Die Integration ist zur Erfolgsgeschichte geworden. Man hilft und versteht sich.

Der Verein Flüchtlingshilfe Harvestehude ist besonders aktiv und effektiv. 190 Flüchtlinge wohnen nun in dem Nobelstadtteil und alle sind zufrieden.

Pro Flüchtling gibt es zwei freiwillige Helfer.

[….] "Die Vorurteile nehmen automatisch ab"

Der Widerstand gegen ein Flüchtlingsheim im noblen Hamburg-Harvestehude war entschlossen. Eine Studie zeigt nun: Plötzlich sind die meisten Anwohner froh über die Nachbarn.

[….] Die Ansichten der Anwohner sind enorm positiv, die Zustimmung zu dem dortigen Flüchtlingsheim liegt bei mehr als 80 Prozent. Ein Viertel der Befragten findet es sogar gut, dass die Menschen hierherkommen, damit ihre Nachbarn mal mit der Realität konfrontiert werden. [….] Ein Großteil der Harvestehuder sieht schlichtweg die Verpflichtung, etwas für die Schutzsuchenden zu tun.[….]

(Prof Jürgen Friedrichs, 22.02.2017)

Eine Erfolgsgeschichte zweifellos, aber auch eine Geschichte mit erstaunlich wenig Strahlkraft. Das im äußersten Westen an der Elbe gelegene Blankenese produziert schon lange widerliche Schlagzeilen. Flüchtlinge? OK; irgendwie schon, aber bitte nicht in ihrem schönen reichen Blankenese, sondern beim armen Plebs in Billstedt und Jenfeld. Dabei gibt es in Blankenese ein geradezu ideales Stück Land, auf dem Flüchtlinge wirklich keinen Menschen stören könnten.

[….] Die Kampfzone haben sie inzwischen abgesperrt. "Gesichertes Objekt" steht an den Bauzäunen rund um den hügelig-kargen Sandplatz in Blankenese, als lagerten dort seltene Bodenschätze. Um Rohstoffe geht es am Björnsonweg im noblen Westen von Hamburg aber nicht. Es geht um Menschen. Albrecht Hauter, ein weißhaariger Herr in rotem Rentnerjäckchen, spaziert an diesem Herbsttag den Zaun entlang, er macht ein düsteres Gesicht. "Hier könnten längst Häuser stehen", raunt er, "dann könnten die Flüchtlinge bald einziehen, Kinder würden auf der Straße spielen." Doch außer Sand und Gestrüpp ist hinter der Absperrung nichts zu sehen, dank einiger gewiefter Nachbarn: Erst verhinderten sie im April den Bau der Unterkünfte mit einer Straßenblockade, dann zog ein Anwohner vor Gericht. Seitdem liegen die Juristen im Dauerstreit. In Blankenese verweigern wohlhabende Menschen Hilfsbedürftigen die Solidarität. [….]

(Peter Maxwill, 26.10.2016)

Die juristischen Auseinandersetzungen dauern an.

Viel Geld, Vorurteile und Juristen machen es möglich.  (….)

(Reiche Hamburger, 31.05.2017)

Als Hamburger ist man beschämt über die lauten Harvestehuder. Insbesondere die anderen Harvestehuder schämen sich für ihre xenophoben Nachbarn und machten es umso besser.

Nun steigen die Flüchtlingszahlen bekanntlich seit dem Februar 2022 wieder massiv an. Wer würde es den von Putin angegriffenen Ukrainern verdenken, daß sie ihre Frauen und Kinder in Sicherheit wissen möchten?

Die Hamburger Behörden stellt das aber vor große Probleme und es häufen sich die alarmistischen Berichte in der konservativen Presse.

Guckt man sich die Karte genauer an, stellt man fest: In Harvestehude sind nicht sehr viele Unterbringungsmöglichkeiten. Wieso eigentlich nicht? Es lief doch letztlich so gut in der Sophienterrasse. 

Noch leben dort, wohlbehütet, 167 Menschen. Aber 2024 wird die Unterkunft ganz geschlossen. Eine Nachwirkung der konservativen Anwalts-Proteste von 2015.

