Samstag, 4. September 2021

In die Hose scheißt Scholz nicht.

Bei der Bundestagswahl von 2009 gab es schon einmal einen extrem selbstverliebten FDP-Chef, der statt Inhalte auf Yellow-Press setzte, vor dem kein PR-Event sicher war, der nie auch nur das geringste Regierungsamt besetzt hatte, der in der Privatwirtschaft keinerlei Erfahrungen hatte, weil er überhaupt noch nie irgendetwas außerhalb der Politik gemacht hatte und der in seinem absoluten Größenwahn meinte, er könne nahezu ohne Sachkenntnis das zweiwichtigste Amt in der Bundesregierung ausführen.

So kam Deutschland zu seinem Außenminister und Vizekanzler Westerwelle, der rein gar nichts über den diplomatischen Dienst wußte und schon vor Amtsantritt zum Mitschämen anregte, als er mit dem Spruch „es ist Deutschland hier!“ verweigerte englisch zu sprechen.

Er wurde eine wandelnde deutsche Blamage, die geradezu hysterisch darauf bestand mit allen Ehren behandelt zu werden, die er glaubte sich verdient zu haben. Als Bad Honnefer TVE flippte er schon bei seinem Antrittsbesuch in der Türkei aus, als sein türkischer Kollege Ahmet Davutoglu nach den (damals noch sehr viel realistischeren) Beitrittschancen zur EU fragte und insbesondere die Sicht der neuen Bundesregierung erfahren wollte.

[…..] Auf Nachfragen von Journalisten erklärte Westerwelle: "Ich bin hier nicht als Tourist in kurzer Hose unterwegs - ich bin der deutsche Außenminister, und was ich sage, zählt." [……]

(ntv, 07.01.2010)

Es kam wie es kommen musste mit einer FDP, die über keinerlei Programmatik verfügte, außer dem Drang den Millionären Wohltaten zuzuschieben und sich für die reichsten Lobbyisten zu prostituieren.

Alle fünf FDP-Minister waren hoffnungslos überfordert, Westerwelles Generalsekretär, ein gewisser Christian Lindner, tat das was er immer tut, wenn es schwierig wird: Er rannte weg. Die Minister beschimpften sich gegenseitig als „Gurkentruppe“ und „Wildsäue“, am Ende führte es die 15%-Partei von 2009 unter die 5%-Grenze ins parlamentarische Aus.

Olaf Scholz ist ein kluger Stratege; das zeigt wieder einmal sein Wahlkampf.  Mit viel Glück reicht es am 26.09.2021 wieder zu Rot-Grün.  Wahrscheinlicher ist aber eine Dreier-Konstellation.

Jamaika, RRG oder Ampel.

(Rot-Schwarz-Gelb wäre für CDU und FDP wünschenswert, aber eine Zustimmung der SPD gilt als ausgeschlossen)

Habeck, Özdemir und Baerbock gelten als sehr CDU-affin, daher war bis vor ein paar Wochen Jamaika eine wahrscheinliche Koalition. Grüne und FDP wären gegenüber 2017 sehr gestärkt in die Verhandlungen gegangen; Laschet gilt als kompromissbereit. Die ewige Verliererpartei SPD wäre aus der Regierung geflogen. Der Monat August brachte aber den entscheidenden Umschwung.

Laschet drückte mit seiner unterirdischen Performance die CDU gen 20%-Marke.

In allen aktuellen Umfragen liegt nur die SPD sehr deutlich vor CDU/CSU. Olaf Scholz ist mir riesigem Abstand der beliebteste Kanzlerkandidat. Die Grünen, die noch vor ein paar Monaten doppelt so stark wie die SPD waren, liegen nun zehn Prozentpinkte hinter den Sozis.

Sie hätten in einer Jamaika-Koalition nun viel weniger Gewicht und müssten ihrer Parteibasis erklären, wieso sie klar den Wählerwillen nach einem Kanzler Scholz missachten. Sogar die konservative fromme Merkel-Freundin Kathrin Göring-Kirchentag lässt auf einmal verlautbaren, sie wünsche sich die SPD als Regierungspartner. Lindner und Laschet müssten sagenhafte Zugeständnisse an die verhassten Ökos machen, um sie ins schwarzgrüngelbe Boot zu locken.  Es dreht sich also was bei den Grünen.

Ohne Jamaica ist Scholz der entscheidende Mann.

Ginge es nach den konservativen Medien, nach den Wünschen der Wirtschaft, nach Frau Merkel, nach der CDU, nach Herrn Laschet, nach der CSU, nach Herrn Lindner, müsste die SPD getreu des Hildebrandt-Mottos „die SPD scheißt in jede Hose, die man ihr hinhält“ auf die Knie sinken und dem Volk schwören nie-nie-niemals mit der Linken zu koalieren.

Olaf Scholz könnte dann überhaupt nur mit Lindner Bundeskanzler werden, wäre den FDP-Forderungen alternativlos ausgeliefert.

Er müsste genau wie Merkel 2009 einem FDP-Luftikus ohne jede Erfahrung ein Kernministerium überlassen.

Linder wäre in dieser Logik der Königsmacher; der Schlüssel zu jeder Regierung – als Rettung vor den Kommunisten.

