Montag, 5. September 2022

In Deutschland kann es schon mal länger dauern

In der vorletzten deutschen Regierung, der Merkel-Groko Nr. 2, verfielen SPD, CDU und CSU auf eine bahnbrechende Idee. Wie wäre es, wenn die Bürger nicht mehr persönlich „zum Amt“ gehen müssten, um endlose Formulare auf Papier auszufüllen, sondern dafür diese wundersame neue Dings, wie heißt das noch mal? Also nicht mit Fragebögen auf Papier, nicht mit dem Kugelschreiber schreiben, na, ich komme gleich drauf, ach ja #Neuland! Wenn Bundesbürger Ummeldungen oder Anträge auf dem Bildschirm zu Hause erledigen könnten? Ein Onlineportal für alle Ortsamtsleistungen.

Also natürlich nicht so hypermodern wie in den baltischen Staaten oder der Ukraine, wo die Verwaltung generell digital funktioniert.

Das nicht, denn „es ist Deutschland hier“, wie schon der große G. Westerwelle feststellte. Deutschland…

[….]  in dem es behördlicherseits schon als eine "Onlineleistung" gilt, wenn man ein Formular am Laptop ausfüllen kann, auch wenn man es am Ende dann doch wieder ausdrucken und per Post abschicken muss.  [….]

(Boris Herrmann, SZ, 30.08.2022)

Aber 2017, im Wahljahr, traute sich die Merkel-Regierung Großes. Eine „bürokratische Revolution, keine dicken Pakete mit Zetteln.

[….]  Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG), das im August 2017 in Kraft trat, wurden Bund, Länder und Kommunen dazu verpflichtet, 575 Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren, die wiederum aus 6000 Einzelleistungen bestehen. Kfz-Ummeldungen, Kindergeldanträge, solche Dinge sollten digital möglich werden. Und das alles bis zu einem klar vorgegebenen Stichtag, dem 31. Dezember 2022.  [….]

(Boris Herrmann, SZ, 30.08.2022)

Ach ja, die Papiersammlungen meines Einbürgerungsverfahrens, welches seit vielen Jahren dahinplätschert, waren stets so umfangreich, daß ich sie als Paket schicken musste. Ich wußte gar nicht, daß ich überhaupt so viele Papiere habe. Aber es geht schließlich nicht nur um alles, das ich je auf Papier produzierte – angefangen von Schulzeugnissen über sämtliche Bank- und Steuerunterlagen, sondern das ganze musste auch zwei Generationen zurück verfolgt werden. Circa einmal im Jahr erhalte ich ein Schreiben, mit der Bitte um eine letzte Auskunft. Zum Beispiel wo meine Mutter geboren wäre und wo sie vor 72 Jahren lebte. Natürlich Jahre nachdem ich sämtliche Urkunden (Geburtsurkunde, Lebenslauf, Einkommensnachweise, Vermögensverhältnisse, Hochzeit, Scheidung, Tod) meiner Eltern längst eingereicht hatte. Logisch, wer keine Meldebestätigung seiner Großeltern zu jedem beliebigen Zeitpunkt des letzten Jahrtausends vorlegen kann, darf auch nicht Deutscher werden.

Selbstverständlich habe ich seit dem Oktober 2021 nie wieder etwas von der Behörde gehört und dort auch niemanden erreicht.

Da nun fünf Jahre seit der Verabschiedung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) verstrichen sind, ist es an der Zeit mal nachzusehen, wie weit es die Blitzbirnen Seehofer, Scheuer und ihre Länderkollegen gebracht haben.

Haben wir unter der Aufsicht dieser IT-Genies und der weisen treibenden Aufsicht Merkels aufgeholt und liegen bei der Digitalisierung nicht mehr auf dem letzten Platz in Europa? (Rhetorische Frage)

[….] Bis Ende des Jahres sollten eigentlich die meisten Behördengänge auch online möglich sein. Doch bei der Digitalisierung hakt es an vielen Stellen. [….] Eine Waffenbesitzkarte online beantragen, das geht in Berlin. In Stuttgart kann man seinen Hund digital anmelden. Für einen neuen Personalausweis oder die Anmeldung des Wohnsitzes muss man weiterhin persönlich aufs Amt. Der Grund sind zum Teil rechtliche Hürden, vor allem aber ist die Digitalisierung der deutschen Verwaltung nach wie vor eine riesige Baustelle. Das zeigt auch eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke. Die Antwort des für die Behördenmodernisierung zuständigen Bundesinnenministeriums (BMI) liegt dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vor.  Es ist ein Dokument des Schulterzuckens, in dem der Bund immer wieder auf Länder und Kommunen zeigt. Digitale Aufbruchstimmung oder gar digitaler Führungsanspruch, wie sie die Ampel doch eigentlich versprochen hat, sucht man vergebens. Dabei fällt beispielsweise auf, dass viele Gelder, die der Bund für die Digitalisierung der Verwaltung bereitstellt, dieses und vergangenes Jahr von den Ländern nicht abgerufen wurden. Aus Sicht des BMI scheint das unproblematisch zu sein, weil am Anfang von Projekten weniger Mittel gebraucht würden als im Fortgang. Faktisch heißt es aber, es geht sehr langsam voran.  Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion ist wenig überrascht, aber ernüchtert: "Es zeigt, dass Bund, Länder und Kommunen nicht an einem Strang ziehen." [….] Eigentlich müssten Behörden die meisten Verwaltungsdienstleistungen - vom Arbeitslosengeld bis zur Sterbeurkunde - bis Jahresende bundesweit digital anbieten - so lautet die Vorgabe im Onlinezugangsgesetz (OZG), das 2017 verabschiedet wurde. Von diesem Ziel hat sich die Bundesregierung aber wohl schon verabschiedet und setzt nun darauf, dass in den Ländern wenigstens ein Grundgerüst an Leistungen flächendeckend online zur Verfügung steht. [….] Dabei geht es um sogenannte Einer-für-alle-Projekte, also Onlinedienste für Verwaltungsleistungen, die von einem Bundesland entwickelt und betrieben werden und von anderen genutzt werden können. Dazu gehören etwa die KFZ-Zulassung, das Elterngeld, die digitale Baugenehmigung - und eben auch die Beantragung von Waffenerlaubnissen, zeigt die Auflistung des Ministeriums.  "Das macht mich wirklich fassungslos", sagt Digitalpolitikerin Domscheit-Berg. [….] Auch Wissenschaftlerin Heine hat Zweifel, dass zumindest die 35 priorisierten OZG-Leistungen bis Ende des Jahres flächendeckend nutzbar sind, denn laut Innenministerium ist bislang nicht mal die Hälfte verfügbar. [….]  Dass eine Leistung als digital verbucht wird, heißt nicht, dass sie wirklich durchdigitalisiert ist, kritisieren Fachleute. Zwar kann man vielleicht seine Eingaben für einen Antrag online machen, in der Behörde selbst wird dann trotzdem wieder alles ausgedruckt und analog verwaltet, sagt Expertin Heine. "Viele Prozesse im Hintergrund sind überhaupt nicht digitalisiert. Jeder wurschtelt vor sich hin." [….]

(Tagesschau, 23.08.2022)

Die Süddeutsche Zeitung bietet zumindest eine einleuchtende Erklärung für das totale Regierungsversagen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene: Wie bereits Westerwelle als Vizekanzler feststellte: Es ist Deutschland hier und wir sind nun einmal generell verblödet. Das gilt für die Politik, aber noch mehr für den Urnenpöbel, der nach einen halben Jahr Ampel schon wieder den Offline-Dinosaurier Merz zum Kanzler machen will und sich die Scheuers und Spahns zurück in die Ministerämter wünscht.

[….]  Und das alles bis zu einem klar vorgegebenen Stichtag, dem 31. Dezember 2022. 18 Wochen sind bis dahin noch Zeit, aber das Ergebnis steht schon fest: Deutschland wird die Zielmarke von 575 nicht einmal ansatzweise schaffen.  Das sagt zum Beispiel Lutz Goebel, der Vorsitzende des Normenkontrollrats, einer Art Kompetenzzentrum für Bürokratieabbau der Bundesregierung. Goebel geht davon aus, dass bis zum Jahresende "nicht mehr als 50" Verwaltungsdienstleistungen flächendeckend digitalisiert sein werden. 50 von 575. [….] Das für die Umsetzung dieses Gesetzes zuständige Bundesinnenministerium (BMI) rechnet offenbar anders als der Normenkontrollrat. Eine BMI-Sprecherin teilt auf SZ-Anfrage mit: "Zur Zeit sind 81 OZG-Leistungen flächendeckend verfügbar. Eine weitere Leistung ist in elf Bundesländern verfügbar." So viel erst einmal zur gröbsten Zahlenverwirrung. Fest steht: Die Revolution muss noch ein bisschen warten.  Was immer klappt: gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen föderalen Ebenen. [….][….]  Wie viel genau bis jetzt passiert ist, gehört zu den großen Mysterien des OZG.

(Boris Herrmann, SZ, 30.08.2022)

Wir schaffen also in fünfeinhalb Jahren keinerlei Fortschritte bei der Digitalisierung? Immerhin gibt es nun eine pragmatische Idee, wie es damit weiter geht. Einfach eine andere Frist zum Verstreichen lassen setzen! Konsequenzen keine.

Es ist Deutschland hier.

Sonntag, 4. September 2022

Putins Plan geht weiterhin auf.

Annalena Baerbock fehlt es immer noch ein bißchen an Ernst und Seriosität. Sie konnte ihren Hang zur Schluderigkeit noch nicht ganz ablegen. Was wir im Wahlkampf erlebten  - frisierter Lebenslauf, plagiiertes Buch, Versprecher – wird zwar weniger, ist aber noch nicht ganz ausgemerzt.