[….] Hamburg steht – was die Unterbringung von Flüchtlingen angeht – mit dem Rücken zur Wand: 44.089 Menschen leben in den städtischen Unterkünften, damit sind 96 Prozent der Kapazitäten voll, und zwar inklusive provisorischer Unterbringungen wie Hotels. Alles in allem hat die Stadt derzeit 45.889 Plätze zu vergeben – und der Zustrom reißt nicht ab. Und ausgerechnet jetzt muss die Stadt die Schließung einer gut funktionierenden Unterkunft vorbereiten: Die Sophienterrasse mit  Platz für 190 Menschen muss im September 2024 dichtmachen, das haben einige Anwohner im bestsituierten Harvestehude vor Jahren gerichtlich so erstritten. Die Kläger sorgten sich damals um den Wert ihrer Villen. Im Januar 2016 zogen die ersten Bewohner ein, ab September 2024 ist Harvestehude dann wieder flüchtlingsfrei, [….]  Neben der strengen zeitlichen Begrenzung ließen die Kläger sich noch einen speziellen Passus in den Nachbarschaftsvertrag schreiben: Sobald die Flüchtlinge ausgezogen sind, darf an dem Standort 50 Jahre lang keine „sonstige soziale oder gesundheitliche“ Nutzung erfolgen. Der Gebäudekomplex, in dem einst das Kreiswehrersatzamt residierte, ist Eigentum der Stadt – das sie nun aber trotz großer Not für nichts nutzen darf, was irgendwie sozial angehaucht ist. So ein Zugeständnis an die Villenbewohner ist in Hamburg einmalig, wie die Sozialbehörde auf MOPO-Anfrage bestätigt. [….] Hendrikje Blandow-Schlegel ist fassungslos über den 50-Jahre-Passus: „Wie kann man eine städtische Fläche für Jahrzehnte der sozialen Nutzung entziehen? Da kann keine Kita, kein Altenheim, keine Beratungsstelle entstehen. Nichts. Das ist unmoralisch und ein Skandal.“ Die Anwältin und Ex-SPDBürgerschaftsabgeordnete gehört zu der großen Mehrheit von Harvestehudern, die sich mit viel Engagement um die neuen Nachbarn gekümmert haben. [….]

(Hamburger Morgenpost, 01.09.2023)

Freitag, 8. September 2023

Im braunen Drachenblut gebadet.

Der rechtsextreme Verschwörungstheoretiker Hubsi Aiwanger – „wir müssen uns die Demokratie zurück holen!“ – war zumindest als Schüler ein echter antisemitischer Neonazi.

„Die Presse“, vom stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten, aber auch vom rechtspopulistischen CDU Chef Merz nach AfD-Art angegriffen und gewarnt, macht dennoch ihren Job. Natürlich ist es ihre Kernaufgabe, herauszufinden, von was für einem Mann die Bayern regiert werden.

Wenn es nicht so erbärmlich wäre, könnte man über Söders Verdikt von vor zehn Tagen – bei Aiwanger dürfe nun aber nichts mehr dazu kommen und er müsse Reue zeigen – lachen. Das Gegenteil geschah. Statt Reue, drückte er sich um Erklärungen und trommelte in Bierzelten wie ein Nazi-Gorilla auf seine Brust: Er solle fertig gemacht werden und wehre sich tapfer. Täglich kommt etwas Neues hinzu.

(….) Recht erbärmlich auch die Söder/Merzsche Verniedlichung der Aiwanger-Taten: Hitlergruß, Hitler-Frisur, Hitler-Schnauzer, Horst-Wessel-Lied grölen, „Mein Kampf“ auswendig lernen, Hitlers reden imitieren, "Schwarzbraun ist die Negersau" auf seine Ordner schreiben, Lehrer mit Säure attackieren oder zutiefst menschenverachtende antisemitische Pamphlete verfassen – für Unger ist klar: Das kann schon mal vorkommen, wenn sich die Eltern trennen oder man Probleme in der Schule hat. (….)

