Donnerstag, 28. April 2022

Verfestigte Querfronten.

Vor der Corona-Pandemie kannte man den Begriff „Querfront“ insbesondere von den Berliner „Montagsdemos“.

Schon der Begriff war eine Anmaßung, bezog er sich doch auf die regimestürzenden Montagsdemos der DDR aus den Jahren 1989/1990. Gegen SED und Stasi auf die Straße zu gehen, konnte sehr böse enden und erforderte großen Mut.

Es begann mit den PEGIDA-Demos im Jahr 2014, als insbesondere sächsische Hobby-Nazis dem verwahrlosten Kriminellen Lutz Bachmann hinterherliefen und eine gewaltige politische Fehlleistung auslösten. Politiker fast aller Parteien fingen an, diese abscheulichen Hass-Menschen zu adeln, indem sie ihnen Berechtigung andichteten.

Nico Fried sprach von einer unzulässigen „Absolution des Mitläufertums“.

[…] Manch ein ehrenwerter Politiker bemüht sich, dem Phänomen der sogenannten Pegida mit jener Fähigkeit zu begegnen, die der selbsternannten Organisation zur Rettung des Abendlandes eher abgeht: Differenzierung. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und sein Amtskollege aus Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger (SPD), haben das vor einiger Zeit beispielhaft exerziert. Beide unterschieden säuberlich die ausländerfeindliche Hetze der Pegida, die nicht zu tolerieren sei, von der "diffusen Angst" (Jäger) und den "Sorgen" (de Maizière) vieler Demonstranten, die man ernst nehmen müsse. Die Frage ist: Warum eigentlich? […]

(Nico Fried, 21.02.2015)

Acht Jahre lang dieses rechtsextreme Pack mit Samthandschuhen anzufassen, führte dazu, daß die AfD sich enorm radikalisierte und bei der letzten Bundestagswahl in Thüringen und Sachsen stärkste Partei wurde.

Schon 2014 hatten rechtsextreme Verschwörungstheoretiker montags stattfindende „Friedensdemonstrationen“ so erfolgreich unterwandert, daß ein Konglomerat aus gefährlichen Spinnern von ganz links bis ganz rechts entstanden war; die Querfront. Johannes Baldauf, Experte für Verschwörungstheorien, erklärte schon vor acht Jahren:

[….] Johannes Baldauf:  Zentrale Figuren sind derzeit der ehemalige rbb-Radiomoderator Ken Jebsen („KenFM“), und der Publizist Jürgen Elsässer, der ursprünglich in der linken Szene beheimatet war,  allerdings in seinem „Compact“-Magazin schon seit Jahren die Querfront – also die Verbindung über Gemeinsamkeiten – mit der rechtsextremen Szene –  sucht. Dazu kommen neben den „klassischen“ Verschwörungstheoretiker*innen, Menschen aus dem Umfeld der „Wissensmanufaktur“, ein pseudowissenschaftliches „Institut für Wirtschaftsforschung und Gesellschaftspolitik“. Und Menschen, die sich Infokrieger nennen – nach den „Infowars“ um Radiomoderator  und Ikone der Verschwörungstheoretiker-Szene Alex Jones in den USA, die sich von den „Mainstream-Medien“ hinters Licht geführt und desinformiert sehen. Eine spannende Mischung.

Simone Rafael: Warum fällt es den nicht-rechten Demonstrationsteilnehmer*innen oder Veranstalter*innen so schwer, menschenfeindliches Gedankengut von ihren Veranstaltungen zu verweisen?

Johannes Baldauf:  Die Grundausrichtung der Demonstrationen ist ja, nicht rechts und nicht links zu sein, sondern gemeinsam für eine wichtigen Sache zu kämpfen, eine Querfront zu bilden. Das ist zwar ein schöner Gedanke. Aber „der Sache willen“ zu ignorieren, wie jemand ansonsten politisch denkt, ob er zu Hass und Gewalt aufruft etwa oder ein Rassist ist, funktioniert nicht. Deshalb bekommt diese Positionierung oft einen manischen Charakter. Wenn sich die Veranstalter einer Demonstration in der Theorie von Neonazis distanzieren, heißt es im Zweifelsfalle des praktischen Nazis auf der Demo oft: „Aber der ist doch gar kein Nazi“. Oder, im Sinne eines Verschwörungstheoretikers sehr überzeugend: „Wenn Sie den als Faschisten bezeichnen, sind Sie ja selbst Teil der Elite!“ [….]

(Belltower, 07.07.2014)

Die Migrationsbewegungen und insbesondere die Pandemie sorgten ab Frühjahr 2020 für gewaltigen Zulauf aus der Esoteriker-, Alternativmedizinischen und Impfgegnerszene. Und immer noch nahm die politische Klasse insgesamt viel zu viel Rücksicht auf diese hochgefährlichen Menschen, die sie nicht als Wähler verprellen wollten.

Nur so ist das anderthalbjährige politische „es wird keine Impfpflicht geben“-Mantra zu erklären. Dabei vertreten diese radikalen Seuchenfreunde genauso wenig legitime Ängste oder „alternative Ansichten“ wie die xenophoben Bachmann-Fans. Genauso wie es keine alternative Mathematik oder alternative Physik gibt, existiert auch keine alternative Medizin ohne Viren oder Heilungskräften von nicht existenten „Wirkstoffen“ in D10-Potenzen.

Querfrontler sind schon lange kein einfaches Kuriosum mehr; also bekloppte Menschen, die man auslachen kann; sondern eine enorme Gefahr für die gesamte Gesellschaft. Womöglich würden Zehntausende Menschen noch leben, wenn diese Fakten-negierenden Virenfreunde nicht die Impfkampagnen bekämpft hätten.

Halbwegs zurechnungsfähigen Bürgern mögen sich darüber amüsieren, wenn in Leipzig, Berlin oder Stuttgart Myriaden Aluhüte von Reptiloiden-Invasionen, unfruchtbar machenden Chemtrails, Gates-Chips im Impfserum oder massenhaft geraubten Kindern, denen Adenochrom abgesaugt würde, erzählen.

Das ist aber nicht lustig, da wir unterschätzen, wie viele mental labile und intellektuell bescheidene Menschen anfällig sind, den Schwachsinn zu glauben. Deswegen erreichen wir keine Herdenimmunität, deswegen sterben jetzt noch zwischen 200 und 300 Menschen in Deutschland an Covid19.

Putins Angriff auf die Ukraine ist ein weiterer Booster für die Querfront.  Die düsteren geopolitischen Szenarien sind wie dafür gemacht, sich sinistere Strippenzieher vorzustellen.

Abstimmungen über die Waffenlieferungen an die Ukraine, die heute im Bundestag stattfand, bestärken Querfrontler in ihrer Wahnwelt, weil alle halbwegs vernünftigen Parteien übereinstimmen. CDUCSU-Oppositionsführer Merz tut es wahrlich nicht gern, aber er konnte heute in dieser Frage nicht gegen die Ampel stimmen lassen.

[…]  Nur unter Getöse! Friedrich Merz und seine CDU stecken gerade in einem gewaltigen Dilemma: Wie viel Opposition kann man sich während des Ukraine-Kriegs erlauben, ohne das Selbstbild von der staatstragenden Partei zu beschädigen? Und wie viel Zusammenarbeit mit dem Kanzler ist möglich, ohne politisch unsichtbar zu werden? Das ist schon an sich keine einfache Abwägung. Wegen der anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ist sie aber besonders schwierig.  […]

(Robert Rossmann, 28.04.2022)

Wenn aber in so einer zentralen Frage SPD, Grüne, FDP und CDUCSU gemeinsam stimmen, treffen sich die ohnehin vollständig im Covidioten-Lager kauernde AfD und die durch Wagenknecht inzwischen auch schon semiverschwurbelte Linke in dem Putin-freundlichen Boot.