[….]  Manchmal stoibert die Außenministerin [….]  Allerdings neigt Baerbock manchmal dazu, zu stark zu überzeichnen, um einen Punkt zu machen. Das war schon bei ihrer Warnung vor "Volksaufständen" so oder als sie, gefragt nach der Taiwan-Reise Nancy Pelosis, ungeachtet der völkerrechtlichen Unterschiede, Parallelen zog zwischen dem Verhalten Chinas und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Auch verirrt sie sich immer wieder in Bandwurmsätzen, die ihre Botschaften verkleistern und wie Edmund Stoiber klingen. Als Außenministerin tut sie sich und ihren Anliegen damit keinen Gefallen. Mehr sprachliche Präzision, ein Gedanke weniger, dafür konzise formuliert, darum sollte sie sich bemühen, ohne darüber ihre authentische Art aufzugeben.  [….]

(Paul-Anton Krüger, 02.09.2022)

Diese gewisse Flappsigkeit kostete sie das Kanzleramt. Und die Vizekanzlerschaft. Zu Recht. Aber sie ist noch jung und sie ist nicht doof. Wenn sie von „Kobold“ statt „Kobalt“ spricht, ist das kein Zeichen mangelnder Qualifikation, wie es rechte Trolle darstellen, sondern bloß ein auf Unkonzentriertheit beruhender Versprecher. Wie Krüger ganz richtig feststellt, macht Baerbock sich leider unnötig angreifbar, weil sie nicht in einer gerechten Welt mit fairen Gegnern agiert, sondern in einer bösartigen Umgebung, in der die linksrechte Querfront sofort jeden Strohhalm ergreift, um auf die deutsche Außenministerin einzudreschen und damit gleichzeitig Putins Hintern zu küssen.

[….]  Es wundert nicht, wenn sich jetzt Alice Weidel vom rechten Lager der AfD (deren Reden zur Ukraine Moskauer Propagandakanäle schon mal ins Russische übersetzen) und die Putin-Claqueurin Sevim Dağdelen von der Linken quasi zusammen auf Baerbock stürzen und ihren Rücktritt fordern. Dabei hat sie nur bei einer Podiumsdebatte am Mittwoch in Prag ihre völlig richtige Position bekräftigt, dass alle Sanktionen gegen Russland so angelegt sein müssen, dass man sie über Jahre durchhalten kann. [….] 

(Paul-Anton Krüger, 02.09.2022)

Natürlich benutzt der Kreml Bots, Social Media-Fälschungen und Fake-Account, um ihre westeuropäischen Gegner zu destabilisieren.

[….]  Unter den Hashtags #Hochverrat und #BaerbockRuecktritt ist in den Sozialen Medien eine heftige Debatte um Bundesaußenministerin Annalena Baerbock entbrannt. [….]  Das Netz tobte, Politiker äußerten Kritik, Rücktrittsrufe wurden laut. "Gewählter Ministerin ist Wählerwille egal", schrieb etwa die Bundestagsabgeordnete der Linken Żaklin Nastic. AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel schrieb auf Twitter: "Der Rücktritt der Außenministerin ist überfällig. Wer ausdrücklich auf die Interessen der Wähler in Deutschland pfeift, hat in einem Ministeramt nichts mehr verloren." [….]  Das Auswärtige Amt hingegen äußerte den Verdacht, dass es sich um gezielte Desinformation von pro-russischen Kanälen handelt. Der Ministeriumsbeauftragte für strategische Kommunikation im Auswärtigen Amt, Peter Ptassek, schrieb auf Twitter: "Der Klassiker: Sinnentstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange." [….]  Eine erste Analyse deutet tatsächlich daraufhin, dass eine pro-russische Desinformationskampagne die Debatte um Baerbock forciert haben könnte. Die Analyse des Disinformation Situation Center, einer Koalition von Nichtregierungsorganisationen, die russische Desinformation verfolgt, hat Bemühungen Kreml-naher Accounts beobachtet, Baerbocks aus dem Kontext gerissenes Zitat sehr früh zu streuen.  In der Studie heißt es: "Unsere vorläufige Analyse deutet darauf hin, dass eine dekontextualisierte Version von Baerbocks Zitat, eine manipulierte Version ihres Zitats und ein manipuliertes Video ihrer Aussage zuerst auf sozialen Medienkanälen erschienen, die mit dem Kreml verbunden sind." [….] 

(Tagesschau, 02.09.2022)

Der Kreml ist mit seiner destruktiven Desinformations-PR so erfolgreich, weil sich von Weidel bis Wagenknecht nützliche Idioten finden, die Putins Spiel weiterspinnen.

Ich weiß nicht, was diese AfD- und Linken-Politiker mehr disqualifiziert: Sind sie zu dumm, diese Fälschungen und Russlands Spiel zu erkennen? Oder aber wissen sie was da geschieht und entscheiden sich bewußt dazu, im Sinne Putins PR gegen die deutsche Regierung zu unternehmen?

Aber es kommt noch schlimmer. Auch die stramm konservative Lindner-Presse (Springer/Welt, bei der seine Frau Chefreporterin und seine Ex-Frau Chefredakteurin sind) verbreitet die Kreml-Lügen weiter.

[….]  In den deutschsprachigen Sozialen Netzwerken wurde Baerbocks Zitat zunächst auf kleineren, anonymen Konten geteilt - schnell jedoch griffen es reichweitenstärkere Konten auf. Im rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen Milieu wurde der Vorwurf an Baerbock dankend angenommen und verbreitet. AfD-Konten teilten das Video sogar mit dem Wasserzeichen des Telegram-Kanals von Russian American Daily. [….]  Doch nicht nur rechte Agitatoren verbreiteten den Clip, auch Mitglieder der Linken und Medien befeuerten die Debatte. So titelte beispielsweise die "Welt" zunächst eine verzerrte Version des Zitats. [….]  "Seit der Wahl ist Baerbock ein populäres Feindbild in rechtsextremen Kreisen, sie wird mit Falschinformationen und Verschwörungserzählungen attackiert", sagt Julia Smirnova, Analystin vom Institut für Strategischen Dialog (ISD). [….] 

(Tagesschau, 02.09.2022)

Das bleibt nicht ohne Folgen. Die Unterstützung für die Ukraine bröckelt.

[….]  77 Prozent der Bundesbürger sind einer Umfrage zufolge der Meinung, dass der Westen Verhandlungen über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs anstoßen sollte. Das geht aus einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Forsa für das RTL/ntv-"Trendbarometer" hervor. [….]  26 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass die Bundesregierung zur Unterstützung der Ukraine zu wenig unternimmt. 43 Prozent erachteten den Umfang der Unterstützung als gerade richtig. 25 Prozent waren der Meinung, die Bundesregierung tue zu viel für die Ukraine.  Knapp ein Drittel der Bundesbürger (32 Prozent) sprach sich der Umfrage zufolge dafür aus, mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern - auch wenn dies zulasten der Ausstattung der Bundeswehr ginge. Dagegen waren 62 Prozent der Bundesbürger der Meinung, dass Deutschland das nicht tun solle.  [….]

(STERN, 30.08.2022)

Es ist wie ich immer prophezeite: Die Leidensfähigkeit der Deutschen ist mickrig. Die Heizperiode hat noch gar nicht angefangen und allein die Aussicht auf höhere Preise in der Mietnebenkostenabrechnung treibt die Menschen gegen die Ampel auf die Straße. Als ob es Baerbock und Scholz wären, die einen Krieg angezettelt hätten und damit die Energiepreise vervielfachten.

Gelbblaue Fähnchen raushängen ja, aber zahlen oder womöglich frieren für die Ukraine? Eher nein. Norstream2 zu öffnen erscheint vielen  immer attraktiver.

[…] Natürlich wäre das jetzt ganz einfach, über die Handwerker aus dem Halle-Saalekreis und ihren offenen Brief an Olaf Scholz zu lachen. Oder Wolfgang Kubicki, die Mensch gewordene Stammtisch-Parole der FDP, als Außenseiter abzutun. Beide eint aber: Wenn sie lautstark die Öffnung der Gaspipeline Nord Stream 2 fordern, haben sie einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung auf ihrer Seite.  66 Prozent der Deutschen, das ergab kürzlich eine repräsentative Forsa-Umfrage, hätten kein Problem damit, die neue Röhre aus Russland zu öffnen. Sie hoffen mutmaßlich auf sinkende Gaspreise und einen Winter ohne Frieren und Verbote.  [….]

(T-Online.de, 19.08.2022)

Herrlich doof, diese Europäer, wird sich Wladimir Putin denken, während er die Gazprom-Rekordgewinne einstreicht.

[…] Wegen der massiv gestiegenen Preise für Gas und Öl hat der staatliche kontrollierte russische Energiekonzern Gazprom seine Geschäftsergebnisse nach eigenen Angaben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres deutlich steigern können. Demnach erzielte Gazprom einen Rekordgewinn von 2,5 Billionen Rubel (umgerechnet 41,63 Milliarden Euro), wie das Unternehmen gestern Abend mitteilte.  Das ist bereits mehr als der gesamte Gewinn des vergangenen Jahres. 2021 hatte der Konzern wegen der hohen Preise für Öl und Gas bereits einen Rekordgewinn von 2,09 Billionen Rubel (rund 27,5 Milliarden Euro) erreicht. […]

(Tagesschau, 31.08.2022)

Schwere EU-Sanktionen gegen Russland. Russland exportiert viel weniger Gas und Öl. Russland verdient mehr denn je. Das hat ja ganz toll geklappt, Frau von der Leyen.

Die CDU-Präsidentin der EU ist seit geraumer Zeit untergetaucht und sieht planlos zu, wie ihr immer mehr rechts regierte Nationen (denen sie ihre Wahl verdankt) von der Fahne gehen.

Viktor Orbán blockierte die Sanktionen gegen Kriegstreiber Kyrill I., Putins wichtigsten Alliierten.