(Der rechte Faux Pas des Tages, 05.06.2023)

Immer mehr ehemalige Mitschüler melden sich und geben unisono bekannt, Hubert Aiwangers Nazi-Flugblatt sei mitnichten ein singuläres Ereignis, sondern er sei als überzeugter Neonazi bekannt gewesen, der immer wieder mit NS-Hetze auffiel und auch entsprechend bestraft wurde.

So habe er beispielsweise einst die Wände der Schultoilette mit riesigen Hakenkreuzen bemalt. Da Aiwanger als Schulnazi bekannt war, fiel der Verdacht sofort auf ihn. Der Direktor überführte ihn schnell und seine ganze Strafe bestand darin, die Hakenkreuze zu entfernen. So berichten es mehrere Zeugen gestern dem RBB-Magazin KONTRASTE.

[…..] Doris Thanner, ehemalige Mitschülerin von Hubert Aiwanger:

"Eine ganz stramm konservative Haltung, die sich eindeutig verbunden hat mit einer Begeisterung für Hitler und für Inhalte, die damals eindeutig nationalsozialistisch waren. Jemand, der eindeutig sympathisiert mit braunem Gedankengut."

Wir treffen Stephan Winnerl. Er war Schülersprecher an Hubert Aiwangers Gymnasium – und äußert sich zum ersten Mal vor der Kamera. Winnerl erinnert sich noch genau an einen Vorfall:

Stephan Winnerl, ehem. Schülersprecher Burkhart Gymnasium Mallersdorf

"Das war eine Sache, da war ich als Schülersprecher befasst, da ging es um eine Hakenkreuz-Schmiererei auf der Toilette. Das waren vielleicht acht oder zehn Hakenkreuze über so eine Wand verteilt, relativ groß."

Schnell fiel der Verdacht auf den jungen Hubert Aiwanger, der bereits einen einschlägigen Ruf hatte.

Stephan Winnerl, ehem. Schülersprecher Burkhart Gymnasium Mallersdorf:

"Der Direktor hat mir dann zurückgemeldet, dass es tatsächlich Hubert Aiwanger war und dass er sich gefreut hat, dass das schnell aufgeklärt werden konnte und Hubert das beseitigen musste."  [….]

(Kontraste, 07.09.2023)

Die politische Kultur in Deutschland wurde von Merz und Söder und Aiwanger zerstört.

[….]  Friedrich Merz (CDU), Bundesvorsitzender:

"Gerade in den letzten Tagen hat er eine Aufgabe zu lösen gehabt, Markus, die ich finde, die hast du bravourös gelöst. Sehr gut. Genauso war es richtig, das so zu machen."

Was Merz "bravourös" nennt, sorgt bei andern für scharfe Kritik. Der bayerische Kabarettist Christian Springer ist auch nach Gillamoos gekommen. Bis vor kurzem war er noch per Du mit Aiwanger. Jetzt fällt er ein harsches Urteil:

Christian Springer, Kabarettist:

"Wenn es jetzt nicht um den Hubert Aiwanger ginge, dann hätten wir die Headline: Ex-Neonazi erpresst Markus Söder und hat Erfolg damit."  

[….] Das liberale Urgestein Gerhart Baum hat etliche Debatten um Antisemitismus und die politische Kultur miterlebt und geprägt: Dass Aiwanger mit dieser Erklärung durchkommt – für ihn unbegreiflich.

Gerhart Baum (FDP), ehem. Bundesinnenminister

"Eine jämmerliche Verteidigung, besteht im Wesentlichen aus Erinnerungslücken. Einige Dinge erinnert er sich ganz genau. Andere, die wichtig wären jetzt, erinnert sich nicht mehr. Es ist im Grunde eine Zumutung, dass Söder das abgenommen hat." [….] "Es ist einfach so, dass ich mich frage: Wäre das vor einigen Jahren oder Jahrzehnten überhaupt möglich gewesen, dass man über so eine Sache einfach hinweggeht? Es ist ein Bruch und wird vielen Menschen die Hemmung nehmen, sich jetzt zu äußern und zu sagen: Jetzt können wir es ja mal wieder sagen."