Die AfD findet Putin toll, weil er Naziparteien finanziert als einzige Großmacht eine weiße, nicht diverse Gesellschaft propagiert, in der Schwule, Migranten und Feministinnen keinen Platz haben. Die Linken stehen eigentlich für genau die gegenteiligen Werte, hängen aber kurioserweise auch an Putin, weil sie einer  russlandfreundlichen Tradition anhängen, als Moskau noch ganz ganz links und nicht ganz ganz rechts war. Putin ist mit seiner Idealisierung der kommunistischen atheistischen (also ganz linken) sowjetischen Supermachtvergangenheit und seiner inzwischen rechtsextremen kirchenaffinen homophoben Politik selbst so etwas wie die Apotheose der Querfront. In ihm kommt allerlei Extremes zusammen, das verschwörungstheoretische Spinner wohlig triggert.

Der ehemalige ultrakonservative Katholik David Berger ging den Weg in den antisemitischen Schwurbelkosmos mit, vertritt als beinharter Impfgegner inzwischen nahezu jede noch so abstruse Verschwörungstheorie.

Als schwuler Mann hasst er die Schwulenbewegung oder die Ehe für alle, wie die Pest. Als Steinzeitkatholik wettert er gegen den Papst, als angeblicher Israelfreund (Israel mag er nur, weil er darin seine radikal islamophoben Phantasien ausleben kann) durchsetzt er seine Beiträge mit antisemitischen Stereotypen, sieht stets Rothschildsche oder Sorossche oder Gatessche Strippenzieher am Werk. Politisch tickt er mit Trump und Alex Jones und Steve Bannon, die seine rassistische antifeministische und wissenschaftsfeindliche Weltsicht vertreten. Natürlich liebt er Putin, weil dieser sich gegen die von ihm so verachteten Institutionen EU, NATO, aber auch gegen Scholz oder Biden persönlich steht.  Am meisten hasst Berger aber immer noch die Grünen, die er, der Faschist, stets als faschistisch darstellt. Er kann es nicht ertragen, daß Annalena Baerbock Außenministerin geworden ist und schon gar nicht, daß sein geliebtes Moskau nun mit deutschen Waffen unter Druck geraten soll. Baerbocks Eintreten für die Gepard-Lieferungen an die Ukraine beschreibt er in jeder Zeile vor Menschenhass triefend:

[….] Diese Erklärung Baerbocks ist deshalb so gefährlich, weil jetzt dem Antrag auf Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine stattgegeben wurde, der – so Max Otte – „in martialischer Sprache verfasst ist und der von Russland als Kriegseintritt Deutschlands gesehen werden muss … Ich bin kein ängstlicher Mensch. Aber das macht mir Angst.“ Und weil man sich dem ganz großen Bang entgegensehnt, wird China auch noch gleich als mögliche Konfliktpartei geführt.  Und noch eines: Die Grünen sind mit dem Wunsch, ihre perversen Gewaltphantasien auszuleben, nicht alleine. Gerade ist ihnen Friedrich Merz beigesprungen und lässt wissen: „Gerade weil wir die furchtbaren Bilder aus dem Stahlwerk in Mariupol vor Augen haben, sagen wir: Einem Aggressor wie Putin muss auch mit militärischer Gewalt begegnet werden. Deshalb kommen wir heute zu einem gemeinsamen Entschließungsantrag: Um der Ukraine zu helfen.“  Die Neigung des Deutschen zum totalen Krieg feiert wieder fröhlich Urständ. Dazu keine weiteren Worte, außer einen Satz aus meiner Jugend: Die Überlebenden werden die Toten beneiden! [….]

(Philosophie Perennis, 28.04.2022)

Heute steht sie wieder, die Querfront aus ganz rechts und ganz links.

Mittwoch, 27. April 2022

Neue bayerische Blamage

Es ist inzwischen der Signature-Move der CSU-Politik; wenn bayerische Bundesminister oder die bayerische Landesregierung Gesetze auf den Weg bringt, kommt immer etwas Verfassungswidriges heraus.

Ob da irgendwas im Wasser ist; oder ob es sich um eine genetische Veranlagung handelt, kann ich nicht sagen.

Möglicherweise ist der Drang zu schummeln und zu mauscheln auch habituell bedingt, also eine Art kultureller Aneignung, so wie das Betrügen bei akademischen Graden. Das ist  bei Konservativen offenbar so üblich.

Dr.-Titel zu Erschummeln ist nicht selten.
Karl-Theodor von und zu Guttenberg (CSU), Veronica Saß (Edmund Stoibers  Tochter), CSU-Bezirksrat Dominic Stoiber, der Sohn des berühmten Edmunds. Im März 2013 gesellte sich der CSU-Landrat Jakob Kreidl aus Miesbach zu den anderen CDU/CSU/FDP-Titelbetrügern, wie zB der der xenophobe Andreas Scheuer („Wer betrügt, der fliegt!“), der zehn Jahre unberechtigt einen windigen DrPH aus Prag als Dr.-Titel in Deutschland führte.
Da darf man nicht viel juristische Expertise erwarten.

(….) Nichts, das von CSUler gefordert oder gar als Gesetz eingebracht wird ist in irgendeiner Weise sinnvoll. Aus dem Munde eines CSU-Politikers kommt stets nur ganz großer Unsinn.

Verfolgt man CSU-Minister bleibt einem nur zu hoffen, daß sie über ihre eigenen Beinen stolpern, bevor sie anfangen können irgendetwas umzusetzen.

Was sie tun, ist ohnehin meistens illegal.

(…..)  Die CSU stimmte bekanntlich gegen das Grundgesetz, wurde aber überstimmt (Saupreißn!) und daher gilt die lästige Verfassung nun auch in Bayern. Gesetze sind keine vagen Vorschläge, sondern selbst CSU-Politiker müssen sich daran halten.

  [….] Der Einsatz bayerischer Landespolizisten bei Grenzkontrollen zwischen Bayern und Österreich ist nach einem von den Grünen in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten rechtswidrig. "Der bayerische Grenzschutz verstößt nach seiner Konzeption im bayerischen Recht gegen das Grundgesetz", schrieb die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt am Sonntag an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Die Zusammenarbeit der Bundespolizei mit diesem unter Verstoß gegen die Verfassung konstruierten bayerischen Grenzschutz müsse "eingestellt werden", heißt es in dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Seit Herbst 2015 kontrolliert die Bundespolizei drei Grenzübergänge zwischen Bayern und Österreich, obwohl das dem Schengen-Abkommen widerspricht. Im August 2018 reaktivierte die bayerischen Staatsregierung zudem die bayerische Grenzpolizei, die ebenfalls Grenzkontrollen übernimmt. Dies sei verfassungswidrig, heißt es im Gutachten des Regensburger Staatsrechtlers Thorsten Kingreen und der Düsseldorfer Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger [….]

(Constanze von Bullion, 21.10.18)

Ich weiß, das ist furchtbar gemein, weil Verfassungsminister Seehofer kein Abitur hat und nichts von Jura versteht, wenn man ihn trotzdem mit rechtlichen Fragen molestiert.  Insbesondere ist das aber gemein, weil grundgesetzwidrige Gesetze quasi das Markenzeichen der CSU sind. Da wirkt es sicher verstörend zu hören, daß sich auch die CSU an die Verfassung zu halten hat.  Wieso sollten sich CSUler an Recht und Gesetz halten, nachdem sie schon das Grundgesetz abgelehnt hatten und mit Anti-Ausländermaut und Herdprämie gesetzeswidrige Politik einfordern?  [….] Beide Gesetze, welche die CSU in die Bundesregierung einbrachte, wurden als verfassungswidrig verworfen.