[…..] Helmut Schmidt […..] reifte im Kanzleramt zum Weltökonomen. Ausgerechnet dieser Helmut Schmidt wurde damals, im Bundestagswahlkampf von 1976, von der Kohl-CDU mit dem Slogan "Freiheit oder Sozialismus" und von der Strauß-CSU mit "Freiheit statt Sozialismus" traktiert. CDU und CSU taten seinerzeit so, als paktiere die Regierung Schmidt mit dem Weltkommunismus.[…..] Das verfing durchaus, die Union hatte deutlichen Stimmenzuwachs. […..]  45 Jahre später versucht die Union, Scholz so zu attackieren, wie sie damals Schmidt attackierte: Sie schüttet einen neuen Aufguss der alten Slogans in den Wahlkampf. Sie warnt also, auch wenn es den Weltkommunismus und den Ostblock nicht mehr gibt, vor Rot-Grün-Rot, dem Linksrutsch und einer Linksfront; sie tut so, als stünde die Auferstehung Erich Honeckers bevor. Sie verlangt vom SPD-Kanzlerkandidaten, einem Bündnis mit Grünen und Linken apodiktisch […..] Taugt der Antikommunismus, der jahrzehntelang ein Kitt der westdeutschen Gesellschaft war, noch immer zu politischer Instrumentalisierung? Wirtschaftswunder, Westbindung, Integration der Funktionäre des NS-Regimes - das alles funktionierte in der alten BRD auf der Basis eines parteiübergreifenden Antikommunismus. […..]  Das Bundesverfassungsgericht beugte sich vor 65 Jahren, am 17. August 1956, nach fünfjährigem Widerstreben, dem Druck der Adenauer-Politik: Karlsruhe erklärte die damals schon unbedeutende KPD für verfassungswidrig und verordnete deren Zwangsauflösung. […..] Daraufhin begann in Westdeutschland eine Welle der Verfolgung; Kommunist zu sein galt, auch rückwirkend, als Straftat. Die alten roten Widerstandskämpfer gegen Hitler, dem KZ entronnen, fanden sich in den Gefängnissen der jungen Republik wieder, verurteilt von den alten Richtern, die das Hakenkreuz von der Robe gerissen hatten. Diese Verfahren zählen nicht zu den Ruhmesblättern der bundesdeutschen Justiz. […..]

(Heribert Prantl, 04.09.2021)

Insbesondere 1994 und 1998 startete die CDU wieder massive Rote-Socken-Kampagnen, weil der fromme SPD-Ministerpräsident Höppner in Magdeburg, der später Präsident des Evangelischen Kirchentags wurde, mit Stimmen der Linken gewählt wurde.

Die Verlogenheit der Schwarzen und Gelben bleibt bis heute sagenhaft. Denn nur die SPD war eine neue Ost-Partei. Die Grünen fusionierten mit den frommen Bündnis90-Regimegegnern, während CDU und FDP gleich mit vier DDR-Blockparteien fusionierten, die vorher Mauer und Schießbefehl abgesegnet hatten.

FDP und CDU verleibten sich alle Blockparteimitglieder, Immobilien und das Vermögen ein und sprachen nie wieder über die Vergangenheit, während sich die damalige PDS sehr sorgfältig mit ihrem Erbe beschäftigte.

Reinhard Höppner war der erste Ministerpräsident, der mit Hilfe Linker Stimmen ins Amt des Sachsen-Anhaltinischen MP kam.

Später regierten die Linken aber auch durchaus erfolgreich in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen, Berlin und Bremen.

Anders als von CDU, CSU und FDP prognostiziert, ging nicht die Welt unter, es kam zu keinen stalinistischen Säuberungen, die Wirtschaft brach nicht zusammen, die Unternehmer flohen nicht, es kam zu keinen Verstaatlichungen, Investoren wurden nicht abgeschreckt, Freiheiten wurden nicht eingeschränkt und auch die Kinder wurden keiner Zwangsgeschlechtsumwandlung unterzogen.

Im Gegenteil, heute stehen Schwarz und Gelb für das Abschaffen von Freiheitsrechten (Videoüberwachung, Staatstrojaner), können nicht vernünftig mit Geld umgehen und die wahnhafte Privatisierung von staatlichen Versorgungsunternehmen, Krankenhäusern und Landesbanken, hat sich als gewaltiger Fehler erwiesen, den Ministerpräsidenten mühsam wieder rückgängig machen; sofern das überhaupt noch möglich ist.

Die über 100 Filet-Immobilien der Stadt Hamburg, die die CDU-Regierung vor rund 15 Jahren an Investoren vertickte, sind heute ein Vielfaches wert und zwingen der Stadt aberwitzige Mietzahlungen auf. Es ist ein Desaster.

Olaf Scholz weiß das besser als jeder andere, weil er sich als Nachfolger der CDU-Chaotenregierung in Hamburg ab 2011 damit beschäftigen musste, das Chaos aufzuräumen und die finanziellen Löcher wieder zu füllen.

Er wird also wenig Lust haben, sich als möglicher Kanzler einem Finanzminister-Greenhorn Guidean Lindnerwelle auszuliefern.

Wenn er auch möglicherweise ein RRG-Bündnis sehr skeptisch sieht, weil die Linke tatsächlich rechtspopulistische Covidioten wie Sahra Wagenknecht in ihren Reihen hat und hanebüchene außenpolitische Sprüche von sich gibt, so sind das in einem Koalitionsvertrag lösbare Probleme – insbesondere wenn die SPD sehr stark und die Linke sehr schwach wird.

Noch wichtiger ist RGG aber als Drohkulisse gegenüber Lindner.

Er wäre nicht mehr alleiniger Königsmacher, der nach Gutdünken Maximalforderungen stellen kann, sondern könnte froh sein, überhaupt mitregieren zu dürfen. Dann käme es aber sicher nicht zu Steuergeschenken für die Superreichen in zweistelliger Milliardenhöhe. Scholz wird also den Konservativen nicht den Gefallen tun, vor Angst schlotternd sofort in die hingehaltene rote Hose zu scheißen und RRG kategorisch ausschließen….

[…..] was Scholz schon deswegen nicht tun will, weil er das rot-grün-rote Bündnis als Option und Drohung braucht, um die FDP für eine rot-grün-gelbe Koalition zu gewinnen. Wenn Rot-Grün-Rot zumindest rechnerisch möglich ist, müsste Christian Lindner fürchten, seine FDP wieder nicht in die Regierung führen zu können. Das macht ihn, so rechnet Scholz, in Koalitionsverhandlungen kompromissbereiter. [….]

(Heribert Prantl, 04.09.2021)

Freitag, 3. September 2021

Spritze im Arm

Olaf Scholz, aber insbesondere Annalena Baerbock mochten beim ersten Triell die Frage nach einer Impfpflicht nicht beantworten. Armin Laschet sowieso nicht. Sie alle haben Angst davor, Leerdenker und Covidioten zu verschrecken.