Als würde es nicht reichen, was bei manchem Aiwanger-Anhänger schon heute als sagbar gilt, hier gegenüber einem Team des ZDF:

"Wir haben auch früher oft einen auf kleinen Hitler gemacht und gespielt mit 15, 16 Jahren. Das war wirklich nicht so schlimm. Was heute da gemacht wird, das ist das ganze Gesockse von den Grünen, von den Linken. Von lauter Kommunisten werden wir nur noch regiert, so kann es doch nicht mehr weitergehen." […..]

(Kontraste, 07.09.2023)

AfD und Freie Wähler verschieben mit kräftiger Hilfe der Christsozialen, Springer und Christdemokraten, die Grenzen des Sagbaren soweit, daß Aiwanger seine Nazi-Vergangenheit, seine Lügen und seine Weigerung, den Sachverhalt aufzuklären, nicht nur von den Wählern verziehen werden, sondern er sogar dafür bewundert und bejubelt wird.

Zwei Drittel der Bayern würden heute eine rechtsextreme oder zumindest Rechtsextrem-tolerante Partei wählen, die sich nicht an öffentlichem Antisemitismus stört, fleißig gegen Minderheiten hetzt und Lügen verbreitet.

Bayern kaputt.

Demokratie kaputt.

Donnerstag, 7. September 2023

Planet im Pech

Die Erde ist gewissermaßen das bescheidene Vorstadtmodell des Universums.

Am Rande der Galaxie, chillt sie als mittelgroße Kugel, in mittlerer Entfernung um die Sonne. Das tut sie seit 4,6 Milliarden Jahren; ist also ein echter Best-Ager. Die nächsten 500 Millionen Jahre wird ohnehin nichts passieren. Ab einem Alter von gut fünf Milliarden Jahren, wird es aber sukzessive wärmer, weil die Sonne peu à peu mehr Energie abgibt. Noch zwei, drei Milliarden Jahre, dann liegt die Oberflächentemperatur bei durchschnittlich +70 bis + 80°C. Die Ozeane sind vollständig verkocht. Wenn der dann natürlich nicht mehr „Blaue Planet“ nullt, also 10 Milliarden Jahre alt wird, beginnt auch langsam die große solare „Roter Riese“-Show, bei der schließlich die Erdmaterie im Alter von etwa 12 Milliarden Jahren von der Sonne verschluckt wird. Das Erd-Rentenalter, so ab ca 13,5 oder 14 Milliarden Jahre, kann man sich als ein gemütliches Chillen als planetarer Restnebel um einen Weißen Zwerg, vorstellen.

Die allerlängste Zeit bleibt die Erde völlig unbewohnt. Ob irgendetwas auf ihr herumkraucht, wird der Erde herzlich egal sein. Die Lebewesen, die überhaupt lange da sind, um bemerkt zu werden; Farne, Bakterien oder Eishaie zB; gliedern sich ganz freundlich in die gerade aktuelle Natur ein und stören nicht weiter.

Anders ist es allerdings bei einem lästigen Zweibeiner, der blitzartig plötzlich aufpoppte. Der Hominide, der nach etwa 4,598 Milliarden Erdjahren von den Bäumen kletterte und seither nur Ärger macht.

Insbesondere, wenn man bedenkt, was für ein winzig kurzer Wimpernschlag zwei Millionen Jahre Menschheitsgeschichte, verglichen mit den 14 Milliarden Erd-Lebenszeit sind.

Diese Mistkerle vermehren sich aber auch wie verrückt. In den letzten 300.000 Jahren rammelte Homo Demens ohne Unterlass.

Jetzt sind wir schon über acht Milliarden. 2016 beklagte ich mich noch über 7,5 Milliarden Individuen.

(….) Siebeneinhalb Milliarden Individuen sind einfach zu viel, wenn man so einen gewaltigen Ressourcen-Verschleiß aufzuweisen hat.