Die einzige Bundestagspartei, die, nach meiner Kenntnis und auch vielfach dokumentiert, das Grundgesetz tatsächlich abgelehnt hat ist die CSU. Wann also wird sie endlich verboten?  [….]

 (Freitag, 30.02.2012)

Vorgestern erst schob sich der Erfinder der Parole „wer betrügt, der fliegt“, der aber selbst nicht flog, als sein Dr.-Titel-Betrug bekannt wurde, wieder einmal mit einem verfassungswidrigen Vorschlag in die Öffentlichkeit. CSU-Rechtsaußen und Generalsekretär Scheuer meinte auf Rechtsstaatlichkeit verzichten zu können.

Scheuer will Flüchtlinge, die eine Straftat begangen haben, auch ohne Prozess abschieben. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) konterte: „Wer verdächtige Flüchtlinge ohne Prozess abschieben will, hat offensichtlich nicht verstanden, dass wir in einem Rechtsstaat leben.“ Ähnlich äußerten sich auch die Grünen.

(taz 14.01.2016)

Egal, die CSU pfeift auf das Grundgesetz.

(Resteinfluss 16.01.2016)

[….] Da wundert es nicht, daß CSU-Chef Seehofer immer wieder ungeniert Obergrenzen beim Asylrecht einfordert, obwohl das klar grundgesetzwidrig ist. Ebenfalls nur konsequent ist das Eintreten der CSU für ein „Burkaverbot“, obwohl auch das illegal wäre.

[….] Warum ein Verbot von Burka und Niqab verfassungsrechtlich fragwürdig wäre.  [….] [….] Überlegungen wie diese, die mit Vergleichen etwas Stimmigkeit in die Debatte zu bringen suchen, scheitern regelmäßig, weil von "Werten" die Rede ist. "Die Burka verstößt gegen unsere Werte." Nicht alles, was "wertlos" ist, darf, soll oder muss gar verboten werden. [….]  Ein allgemeines Burka- und Niqab-Verbot würde eine bestimmte Gruppe von Personen anders behandeln als alle anderen, dabei in ihre Freiheit eingreifen, indem sie diese Gruppe vom öffentlichen Raum ausschließt, und dies ohne einen klaren rechtfertigenden Zweck tun. Dass diese Konstellation verfassungsrechtlich prekär ist, dürfte auf der Hand liegen. [….]

 (Christoph Möllers, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Berliner Humboldt-Universität und Leibniz-Preisträger 2016, 05.09.2016)

Für die CSU gilt ihr altes Motto: Legal, illegal, scheißegal.  Auch der grundgesetzlich garantierte Schutz der Familie steht zur Disposition, wenn es nach der CSU geht.  […..]

(GroKo-Politik, 03.02.2016)

Es bleibt nur ein kleiner Trost, daß die von CSU-Ministern eingebrachten Vorschläge und Regelungen ohnehin alle entweder illegal sind und anschließend von Richtern wieder gestoppt werden (Herdprämie, Maut) oder zumindest völlig ohne Effekt bleiben, wie Seehofers binationale Rücknahmeabkommen, die zwar teilweise in Kraft sind, aber so abstrus formuliert sind, daß sie niemand betreffen. (…)

(Die CSU-Garantie, 12.09.2019)

Der neueste CSU-Coup betrifft nun wieder einmal die Verfassung selbst.

Bayern hatte 2016 ein Gesetz über die Befugnisse des Verfassungsschutzes erlassen, gegen das unter anderem Mitglieder der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" klagten, die in Bayern als "linksextremistisch beeinflusste Organisation" eingestuft wird.

Den Bundesverfassungsrichtern flogen fast die Barette vom Kopf, als sie den Murx aus CSU-Federn lasen.

[….] Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgericht, wollte wollte gleich zu Beginn der Urteilsverkündung keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass dem Gericht durchaus an der Sicherheit der Republik gelegen sei. Klar, der Erste Senat hatte soeben das bayerische Verfassungsschutzgesetz in so vielen Punkten gerügt, dass allein das Vorlesen der grundgesetzwidrigen Paragrafen mehr Atem erforderte als ein langer Triller auf der Querflöte. [….] In der Verhandlung im Dezember hatte die als Berichterstatterin zuständige Richterin Gabriele Britz gesagt, das Gericht habe ja schon häufiger über das Thema Überwachung entschieden - aber noch nie so umfassend.  Es war also eine günstige Ausgangssituation, die dem Gericht einen regelrechten Rundumschlag erlaubte  [….]

(Wolfgang Janisch, SZ, 26.06.2022)

Landesminister mit Anstand oder Rudimenten von Schamgefühl würden nach so einer Klatsche natürlich zurücktreten, aber so etwas sucht man bei CSU-Politikern vergeblich.

Statt in den Erdboden zu versinken, weil die CSU-Minister schon wieder verfassungswidrig agierten, finden sie sich aber ganz fabelhaft und der Urnenpöbel bestätigt es. Die CSU legt in Umfragen zu, liegt meilenweit vor Grünen und SPD.

[….] Diesmal freilich ist es keine Schramme, die das bayerische Verfassungsschutzgesetz abbekommen hat, sondern eher ein Totalschaden. Das Verwanzen von Wohnungen, die Online-Durchsuchung, Handy-Ortung, Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern - alles verfassungswidrig. Selbst die harmlos anmutende Befugnis zur Observation im öffentlichen Raum wurde beanstandet. Hätte Karlsruhe den Bayern keine Übergangsfrist gewährt, um das Gesetz zu reparieren, müsste der Dienst ab heute seiner Arbeit durch Zeitungslektüre nachgehen.  Es ist richtig, dass das Gericht ein weiteres Mal ein Stoppschild für die sicherheitspolitische Maßlosigkeit gesetzt hat, die man nicht nur, aber eben häufig in Bayern beobachten kann. [….] Ein solches Konglomerat ist Gift für die Bürgerrechte, zumal dann, wenn - wie im bayerischen Verfassungsschutzgesetz - die Vorschriften unscharf formuliert sind. Deshalb ist das Urteil zukunftsweisend. [….]

(SZ, 26.04.2022)

Dienstag, 26. April 2022

Herbeireden

Die SPD verlor viele Wahlen, weil ihr oft der tumbe, realitätsverkennende Optimismus abging.

Bei der Kür neuer Vorsitzender oder Kanzlerkandidaten (bis Schulz) kam jeweils Optimismus auf, alle versprachen euphorisch, nun aber gemeinsam zu stehen und zu kämpfen. Dann geht eine Kleinigkeit schief, die Partei verfällt in einen Hühnerhaufenmodus, die Basis attackiert die eigene Führung und schon breitet sich wieder ein resigniertes „das wird wieder nichts“-Gefühl bei allen Genossen aus. CDU-Kanzlerkandidaten hingegen kennen den Gedanken, daß sie möglicherweise auch verlieren könnten, gar nicht.

2020 wurde etwas anderes probiert. Kühnert, Klingbeil und das Vorsitzenden-Duo stellten die innerparteilichen Auseinandersetzungen hintan, Scholz wurde sehr früh zum Kanzlerkandidaten erkoren und  erklärte fortan in jedem Interview und jeder Stellungnahme so glaubwürdig, er werde Bundeskanzler, daß man ihm langsam glaubte, das wirklich zu glauben. Er sei aber der einzige, lachten Deutschlands Politikexperten.

Natürlich würde er verlieren, war der Konsens und insofern wirkte Scholz, als agiere er in einer Parallelwelt. Ein SPD-Kanzler, sehr witzig. So ein Spinner, der Scholz.  Vermutlich war die SPD am meisten selbst überrascht, als Scholz tatsächlich Bundeskanzler wurde.

Inzwischen bin ich davon überzeugt, daß dieser unerschütterliche Scholz-Glaube an sich selbst, tatsächlich einen großen Einfluss auf das Wahlergebnis hatte.