Also erklärte Baerbock, die Frage stelle sich gar nicht, weil eine Impfpflicht rechtlich nicht möglich wäre. Ich sage ganz ohne Gehässigkeit, daß ich ein gewisses Verständnis dafür aufbringe, wenn Politiker in der heißen Wahlkampfphase nicht gern Wahrheiten aussprechen, die Wähler verschrecken.

Aber natürlich log Baerbock.

[…..] Aussage: Baerbock sagte, eine allgemeine Impfpflicht sei in Deutschland rechtlich nicht umsetzbar.

[…..] Bewertung: Stimmt nicht!

Begründung: Baerbock bezieht sich vermutlich auf das im Grundgesetz festgelegte Recht auf körperliche Unversehrtheit. Paragraf 20 Absatz 6 des Infektionsschutzgesetzes erlaubt es dem Bundesgesundheitsministerium jedoch, »durch Rechtsverordnung anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist«. […..] Das Masernschutzgesetz etwa, das am 1. März 2020 in Kraft trat, sieht eine Impfpflicht für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr spätestens zum Eintritt in die Schule oder den Kindergarten vor. Zudem werden laut Gesundheitsministerium Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen oder medizinischen Einrichtungen tätig sind (soweit diese Personen nach 1970 geboren sind) sowie Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften zur Masernimpfung verpflichtet. […..] Außerdem gab es im Verlauf der deutschen Geschichte eine zeitweise Impfpflicht unter anderem bei Pocken. [….]

(SPON-Faktencheck, 30.08.2021)

Das ist keine unwichtige Richtigstellung, denn all unsere Corona-Orakel warnen uns vor einem fiesen Herbst, der wieder drastische Einschränkungen erfordern könnte.

Das einzige Mittel dagegen ist eine deutliche Erhöhung der Impfquote.

Tatsächlich stagnieren wir aber in Deutschland. Die Spahnsche Impfkampagne funktioniert nicht.

[…] Keine Strategie, keine Fantasie: Die Bundesrepublik hat von den vier größten EU-Staaten die mit Abstand niedrigste Erstimpfungsquote. Für den Herbst sind das schlimme Aussichten. [….]

(Der SPIEGEL-Leitartikel von Claus Hecking, 03.09.2021)

Erst 60% der Deutschen sind geimpft. 75% in Bremen mit der tüchtigen Linken Gesundheitssenatorin Claudia Berhard, bis hin zu den Schlußlichtern Sachsen und Thüringen; den Bundesländern mit dem höchsten AfD=Covidioten-Anteil. Dort sind nur gut 50% geimpft.

(BTW Linke Bernhard: RRG gut, CDU Spahn schlecht! Liebe Rote-Socken-Paniker der Union: Die von einem bösen Linksbündnis Regierten können froh sein, wenigstens keine CDU-Politiker in ihrer Regierung debakulieren zu sehen.)

[…..] Die vierte Welle in der Corona-Pandemie nimmt durch Infektionen unter jungen Erwachsenen weiter an Fahrt auf. Sie breite sich zunehmend auch in den mittleren Altersgruppen aus, heißt es im jüngsten Wochenbericht des Robert Koch-Instituts.  Gleichzeitig macht sich zusehends Impfmüdigkeit breit. [….]

(SZ/dpa, 03.09.2021)

Merkel und Spahn tun schon wieder so, als sei das Corona-Problem vorbei. Markus Söder macht Bayern locker. Deutschlands angeblich liebster Kanzlerkandidat handelt völlig verantwortungslos. Mit genau dieser katastrophalen Haltung, haben wir uns schon die dritte Welle mit Myriaden Toten in Deutschland eingehandelt.

[….] Der Berliner Charité-Virologe Christian Drosten ist pessimistisch, dass Deutschland allein durch Impfangebote eine akzeptable Impfquote in der Corona-Pandemie erreichen kann.  Hauptgrund sei eine gewisse Gleichgültigkeit in der Bevölkerung, sagte Drosten im am Freitag veröffentlichten Podcast "Das Coronavirus-Update" von NDR Info. Er gehe nicht davon aus, dass Deutschland über Ansprache der Bevölkerung noch viel weiter komme mit der Impfquote. "Und darum glaube ich, dass die Politik eine schwere Aufgabe vor sich hat und konsequent auch Entscheidungen treffen muss bald."  [….]

(dpa, 03.09.2021)

Nur im Scholz-Bundesland Hamburg leitet die Regierung mit der 2G-Option die richtigen Schritte ein. Das was empörte AfD-Pandemioten als „Impfpflicht durch die Hintertür“ kritisieren, soll aber genau das: Druck auf die Ungeimpften ausüben, sich nun endlich solidarisch zu verhalten.

Die Corona-Chaos-Bundesländer Bayern und NRW sollten endlich dem Hamburger Beispiel folgen.

Generell ist mein Mitgefühl für die Aluhüte, die durch eigene Doofheit von Covid19 erledigt werden, kaum noch messbar.

Aber diese Seuchenfreunde bringen sich leider nicht nur selbst in Gefahr, sondern stellen eine potentiell tödliche Bedrohung für diejenigen dar, die sich nicht impfen lassen können (zum Beispiel Kleinkinder und Schwangere).

Sie belasten aber auch das Solidarsystem durch die hohen Krankenhauskosten, die sie verursachen.

Moralisch noch verwerflicher; sie muten dem nach anderthalb Jahren Pandemie völlig erschöpften medizinischen Personal Unzumutbares zu.

[….]  Krankenschwester: Ich bin es leid, Ungeimpfte zu pflegen!  Corinna Peth arbeitet in der Notaufnahme und macht Impfverweigerern große Vorwürfe – denn immer wieder gebe es Zufallsbefunde. [….]

(Abendblatt, 03.09.2021)

Ich wünsche mir von der nächsten Bundesregierung neben den gestern genannten Sofortmaßnahmen also auch eine allgemeine Corona-Impfpflicht.