Sachsens Landesvater, von der Leyens Parteifreund Kretschmer, schert ebenfalls aus und zeigt der Ukraine den Stinkefinger.

Ungarn erhöht die Importe aus Russland deutlich.

[….]  Der Außenminister reist nach Moskau, um über neue Gaslieferungen zu sprechen. Die relative Nähe seiner Regierung zum Kreml könnte dabei helfen. Budapest ist sehr abhängig von dem fossilen Brennstoff.  Die Abhängigkeit von Gas zwingt zum Handeln. Im Falle Ungarns bedeutet das eine höhere Einfuhr aus Russland. Das kleine mitteleuropäische Land will 700 Millionen zusätzliche Kubikmeter Gas von Russland kaufen. Dies kündigte am Donnerstag die rechtskonservative Fidesz-Partei des Ministerpräsidenten Viktor Orbán an. Außenminister Peter Szijjarto wird noch im Laufe des heutigen Tages nach Moskau reisen, um über neue Gaslieferungen zu sprechen. [….]

(FAZ, 21.07.2022)

Als nächstes verließ Bulgarien die ohnehin nicht mehr einheitliche EU-Linie.

[….]  Bulgarien steht vor einer Zerreißprobe. Das EU-Land ist in der Gas-Versorgungskrise tief gespalten über den richtigen Umgang mit Russland und seinem staatlichen Energiekonzern Gazprom.  Während der proeuropäischen Kräfte eine Wiederaufnahme des Liefervertrages mit dem Petersburger Energieriesen ablehnen, befürwortet die Übergangsregierung unter Ministerpräsidenten Galab Donew die umstrittenen Gespräche. "Als geschäftsführende Regierung wollen wir das zu Ende führen, was wir als Vereinbarung bereits haben", sagt der 55-jährige Ökonom in einem TV-Interview. Der langfristige Vertrag mit Gazprom läuft erst Ende 2022 aus. [….]

(Wiener Zeitung, 01.09.2022)

Mit Italien wird mit hoher Wahrscheinlichkeit bald auch das erste echte EU-Schwergewicht auf Russland zugehen.

[….] Der italienische Rechtspopulist Matteo Salvini hat die wegen des Ukraine-Krieges verhängten EU-Sanktionen gegen Russland in Frage gestellt. Mehrere Monate seien vergangen, und die Menschen würden ihre "Rechnungen doppelt und vierfach zahlen", während sich nach sieben Monaten Krieg "Russlands Kassen mit Geld füllen", sagte der Chef der rechtsradikalen Lega-Partei dem Radiosender RTL. [….]

(NTV, 04.09.2022)

Die Außentemperaturen in Europa sind noch sommerlich warm, die hohen Energiepreise sind noch gar nicht beim Verbraucher angekommen.

Und jetzt schon klappt die EU-Anti-Putin-Front zusammen.

Wie soll das erst werden, wenn die Deutschen in einem kalten Dezember und Januar wirklich frieren und die Industrie ihre Werke stilllegen muss?

Wladimir Putin kann sich entspannt zurücklehnen und abwarten.

Samstag, 3. September 2022

Wir sind unmoralisch und unverantwortlich.

Es ist sehr billig, Grüne und SPD daran zu messen, was sie einst in ihre Wahlprogramme schrieben. Selbstverständlich hätten Habeck, Scholz, Baerbock und Klingbeil vor einem Jahr gleichermaßen empört die Lieferung schwerer Waffen in Kriegsgebiete und die Laufzeitverlängerungen für AKWs abgelehnt.

Es gibt nichts Dümmeres, als bei völlig veränderten Bedingungen stupide weiterhin auf alten Positionen zu beharren. Es ist gut und richtig, mit anderen Antworten, auf andere Fragen zu antworten.

Das bedeutet freilich nicht, plötzlich alles zu verdammen, nur weil man es einst befürwortete. Man kann es als Friedensbewegter auch übertreiben, wenn man nun geradezu erotisch enthusiasmiert, von Panzerhaubitzen und Flak-Geschützen schwärmt, Herr Hofreiter.

Aus der Kernenergiegewinnung auszusteigen, war keine Mode aus dem letzten Jahrtausend, sondern beruht auf absolut unumstößlichen Erkenntnissen.

Schwarzen und Gelben bereitet es eine diebische Freude, Grüne und Rote damit zu piesacken, sie müssten sich nun von ihrem Anti-AKW- und Anti-Kohle-Kurs verabschieden. Die Konservativen wollten diesen ökologischen Wandel nie und fühlen sich nun a posteriori im Recht. Damit belügen sie sich aber selbst. Ja, es gibt kurzfristig sehr starke Argumente – nämlich Putins Angriff auf die Ukraine – den Klimaschutz hintan zu stellen. Der Betrieb von Panzerhaubitzen ist ein klimapolitischer Alptraum. Aber auch wenn das ökologische Argument, die Menschen in der Ukraine verständlicherweise im Moment überhaupt nicht interessiert, bleibt doch der Klimawandel langfristig das sehr viel wichtigere Thema.

Die Ausnahmesituation Ukraine darf nicht dazu führen, in einem allgemeinen „Anything Goes“-Modus alle klimapolitischen Regeln zu ignorieren.

Im Gegenteil. Jetzt ist es wichtig zu demonstrieren, daß ökologischer Wandel und Energiewende keine Schönwetterthemen für die angeökten wohlhabenden Waldorf-Mütter in Vorstadt-Walmdachvillen ist, sondern von uns allen eine massive Verhaltensänderung erfordert.

In Hamburg zur Energiegewinnung im großen Maßstab Holz zu verfeuern, ist und bleibt Irrsinn, lieber grüner Umweltsenator.

[….] Verheizt unsere Wälder nicht!

Spektakulärer Protest am Heizkraftwerk in Hamburg

Mit einer großflächigen Bewegtbild-Projektion am Heizkraftwerk Tiefstack in Hamburg hat der NABU gemeinsam mit ROBIN WOOD und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen das Verfeuern von Holz in Kraftwerken protestiert.

Gemeinsam mit einer internationalen NGO-Koalition appellieren die Umweltorganisationen NABU, ROBIN WOOD und Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit der Aktion an die Abgeordneten des EU-Parlaments, bei der Abstimmung zur Erneuerbaren-Energien-Richtlinie am 13. September gegen das industrielle Verheizen von Holz zu votieren. Zudem fordern sie die Betreiber von Kraftwerken auf, die klimafreundliche Energiewende voranzutreiben und alle Pläne für eine Umrüstung auf Holzverbrennung zu stoppen.

Die EU-Gesetzgebung unterstützt bislang, dass Mitgliedstaaten Holz für die Energieproduktion nutzen. Nach der aktuellen wissenschaftlichen Studienlage ist die Einstufung von Holzverbrennung als erneuerbar – und damit emissionsfrei – jedoch überholt. Denn die Verbrennung von Holz setzt mindestens ebenso viele Treibhausgase frei wie die Verbrennung fossiler Brennstoffe. Der Ausgleich dieser Belastung durch das Aufwachsen neuer Bäume dauert Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Auch die Stadt Hamburg setzt darauf, mit Holzverbrennung die eigene Klimabilanz zu schönen. Zur Umsetzung des notwendigen Kohleausstiegs plant die Umweltbehörde, das stadteigene Kohlekraftwerk Tiefstack auf das Verfeuern von Holz und Gas umzustellen – zusätzlich zur Nutzung industrieller Abwärme und dem Bau von zwei neuen Flusswärmepumpen.

„Wälder im großen Maßstab in umgerüsteten Kohlekraftwerken zu verfeuern, ist keine innovative Energie- und Wärmewende, sondern eine sehr schlechte Idee. Intakte Wälder sind elementar für den Klima- und Artenschutz. Wir brauchen Investitionen in echte emissionsfreie erneuerbare Energien sowie Energieeinsparung anstatt kontraproduktiver Scheinlösungen. Die EU darf Energie aus Waldholz nicht länger als erneuerbare Energie fördern – staatliche Unterstützung darf es nur für wirklich klimafreundliche Technologien geben.“   Leif Miller, NABU-Bundesgeschäftsführer  [….]

(Nabu, 02.09.2022)

Massentierhaltung ist und bleibt ebenfalls eine klimapolitische Katastrophe. In Zeiten der Ukrainekriegs-bedingten Weizenverknappung mit verheerenden Hunger-Krisen, weiterhin so viel Getreide als Viehfutter zu verschwenden, ist genauso amoralisch wie Lindners Begeisterung dafür, „Biosprit“ mit seinem Porsche zu CO2 zu verbrennen.


[….] Kein Essen in Trog und Tank

Globale Hunger- und Klimakrise bekämpfen!

Wertvolle Lebensmittelpflanzen wie Getreide und Ölsaaten werden in Deutschland in großen Mengen zu Biokraftstoff verarbeitet und an Schweine, Rinder und Geflügel verfüttert. Das macht unser Essen teurer und trägt dazu bei, dass in vielen Ländern immer mehr Menschen hungern. Angesichts von Kriegen und der zunehmenden Klimakrise können wir das nicht zulassen.   Die Bundesregierung muss jetzt dafür sorgen, dass Essen nicht länger in Tank oder Trog landet, um verheizt zu werden oder um Fleisch, Milch und Eier aus Intensivhaltung zu erzeugen. Lebensmittel werden dringend gebraucht, damit die Nahrungsversorgung für Millionen Menschen sicher und bezahlbar ist.

Darum fordert Greenpeace gemeinsam mit Misereor von der Bundesregierung:

    Die Bekämpfung der globalen Hungerkrise durch die Koordination des internationalen Handels mit Getreide im Welternährungsrat.

    Die Beimischung von Biokraftstoffen zu Benzin und Diesel muss umgehend beendet werden.

    Abbau der Tierzahlen in der deutschen Landwirtschaft, um den Bedarf an Futtergetreide zu senken.