Wer auf eine Bühne oder vor Kameras tritt, weil er ein Lied vorsingt, als Sportler bei einem Wettbewerb antritt oder eben als Wahlkämpfer für sich selbst wirbt, muss eine Borderline-artige Fähigkeit haben, sich selbst ganz fabelhaft zu finden. Das kann auf die Massen möglicherweise so stark ausstrahlen, daß sie einem Nackten die tollsten neuen Kleider andichten.

Hader und Selbstzweifel sind nach meinem Geschmack viel sympathischere Charaktereigenschaften. Da mir plumper Optimismus und Selbstbegeisterung abgehen, werde ich garantiert nie irgendwo zum Chef, geschweige denn Regierungschef gewählt.

Wäre ich aber durch einen irren kosmischen Zufall am 24.02.2022 ukrainischer Präsident gewesen, hätte ich vermutlich öffentlich erklärt:

„Liebe Landsleute, nun werden wir also tatsächlich vom Riesenreich Russland angegriffen. Verdammter Putin, ich dachte bis zum Schluß, er würde nicht so weit gehen. Aber nun haben wir den Salat. Die Situation ist extrem ernst; da können wir keine pathetischen, faktenfreien Reden gebrauchen, sondern müssen uns der bitteren Realität stellen, die da lautet: Russland ist astronomisch überlegen, unsere Armee kann dem nichts entgegen halten. Wir werden allein stehen. Die NATO-Staaten werden nicht militärisch an unserer Seite stehen; also wird es böse ausgehen. Je erbitterter wir das Unvermeidliche durch letztendlich vergebliche Gegenwehr hinauszögern, desto mehr von uns werden sterben, desto mehr werden unsere Städte in die Steinzeit zurück gebombt. Also lasst uns keinen heroischen Unsinn anfangen und uns gleich ergeben. Ich verschwinde vermutlich bis zu irgendeinem dubiosen Schauprozess in einem Gulag; werde möglicherweise auch einen Kopf kürzer gemacht, aber das ist eben der Job des Präsidenten in so einer Lage. Es ist jetzt zu spät, sich darüber zu beschweren. Und besser, ein paar Regierungsoligarchen verlieren ihre Rübe, als daß Zehntausende Zivilisten sterben müssen.“

Vermutlich wären meine Einträge in den Geschichtsbüchern nach dieser Rede nicht sehr freundlich. Aber wen kümmert das, angesichts der vielen geretteten Menschenleben?

Vielleicht hätten sich auch nicht alle meinem Kapitulationsratschlag angeschlossen, aber einzelnen Widerständlern wäre vermutlich bald die Unterstützung bei ihrer Guerilla-Taktik versagt worden. Welcher Nato-Staat würde schon in einem, von einer Atomsupermacht besetztem Land, den als „Terroristen“ bezeichneten Kämpfern, schwere Waffen liefern wollen?

Inzwischen hätte sich Putins Armee in der gesamten Ukraine festgesetzt. EU und NATO würden grollen und sich gleichzeitig enorm aufrüsten, damit ihnen nicht eines Tages das Gleiche passiert wie Kiew und seinem wenig beeindruckenden Präsidenten.

In der Realität ist Selenskyj zu einem weltweiten Helden geworden, bei dessen Anblick kalifornische Frauen ein feuchtes Höschen bekommen. Putin hat Abertausende Soldaten und ein Dutzend russischer Generäle verloren. Er ist frustriert, steckt fest, wird mit immer höherer Wahrscheinlichkeit seine Massenvernichtungswaffen einsetzen, immer schrillere Töne anschlagen.

„Russland darf nicht gewinnen“ lautet das allgemeine Mantra, das immer weniger absurd wirkt – gespeist auf ukrainischen Nationalismus und der überragenden Suggestionskraft des begnadeten Schauspielers Wolodymyr Selenskyj. Der Mann baut so effektiv Druck auf anderen Regierungen auf, daß die kleine Ukraine mittlerweile über mehr Panzer als Russland verfügt.

Die von Springer, Spiegel und CDUCSUFDP getriebene Berliner Regierung schickt nun Gepardpanzer nach Kiew und ich frage mich, wie lange eigentlich die österreichische Alpenarmee noch ihre Pandure behalten kann.

Die selbst herbeigeschriebene deutsche Aufrüstung der Ukraine begeistert die Presse so sehr, daß sie mit grimmiger Genugtuung verkündet, die US-amerikanischen Top-Minister Blinken und Austin glaubten nach ihrem Besuch in der Ukraine und Deutschland an den Sieg Kiews.  Selenskyjs Selbstgewissheit redet hier also vielleicht wirklich das vor zwei Monaten für unmöglich Gehaltene herbei; einen ukrainischen Sieg über Russland.

Muss man also nur wollen?

Als ob Blinken und Austin irgendetwas anderes sagen könnten. Hätten sie nach ihrem spektakulären Besuch in Kiew etwas sagen sollen, „OK, wir liefern euch zwar für Milliarden Dollar schweres Kriegsgerät, aber das ist doch alles sinnlos, weil ihr ohnehin verliert!“ ?

Russland ist, egal wie unsympathisch Putin jetzt erscheint, aber dennoch eine globale Supermacht und fängt offenbar gerade erst an, richtig fies zu werden.

[…] Jetzt stoppt Russland seine Gas-Lieferungen nach Polen und Bulgarien. Der Energie-Stopp soll bereits ab Mittwoch (27. April 2022) gelten. Sowohl das polnische Erdgasunternehmen PGNiG als auch das bulgarische Unternehmen Bulgarga seien schriftlich über die „Aussetzung“ informiert worden, heißt es. Der russische Staatskonzern Gazprom bestätigte den Stopp bisher nicht. [….]

(FR, 26.04.2022)

Die Freunde der militärischen Involvierung und der Eskalation könnten schneller als erwartet merken, wie die Wirtschaft ohne Russlands Energie abstürzt.

Putins Außenminister Lawrow malt schon einmal vorsorglich den dritten Weltkrieg an die Wand.

[….] Russlands Außenminister Lawrow hat vor der "realen Gefahr" eines Weltkriegs gewarnt. Die NATO führe in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland - dies rechtfertige Angriffe auf Waffenlieferungen.  Russland betrachtet Waffenlieferungen der NATO an die Ukraine als berechtigte Angriffsziele für sein Land. "Natürlich werden diese Waffen ein legitimes Ziel für die russischen Streitkräfte sein", sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow in einem Interview im russischen Fernsehen, das das Außenministerium auf seinem Telegram-Kanal teilte. Lager, auch in der Westukraine, seien bereits mehr als einmal zu solchen Zielen geworden.  "Wie könnte es anders sein", sagte Lawrow weiter. "Wenn die NATO über einen Stellvertreter de facto in einen Krieg mit Russland tritt und diesen Stellvertreter bewaffnet, dann tut man im Krieg, was man im Krieg tun muss." [….]

(Tagesschau, 26.04.2022)

Aus Lawrows Sicht, wäre demnach also der Westen Schuld an unser aller Atomtod. Eine sehr dreiste Verdrehung der Tatsachen.

Aber ein Quäntchen Wahrheit bleibt natürlich – hätte die Ukraine sich ergeben und hätte die westliche Staatengemeinschaft nicht mit Sanktionen und Waffenlieferungen reagiert, würde auch die gegenwärtige Eskalation ausbleiben.

Selenskyj und Klitschko werden für ihre im Westen unmodern gewordenen Eigenschaften (Tapferkeit, Maskulinität, Härte, Entschlossenheit) über die Maßen bewundert.

Aber ob das letztendlich weiterhilft?
Die gegenwärtige Weltkriegsgefahr steigt. Es eskaliert.

Schon werden Großbritannien militärische Vergeltungsschläge angedroht.