Schritt 1.

Statt der dritten Impfung in der ersten Welt, sollte man aus pandemischer Sicht lieber die erste Impfung in der dritten Welt organisieren.

Donnerstag, 2. September 2021

Simples und Kompliziertes.

Es gibt enorm wichtige, hochkomplizierte Probleme in der Politik, bei deren Lösung es auf die Kompetenz der beteiligten Politiker ankommt. Schwierigkeiten, die eben nicht mit den simplen Ja/Nein-Thesen des Wahlomats abzudecken sind.

Selbst die größten Denker und erfahrensten Experten wie Helmut Schmidt befinden zum Thema Afghanistan, der Konflikt sei unlösbar.

Da ist es wohlfeil, dem im Jahr 17 des NATO-Krieges am Hindukusch ins Außenamt gekommenen Heiko Maas die ganze Schuld für das Desaster in die Schuhe zu schieben.

Der Sozi wurde mit der diplomatischen Verantwortung vertraut, als längst sämtliche Kinder ganz tief im Brunnen steckten.

Regierungschefin Merkel hatte sich nie um das Thema gekümmert und ließ es desinteressiert dahinplätschern, als sich Verteidigungsministerin gegen Charterflüge aus Kabul wehrte, Innenminister Seehofer und Entwicklungshilfeminister Müller sträubten Ausreisepapiere für die Ortskräfte zu erstellen. Und Maas, gestützt auf die BND-Einschätzung im Kanzleramt, seine nun so berüchtigte Fehleinschätzung über die Übernahme Kabuls durch die Taliban abgab.

Es ist auch verdammt kompliziert sich innerhalb der EU auf ein Asylsystem und Verteilung von Flüchtlingen zu einigen.

Niemand weiß eine praktikable Lösung für die Pflegekatastrophe.

Selbst wenn man sagenhaft viel Geld in die Hand nähme, scheiterten wir daran, alle alten Menschen in Deutschland menschwürdig zu betreuen, weil es die Pflegekräfte gar nicht gibt.

Das Abrechnen über Fallpauschalen im Krankenhaus ist ein offensichtlicher Fehler, der zu vielen unnötigen Operationen und mangelnder Nachsorge führt. Aber wie soll man es besser machen? Das vorherige System, als Krankenhäuser finanziell von jedem einzelnen Tag profitierten, den ein Patient länger ein Bett belegte, hatte ähnlich viele Schattenseiten.

Natürlich sollten Ärzte viel mehr Zeit mit den Patienten verbringen, statt endlose Stunden mit Bürokratie und Dokumentationen, mit Akten und Krankenberichten zu verbringen. Aber wir sind auch mündige Bürger geworden und wollen nicht mehr wie 1950 blind den Anweisungen des Halbgotts in Weiß folgen. Wir wollen auch nicht auf Myriaden neu entwickelte Therapien und OP-Techniken und Medikamente verzichten.

Eine Steuerreform auszutarieren ist extrem kompliziert.  Wolfgang Schäuble war acht Jahre Bundesfinanzminister und saß das Thema trotz breiter Bundestagsmehrheiten einfach aus.

Olaf Scholz hat dafür offenbar fertige Pläne in der Schublade, erkannte aber, daß sie mit einer mauernden CDUCSU nicht durchsetzbar sind und bekam zu allem Übel nach einer halben Amtszeit einen totalen Pandemie-Lockdown ab, der ein Etat-Loch von 400 Milliarden Euro riss.

Wir wissen alle, daß wir aus Kohle- und Atomstrom, aus Verbrennungsmotoren und Heizungswärme-Verschwendung aussteigen müssen.

Aber wie soll das gehen, wenn die großen Bundesländer NRW und Bayern den Bau von Windkrafträdern mit ihren 1km-Abstandregeln nahezu unmöglich machen, wenn man keine Stromtrassen von den Küsten nach Süddeutschland legen kann, weil jeder Grüne, der eben noch nach Ökostrom schrie, sofort auf die Barrikaden geht, wenn eine Stromtrasse durch seinen Garten gelegt werden soll?
Mit welchen Autos sollen wir fahren, wenn die einzig wirklich Sauberen mit ihrem Wasserstoff-Antrieb 100.000 Euro pro Stück kosten und Elektromodelle a) erst mal eine E-Säulen-Infrastruktur brauchen und b) mit Batterien fahren, die ethisch und ökologisch auch eine Katastrophe sind?

Die Union mit ihrer beim Urnenpöbel so extrem beliebten ewigen Kanzlerin, verschob die Lösung zu komplizierter Probleme einfach auf den St. Nimmerleinstag. Daher hängen wir natürlich hoffnungslos beim Klimaschutz hinterher.

[….] Erneuerbare Energien müssen von Lasten befreit werden, ihr Ausbau muss zum gesellschaftlichen Großprojekt werden, bei dem Bürgerinnen und Bürger und Kommunen mitziehen. Genehmigungsverfahren müssen schneller werden, ebenso der Ausbau von Stromnetzen und -speichern. Flächen müssen effizient genutzt werden, für Wind- und Solarparks. Stimmt alles - nur eine Frage bleibt: Warum erst jetzt?  De facto ist die Beharrungskraft in der Union seit Jahren stärker als jede Kraft der Natur. Ausgerechnet im größten Klimapaket der Koalition verlangte die Union 2019 Mindestabstände für Windräder. Sie hielt bis zur letzten Minute an einer Deckelung für die Solarkraft fest, die deren Ausbau um ein Haar abgewürgt hätte. Feste Ausbaupfade, auf die sich Windkraft-Investoren für die nächsten Jahre hätten einstellen können, scheiterten am Widerstand der Unionsfraktion. Statt über die Chancen der Energiewende redeten ihre Abgeordneten und Minister lieber über Kosten und fehlende Akzeptanz. Wo die Union nun den Turbo anwerfen will, stand sie zuletzt lieber auf der Bremse. Da macht der Kandidat leider keine Ausnahme. In Nordrhein-Westfalen, wo Armin Laschet regiert, vereinbarten Union und FDP einen Mindestabstand für Windräder von 1000 Metern. [….] Was solche Vorgaben langfristig bewirken, kann Laschet bei Markus Söder in Bayern besichtigen. Nur sieben Windräder wurden dort im ersten Halbjahr errichtet, Abstandsregeln haben ganze Arbeit geleistet. [….]