Greenpeace setzt sich zusammen mit Misereor dafür ein, dass eine Verschärfung der Hungerkrise abgewandt wird. Bitte helfen Sie mit und unterzeichnen Sie jetzt!  [….]

(Kein Essen in Trog und Tank)

Freitag, 2. September 2022

Kein Fortschritt. Nirgends.

Der frisch eingeschulte Sechsjährige, Konrad, kam mit einer endlosen Liste nach Hause. Unterrichtsmaterialien, die sofort besorgt werden müssten. Ich erinnere mich dunkel zurück, wie ich damals mit Muttern in die schönen Schreibwarengeschäfte ging, um Schulhafte, Federtasche, Zirkel und Füller zu kaufen. 2008 kamen dann die viel größeren, billigeren und bei Weitem nicht so schönen Staples-Filialen aus den USA nach Deutschland. Die kleinen inhabergeführten Geschäfte mit den wunderbaren TeBe-Kalendern und Montblanc-Meisterstücken gingen alle pleite. Gegen Staples, Konzernumsatz 18 Milliarden US-Dollar, war kein Kraut gewachsen mit der Deutschen „Geiz ist geil“-Mentalität.

Staples Deutschland schloss im Mai 2022 alle seine Filialen. Corona und Management-Doofheit gaben den Rest.

Konrads Vater, genauso alt wie ich, wollte aber nicht das ganze Zeug bei Amazon ordern, sondern seinem Sohn ein haptisches Erlebnis bieten, suchte eins der wenigen verbliebenen Geschäfte auf und wurde vor der Tür von einer Reporterin des Frühstücksfernsehens aufgehalten. „Jetzt wo alles so teuer ist, wo sparen Sie noch?“

Er ließ sie ohne zu antworten, stehen. Was für eine blöde Frage, wo soll man da sparen? Das Kind braucht eine Federtasche, Bastelutensilien, Hefte, etc. Außer, wenn man es sich absolut nicht leisten kann, muss man diese Dinge kaufen. Der eigenen Leibesfrucht gleich den Schulstart zu versauen, sollte tunlichst vermieden werden.

Als Antinatalist habe ich selbstverständlich sowieso keine Kinder. Ich möchte auch keine Kinder. Wenn ich mir aber Kinder wünschen würde, hätte ich vermutlich dennoch keine, weil ich meine imaginären Kinder nur unter optimalen Bedingungen ins Leben starten lassen wollte. Das hieße, stabiles Umfeld, mehrere Menschen, die sich kümmern, viel Platz, Garten, bildungsbürgerlicher Hintergrund, so daß Kind X von verschiedenen Seiten inspiriert wird, lernen kann und ja, auch finanzielle Sorglosigkeit gehört dazu. Dieses Paket kann ich nicht bieten. Schon deswegen habe ich kein Kind. Natürlich verallgemeinere ich diese Maßstäbe nicht. Auch eine alleinerziehende HartzIV-Mutter soll ein Kind haben können.

Aber ICH hätte viel zu viel Angst vor der Verantwortung, um in Krisenzeiten, ohne Geld, ohne Ausbildung, ohne Job, ohne Partner einfach mal so schwanger zu werden, das Blag auszubrüten und nach dem alten sorglos-Spruch „Gibt Gott ein Häschen, gibt er auch ein Gräschen“ alles auf mich zukommen zu lassen.

Konrads Vater sieht das etwas ähnlich, wurde deswegen erst spät Vater, hat eine wunderbare Frau und sogar ein Häuschen im Grünen, mit seiner Mutter als Nachbarin. So eine eingebaute Kinderbetreuung, wurde pünktlich zum 80. Geburtstag der Oma auch bitter nötig. Eltern berufstätig, Corona, Kitas zu, Distanzunterricht. Konrads Mutter kenne ich auch schon ewig, ab und zu telefonieren wir. Nun geht es nur noch bis 19.00 Uhr. Anschließend fällt sie vollkommen erledigt ins Bett. „Ja, natürlich liebe ich meine Enkel und freue mich, die beiden jeden Tag bei mir zu haben, aber ich habe nicht mehr die Kraft dazu. Wenn die hier zehn Stunden rumgetobt sind, bin ich fix und fertig.“

Alle sind froh, daß nun die Schule – ohne Masken! – auch für den Jüngsten (wieder) begonnen hat. Die Schülerzahl wurde von 25 auf 29 pro Klasse aufgestockt. Long Covid, geburtenstarke Jahrgänge gehen in Rente, Lehrermangel eben.

29 gelten heute als sehr viel. Ich war nie mit weniger als 36 anderen Kindern in einer Klasse, aber das war auch vor den Social-Media-Zeiten; als die Mütter noch nicht 24/7 am Klugtelefon klebten und unsere Aufmerksamkeitsspanne länger als drei Minuten währte. Wir blieben sogar ohne Ritalin auf unseren Plätzen sitzen.

Aber Konrads Erzeuger ist fertig mit den Nerven beim gegenwärtigen Schulchaos. Sein Ältester ist nun in der sechsten Klasse und scheitert, wie so viele an der Rechtschreibung. Auf dem Gymnasium gibt es nämlich „kleine Buchstaben“. Die sind ihm ganz neu. In seiner Grundschule war zuvor nämlich die Schreibschrift abgeschafft worden. Das verwirrte die Klugtelefonkinder zu sehr. Die Übungshefte mit den hübschen Schreibschrift-Hilfslinien gibt es nicht mehr. Nur noch kariertes Papier und die Kinder lernten große Druckbuchstaben. „Du kannst echt froh sein, Dich um sowas nicht sorgen zu müssen“ sagt Konrads Vater zu mir. Vor zwei Wochen habe ich ihm ein Exemplar von Philipp Möllers „Isch geh Schulhof“ mitgebracht, das noch in Reserve bei mir rumstand. Doch, doch, ich kann mir lebhaft vorstellen, was für ein komplettes Chaos an Grundschulen herrscht. „Hier, das Buch habe ich vor zwei, drei Jahren gelesen und war so geschockt, daß ich bestimmt zehn Exemplare davon verschenkt habe. Dabei war das noch vor Corona“

Zu Hause fummelte ich mein Exemplar aus dem Regal, weil ich mir bei der Zeitangabe unsicher war. Vermutlich ist die Lektüre schon länger her. Glücklicherweise schreibe ich immer in meine Bücher, wann ich sie gelesen habe.  2012 also. Na gut, in meinem Alter fühlen sich drei Jahre und zehn Jahre Abstand gleich an.

(….) Meine rudimentären Erkenntnisse von all dem, was schief geht an deutschen Schulen, fand ich in Philipp Möllers „Isch geh Schulhof“ bestätigt.

Die Lehrerausbildung verläuft katastrophal falsch und das Schulsystem krankt an der Unstetigkeit. Die allermeisten Änderungen der 16 einzelnen Kultusminister sind durchaus sinnvoll, oder zumindest gut gemeint, aber sie kommen so häufig, daß die Lehrer keinerlei Elan mehr aufbringen alles umzusetzen.

(….) Es dürfte sogar noch viel schlimmer werden, wenn die asozialen und desintegrierten gegenwärtigen Klein-Bälger erwachsen werden.

Lehrer berichten von unfassbaren Zuständen an den Schulen.

 

„Pinsel und Malutensilien werden verteilt – und die Klopperei beginnt! Es wird laut, Kinder müssen ihrem Nachbarn ins Gesicht schreien, dass sein Bild doof (das Wort war ein anderes) ist.“

„Einige werden maulig, geben unpassende Kommentare ab und antworten auf Fragen von Frau G. mit Fäkalsprache.“

„Wir malen noch einmal auf dem Fußboden der Sammlung – eigentlich eine tolle Erfahrung für Kinder. Freud- und anstrengungslose Versuche vieler Kinder, Striche aufs Papier zu bringen.“   „Endlich stehen alle, da trampeln Kinder mit dreckigen Schuhen über die Bilder! Absichtlich! Am nächsten Tag wird mir ein Kind erklären, dass ihm langweilig war – und dass es dann ja wohl klar ist, dass es das tun kann.“  „Ältere Herrschaften steigen über Butterbrotpapiere, Rucksäcke und Kinder. Den Kindern kommt das nicht einmal komisch vor. Als ich sie auffordere, Platz zu machen, schauen sie mich verständnislos an – und essen in Ruhe weiter!“

„Die Mitschüler werden angeschrien, geboxt, getreten und Rucksäcke umhergeschleudert. Ein älterer Herr bekommt auch einen ab. Eine Entschuldigung ist nicht zu erwarten.“ „Kinder lassen die Hälfte ihrer Sachen liegen in der Erwartung, dass es ihnen schon jemand hinterhertragen wird.“

„Es ist für die Kinder nicht einsehbar, dass wir in dem wuseligen Hauptbahnhof dicht zusammenbleiben müssen. Ich komme mir vor wie ein Schweinetreiber.“   „In der Bahn plötzlich vertraute Geräusche. Rülpsen! Kein Versehen, sondern volle Absicht. Wer kann es am lautesten? Sie denken: Die redet sicher von meinem Nachbarn? Falsch: Gehen Sie davon aus, dass ich auch von Ihrem Kind spreche – es gibt nur sehr wenige Ausnahmen!“

[…]   „Kinder kommen bereits um 8 Uhr früh gut gefüllt mit einer Stunde Super RTL, gewalttätigen und blutrünstigen Gameboy-Spielen und einem beachtlichen Blutzuckerspiegel in die Schule.“

„Sie springen mit erhobenen Fäusten wie Ninjakämpfer in die Klasse, semmeln erstmal drei Mitschüler über den Haufen und merken es nicht einmal.“

 (Lehrerin Dagmar Biesterfeld, Grundschule Neuland)

 

Und wenn man Philipp Möllers brillantes und lehrreiches Buch „Isch geh Schulhof“ gelesen hat, möchte man sich bei dem Gedanken an die Zukunft gleich erschießen.