[…] Die Regierung in Moskau hat Großbritannien davor gewarnt, die Ukraine zu Angriffen auf russischem Territorium zu ermutigen. Das russische Verteidigungsministerium bezog sich auf Äußerungen des Staatssekretärs im britischen Verteidigungsministerium James Heappey in der BBC. Der Politiker bezeichnete Angriffe der Ukraine auf Nachschublinien innerhalb Russlands als legitim. Kommt es zu solchen Eingriffen, werde dies umgehend zu »einer verhältnismäßigen Antwort« führen, erklärte das russische Verteidigungsministerium. […]

(SPON, 26.04.2022)

Es wird laut über den Angriff auf die nächste (international allerdings nicht anerkannte) Nation, Transnistrien, gesprochen. Anschließend wäre die Moldaurepublik dran.

[…] In Moldau wächst die Sorge davor, in den Ukraine-Krieg hineingezogen zu werden. Aus der abtrünnigen Region Transnistrien werden angebliche Anschläge gemeldet – ein Vorwand für russische Interventionen?  Nach mehreren Explosionen in der prorussischen Separatistenregion Transnistrien hat die moldauische Zentralregierung die Bevölkerung zur Ruhe aufgerufen. "Wir appellieren an die Bürger, Ruhe zu bewahren und sich sicher zu fühlen", sagte Präsidentin Maia Sandu am Dienstag nach einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats. Moldau liegt an der Grenze zur Ukraine. Die Explosionen verstärkten die Furcht vor einem Überschwappen des Ukraine-Kriegs auf das Land. [….]

(T-online.de, 26.04.2022)

Man muss Lawrow nicht glauben und ihn schon gar nicht mögen, aber ich denke, seine Warnung vor einem dritten Weltkrieg, ist viel weniger abwegig, als es einige im Moment noch denken, die so gern Waffen liefern.

Montag, 25. April 2022

Unerträgliche Heuchelei der CDU

CDU-Chef Merz befindet sich auf Krawallkurs wider die SPD. Sie sei zu unentschlossen gegen Putin. Die Ampel müsse endlich schwere Waffen in den Krieg liefern.

Merz ist übrigens der Möchtegern-Ökonom, dem schon der Ausschluss Russlands aus dem Swift-Zahlungssystem viel zu weit ging.

[….] Der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat davor gewarnt, Russland vom internationalen Banken-Zahlungssystem Swift auszuschließen.  «Swift infrage zu stellen, das könnte die Atombombe für die Kapitalmärkte und auch für die Waren- und Dienstleistungsbeziehungen sein», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin kurz vor der Reise von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in die Ukraine und Russland an diesem Montag und Dienstag. «Wir sollten Swift unangetastet lassen.»  «Ich würde massive ökonomische Rückschläge auch für unsere Volkswirtschaften sehen, wenn so etwas geschieht.  […]

(ZEIT, 16.01.2022)

Nach dem Giftgast-Anschlag vom 20.08.2020 auf den nationalistischen Antisemiten Alexey Nawalny, waren es wieder die jetzt regierenden Grünen, die mit ihrer russlandkritischen Haltung der CDU gewaltig auf die Nerven gingen.

Am 18.09.2020 debattierte der Bundestag einen Antrag der Grünen, die Gaspipeline Nordstream2 nicht weiter zu bauen. Annalena Baerbock hielt die Hauptrede für den Nordstreamstopp. Die CDU/CSU-Fraktion legte ihr Veto ein, darüber auch nur abzustimmen.

Der Unions-Hauptredner Jens Koeppen verteidigte vehement den Bau und die Inbetriebnahme der Gas-Pipeline aus Russland. Er bezeichnete es als „hilflosen Aktionismus der Grünen“ die Pipeline überhaupt zu kritisieren. Der Baustopp schade Russland gar nicht, „Sanktionen ersetzen keine besonnene Außenpolitik“. Nordstream zu stoppen, wäre „energiepolitisch natürlich nicht überlegt“. Es sei ein „gefährliches Manöver“, wir „schießen uns in eigene Knie!“

Die Kanzlerin zu dem Zeitpunkt hieß Angela Merkel und war bekanntlich CDU-Mitglied.

Ach ja, und das noch zum „Putin-Problem der SPD“, nachdem alle CDU- und insbesondere CSU-Größen affirmativ und schleimspurziehend auf den Knien rutschend in den Kreml zogen, um sich gemeinsam mit Putin ablichten zu lassen, ging am 19.11.2020 der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor ans Rednerpult und trat im Namen der CDU/CSU leidenschaftlich für den Gas-Import aus Russland ein.

[….] Erlauben Sie mir in dieser durchaus lebendigen, in dieser weltpolitischen Debatte und vor allem nach dieser grünen Irrfahrt dann doch, als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter für das nordöstliche Mecklenburg-Vorpommern  noch einmal den Blick darauf zu werfen, wie die Bürgerinnen und Bürger in meinem Wahlkreis die Lage sehen, auf die Menschen im Nordosten der Republik, auf die Menschen im Seebad Lubmin, wo Nord Stream 2 anlanden soll. [….] Und ich kann Ihnen auch sagen, was die Menschen vor Ort erwarten. Sie erwarten, dass diese Pipeline Nord Stream 2 fertiggestellt wird. Und ich sage Ihnen: Diese Erwartung haben die Menschen vor Ort völlig zu Recht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn die Menschen vor Ort möchten keine Bau- und Investitionsruine, und das möchte ich als Bundestagesabgeordneter in Lubmin auch nicht. Stattdessen möchte ich Unterstützung für die Unternehmen, für die Firmen, für die Menschen, die vor Ort an der Fertigstellung dieser Pipeline arbeiten. Wir müssen auch in der Debatte heute noch mal betonen: Die Fertigstellung dieser Pipeline liegt nicht nur im russischen Interesse, sie liegt vor allem im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Das ist das klare Zeichen dieser Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) [….] die Fertigstellung der Pipeline Nord Stream 2 entspricht der geltenden Rechts- und Genehmigungslage in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben kein Interesse, daran etwas zu ändern. [….] (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) [….]

(CDU/CSU-Bundestagsfraktion 2020)

Und die CDUCSU bebt nun vor Empörung, weil die SPD früher auch die Nordstream2-Pipeline unterstützte.

Sonntag, 24. April 2022

Nationalpauschalverurteilung

Heute hätte die EU endgültig untergehen können.

[…] Der Amtsinhaber kommt laut Prognose auf 58,8 Prozent der Stimmen. Herausforderin Le Pen erhält demnach lediglich 41,2 Prozent - und blickt schon auf die Parlamentswahl im Juni.  [….]

(SZ Wahlblog, 24.04.2022)

Natürlich bin ich äußert erleichtert über Marcons Sieg, aber „ich tanze“ nicht, wie Frau Esken, denn ich bin noch entsetzter von den über 40% für die Nazis.

Ein Drittel der Franzosen konnte sich angesichts einer von Putin bezahlten rechtsextremen EU-Zerstörerin, noch nicht mal aufraffen überhaupt wählen zu gehen. Was für ein Armutszeugnis für die zentral in Europa gelegene Kulturnation: Weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten mochten gegen Le Pen stimmen.

Wie beschissen sind die Franzosen eigentlich?

Das Ergebnis ähnelt ein wenig der US-Präsidentenwahl von 2020. Ja, Trump unterlag, aber weit weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten konnten sich aufraffen gegen den extrem korrupten, verlogenen Sexisten und Rassisten Trump zu stimmen.

Wie beschissen sind die Amerikaner eigentlich?

Bei der britischen Unterhauswahl am 12.12.2019 fuhren Johnsons Tories einen Erdrutschsieg ein und bekamen (mit 43,6% der absoluten Stimmen) 365 von 650 Sitzen und damit satte 56% im Parlament. Für einen skandalösen gewohnheitsmäßigen Lügner, der das Königreich gleich in mehrfacher Hinsicht in eine Katastrophe geführt hatte.