(Michael Bauchmüller, 01.09.2021)

Es bleibt zu hoffen, daß in der nächsten Bundesregierung möglichst wenig CDU, CSU und FDP enthalten sind, so daß all diese Megathemen endlich angefasst werden.

Als Wähler-Erfreuungsaktion empfehle ich aber parallel, all die Dinge durchzudrücken, die sich vergleichsweise mit einem Federstrich regeln lassen.

Ende der Eintreibung der „Kirchensteuer“ durch den Staat. Die Christoban sollen sich bitte schön selbst um ihre Mitgliedsbeiträge kümmern. Das geht in jedem anderen Land der Erde auch.

Generelles Tempolimit 130 km/h.

Homöopathie, Akkupunktur, germanische Medizin, Heilpraktiker, Esoterik und Co sind ab sofort keine Leistungen der Krankenkassen mehr.

Aushändigen von Natrium-Pentobarbital an die Menschen, denen es höchstrichterlich zugestanden wurde.

Vollständige Entkriminalisierung von Cannabis für alle Menschen über 18 Jahren.

Streichung des § 219a StGB (Informationsverbot Schwangerschaftsabbrüche)

Streichung des § 166 StGB (Blasphemieverbot)

Totale Offenlegungspflicht von Lobbyismus, also Lobbyregister und exekutiver Fußabdruck.

Der Schwangerschaftsparagraph 218 muss auch ersatzlos verschwinden. Sofort.

[….] Die Entkriminalisierung und Entstigmatisierung des Schwangerschaftsabbruchs sind Voraussetzung für die Bereitschaft seitens der Ärztinnen und Ärzte, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Nur so kann der zunehmenden Verschlechterung der Versorgungslage entgegengewirkt werden. Zudem muss die Praxis des Schwangerschaftsabbruchs in den Lehrplan des Medizinstudiums sowie in die Facharztausbildung und die Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten aufgenommen werden. Die flächendeckende Versorgung mit kostenlosen Zugangsmöglichkeiten zu Beratungsangeboten und Schwangerschaftsabbruch und die dazu nötige Aufnahme in den Leistungskatalog der Krankenkassen sind damit verbundene Forderungen. Dazu gehören auch Aufklärung, die kostenlose Beratung über Verhütungsmittel und Sicherstellung des Zugangs zu modernen Verhütungsmitteln. Die konsequente Entwicklung und Durchführung von Maßnahmen gegen sog. „Gehsteigberatungen“ und Belästigungen vor Praxen und Beratungsstellen durch Abtreibungsgegner ist ein unverzichtbarer Beitrag, den Länder und Kommunen leisten müssen, um Schwangere, Beratungsstellen und Praxen zu schützen. [….]

(KORSO)


Mittwoch, 1. September 2021

Impudenz des Monats August 2021

Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.

Deutschland ist ein konservatives Land, in dem meistens die CDU regiert, weil die Mehrheit der Bürger keine Veränderungen möchte. 16 Jahre regierte eine CDU-Frau, die diesem Wunsch entsprechend so ziemlich alle Entwicklungen verschlief, um sie sich ein guter Kanzler hätte kümmern müssen. Sie geht mit einer Rekordzustimmung von 80%. Dann kam auch noch in Form der Corona-Pandemie eine Groß-Krise, die das Wahlvolk hinter der regierenden CDU versammelte und die demoskopischen Werte der Konservativen so enorm anhob, daß sie mehr als dreimal so stark wie die Konkurrenz von der SPD wurde.

GMS

FORSA
 

Die Sozis waren derartig demoralisiert, daß ihr männlicher Vorsitzender überlegte, gar keinen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen. So aussichtslos schien ihm das Rennen gegen den nahezu sicheren Sieg der CDU. CDUCSU 40%, SPD 14%. Welcher Sozialdemokrat würde da ein Jahr vor der Bundestagswahl nicht gern weinend alles hinwerfen und einfach aufgeben?

Was für Traum-Voraussetzungen für den Kanzlerkandidaten der CDU, der nicht nur von der scheidenden Regierungschefin das Amt des CDU-Bundesvorsitzenden übernahm, sondern auch noch habituell und innerparteilich als der Merkel-Ähnlichste gilt.

Aber dann kam Laschet, der mit einer unglaublichen Serie von Pannen, Pleiten und Peinlichkeiten „CDU40 zu SPD14“ innerhalb des Augusts in ein „CDU20 zu SPD25“ verwandelte und dabei CDU und CSU gleichermaßen demoralisierte.

Für diese Leistung gebührt Armin Laschet natürlich der Titel Impudenz des Monats August 2021.

Der Monatstopblödmann Laschet hatte aus dem NRW-Debakel des Norbert Röttgen von 2012 lernen wollen, wie man nicht seine politische Karriere vollkommen verspielt, indem er die Tür zu seiner Karriere als Ministerpräsident in NRW zuschlug. Das sollte Tatkraft und Überzeugung demonstrieren.

[….] Anfang Mai hatte Laschet alle Spekulationen um ein Rückfahrticket nach Düsseldorf im Fall einer Wahlniederlage in der FAZ beendet: "Mein Platz ist nach der Bundestagswahl in Berlin." Doch nun, da der CDU ein Debakel und dem 60-jährigen CDU-Chef gar das Ende seiner Karriere droht, befallen einige Parteigranden "zweite Gedanken". Laschet, dem Landesvater, stehe sein Platz in der Heimat zu - "wenn er denn will".   Will er? Aus Laschets Umfeld raunt es, der Chef bleibe dabei: Nein, es gebe "kein Zurück." Einen Wahlkampf nach dem Motto "Zu schlecht für Berlin, aber gut genug für NRW" - das mag er sich nicht antun. [….]