Dabei ist das Unfassbare, daß wir sehenden Auges in die Katastrohe schlittern. Wir wissen wie man es besser machen kann; Möller hat das in seinem Buch alles dargelegt. Wir wissen auch aus den PISA-Spitzenländern, warum ihre Schulen so viel besser als die Deutschen sind. Aber Kleinstaaterei, Phlegma und Ideologie verhindert, daß Deutschland endlich was ändert. (…)

(Wenn Schule Politik wird, 19.01.19)

Da Konrads Vater versprach, mir zu berichten, wenn er es durchgelesen hat, nahm ich es auch noch mal kurz zur Hand. Noch mal kurz reinsehen klappt natürlich nie, also habe ich nun, zehn Jahre später, noch mal das ganze Buch durchgelesen.

(…) Nachdem ich Philipp Möllers „Isch geh Schulhof“ begeistert und aufmerksam gelesen habe, sollte ich mich über gar keine Berichte aus Berliner Schulen wundern.

In der deutschen Hauptstadt gibt es Schwimmunterricht schon ab der dritten Klasse. Das ist schon mal erfreulich.

Da Kinder, die im 21. Jahrhundert in Deutschland aufwachsen aber tumb und ungelenk sind, bereits daran scheitern auf einem Bein zu stehen oder sich die Schuhe zuzubinden, reicht heute aber ein ganzen Jahr Schwimmunterricht nicht mehr aus, um zu lernen nicht abzusaufen.

Wir haben anhand der Versagerquote beim Eingangstest für das Sportstudium in Köln schon gesehen, wie unkoordiniert und ungeschickt sich selbst muskelbepackte Typen sich im Becken anstellen.

Also wen wundert es, daß Berliner Kinder auch nicht mehr in Lage sind schwimmen zu erlernen?

 

Nichtschwimmer in Berlin Grundschüler: Es reicht kaum für das Seepferdchen

[….] Viele Grundschüler können nicht schwimmen. In Neukölln sind es rund vierzig Prozent der Schüler am Ende der dritten Klasse - und das, obwohl sie das ganze Jahr über eigentlich Schwimmunterricht hatten.

[….] Es sind alarmierende Zahlen: Fast neunzehn Prozent der Berliner Grundschüler können nach der dritten Klasse nicht schwimmen, obwohl in dieser Jahrgangsstufe das ganze Schuljahr über Schwimmunterricht stattfindet. Besonders viele Nichtschwimmer gibt es in Bezirken mit sozial schwierigen Bedingungen. So können in Neukölln 40 Prozent der Kinder am Ende der dritten Klasse nicht schwimmen, in Mitte sind es knapp 30 Prozent, danach folgen Spandau (26 Prozent) und Reinickendorf (24,2 Prozent).

[….] Schulleiterin Sabine Weber von der Neuköllner Elbe-Grundschule bestätigt den Befund. „Bei uns kann zu Beginn der dritten Klasse meistens kein Kind schwimmen, und dieses Jahr schaffen gerade mal die Hälfte am Ende das Seepferdchen.“ Für das Schwimmabzeichen muss ein Kind 25 Meter schwimmen und aus schultertiefem Wasser einen Ring vom Boden holen können. „Wir bräuchten mindestens zwei Jahre lang Schwimmunterricht.“

Die Bildungsverwaltung verweist darauf, dass sich das motorische Können der Schulanfänger in den letzten Jahren insgesamt verschlechtert habe. Zudem gebe es bei der Wertschätzung der Schwimmfähigkeit kulturelle Unterschiede. [….]

(Sylvia Vogt, Tagesspiegel, 19.06.14)

 

Die Kunde hör‘ ich wohl –

Allein mir fehlt der Glaube.   Ein ganzes Jahr Schwimmunterricht mit Kindern und anschließend können trotzdem 20 – 40 % nicht schwimmen?  (…)

(Ich bin alt und konservativ – Teil IV, 19.06.2014)

Die absurden Fakten kenne ich nun schon, also achtete ich beim zweiten Lesen mehr auf stilistische Details. Vielleicht liegt es auch nur daran, daß ich nun Anfang 50 und nicht mehr Anfang 40 bin: Möllers Plauderton geht mir auf die Nerven. Über seinen Lieblingskollegen „Geicherchen“ heißt es „der Typ ist so geil!“

Auf jeder zweiten Seite findet man den Ausdruck „krass“ und die Schüler sind für ihn nur „Kids“. Das klingt in meinen Ohren wie eine despektierliche Amerikanisierung und ich mag nicht auf einer Seite neunmal „die Kids…“ lesen.

That said, ist eine Sache an Möllers Buch wirklich schlimm: Die Aktualität. Da beschreibt er 2012 in einem Bestseller in aller Ausführlichkeit, was an deutschen Schulen, insbesondere Grundschulen alles schiefgeht. Die Crux ist, daß er 2009, mit 29 Jahren von eben auf jetzt, ganz ohne Ausbildung, Lehrer an einer Berliner Schule wird. Mathelehrer in fünf Minuten. Als er Englisch und Musik in einer fünften Klasse, Sport in einer sechsten Klasse unterrichten soll, erfährt er dies erst unmittelbar vorm Klingeln. Schon damals sind die Berliner Schulen so katastrophal unterbesetzt, daß sie sich auf unausgebildete Hilfslehrer verlassen, die immer nur für ein paar Monate angestellt werden und mit dem Beginn der Schulferien in HartzIV fallen, weil das für den Senat billiger ist. Erst kurz vor Ferienende kommt die Anfrage der Schulbehörde, ob man weiter unterrichten will.

Qualifikation egal, Motivation egal, Bezahlung mau.  Bei Klasse 1-6 ist es ja egal, wer da als Lehrer steht. Gymnasiallehrer werden besser bezahlt, Oberstufenlehrer noch besser und Uni-Dozenten viel besser.

Der pure Irrsinn. Es müsste genau umgekehrt sein. Die ersten Schuljahre sind wichtig. Wenn man mit 16 oder 18 mal eine schlechten Lehrer bekommt, ist das viel besser zu kompensieren. Ausführlich beschreibt Möller die katastrophalen Räumlichkeiten, unfassbar stinkende Klos, zugige Fenster, löcherige Decken, Unterrichtsmaterialien, die schon vor 40 Jahren veraltet waren.

Selbst die engagiertesten Grundschullehrer sind aber schnell ausgerannt, weil sie die meiste Zeit für Sozialarbeit benötigen. Kinder kommen hungrig, unausgeschlafen oder gar nicht in die Schule, werden nicht medizinisch und pädagogisch betreut.

Lehrer müssen das auffangen, was zu Hause nicht funktioniert.

In diesem Umfeld werden die guten Schüler mit intaktem Elternhaus hoffnungslos unterfordert, bleiben auf der Strecke, was zur Folge hat, daß selbst die linkesten und liberalsten Eltern alles daran setzen, vor der Schulpflicht ihrer Kinder, in teure Stadtteile umzuziehen, so daß sie in einem besseren Umfeld lernen. Im Umkehrschluss bedeutet das eine Konzentration der „Problemschüler“ in anderen Stadteilen. Die katastrophale Segregation der Schülerschaft nimmt immer mehr zu. Bildung hängt ausschließlich vom Portemonnaie der Eltern ab, weil in den „schlechten Gegenden“ die Schulen so verwahrlost sind, daß selbst die schlauesten Schüler unter die Räder geraten.

Als Philipp Möller das alles 2009 erlebt, ist er unendlich frustriert, weil zu dem Zeitpunkt bereits  unzählige Pisa-Studien und Analysen alle Mängel aufgedeckt hatten.  Allein, die föderale Struktur Deutschlands und das völlige Desinteresse Merkels und ihrer CDU-Bundesbildungsministerinnen, ließ alles nur schlimmer werden.

2020 bricht die Pandemie über uns hinein. Urplötzlich wird festgestellt, daß Hygienemaßnahmen in Schulen nicht durchführbar sind, weil die sanitären Bereiche so vergammelt sind, daß man sich gar nicht die Hände waschen kann. Luftfilter gibt es nicht. Die Minister Ramsauer, Dobrindt, Oettinger, Bär und Scheuer haben außerdem 20 Jahre lang die Digitalisierung verschlafen. W-Lan ist Fremdwort an deutschen Schulen und Laptops haben nur die Schüler, deren Eltern wohlhabend genug sind. Distanzunterricht funktioniert an top-finanzierten Privatschulen in Hamburg-Blankenese hervorragend.

In zerrockerten Stadtteilschulen in Hamburg-Neuwiedenthal hingegen findet mehr als zwei Jahre de facto gar kein Unterricht statt.

Im Winter 2022/23 gibt es immer noh keine Luftfilter in deutschen Schul-Räumen und man wird on einer weiteren Corona-Welle völlig überrascht sein. Wer hätte das ahnen können?

2012 war ich entsetzt, ob der von Möller beschriebenen Verhältnisse.

2022 sehe ich, daß es nicht nur keine Fortschritte gab, sondern daß Bildungspolitik weiterhin so ein Stiefkind der Politik ist, daß sich die Verhältnisse deutlich verschlechterten. Zehn Jahre absolutes Nichtstun im Kanzleramt.