Wie beschissen sind die Engländer eigentlich?

Der rechtsextreme Antisemit Viktor Orbán hatte in Ungarn die Pressefreiheit und unabhängige Justiz abgeschafft. Bei der Parlamentswahl am 03.04.2022 erhielt seine faschistische Fidesz-Partei 54,1% und sicherte sich damit sagenhafte 135 von 199 Sitzen, also eine 68%-Mehrheit im Parlament.

Wie beschissen sind die Ungarn eigentlich?

Bei der Bundestagswahl 2021 wurde die faschistische AfD mit 25,7% stärkste Partei in Sachsen und gewann zehn von 16 Wahlkreisen direkt.

Wie beschissen sind die Sachsen eigentlich?

Aber es gibt eben nicht den einen typischen homogenen Amerikaner/Franzosen/Sachsen, der zu einem großen Teil Scheiße ist.

Wenn jemand von „der Russe“ oder „der Franzose“ spricht, kann man gleich aufhören zuzuhören.  Nationen sind heutzutage heterogener denn je. Es gibt in den USA die hinlänglich bekannten wissenschaftsnegierenden, mit Waffen fuchtelnden, pseudofrommen, rassistischen, homophoben, intellektuell minderbemittelten, geistig verwahrlosten Trump-Fans. Daneben gibt es aber auch eine außerordentlich diverse und insgesamt noch größere Gruppe von Amerikanern, die von diesen Landsleuten so abgestoßen ist, daß sie konsequent den Kontakt mit ihnen meidet.

Eine Hälfte der US-Amerikaner sieht in der anderen Hälfte einen echten Feind.

Ich behaupte, Nationen sind heute weniger denn je mit pauschalen Assoziationen zu versehen.  Ein großer Teil befindet sich in Opposition zur eigenen Nationalität und ein weiter großer Teil verharrt in innerer Emigration, interessiert sich nicht für den Staat, kennt die Minister gar nicht, partizipiert nicht an Wahlen.

Ein heißer Krieg kann offensichtlich immer noch diese intranationale Spreizung sehr schnell überdecken. Nach dem 24.02.2022 stehen die meisten Ukrainer fest zu ihrem Präsidenten. Selbst der bitter mit ihm verfeindete Wahlgegner und Vorgänger Poroschenko erklärt öffentlich seine absolute Unterstützung für Selenskyj.  Dieses nationale Zusammenrücken im Licht einer gewaltigen tödlichen externen Bedrohung ist sicherlich emotional verständlich.

Aber die damit verbundenen Pauschalisierungen bleiben falsch.

Botschafter Melnyk ist dafür ein besonders unangenehmes Beispiel, weil er sich nicht nur gegen die russische Invasion, gegen die angreifende Armee, gegen den Kreml oder gegen Wladimir Putin wendet, sondern immer wieder betont, jeden einzelnen Russen, überhaupt alles Russische zu hassen.

Und ja, ich lege nicht die Hand dafür ins Feuer, daß ich als Ukrainer, wenn russische Bomben über mir einschlagen, nicht auch so denken würde. Aber falsch bleibt es dennoch, alle Russen als gleich anzusehen und jeden einzelnen zu hassen.

[…] "Alle Russen sind Feinde", sagt der ukrainische Botschafter heute, was auch bedeutet: Alle Russen sind schuld. 146 Millionen Feinde, so viele Menschen leben in Russland, sind eine ganze Menge. Vor dem Krieg hätte man eine Alle-sind-Aussage auf ihren Rassismusgehalt geprüft, weil Alle-sind-Behauptungen zu den grundlegenden Argumentationsmustern der diskriminierenden Ausgrenzung, in schlimmeren Fällen: der Dehumanisierung, der Entmenschlichung von kleineren und größeren Gruppen gehören. (Man kann das gut an Putins Tiraden über den "wahren" Charakter der Ukrainer sehen.) Seit dem Beginn des Krieges aber sind viele Menschen in Deutschland dazu bereit, manche Alle-sind-Aussagen mit Verständnis hinzunehmen - auch weil die eigene Ohnmacht und der Verdacht, durch die Gasheizung zu Hause selbst den Krieg Putins zu finanzieren, ein schlechtes Gefühl, wenn nicht sogar ein schlechtes Gewissen verursachen. Vielleicht gehört man ja selbst zu den Schuldigen? Also, "wir" alle? […]

(Kurt Kister, 17.04.2022)

Iryna Tybinka, die Ukrainische Konsulin in Hamburg – und man sieht jetzt sehr viele Autos mit UA-Kennzeichen in Hamburg – ist ebenfalls emotional außerordentlich aufgewühlt. Wer würde es ihr verdenken?

Aber zu negieren, daß es sowjetische Russen waren, die deutsche KZs befreiten, während heute noch in Kiew verehrte ukrainische SS-Einheiten den Deutschen eilfertig dabei halfen, Juden umzubringen, ist absurd.

Sie vergreift sich gewaltig im Ton, wenn sie pöbelnd eine Einladung zum 77. Jahrestag des Kriegsendes ausschlägt, weil gewagt wurde, überhaupt Stimmen aus Russland dazu zu hören.

[….] Die Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat wegen des Kriegs in der Ukraine keine offiziellen Vertreter aus Russland und Belarus zum 77. Jahrestag des Kriegsendes eingeladen. Die ukrainische Generalkonsulin begrüßt das – übt aber dennoch heftige Kritik an der Gedenkfeier.  Nach scharfem Protest des ukrainischen Generalkonsulats in Hamburg hat die KZ-Gedenkstätte Neuengamme das Programm einer Veranstaltung zum 77. Jahrestag des Kriegsendes geändert. Generalkonsulin Iryna Tybinka hatte der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen vorgeworfen, weder Taktgefühl noch Einfühlungsvermögen im Zusammenhang mit dem von Russland geführten Krieg zu haben. Sie kritisierte insbesondere, dass das Programm für den 3. Mai auch einen Beitrag mit „Stimmen aus der ukrainischen/russischen Zivilgesellschaft“ vorgesehen hatte. [….]

(Mopo, 24.04.2022)

Bei der Befreiung der Konzentrationslager und der Befreiung vom deutschen Faschismus wurden 25 Millionen Sowjet-Bürger getötet; darunter auch ukrainische Sowjets. Und das darf man 77 Jahre später durchaus auch erwähnen, Frau Tybinka.

Natürlich sind die Russen scheiße, weil sie offenbar mehrheitlich Putin unterstützen. Aber das ist erstens bei der massiven Propaganda nicht erstaunlich und zweitens sind es eben nicht die, sondern viele Russen.

Millionen mutige Russen stellen sich auch dem Krieg entgegen.

Der russische Tennis-Weltranglisten-Achte Andrej Rublew hatte beim Turnier in Dubai, das er gewann, »No War Please« auf eine Kameralinse geschrieben, spricht sich klar gegen den Ukraine-Krieg aus und kündigte an, in Wimbledon gewonnenes Preisgeld zu 100% für humanitäre Zwecke zu spenden. Dennoch wurden pauschal alle Russen und Belarussen vom Grand Slam Turnier 2022 in Wimbledon ausgeladen, einfach weil sie zufällig Russen sind.

Das ist antirussische pauschale gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und klar abzulehnen.