(Christian Wernicke, 31.08.2021)

Zu allem Übel verzichtete Laschet auch noch auf die Direktkandidatur in einem Wahlkreis, ließ sich lediglich auf Platz 1 der CDU-Landesliste setzten. Ganz offensichtlich nicht ahnend, daß er seine Partei so schrumpfen könnte, daß niemand über die Landesliste in den Bundestag einzieht

Kanzler könnte er zwar auch ohne Sitz in Berlin werden, aber das wäre eine weitere Schmach.

Ein weiteres gigantisches Problem ist die Macht im mit Abstand bevölkerungsreichsten Bundesland NRW. Die einstige „Herzkammer der Sozialdemokratie“ spielt eine enorme Rolle im CDU-Machtgefüge.
Laschet, Spahn, Merz, Röttgen – alle sind NRWler. Gut möglich, daß im Abwärtssog des MP nach der Bundestagswahl auch noch die Landtagswahl in Düsseldorf in einer Katastrophe endet.

[….] Die NRW-CDU trifft diese Misere gleich doppelt hart. "Zwischen depressiver Verzagtheit und blinder Wut" beschreibt ein Landtagsabgeordneter die christdemokratische Seelenlage an Rhein und Ruhr, "uns drohen zwei Blamagen auf einen Streich". Laschet könnte nicht nur den Kampf ums Kanzleramt verlieren. Nein, der Ministerpräsident könnte seine Christdemokraten nach nur fünf Jahren Regierungszeit obendrein um die Macht am Rhein bringen: Mitte Mai 2022 lauern Landtagswahlen in NRW - und noch wissen die Christdemokraten nicht, wer Laschets Lücke ausfüllen und sie führen soll in die Wahl nach der Wahl. [….]

(Christian Wernicke, 31.08.2021)

Die Impudenz des Monats August ist als Urnengift so effektiv, daß auch die Schwesterpartei mit in den Abgrund gezogen werden könnte.  Die entsöderte CSU sackt ebenfalls auch nie für möglich gehaltene Tiefstwerte.

[….] Die jüngste Bayern-Umfrage im Auftrag der »Augsburger Allgemeinen« sieht sie bei 34,5 Prozent – es sollen acht Punkte weniger sein als noch vor einem Monat.  Das führt zu dem interessanten Nebeneffekt, dass die CSU, falls es so weitergeht, erstmals in ihrer Geschichte bei einer Bundestagswahl die Fünfprozenthürde reißen könnte. Als Ein-Bundesland-Partei müsste sie je nach Wahlbeteiligung und der Gesamtzahl der gültigen Stimmen bundesweit und in Bayern mindestens auf etwa 32 Prozent im Freistaat kommen, um die Hürde im Bund zu überwinden. Blöd, dass die CSU sich bisher schwerpunktmäßig mit Obergrenzen (für Geflüchtete) befasst hat, denn diese Untergrenze rückt nun gefährlich nahe. Man stelle sich vor, die CSU als Partei würde es nicht in den Bundestag schaffen – gut, dass Franz Josef Strauß das nicht mehr erleben müsste. [….]

(Melanie Amann, SPON; 01.09.2021)

Das dürften interessante Diskussionen in den Unionspräsidien werden, wenn es so kommt, wie es jetzt aussieht.

 Erwin Huber und Günther Beckstein wissen, wie ihre so obrigkeitsfreundliche Partei mit Führern umgeht, die Wahlen verlieren.

Dienstag, 31. August 2021

2000 Jahre unabänderliche Moral

Frauen können nicht katholische Priesterinnen werden, weil Jesus und die Bibel das schon vor 2.000 Jahren so festgelegt haben.

Gott (=Jesus=HeiGei) ist aber allmächtig, unfehlbar und allwissend; also kann nicht nach ein paar Tausend Jahren Elfriede Meier daher kommen und feststellen, Gott habe sich damals aber gründlich geirrt, sie wisse es besser und daher müsse man einige seiner Aussagen nun umschreiben.

Das wäre Blasphemie und Gott mag das bekanntlich gar nicht, schickt einen dafür in die ewige Verdammnis, in der man am Spieß gegrillt wird.

[….] Die Öffnung des katholischen Priestertums für Frauen wäre ein gravierender Traditionsbruch [….] Das sagte der Salzburger Erzbischof Franz Lackner in einem Interview für die ORF-Sendung "Radio Salzburg Café" am Sonntag. Er verglich die auf Jesus zurückgeführte Regelung, nur Männer zu Priestern zu weihen, mit einem Flussbett, das heute nicht mehr umleitbar ist.  [….]

(Kath.net, 12.02.2014)

Die RKK will aber nicht nur, keine Frauen ordinieren, weil das immer so war, sondern unfehlbare Päpste stellten fest; er könne gar keine weiblichen Priester einführen, selbst wenn er wollte.

[….] Paul VI. beauftragte die Glaubenskongregation, die Argumente genauer zu prüfen, und veröffentlichte das Ergebnis am 15. Oktober 1976 unter dem Titel „Inter insigniores“. Dort wird ausführlich dargelegt, dass und warum „die Kirche, die dem Beispiel des Herrn treu bleiben möchte, sich nicht die Vollmacht zuschreibt, Frauen zur Priesterweihe zuzulassen.“ Damit erkennt das Lehramt seine eigenen Grenzen an und erklärt: Es gibt Grundlagen der Kirche, welche ihrer Kompetenz entzogen sind, weil sie diese als von ihrem Stifter vorgegeben erkennt; und dazu gehört die ungebrochene Praxis, Frauen nicht zu Priestern zu weihen. [….]

(Marianne Schlosser, 30.03.2020)

Auch die Nummer Drei des Vatikans, der Chef der Inquisitionsbehörde sieht keinerlei Spielraum.