[…. ] Zum Schuljahresbeginn fehlen an den Schulen in Deutschland nach Einschätzung des Deutschen Lehrerverbands bis zu 40.000 Lehrerinnen und Lehrer. Die Unterrichtsversorgung habe sich in allen Bundesländern verschlechtert, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger der Deutschen Presse-Agentur. "Bundesweit gehen wir von einer echten Lücke von mindestens 30.000, vielleicht sogar bis zu 40.000 unbesetzten Stellen aus."  Die Situation, Stellen mit voll ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen, habe sich "im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich verschärft", sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern. "Unterrichtsausfall gleich zu Beginn des Schuljahres ist bereits Tatsache, größere Lerngruppen, Zusammenstreichen von Förderangeboten, Kürzung der Stundentafel usw. sind an der Tagesordnung", sagte Udo Beckmann, der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). […. ] Aus einzelnen Ländern kamen bereits die ersten Alarmmeldungen: In Bayern hieß es schon kurz vor den Sommerferien, dass im neuen Schuljahr Unterrichtsangebote gestrichen werden müssten, um genug Pädagogen als Klassenleiter zu haben. In der Bundeshauptstadt Berlin begann das Schuljahr mit so vielen Schülern wie nie, bei gleichzeitig 875 fehlenden Lehrkräften [….]

(SZ, 30.08.2022)

Was für ein Glück es doch ist, Antinatalist zu sein.

Wer Kinder hat, muss verzweifeln. Und wer an Deutschlands Zukunft denkt, auch.

So wird das natürlich nichts mit der Bekämpfung des Fachkräftemangels.

Donnerstag, 1. September 2022

Impudenz des Monats August 2022

Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.

Als Trump gleich am Anfang seiner 2016ner Wahlkampagne im November 2015 die Behinderung des New York Times-Reporters Serge Kovaleski nachäffte, um ihn lächerlich zu machen, dachten viele, damit wären seine Wahlchancen erledigt.

Als im August 2016 Donald Trump auf videotape prahlte, Frauen sexuell zu belästigen – „grab’ em by the pussy“ – dachten viele, damit wären seine Wahlchancen erledigt.

Gewählt wurde er trotzdem, weil nicht nur Trump, sondern auch die Hälfte der US-Bürger moralisch völlig verkommen ist.

Als Präsident wurde er immer schlimmer, Comey!, im Laufe des Jahres 2017, hielt ich es immer noch für möglich, daß seine Republikaner die Reißleine ziehen könnten. So einer konnte doch nicht volle vier Jahre Präsident bleiben. 30.000 Lügen im Amt, 500.000 Corona-Tote und der Präsident empfiehlt Chlorbleiche zu trinken. Aber offensichtlich gibt es bei Trump keinen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. 75 Millionen völlig fanatisierte QTRumpliKKKans im Lande stellen ein viel zu großes Fass dar. Er überstand gleich zwei Impeachment-Verfahren. Selbst die Insurrection, bei der ein Trump-Mob im Herzen der US-Demokratie ein Blutbad anrichtete und Beamte der Capitol Police starben, nehmen die Republikaner hin.

Es ist vielleicht die einzig wahre Aussage, die Trump je machte.

“I could stand in the middle of 5th Avenue and shoot somebody and I wouldn’t lose voters”

(DJT, Januar 2016)

Wer im Jahr 2022 bei einer neuen Trump-Ungeheuerlichkeit immer noch die Prognose wagt, diesmal habe er den Bogen aber wirklich überspannt, ist sehr mutig. Mir fehlt die Phantasie dazu, mir einen Skandal auszudenken, der Trumps Anhänger von ihm abbringen könnte.

Dennoch ernenne ich Donald Trump zur Impudenz des Monats August 2022, weil er selbst für seine Verhältnisse radikal verblödet agiert und es sogar fertig bringt, FOX bei seiner Verteidigung Schwierigkeiten zu bereiten.

Die schiere Masse der Top-Secret-Akten, die Trump aus dem Weißen Haus stahl, ist zu gewaltig. Zu offenkundig, wie er das FBI belog.

Zu offensichtlich hat Trump längst jegliche Selbstkontrolle verloren, feuert bis zu 60 vollständig irre Lügen-Postings nach einander auf seiner „Truth Social“-Plattform ab.

[…] Ist das noch Taktik oder schon Wahnsinn? Fast zwei Jahre nach seiner Abwahl als US-Präsident hat Donald Trump sein Amt zurückgefordert. […] Seit Donald Trump aus dem Weißen Haus geworfen wurde, verbreitet er die Lüge vom Wahlbetrug. Jetzt hat der 76-Jährige auf seine übliche Propaganda noch einen draufgesetzt und seine Wiedereinsetzung als Präsident verlangt — 22 Monate nach seiner deutlichen Niederlage gegen Joe Biden. "Verkündet den rechtmäßigen Sieger", schrieb Trump auf der von ihm mitgegründeten Online-Plattform Truth Social, ohne Zweifel daran zu lassen, dass er damit sich selbst meint, "oder — und das wäre die Minimallösung — erklärt die Wahl 2020 für irreparabel beeinträchtigt und veranstaltet eine neue Wahl, sofort!" […]

[…] (STERN, 30.08.2022)

Trumps Irrsinn ist das eine, die enormen juristischen Schwierigkeiten sind das andere.

[….] Vertrauliche Dokumente aus Mar-a-Lago: Wird es diesmal wirklich eng für Trump? […] Donald Trump und die Skandale. In dem Gewusel aus Ermittlungen, das den ehemaligen US-Präsidenten umgibt, lässt sich schnell der Überblick verlieren. Aktuell geht es um vertrauliche Dokumente, Trump soll sie aus dem Weißen Haus mitgehen lassen haben. […]  Am vergangenen Freitag gab das US-Justizministerium bekannt, es ermittele gegen den ehemaligen Präsidenten Donald Trump wegen der Entfernung von Unterlagen aus dem Weißen Haus. […] Im Durchsuchungsbeschluss wurden drei Straftatbestände genannt, unter anderem steht Trump im Verdacht, gegen ein Spionagegesetz verstoßen zu haben. Es enthält strikte Vorgaben für die Aufbewahrung von Dokumenten zur nationalen Sicherheit. US-Präsidenten sind dazu verpflichtet, bei ihrem Ausscheiden aus dem Amt sämtliche offiziellen Dokumente, auch E-Mails und Briefe, an das Nationalarchiv zu übergeben.  Trump soll Dokumente mit nach Mar-a-Lago genommen haben, die etwa Informationen über streng geheime menschliche Quellen der US-Dienste im Ausland beinhalteten . […] Zudem geht es um Justizbehinderung. Darauf sehen Ermittler zumindest Hinweise, Trump könnte Regierungsunterlagen versteckt und aus dem Lagerraum in seiner Villa entfernt haben. Zudem könnte Trump weitere Anstrengungen unternommen haben, um die Ermittlungen zu behindern, hieß es in einem Gerichtsdokument des Justizministeriums, das Dienstag (Ortszeit) veröffentlicht wurde. […]

(SPON, 01.09.2022)

Der Wahnsinn in der Hirnen der 75 Millionen Trump-Wähler mag groß genug sein, um ihrem pumpkin-tit-Guru ins Abseits zu folgen, aber man gewinnt damit nicht mehr sicher Wahlen.

Sahra Palin, eine Kreuzung aus Boebert, einem Eimer Brunnenkresse und MTG, verlor gestern als ehemalige Gouverneurin eine Nachwahl zum US-Kongress, in einem Alaskanischen Wahlbezirk, der seit einem halben Jahrhundert fest in republikanischer Hand war.

Trumps Allmächtigkeit scheint nur noch intra-GOP zu wirken. Ja, er kann problemlos renitente Personen wie Cheney und Kinzinger absägen, aber da die Politik seines SCOTUS so unpopulär ist (Abtreibungsverbote!), gewinnen die irren Trumpisten nicht unbedingt general elections, auch wenn sie durch das Wahlrecht viele Vorteile haben. Zu viele Amerikaner sehen aber offensichtlich doch, in welche Schwierigkeiten sich Donald Utan manövriert.

[…] Die Rufe sind noch gut in Erinnerung. »Lock her up!« – »Sperrt sie ein!«, grölten die Fans von Donald Trump im Wahlkampf 2016. Gemeint war Hillary Clinton, die es gewagt hatte, auf einem privaten Server in ihrem Haus regierungsamtliche E-Mails zu speichern, darunter auch Verschlusssachen. Trump schlachtete das Thema aus, um gegen Clinton die Wahl zu gewinnen. Sie wurde als Landesverräterin dargestellt. Würde Trump heute in der Aktenaffäre an seinen eigenen Maßstäben von damals gemessen, müsste er bald im tiefsten Kerker des Landes sitzen. Hillary Clintons mutmaßliche Vergehen wirken im Vergleich zu seiner Aktenaffäre wie Kleinkram. […] […] Trump hat in der Affäre alles falsch gemacht, was er hätte falsch machen können. Erst nahm er nach seiner Amtszeit geheime Staatspapiere mit nach Hause, obwohl er das laut Gesetz so wohl nicht durfte. Dann versteckte er offenbar weiterhin Papiere, nachdem seine Anwälte den Behörden bereits mitgeteilt hatten, dass angeblich alle Dokumente an das Nationalarchiv übergeben worden seien. Und schließlich provozierte er mit seiner Weigerung, alle übrigen Papiere herauszugeben, selbst die Razzia des FBI. Nun droht ihm deshalb womöglich sogar ein Strafverfahren. […] Die größte Gefahr wäre Trump für die Demokraten, wenn er sich plötzlich seriös gäbe und verspräche, Demokratie und Recht zu achten. Wenn er aufhörte, das Ergebnis der letzten Wahl anzuzweifeln und so die wichtigen Wechselwähler anspräche. Aber die Aktenaffäre und Trumps Umgang mit ihr zeigen: Das wird Trump niemals tun. Er ist getrieben von Wut und Rachsucht. Für Konzilianz ist in seinem politischen Leben kein Raum. […]

(Roland Nelles, 01.09.2022)

Mittwoch, 31. August 2022

Immer mehr CDU-AfD-Schnittmenge

In der härter werdenden politischen Situation zwischen Ampel einerseits und der Merz-Opposition andererseits, die von der Gas-Wut der Hufeisen-Proteste profitieren will, wäre es wichtig, sich auf den politisch-moralischen Kompass der C-Parteien verlassen zu können.