Andrij Melnyk bepöbelte den Bundespräsidenten, weil er es gewagte hatte zu einem Friedenskonzert zu laden, bei dem Russen und Ukrainer gemeinsam spielte. Er wolle mit russischer Musik nichts zu tun haben.                                                            

[….] Musiker aus Russland, der Ukraine und anderen Ländern setzen ein eindrucksvolles Zeichen gegen den Krieg. Mit seiner Absage zeigt der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, dass er die Bedeutung der Kultur nicht verstanden hat. Es ist eine tolle Idee in Zeiten des Krieges: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte am Sonntagvormittag zum Solidaritätskonzert der Berliner Philharmoniker geladen. "Für Freiheit und Frieden" lautete das Motto der Veranstaltung, ukrainische, deutsche, russische, belarussische Musiker sendeten ein gemeinsames Zeichen gegen die russische Aggression. Auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk war ins Schloss Bellevue eingeladen. Doch der lehnte die Einladung brüsk ab. [….]

(Carsten Heidböhmer, 27.03.2022)

Ich bin nicht bereit, mich der von Melnyk, Selenskyj und Typinka oktroyierten generellen Russenverachtung zu beugen.

Selbstverständlich verurteile ich Putins Angriff auf das Schärfste. Und ich ärgere mich über die Russen. Aber ich liebe und bewundere auch viele einzelne Russen, adoriere russische Literatur, Musik, Akrobatik, Tanz und vieles andere mehr.

Natürlich finde ich die Amerikaner zum Kotzen, weil sie immer noch an Trump hängen und Bidens Demokraten höchstwahrscheinlich im Herbst abstrafen werden. Aber deswegen gibt es dennoch viele einzelne grandiose und intellektuelle Amerikaner, großartige Filmschaffende, Musiker und Künstler.

Und heute verachte ich die Franzosen, weil sie zu 41% Marine Le Pen wählten.

Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Frankreich wunderschön ist, großartige Menschen hervorbringt und ohne französischen Käse kann ich sowieso nicht leben.

Samstag, 23. April 2022

Legendenbildung.

Das muss man wirklich neidlos anerkennen: Im Punkt Dreistigkeit ist Friedrich Merz allen anderen Bundespolitikern weit voraus.  Einfach sagenhaft, wie er dem Urnenpöbel vormacht, die SPD habe die letzten 16 Jahre auf der Hardthöhe gesessen und außerdem ganz allein die Wirtschaftspolitik bestimmt. Daher trage die sozialdemokratische Partei die Alleinschuld für die völlig heruntergewirtschaftete Bundeswehr und die Abhängigkeit von russischer Energie.

Eilfertig springen der Faschisten-Bewunderer Melnyk und große Teile der Presse dieser Legende bei und raunen schaudernd von einem „Putin-Problem der SPD“. Melnyk und Selenskyj empören sich über die Erdgaslieferungen aus Russland nach Deutschland. Wer wollte noch mal unbedingt, daß möglichst viel Gas durch Pipelines geschickt wird? Ach ja, die Ukraine, die nämlich prächtig daran verdiente.  Pro Tag werden 109 Millionen Kubikmeter Gas durch die Ukraine geleitet, das sind 60 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, die etwa 26 Millionen europäische Haushalte mit Gas versorgen. Ein riesiges Geschäft für Kiew, da das ukrainische Energieunternehmen Naftogaz Milliarden mit den Transitgebühren verdient.

[….] Naftogaz ist heute der größte Steuerzahler der Ukraine sowie das ertragsreichste Staatsunternehmen. Mit seinen rund 1,3 Milliarden US-Dollar Nettogewinn steuert der Energiekonzern satte 15 Prozent zu den Staatseinnahmen bei. Das gilt auch für das aktuelle Jahr: Laut den eigenen Angaben des Unternehmens trug Naftogaz bereits im Zeitraum Januar bis November 2019 mit seinen Steuern und Abgaben erneut fast 14 Prozent zu den gesamten Staatseinnahmen bei. [….]

(Georgi Gotev, 17. Dez. 2019)

Die Ukraine hängt als Milliarden-absaugender Finanzparasit an den russischen Gaslieferungen. Da ist es nur naheliegend, daß Westeuropa und Russland mit Nordstream 2 eine Offshore-Trasse planten, um a) mehr Gas zu liefern und b) von den horrenden ukrainischen Gebühren befreit zu werden. Da ist es nur naheliegend, daß Kiew strikt gegen Nordstream2 ist. Bis zum 24.02.2022 waren Melnyk und Selenskyj also ganz begeistert von den russischen Gaslieferungen nach Deutschland. Es ist schon arg verlogen, nun genau über diese Lieferungen zu klagen, die sie selbst so gern wollten.

[…] Nordstream 2 sollte nie ein Ersatz für bestehende Leitungen sein. Gegenüber der Ukraine wurde das ausdrücklich vereinbart. Heute wird unsere „Abhängigkeit“ von der russischen Energie kritisiert. Ein Kriegsgrund? War es nicht gerade die Ukraine, die immer am Bezug russischen Gases interessiert war? Gab es jemals Mahnungen ukrainischer Regierungen „kauft nicht so viel Gas aus Russland“? Im Gegenteil! Die Ukraine forderte: Lasst möglichst viel Gas durch unsere Leitungen fließen. Neunmalklug ist man am besten hinterher! Für Merkel, Steinmeier und andere gibt es keinen Grund für eine Entschuldigung. Verhandeln ist immer besser als schießen!“  […]

(Klaus von Dohnanyi, 22.04.2022)

Jetzt fordern Norbert Röttgen und andere CDU-Männer den Rücktritt von Manuela Schwesig, weil sie sich für Nordstream 2 einsetzte. Dabei waren alle Abstimmungen zu dem Thema im Mecklenburg-Vorpommerschen Landtag einstimmig. Jeder einzelne CDU-Abgeordnete stimmte auch dafür.

CDU-Politiker und insbesondere CSU-Größen suchten immer den Kontakt zu Putin, luden ihn ein, besuchten ihn, waren stolz auf die Händedruckbilder.

Sogar dem erzkonservativen NZZ-Mann Alexander Kissler stößt diesen Maß an Unionsheuchelei inzwischen sauer auf.

[….] Der aussenpolitische Experte der CDU, Norbert Röttgen, forderte nun als einer der Ersten Schwesigs Rücktritt. Es sei «völlig ausgeschlossen», dass die Ministerpräsidentin im Amt bleibe, sofern die persönlichen Vorwürfe zuträfen. Die «langjährigen geheimen Verstrickungen» der SPD mit dem russischen Staat müssten aufgedeckt werden. Doch auch die CDU in Mecklenburg-Vorpommern votierte Anfang 2021, als man noch gemeinsam mit der SPD in dem nordostdeutschen Bundesland regierte, für Putins trojanisches Pferd. Im Landtag erklärte die Fraktion damals, man befürworte «unverändert den Bau der Pipeline, ebenso jetzt die Errichtung der Stiftung, die neben dem Klimaschutz auch den Bau der Pipeline absichern soll». Die «partnerschaftlichen Beziehungen mit Russland» dürften nicht abgebrochen werden. Ein Untersuchungsausschuss soll nun Licht in Schwesigs persönliche Verantwortung bringen. War sie wirklich, worauf neue Enthüllungen hindeuten, eine Art Gehilfin von Putin? Generell sieht der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Politiker Hendrik Wüst ein «nachhaltiges Putin-Problem» bei der SPD. Die «grosse Nähe der Vergangenheit» lähme die Partei. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz fordert eine parlamentarische Enquête-Kommission, um die «Verstrickungen der SPD» zu untersuchen. Der Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries spricht vom «Russland-Sumpf der SPD» und fordert die Grünen und die FDP auf, statt der «Ampel» ein «Stabilitätsbündnis mit der CDU» zu bilden. [….] Unter der christlichdemokratischen Regierungschefin Angela Merkel wurde der Bau von Nord Stream 2 selbst dann nicht gestoppt, als Russland die Krim annektiert hatte. [….] Traditionell eng sind die Bande der CSU mit Moskau. Noch zu Zeiten des Kalten Kriegs antichambrierte Ministerpräsident Franz-Josef Strauss im Kreml. Für bayrische Wirtschafts- und Energieinteressen war auch seinen Amtsnachfolgern kein Weg zu weit. Edmund Stoiber rühmte 2017 das «stabile und positive Verhältnis zu Russland».Ein Jahr zuvor hatte sich Horst Seehofer in Moskau dafür ausgesprochen, die Sanktionen gegen Russland wegen des Kriegs in der Ukraine aufzuheben. Der heutige CSU-Chef Markus Söder wurde Anfang 2020 von Putin im Kreml empfangen. Zu Beginn dieses Jahres warnte er vor «immer härteren Sanktionen» gegen Russland. An Nord Stream 2, so Söder, solle Deutschland festhalten. [….]