[….] Das Nein der katholischen Kirche zur Priesterweihe für Frauen gehört zum unfehlbaren Lehramt der Kirche. Das erklärt der Leiter der Glaubenskongregation, Erzbischof Luis Ladaria, in einem ausführlichen Beitrag der Vatikanzeitung «Osservatore Romano» von Mittwoch. […..]

(Kath.che, 30.05.2018)

Das Genörgel liberalerer Katholikinnen in der westlichen Hemisphäre kann der Vatikan bequem aussitzen. Die zahlenmäßig größere Gruppe der Katholioten interessiert sich nicht für feministischen Schnickschnack. Im Gegenteil, die Faszination Katholizismus besteht genau darin, daß sich eben seit 2.000 Jahren nichts ändert. Gott hat alles einmal festgelegt und zwar PERFEKT. Daher gewinnt die RKK global immer mehr Mitglieder und wird immer reicher.

So wird es für die Kirchenchefs auch leichter, sich durch das politische und diplomatische Gestrüpp zu manövrieren.  Wenn die Kirchenlinie mal nicht positiv rezipiert wird, schiebt man es auf flüchtige Moden, denen man nicht folgen müsse. Das ethische Grundgerüst der RKK ist zementiert und göttlich. Da kann gar nichts schlecht sein.

Deswegen hisste das österreichische Episkopat auch im Mai 1938 die Hakenkreuzfahne am Wiener Stephansdom.

[….] Anbiederung, Zustimmung, Bedrohung, Opposition: Ein Kardinal, der zu Hitlers Ankunft in Wien die Kirchenglocken läuten lässt. Ein mit „Heil Hitler“ unterzeichneter Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe, der den Gläubigen empfiehlt, für den ,Anschluss‘ zu stimmen. [….]  Noch am 10. März hatte Kardinal Theodor Innitzer Kanzler Kurt Schuschnigg volle Unterstützung der Kirche für die geplante Volksabstimmung über Österreichs Unabhängigkeit zugesichert.  [….]

(ORF, 2018)

Den Katholiken Adolf Hitler unterstützte die RKK damit demonstrativ; schließlich kann Jesus die Juden auch nicht ausstehen. Dafür muss man nicht ins finstere Alte Testament zurückgehen, das steht auch im Neuen Testament.

[……]  Denn, Brüder, ihr seid den Gemeinden Gottes in Judäa gleich geworden, die sich zu Christus Jesus bekennen. Ihr habt von euren Mitbürgern das Gleiche erlitten wie jene von den Juden. Diese haben sogar Jesus, den Herrn, und die Propheten getötet; auch uns haben sie verfolgt. Sie missfallen Gott und sind Feinde aller Menschen; sie hindern uns daran, den Heiden das Evangelium zu verkünden und ihnen so das Heil zu bringen. Dadurch machen sie unablässig das Maß ihrer Sünden voll. Aber der ganze Zorn ist schon über sie gekommen. [….]

(1 Thess 2,14-16)

In Österreich und besonders in der Millionenstadt Wien mit seiner zu knapp 10% jüdischen Bevölkerung tobten die Novemberpogrome wochenlang und außerordentlich grausam. Nahezu alle Synagogen wurden vollständig zerstört, 4.000 Wiener Juden in das KZ Dachau verschleppt. Die Täter waren Katholiken.

[….] Das Novemberpogrom in Wien war von besonders großer Brutalität gekennzeichnet. Mehr als ein Fünftel der Todesopfer des Novemberpogroms dürften auf Wien entfallen sein, nicht zuletzt weil eine verbreitete antisemitische Stimmung bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung bestand und der Vermögensentzug der jüdischen Bevölkerung noch nicht soweit fortgeschritten war, um nicht die Bereicherung an jüdischem Eigentum als lohnend erscheinend zu lassen. Es war für Jüdinnen und Juden lebensgefährlich auf die Straßen zu gehen. Sie mussten sich vor brutalen Misshandlungen, willkürlichen Verhaftungen und Hausdurchsuchungen unter dem Vorwand, nach Waffen und politischem Material zu suchen, fürchten und waren völlig vogelfrei. In der Literatur ist die Zahl von 27 ermordeten, 680 Selbstmorden und 88 schwer verletzten Juden angegeben, jedoch sind diese Angaben nicht gesichert, da sie in verschiedenen Publikationen voneinander differieren. Die über 6.500 aufgegriffenen Juden wurden in das Polizeigefängnis in Wien 9, Roßauer Lände und zwei extra eingerichtete Behelfsgefängnisse, auch "Notarreste" genannt, in Schulen in Wien 7., Kenyongasse 2 und Wien 20., Karajangasse 14 eingeliefert. Dort kam es laut Zeitzeugenaussagen zu grausamen Übergriffen auf die dort Festgehaltenen, darunter in Wien 20 auch auf 200 Frauen, die besonderen Quälereien ausgesetzt waren. Zwischen 3.500 und 4.800 jüdische Männer wurden in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Ca. 70% der Wiener Juden waren von Hausdurchsuchungen betroffen. Mehr als 4000 jüdische Geschäfte und Gewerbebetriebe wurden größtenteils von SA-Formationen und Parteidienststellen an einem einzigen Tag geplündert, verwüstet und enteignet.  [….]

(Wien.gov.at)

Nach der Pogrom-Nacht vom 09.11.1938 verlor die Österreichische RKK demonstrativ auch kein Wort zu Gunsten der Juden. Christen sind eben an längerfristige ethische Grundüberzeugungen gebunden.

Eigenartigerweise kam die RKK Österreich aber nach nur 75 Jahren (sic!), also geradezu blitzartig, im Jahr 2013 auf die Idee, daß es vielleicht doch irgendwie nicht so nett war, wie man sich 1938 in Wien verhalten hatte.