[….] 10% Inflation und dann auch noch frieren, wird sie aber wohl doch auf die Straße treiben. Schon jetzt ist die Ampel historisch unbeliebt. Sören Pellmann, in Leipzig direkt gewählter Bundestagsabgeordnete der LINKEN, gibt bereits die Sahra Sarrazin und ruft zur Querfront-Demo auf:  Montags gemeinsam mit AfD und Pegida und AfD gegen die etablierten Parteien.

Das Hufeisen des Grauens könnte die Bundesrepublik im Winter ordentlich durchschütteln, da es keine seriöse Opposition im Bundestag gibt, sondern de facto nur noch Populisten. Schlimmer noch; mit der Lindner-Liste sitzen sogar Populisten im Kabinett.

Da wird sich ordentlich Wut entladen, wenn in Prekariatistan die Raumtemperatur bei 10°C liegt und der Strom abgeschaltet wird.

Das werden glückliche Zeiten für Putin, wenn im Westen das Volk gegen die eigene Regierungen marschiert.  [….]

(Willkommen in der Realität – Teil II, 30.08.2022)

Leider steht mit dem homophoben Leitkultur-Populisten Merz genauso wenig ein seriöser Mann an der Spitze der CDU, wie mit Markus Söder mit seiner vielfach xenophoben Historie an der Spitze der CSU.

Rechtspopulisten und auch Antisemiten wie Hans-Georg Maaßen werden in der Merz-CDU nicht nur geduldet, sondern als Bundestagskandidaten aufgestellt.

Besonders weit am rechten Rand steht der Hamburger CDU-Landesverband, der ungeniert rechtspopulistisch agiert.

(….) Auch der am äußersten rechten Rand der CDU stehende Hamburger CDU-Vorsitzende Ploß, der seinen Aufstieg dem völkischen Burschenschaftsklüngel in Hamburg verdankt, zeigt heute, auf welcher Seite er steht.

Manuela Schwesig, die sich erneut einer Krebsoperation unterzieht und daher ihre Amtsgeschäfte vorübergehend der stellvertretenden Ministerpräsidentin übergeben musste, wurde von Ploß so perfide angegriffen, daß sie eine Unterlassungsklage einreichte. Aber der braunschwarze Jung-Vorsitzende, der seine CDU landesweit auf 15% herabkrachen ließ, denkt gar nicht dran, der Frau, die derzeit im Krankenhaus liegt, mit Anstand zu begegnen.

[….] Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß hat die Frist für die von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) geforderte Unterlassungserklärung verstreichen lassen. Ploß' Anwältin wies den Vorwurf zurück, ihr Mandant verbreite eine »unwahre« Behauptung über Schwesig, und betonte, die SPD-Politikerin müsse Kritik »auch in zugespitzter Form« hinnehmen.  In dem Streit geht es um Aussagen des CDU-Bundestagsabgeordneten in der ZDF-Talkshow »Markus Lanz« zur Haltung der SPD gegenüber Russland. [….][….] Schwesig ging gegen die Verbal-Attacke juristisch vor. »Ihre Behauptung über Manuela Schwesig ist unwahr; sie hat nichts Derartiges gesagt«, stellte Schwesigs Anwalt Michael Nesselhauf in einem Schreiben an Ploß fest und forderte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung[….] Statt die Unterlassungserklärung zu unterschreiben, hat Ploß nun seine Anwältin Patricia Cronemeyer antworten lassen. [….] Ob Schwesig nach der nicht abgegeben Erklärung nun vor Gericht ziehen wird, ist unklar. Schwesigs Regierungssprecher sagte auf Nachfrage nur, man wolle sich derzeit nicht zu dem Fall äußern. Ploß gibt sich derweil zuversichtlich, die Angelegenheit notfalls vor Gericht auszutragen. »Es geht mittlerweile auch ums Prinzip, denn die Entscheidung würde über den Einzelfall hinaus wirken«, sagte der CDU-Landeschef. [….]

(SPON, 17.02.2022)

Willkommen im braunen Merz-CDU-Zeitalter.

(Quo vadis, CDU?, 17.02.2022)

Mit so einer CDU gibt es keine „Brandmauer gegen Rechts“.

(….) Christoph Ploß, 36 Jahre, Partei-Rechtsaußen mit Gender-Phobie und Vorliebe für schwülstige Gelage in den völkischen Verbindungshäusern in der Umgebung des pikfeinen CDU-Hauses am superteuren Leinpfad, mit Außenalster-Blick. Ploß, Chef einer reinen Männerpartei, dem es gar nicht völkisch-braun genug sein kann.

Der Bundestagsabgeordnete Ploß ist umtriebig. Nach nur drei Tagen im Amt gelang ihm ein Coup, auf den er sichtlich stolz ist.
Er holte die ehemalige Schleswig-Holsteinische AfD-Chefin Ulrike Trebesius in die CDU.  Nun wächst zusammen was (zum Beispiel auch in Thüringen) zusammengehört.  Deutlicher kann man wohl nicht sagen wo es hingehen soll, als wenn man als erste Amtshandlung ehemalige AfD-Größen heim ins Reich holt.

[…..] Die frühere schleswig-holsteinische AfD-Landesvorsitzende Ulrike Trebesius ist der Hamburger CDU beigetreten. Das bestätigte ein Parteisprecher am Mittwochabend. Zuvor hatte das „Abendblatt” darüber berichtet. Trebesius war 2014 auf AfD-Ticket ins EU-Parlament gewählt worden. Gemeinsam mit Parteigründer Bernd Lucke hatte sie die AfD 2015 verlassen und die Partei Allianz für Fortschritt und Aufbruch gegründet, zu deren Generalsekretärin und Bundesvorsitzenden sie später gewählt wurde. Vor zwei Jahren war die heute 50-Jährige aus der inzwischen in LKR (Liberal-Konservative Reformer) umbenannten Partei ausgetreten.  „Es muss der Anspruch der CDU sein, Personen wie Ulrike Trebesius eine politische Heimat zu bieten”, sagte Hamburgs neuer CDU-Vorsitzender Christoph Ploß dem „Abendblatt”. „Die CDU war immer dann erfolgreich, wenn sie christlich-soziale, liberale und konservative Strömungen vereint hat.” […..]

(Kölnische Rundschau, 30.09.2020)

Es erinnert ein wenig an Joseph Ratzinger, dessen erste Amtshandlung als Papst war seinem ultrakonservativen Prügel-Kumpel Walter Mixa das große reiche Bistum Augsburg zu geben. (…)

(Negativ-Kampagnen, 24.09.2021)

Wie der Anti-Gender-Aktivist Ploß politisch zu verorten ist, stellte er schon in der ersten Woche als Landesvorsitzender unmissverständlich klar. Beim „Gender-Gaga“ steht Ploß ebenfalls  auf der von Storch-Linie, hetzt gegen Trans-Menschen.

Dem Übertritt der AfD-Landesvorsitzenden Ulrike Trebesius in die Elb-CDU folgte nun der nächste Ploß-Coup. Mit dem Raffke Jörn Kruse holte er den nächsten Ex-AfD-Chef in die CDU. Natürlich direkt in seinen CDU-Kreisverband Nord.

[….] Der frühere Hamburger AfD-Vorsitzende Jörn Kruse ist der CDU beigetreten. Das bestätigte Kruse am Mittwoch. Aufgenommen wurde der 73-Jährige vom CDU-Kreisverband Hamburg-Nord, dessen Vorsitzender CDU-Landeschef Christoph Ploß ist. "Der CDU-Kreisvorstand Hamburg-Nord, dem alle Strömungen und Vereinigungen der CDU angehören, hat einstimmig entschieden, Professor Jörn Kruse in die CDU aufzunehmen", teilte der Verband mit.  […]

(NDR, 31.08.2022)

Die Richtung, in die es für die CDU geht, ist offensichtlich.

Dienstag, 30. August 2022

Willkommen in der Realität – Teil II

Heute mußte ich mir eine 15-minütige Tirade einer Dame anhören, die just in Rente ging, in ihrer eigenen 1-Zimmerwohnung lebt, die sie pünktlich zum Ende ihres Berufslebens abgezahlt hatte und nun auf der Wohnungseigentümerversammlung (ETV) einen Schock erlebte. Der neue Wirtschaftsplan sieht vor, statt wie letztes Jahr knapp 10.000 Euro für die Heizkosten (Gas) nun 13.000 Euro einzuplanen. Das wären schließlich satte 30% mehr. Sie müsse als Alleinstehende allerdings auf ihren Geldbeutel achten und die Rente werde sicherlich nicht um 30% erhöht. Was für ein unverschämter Beschluss. Vielleicht könnten die anderen Eigentümer in der WEG sich das Geld aus den Rippen schneiden; sie nicht.

Willkommen in der Realität, liebe Hamburger Neu-Rentnerin.

Über die 30% mehr Heizkosten-Planung werden sie bei der nächsten ETV herzlich lachen. Privathäuser oder eben kleine WEGs werden sich auch ganz andere Preissteigerungen gefasst machen müssen.

 Die Preisexplosion beim Erdgas ist am Größten, weil die Abhängigkeit von Putin beim Gas am höchsten ist.

Übrigens, liebe Atomkraft-Fans, sieht es fast genauso beim Uran aus.