Wir roden die letzten Wälder, treiben den Meeresspiegel hoch, lassen die Gletscher schmelzen, verseuchen die Böden, trocknen Seen aus, verdrängen so effektiv andere Tierarten, daß täglich mehrere aussterben.

Wir erodieren, planieren und asphaltieren Gebirge, buddeln Kohle aus, pumpen Gas und Öl aus der Tiefe, generieren Ozonloch und CO2-Hüllen.

Homo Sapiens lebt auf Kosten der anderen Spezies.

Homo Sapiens vermehrt sich inzwischen nahezu ungehindert.

Pro Jahr werden es 83.686.000 Menschen mehr, das sind 229.277 Menschen pro Tag; 159 Menschen pro Minute und 2,7 Menschen pro Sekunde.

Ein paar von denen kann man aushalten, aber ein Zehntel würde locker ausreichen. 750 - 800 Millionen betrug die Gesamtweltbevölkerung Ende des 18. Jahrhunderts. Die Eine Milliarde-Menschen-Marke wurde 1804 geknackt. Reicht das nicht?

Schon damals konnten wir Ebenbilder Gottes bekanntlich Kriege, Genozide und Ausbeutung ganzer Kontinente vollbringen, weil es genug Soldatennachschub gab, weil die Frauen im Durchschnitt so viele Söhne hatten, daß sie es hinnahmen, daß ab und zu einer davon „auf dem Feld der Ehre“ zerhackt oder zerfetzt wurde.

 


Der enorme Bevölkerungsdruck, die Verzehnfachung der Menschen in 200 Jahren führte aber zu noch viel mehr Konflikten, Kampf um Ressourcen, Massenmigrationen, Fluchtwellen. In den Teilen der Welt, die ein sehr geringes Bevölkerungswachstum ausweisen, oder gar wie Deutschland, Japan, Südkorea und die baltischen Länder (Fertilitätsrate bis 1,3) schrumpfen, ist die Kriegsmüdigkeit hingegen recht ausgeprägt.

Verständlich, denn wenn man/frau bloß ein Kind hat, geht es ihm einerseits ökonomisch besser, so daß es weniger wahrscheinlich auf die Idee kommt Soldat zu werden und andererseits sind die Eltern auch protektiver, lassen ihre Kindern weniger gern in den Krieg ziehen. Länder mit den höchsten Fertilitätsraten – Gaza 4,9 Jemen 5,0 Ruanda 5,3 Kongo 5,8 Uganda 6,1 Somalia 6,3 Ost-Timor 6,3 Afghanistan 6,4 – sind offenbar auch besonders unfriedlich, weil die enorme Kinderzahl die Ressourcen erschöpft, Konkurrenz entsteht und Eltern auch eher mal den Tod eines ihrer Blagen verkraften.

Wir brauchen also weniger Menschen und daher weniger Nachwuchs.

Es ist wohl auch kein Zufall, daß die Länder mit der höchsten Bevölkerungsdichte auch die mit den geringsten Geburtenraten sind. (…..)

(Menschenmassen, 14.10.16)

 

Ein Zehntel der Menschen von heute würde also ausreichen, um die Homo-Sapiens-Kulturvielfalt aufrecht zu erhalten.

Um Homo Sapiens einfach nur überleben zu lassen, sind aber offensichtlich nur extrem wenige Individuen notwendig.

Ein paar Tausend weltweit genügen. Erst mit der Sesshaftwerdung des Menschen vor etwa 11.000 Jahren begann sich die Zahl der Individuen kontinuierlich zu vermehren, weil man mit Landwirtschaft eine kontinuierliche Nahrungsquelle schuf und sich effektiv vor der Witterung schützen konnte.

Europa war während der längsten Zeit der Geschichte völlig menschenleer.

Obwohl es uns schon seit 298.000 v. Chr. gibt, hatten wir über Jahrhunderttausende nur Lust auf Afrika und Asien.