(NZZ, 20.04.2022)

Im Moment schwelen drei gewaltige CDU-Skandale.

1.)

Konrad Adenauer instrumentalisierte Jahrelang die hochrangigen Nazis Reinhard Gehlen und Hans Globke, um mit Geheimdienstmitteln die SPD auszuspionieren. Dagegen war Nixons Watergate lächerlich. Der CDU-Kanzler hatte sogar einen Spion in die SPD-Zentrale eingeschleust und hätte sofort in Schimpf und Schande zurücktreten müssen, wenn irgendetwas davon bekannt geworden wäre.

[…]  Die SPD hat mit Entsetzen auf die Enthüllung reagiert, dass Konrad Adenauer die Parteispitze fast zehn Jahre lang mit Hilfe zweier Informanten ausspionieren ließ. Die Sozialdemokraten forderten die CDU auf, die Vorgänge aufzuarbeiten. "Es ist ein ungeheuerlicher und in der bundesrepublikanischen Geschichte wohl beispielloser Vorgang, dass der erste demokratische Bundeskanzler seine Macht systematisch unter Missachtung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien ausbaute und festigte", sagte SPD-Generalsekretärs Kevin Kühnert am Samstag der Süddeutschen Zeitung. "Es wird Zeit, sich als deutsche Christdemokratie einer kritischen Aufarbeitung zu stellen." Die Aufdeckung dieses "skrupellosen Machtmissbrauchs lässt Teile unserer bundesrepublikanischen Geschichte in einem gänzlich anderen Licht erscheinen". […]

(SZ, 09.04.2022)

Der heutige Herr im Konrad-Adenauer-Haus, Friedrich Merz schweigt sich dazu aus.

2.)

Der sächsische CDU-Polizeiminister Wöller leistete sich eine so endlose Kette von Nepotismus- und Rechtsextremismus-Skandalen, daß selbst Andi Scheuer dagegen wie ein anständiger Minister wirkt. Selbst die rechten Polizeigewerkschaften waren von ihrem Chef entsetzt.

[…] "Der Fisch stinkt vom Kopf her" - mit harten Worten hatten die beiden großen Polizeigewerkschaften Wöllers Rücktritt gefordert. Anlass war dessen Personalpolitik im Innenministerium. So hatte Wöller den erfahrenen Leiter der Kommunikationsstelle Polizei durch den ehemaligen Landesvorsitzenden der Jungen Union ersetzt. Der brachte wenig Wissen für den Job mit, galt aber als Wöllers Vertrauter. Der Personalrat schaltete sich ein; schließlich kam noch heraus, dass eine frühere Studienfreundin von Wöllers Frau künftig die Polizeischule in Rothenburg leiten sollte. [….]

(SZ, 22.04.22)

Der selbst sehr rechte und skandalaffine Ministerpräsident Kretschmer musste nun die Reißleine ziehen.

[….] Innenminister Roland Wöller hinterlässt politische Verwüstungen. Sein Nachfolger wird gut zu tun haben.  Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) ist sich bis zum Schluss treu geblieben. Er, der Kritik immer abschmetterte, sich keinen Fehler eingestehen konnte, dachte trotz der jüngsten Skandale gar nicht daran zurückzutreten. Er überließ es Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), ihn zu entlassen.  [….]

(Antonie Rietzschel, 23.04.22)

3.)

Ministerpräsident Wüst belügt nach dem gewaltigen Mallorcagate die Wähler, tut so, als ob er von den Eskapaden nichts mit bekommen hätte (als ob das so viel besser wäre) und belässt zwei Skandalminister im Amt.

[….] Niemand hat was gesagt? Nichts, nicht mal unter ziemlich besten Freunden? Man glaubt kaum, was am Freitag im Landtag Nordrhein-Westfalens zur "Mallorca-Affäre" zu hören war. Also zur hemmungslosen Reisefreudigkeit mehrerer Kabinettsmitglieder der schwarz-gelben Landesregierung unmittelbar nach der Flutkatastrophe im Juli 2021.

Zur Erinnerung: Ende Februar gestand die (inzwischen geschasste) Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) öffentlich ein, sie sei nur einen Tag nach dem Jahrhunderthochwasser mit 49 Toten in NRW zurück nach Palma geflogen. Schon das war, na ja, moralisch kühn. Einen Monat später, am 24. März, musste die Politikerin einräumen: Sie verbrachte nicht nur vier, sondern gleich neun Tage unter der Sonne. Das war verwegen - und dann wurde es dummdreist. Denn am 7. April kam heraus: Heinen-Esser hatte noch die Bauministerin, den Europa-Minister und die Integrations-Staatssekretärin dorthin eingeladen, um den Geburtstag ihres Ehemanns zu feiern.  Hendrik Wüst, Ministerpräsident und CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in drei Wochen, will von all dieser Feierlust nach der Todesflut nichts gewusst haben. [….]

(Christian Wernicke, 22.04.22)

Diese drei CDU-Skandale und die Putin-Affinität der Union verschweigen Friedrich Merz und Hendrik Wüst.

Sie verschweigen auch jede eigene Programmatik, schlagen keine CDU-Politik vor, lassen jede konstruktive Mitarbeit vermissen.

Stattdessen gibt es nur ein Thema: An allem ist die SPD schuld und alle Sozis sollten zurücktreten.

[….] Hendrik Wüst soll der Ampel-Regierung auf Bundesebene den ersten empfindlichen Knacks verpassen, umso deutlicher teilt der CDU-Ministerpräsident beim Wahlkampfauftakt gegen die SPD aus. Doch mit Inhalten punkten weder er noch Friedrich Merz. [….]  Die Ampel-Regierung in Berlin habe bei Waffenlieferungen an die Ukraine, der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland, den Sanktionen gegen Moskau und der militärischen Unterstützung der Ukraine immer lange gezögert. "Noch nie war Deutschland so teilnahmslos und isoliert in Europa wie heute", sagte Wüst und in Richtung Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): "Der Zauderkurs des Kanzlers der SPD ist ein schlimmer Irrweg." Die SPD generell habe ein "Putin-Problem", findet Wüst und nannte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Sie steht wegen des Baus der Ostsee-Gasleitung in der Kritik. Das "Russland-Problem" der Sozialdemokraten ziehe sich bis nach NRW, wo SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty Schwesig verteidigt habe, so Wüst weiter.  CDU-Parteichef Friedrich Merz hatte zuvor in seiner etwa 45 minütigen Rede leidenschaftlich das getan, was er am besten kann: Oppositionsarbeit. Den lautesten Applaus bekam der gebürtige Sauerländer für seine Aussage in Richtung Manuela Schwesig: "Dieser rote Sumpf da oben an der Küste, der muss ausgetrocknet werden." [….]

(SZ, 23.04.2022)

In welcher Partei war noch mal Bundeskanzlerin Merkel? Und in welchem Bundesland hatte sie ihren Wahlkreis?

CDU goes GOP. Gut möglich, daß der Urnenpöbel mit Unterstützung von BILD und SPIEGEL auf die Legendenbildung von der Skandalpartei SPD mit ihrem „Putin-Problem“ hereinfällt und nun wieder CDU wählt.