[….] Die Preise für fossile Energieträger steigen und steigen – das lässt Atomkraft als verlässliche Alternative wirken. Doch der Eindruck täuscht: Russland kontrolliert fast 50 Prozent des Marktes. […]

(Benjamin Bidder, 28.08.2022)

Alle Gründe, die schon in den 1980ern einen Ausstieg aus der Kernenergiegewinnung notwendig machten –  a) Millionen Jahre strahlender Abfall, darunter das stärkste Gift des Alls: Plutonium, b) kein Endlager, c) Krebserkrankungen, d) SuperGAU-Gefahr, e) nicht versicherbares Betreiber-Risiko – bestehen weiter. Nach Tschernobyl und Fukushima kommen aber weitere Gründe dazu, die den Betrieb von AKWs ausschließen; f) Terrorgefahr (deutsche AKWs sind nicht gegen Flugzeugabstürze à la 9/11 gewappnet. Eine Passagiermaschine auf Isar II und ganz Deutschland wäre unbewohnbar), g) die Sicherheitszertifikate der AKW sind abgelaufen, alle Anlagen sind überaltert und Störfall-anfällig, h) die Rekordhitze macht den AKW-Betrieb durch fehlendes Kühlwasser vielerorts unmöglich und schließlich i) die Abhängigkeit von Putin bleibt bei Uranbrennstäben bestehen. Dann können wir auch gleich Nordstream 2 öffnen.


Leider hat sich die Hoax, man könne/sollte/müsste alle deutschen AKW einfach wieder hochfahren – gern in Kombination mit einer überheblichen Belehrung an die angeblich so ideologischen Grünen – verselbstständigt. Man bekommt diese Ansicht auch in jedem zweiten Kommentar der seriösen Zeitungen präsentiert.

Wer eine moderne Pellet-Heizung einbauen ließ und sich angesichts der Gas/Öl-Preistreiberei schon freute, unabhängig von Lieferungen aus Russland zu sein, erlebt gerade sein blaues Wunder. So wie Kohlbriketts und Kaminholz für Privathaushalte entweder ausverkauft oder nur noch zu absoluten Mondpreisen erhältlich sind, sind auch Pellets Mangelware.

[….] Vieles wird momentan teurer. Lebensmittel, Strom, Gas - und auch Holz. Genauer gesagt: Holzpellets. Die kleinen, stäbchenförmigen Pellets sind aktuell besonders gefragt. Und besonders teuer. Holzpellets werden vor allem als Brennstoff genutzt, in Pelletöfen- oder kesseln. Sie werden aus Holzresten hergestellt, aus Spänen oder Hobelrückständen, die dann in die typische Zylinderform gepresst werden. Früher ein Abfallstoff, heute Grundlage für einen klimafreundlichen Energieträger, so preist es zumindest das Deutsche Pelletinstitut an.  Der Interessenverband erhebt auch die Preise für den deutschen Pelletmarkt. Dabei zeigte sich jetzt: Im August ist der Pelletpreis im Vergleich zum Vormonat um 35 Prozent gestiegen, im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Preis sogar fast verdreifacht. Während eine Tonne Pellets im August 2021 noch rund 220 Euro kostete, zahlen Verbraucherinnen und Verbraucher im August 2022 rund 669 Euro. Für ein Einfamilienhaus werden im Schnitt sechs Tonnen Pellets pro Jahr benötigt. Hochgerechnet wären das also etwa 4000 Euro im Jahr allein für den Brennstoff.  Der hohe Preis erklärt sich vor allem durch die gestiegene Nachfrage. [….] Doch vor allem die Hamsterkäufe überfordern die Branche. "Pellets sind das neue Klopapier", sagt Beate Schmidt-Menig, Geschäftsführerin von Ökofen. [….]  

(Patrizia Tensing, 30.08.2022)

Meine Wohnung wird mit Fernwärme beheizt. Ich selbst heize zwar gar nicht. Da aber 50% der Heizkosten umgelegt werden, zahle ich für die anderen Mieter mit. Das ist auch fair, da ich zwar mit niedrigeren Temperaturen als die meisten Menschen lebe, aber meine Wohnung hat kaum Außenwände, wird also ohnehin nicht eiskalt, weil Nachbarn oben, unten, links und rechts heizen.

Fernwärme ist günstig und ökologisch. Sie bietet sich in Hamburg an, weil gewaltige Fabriken wie zB die Aurubis, eine monströse Kupferhütte mit 2.000 Mitarbeitern, mitten in der Stadt steht und entsprechend gewaltige Menge Abwärme produziert.

Während meines Studiums habe ich die Anlage (damals noch „Norddeutsche Affinerie“) besucht und kann bestätigen, daß es in den Hallen mit den galaktisch großen Hochöfen irre heiß wird. Als Mieter in Hamburg profitiere ich also von dieser stetigen Wärmequelle.

Aber wird die alte „Affi“ überhaupt weiterlaufen können im Winter?

[….] Aurubis gehört zu den größten Energieverbrauchern

Die Kupferhütte auf der Veddel gehört zu den größten Energieverbrauchern in der Hansestadt und setzt dabei zu fast 40 Prozent Erdgas ein. Im vergangenen Jahr waren dies knapp 473 Millionen Kilowattstunden, also annähernd 40-mal mehr als bei Hobum Oleochemicals. Wegen der aktuellen Entwicklungen arbeite Aurubis „bereits seit einigen Monaten intensiv am Umstieg auf alternative Energieträger an unseren europäischen Standorten“, erklärt das Unternehmen. Je nach Standort gebe es verschiedene Szenarien, welche Gasmengen eingespart oder durch Strom, LPG (Flüssiggas) oder Öl ersetzt werden könnten – im besten Fall komplett.   [….]
(HH Abla, 22.07.2022)

Sagenhaft, im Sommer 2022 beginnt der größte Gasabnehmer Hamburgs nun doch auch mal darüber nachzudenken, was eigentlich passiert, wenn das russische Gut mal nicht mehr unbegrenzt und billig zu CO2 verfeuert werden kann.

Damit wären wir beim Heizöl. Diejenigen, die ihre alte Ölheizung in den letzten zehn Jahren noch nicht durch umweltfreundlichere und günstigeren Gasheizungen ersetzt haben, lachen jetzt. Galt man gestern noch als Umweltsau, kann man nun frohlocken, weil der Öleinkauf weltweit in vielen Nationen möglich ist und nicht so stark an Russland hängt.

Wer letztes Jahr für ein paar Tausend Liter Heizöl knapp 60 Cent/Liter zahlte, ist nun mit mindestens 1,80 Euro dabei. Die Teuerung lässt sich nicht allein mit dem Weltmarktpreis erklären, aber wer mit 30% Mehrkosten rechnet, erwartet dann einen Einkaufspreis von gut 80 Cent. Es sind aber mehr als 1,80 Euro. Für alle, die in der Schule nur Klatschen und Singen belegt haben: 180 Cent > 80 Cent.

Die Frage ist, wieso irgendjemand in so einer Situation Minister sein möchte.

Die Deutschen stören sich wenig an Pegida, an verrotteten Schulen, fehlender digitaler Infrastruktur und xenophoben Mordserien. Solange sie es zu Hause gemütlich warm haben und über einen Flachbild-TV, bzw PC verfügen. Hieß es immer. 10% Inflation und dann auch noch frieren, wird sie aber wohl doch auf die Straße treiben. Schon jetzt ist die Ampel historisch unbeliebt. Sören Pellmann, in Leipzig direkt gewählter Bundestagsabgeordnete der LINKEN, gibt bereits die Sahra Sarrazin und ruft zur Querfront-Demo auf:  Montags gemeinsam mit AfD und Pegida und AfD gegen die etablierten Parteien.

Das Hufeisen des Grauens könnte die Bundesrepublik im Winter ordentlich durchschütteln, da es keine seriöse Opposition im Bundestag gibt, sondern de facto nur noch Populisten. Schlimmer noch; mit der Lindner-Liste sitzen sogar Populisten im Kabinett.

Da wird sich ordentlich Wut entladen, wenn in Prekariatistan die Raumtemperatur bei 10°C liegt und der Strom abgeschaltet wird.

Das werden glückliche Zeiten für Putin, wenn im Westen das Volk gegen die eigene Regierungen marschiert. Gut möglich, daß die EU doch noch Gerd Schröder zum offiziellen Emissär benennt und in Moskau um Nordstream2-Gas betteln lassen wird.

Die Ampel kann es, insbesondere aufgrund der katastrophalen Merkel-Versäumnisse bei der Energiewende, Photovoltaik und Windenergie, gar nicht allen recht machen.

Es gibt nur schlechte Alternativen, wie der SPIEGEL hier sehr schön nüchtern durchdekliniert.

Es wird auf jeden Fall Ungerechtigkeiten geben. Schon allein, weil die FDP nicht zurechnungsfähig ist und manisch alles Vernünftige blockiert. Der Urnenpöbel wird sauer werden.  Aber was soll denn die Alternative sein? Sechs Millionen Leute haben FDP gewählt. Lindner hat sich nicht ins Amt geputscht. Und der Urnenpöbel ist dermaßen verblödet, dass er nach allen Umfragen bei Neuwahlen mit riesigem Abstand Blackrock-Cum-Ex-Mann Merz zum Kanzler machen würde. Damit wäre die ärmere Hälfte der Bevölkerung völlig verloren, wenn es keinen Sozialminister Heil mehr gibt, der von einem Sozi-Kanzler gedeckt wird. Die FDP-Minister sind natürlich ein Alptraum, aber eine bessere Mehrheit gibt es nicht im Bundestag.  Würde die Regierung platzen, gäbe es erst mal gar keine Hilfen bei explodierenden Preisen im Winter (Wahlkampf = totale Blockade der aktuellen Politik) und nach Neuwahlen wäre es noch viel schlimmer, weil Merz und Lindner dann gemeinsam an das obere 1% umverteilen. Bestenfalls käme es zu Schwarzgrün, aber die Grünen machen ohnehin schon Klientelpolitik für die Gutverdiener. Das wäre nicht besser, wenn Sozialminister Scheuer, Wirtschaftsminister Spahn und Finanzministerin Klöckner neben Bundeskanzler Merz am Tisch säßen. Scholz ist angesichts solcher Alternativen leider dazu verdammt, die Koalition nicht platzen zu lassen und der FDP eine lange Leine zu lassen. Also  bleibt einem nur zu hoffen, dass der Meseburgtrip wenigstens etwas bringt.