Erst vor etwa 45.000 Jahren latschten die ersten halbnackten Jäger mit ihren Keulen aus dem Osten entlang der Donau nach Deutschland, Frankreich und Spanien. Inzwischen ist die Zeit des Aurignaciens vor 42 000 bis 33 000 Jahren recht gut untersucht. Viel los war aber über Myriaden Jahre nicht.

Die meisten Mammuts, Bisons und Karnickel haben die aggressiven Zweibeiner gar nicht bemerkt.

 

[…..]  […..]  Aus sogenannten ethnografischen Analysen, also vor allem dem Vergleich mit heutigen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften, ergibt sich eine durchschnittliche Gruppengröße von etwa 40 Personen. Daraus errechneten die Forscher um Schmidt die absolute Anzahl der Menschen. So ergab sich ein Wert von etwa 1500 Personen, mit einer Untergrenze von 800 und einer Obergrenze von 3300. Nicht eben viel für Mittel- und Westeuropa - so viele Menschen werden heute in sechs Minuten weltweit geboren.

Nur in fünf Regionen gab es überhaupt eine dauerhaft überlebensfähige Population von 150 Personen oder mehr: in Nordspanien, Südwestfrankreich, Belgien, in Teilen Tschechiens und im Tal der Urdonau in der Schwäbischen Alb. Im Südwesten Frankreichs mit seinen Karsthöhlen lebte dabei mit 440 Personen die größte Gruppe. Die Zentren lagen rund 400 Kilometer voneinander entfernt, dazwischen lagen große Landschaftsräume, die nur kurzfristig, saisonal oder gar nicht besiedelt waren. Das sei ein europaweit einheitliches Muster, so die Forscher. […..] 

(SZ vom 07.03.2019)

 

Klar, man wanderte herum, musste ja auch mal genetisch etwas durchlüften, indem man von Belgien nach Spanien lief, dort einer Menschenfrau mit der Keule auf den Kopf schlug und sie mit nach Hause schleifte.

War natürlich blöd für ihren Mann, der in Ermangelung von Parship und Tinder nicht leicht Ersatz fand, aber andererseits war sein inzestuöses Sperma ohnehin keine Dauerlösung.

 

[…..] In Europa nahm in der auf das Aurignacien folgenden Epoche des sogenannten Gravettien die Bevölkerungszahl auf rund 2500 Personen zu, die Zahl der überlebensfähigen Kernregionen stieg dabei von fünf auf neun. […..]   "Erst gegen Ende des Gravettien vor rund 27 000 Jahren bricht dieses Netzwerk aufgrund von Klimaänderungen zusammen", sagt Schmidt. "Wir sehen ein regionales Aussterben von Populationen und den Beginn einer Neuorganisation." Die alten Strukturen brachen zusammen, und neue Netzwerke tauchten auf.

[…..]   Manche Forscher glauben, dass die Menschheit vor rund 74 000 Jahren kurz vor der Auslöschung stand, als im nördlichen Bergland von Sumatra der Vulkan Toba ausbrach. Die vermutlich stärkste Eruption in den vergangenen zwei Millionen Jahren könnte zumindest auf der Nordhalbkugel die Erde drastisch abgekühlt haben. Populationsgenetiker liefern hier grobe Schätzungen von maximal 10 000 Menschen weltweit, vielleicht waren es sogar nur noch 2800 Individuen. […..] 

(SZ vom 07.03.2019)

Inzwischen kann ich die Zahlen noch mal updaten.

Genetik ist ein faszinierende Wissenschaft.  Forscher um den Biologen Wangjie Hu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften beschrieben für einen Science-Artikel vom 31.08.2023 ihre Auswertung bestimmter Allele im Genom von 3154 heutigen Menschen, aus zehn afrikanischen und 40 nichtafrikanischen Populationen, bei einer angenommenen Generationsdauer von 24 Jahren. Daraus lässt sich zurückrechnen, wie viele fortpflanzungsfähige Menschen es vor wie vielen Generationen gegeben haben muss. Teilweise erstaunlich wenige!

[…..] Ihrer Analyse zufolge seien vor 930 000 Jahren wohl binnen kurzer Zeit knapp zwei Drittel der genetischen Vielfalt verloren gegangen, schreiben sie. Von zuvor weltweit geschätzt knapp 100 000 fortpflanzungsfähigen Urmenschen seien 98,7 Prozent gestorben. Danach hätten 117 000 Jahre lang im Schnitt nur noch 1280 fortpflanzungsfähige Individuen gelebt. Erst vor etwa 813 000 Jahren hätten sich die Bevölkerungszahlen dann wieder erholt - das aber dafür rasant. Die genannten Zahlen sind teils zu relativieren: Zum einen berechneten die Forscher nur die sogenannte effektive Populationsgröße. Die Zahl 1280 bezieht sich auf fortpflanzungsfähige Individuen und lässt sich schwer auf eine Gesamtbevölkerungszahl hochrechnen, die auch unter anderem Kinder, Alte und Partnerlose umfasst. Zum anderen ist unklar, ob vor dieser mutmaßlichen Katastrophe tatsächlich so viele Urmenschen lebten wie von den Autoren um Hu angenommen. Laut Forschern um den Genetiker Lynn B. Jorde von der University of Utah etwa hat es vor 1,2 Millionen Jahren weltweit wohl nur 18 500 fortpflanzungsfähige Urmenschen gegeben. Doch selbst wenn man von dieser geringeren Populationsgröße ausginge, ein Rückgang auf 1280 wäre immer noch katastrophal, er entspräche einem Einbruch um 93 Prozent.  […]

(Jakob Wetzel, SZ, 01.09.2023)

Eine echte Tragik. Offenkundig hat wehrte sich der Planet in den letzten anderthalb Millionen Jahren gegen die Hominidenplage aus Homo erectus, Homo heidelbergensis und Homo antecessor und war mehrmals fast erfolgreich! Nur ganz wenige dieser zweibeinigen Erreger schafften es, sich irgendwo festzusetzen und wollten einfach nicht verschwinden. Verdammt; die paar Tausend hätte die Erde wirklich auch noch schaffen können und sich damit das bald folgende elende Anthropozän ersparen können.

Rätselhafterweise spricht SZ-Autor Wetzels mehrfach ausdrücklich von „Glück“. Der Mann ist offenkundig verwirrt.

[…..] Der Mensch ist ein Glückskind. Etwas mehr als acht Milliarden Vertreter dieser Spezies bevölkern zurzeit die Erde, und ihre Zahl steigt weiter. Doch es gab Momente, da hätte auch alles wieder vorbei sein können. […] Je kleiner eine Population, desto fragiler ist sie. Selbst Populationen mit 3000 bis 5000 fortpflanzungsfähigen Individuen laufen stets Gefahr, durch die Folgen von Inzucht, Probleme bei der Partnersuche oder auch einfach zufällige Schwankungen in der Geburten- und Sterberate zu verlöschen - das haben beispielsweise Studien zum Aussterben der Neandertaler in Europa ergeben. Falls Hu und seine Kollegen recht behalten sollten, dann hatten die Menschen nach der Katastrophe ziemlich viel Glück.  [….]

(Jakob Wetzel, SZ, 01.09.2023)

Der Planet hatte verdammtes PECH. So viele Gelegenheiten, den Zweibeiner auszumerzen, bevor er ein ganzes planetares Ökosystem ruiniert und jeden Tag Dutzende andere Spezies ausrottet. 98.000 Jahre bevor Homo Demens seinen Gott erfand, war es fast aus mit ihm. Aber er musste sich ja erst zum Roten Riesen unter den Erdplagegeistern aufblasen: 8 Milliarden Individuen; viel zu viele Menschen.

Das wird für die meisten Tier- und Pflanzenarten tödlich enden.

Dem Planet Erde kann es natürlich egal sein. Für ihn sind ein paar Millionen Jahre nur ein Wimpernschlag. Dann ist diese zivilisatorische Pest mitsamt all ihrer Götter wieder verschwunden und vergessen.