[…..] In einer Erklärung anlässlich der Novemberpogrome von 1938, die sich heuer zum 75. Mal jähren, haben Österreichs Bischöfe die Mitverantwortung der Kirche an den damaligen Übergriffen gegen Juden und ihre Einrichtungen bekannt. [….]"Wir sehen heute klar, dass auch die Kirche durch Akzente ihre Verkündigung im Sinn einer Verachtung des Judentums mitverantwortlich für jenes Klima war, in dem sich der nationalsozialistische Antisemitismus ausbreiten konnte", wird darin erklärt. 1938 habe die Kirche in Österreich nicht erkannt, dass sich ihr christlicher Glaube aus jüdischen Wurzeln nähre. Und dies, obwohl die Kirche beim Sturm auf das Erzbischöfliche Palais in Wien kurz vor dem Pogrom selbst Ziel des Naziterrors geworden sei.  "Die Kirche hat auch in ihrer damaligen Theologie versagt", weil sie den "ungekündigten Bund" Gottes mit dem Volk Israel ignorierte. "Und sie hat in der Liebe versagt, denn es waren unsere Nächsten, die unschuldig Opfer des gewalttätigen Antisemitismus wurden", so die Bischöfe weiter. […..]

(DS, 08.11.2013)

Den Katholiken von 1938, am selben Moralgerüst orientierten Laien, Priestern, Bischöfen, Kardinälen und dem Papst, war es aber mit all ihren Bibeln, mit denselben Worten, auf die sie sich 2021 stützen, nicht einsichtig, daß es irgendwie falsch sein könnte, Millionen Juden zu massakrieren.

Montag, 30. August 2021

Pendler pampern

Wie spießig; neulich wurde mir klar, daß ich noch nie so lange an einer Stelle gewohnt habe, wie in meiner jetzigen Wohnung.

Damals war es ein Schnellschuss; ich musste aus der vorherigen Wohnung raus und wollte unbedingt in diese Gegend.

Da konnte ich mir nicht leisten, mich länger umzugucken und unterschrieb den Mietvertrag, obwohl die Bude eigentlich einen Tick zu klein war, damals teuer zu sein schien und seit 25 Jahren nicht modernisiert worden war. Der Deal: Ich bekomme sie zur gleichen Miete und einen Monat mietfrei, wenn ich die Renovierung selbst durchführe.

Damals war ich noch so grün hinter den Ohren, daß ich den Aufwand total unterschätzte. Die schrecklichen braungrün-gemusterten Kacheln in Bad und Küche aus den 1970ern, Dekor „Moorleiche“, überklebte ich kostengünstig mit DC-Fix-Folie. Lange würde ich ja ohnehin nicht bleiben.

20 Jahre später, nach nur zwei sehr moderaten Mieterhöhungen, stellt sich die Situation ganz anders dar: Vermutlich werde ich gar nicht mehr umziehen, weil inzwischen a) die Mieten so angestiegen sind, daß ich für eine Wohnung in meiner Größe mindestens das Doppelte zahlen müßte und b) in meiner Gegend ohnehin keine Wohnungen mehr frei werden.

Allerdings verändern sich im zunehmenden Alter die Prioritäten. Inzwischen hätte ich doch ganz gern etwas mehr Ruhe und insbesondere mehr Platz.

Aber wie soll man das anstellen, wenn man in der Innenstadt bleiben möchte, aber andererseits bedauerlicherweise über keinen Goldesel verfügt?

Immerhin war ich schlau genug, mir keine Kinder oder Haustiere anzuschaffen. Daher pressiert die Wohnungssuche nicht so sehr wie bei Millionen anderen bedauernswerten Wesen in Deutschland.

Das Thema Wohnen wurde inzwischen zu einem großen Politikum und so spukt langsam auch ein über Dekaden nicht vorstellbarer Gedanke in meinem Kopf:

Könnte ich nicht zu ähnlichen monatlichen Kosten luxuriöser und auf größerem Fuß in herrlicher Stille leben, wenn ich mich von den Annehmlichkeiten der Großstadtlage verabschiede? Ginge es nicht, zumindest in einigen Jahren, sich ganz auf Homeoffice umzustellen?

Irgendwohin, wo es billig ist. MeckPomm, Elbe-Weser-Dreieck oder Oberlausitz.

Obwohl ich unabhängig von Kitas und Schulen entscheiden kann, bleibt das Landleben mit Nachteilen behaftet. In den letzten Jahren wurde ich zweimal operiert, musste lange mit Krücken gehen. Das ist als Single ohnehin Mist, aber wenigstens waren es kurze Wege zum Arzt, ich fand eine Physiotherapeutin, die zu mir kam, konnte alle Lebensmittel unkompliziert liefern lassen.

Einem Bekannten, dem ein ähnliches Malheur in Cuxhaven passierte, stellten sich ganz andere Probleme. Dort kann man sich nicht rund um die Uhr liefern lassen und die Auswahl der medizinischen Versorgung ist deutlich reduziert. Je kleiner das Kaff, umso schwieriger wird es. Was soll man tun, wenn der Strom oder das Telefon ausfällt? Mal eben ein MRT machen, wenn der Flunk weh tut?

Aus dieser Unfähigkeit sich zwischen zwei Welten zu entscheiden, entstand die Spezies des Pendlers.

Er oder sie sind die egoistischen Hedonisten der Arbeits- und Wohnwelt. Sie wollen das Beste aus beiden Welten nehmen und die Nachteile den anderen überlassen.

Billig wohnen, mit viel Platz und einem Garten, geringere Gewerbesteuern, weniger Gebühren, keine städtischen Abgaben und Vorschriften, aber dafür den Städtern, die all das finanzieren, einen Arbeitsplatz wegnehmen.

Pendler sind eine ökologische Pest und/oder verstopfen zumindest den ÖPNV-Regionalverkehr. Sie wohnen flächenverbrauchend und damit energetisch mangelhaft.

Die Kosten werden partiell auch noch auf die Allgemeinheit abgewälzt, weil der Staat Pendlerpauschalen zahlt, Dienstwagen finanziert und Straßen kostenlos zur Verfügung stellt.

Warum ist das eigentlich so? Wieso sind alle Parteien so pendlerfreundlich und überbieten sich gegenseitig damit, den Wahnsinn der stundenlangen Arbeitswege zu unterstützen?

Könnte man nicht von den Menschen eine Entscheidung verlangen?

Lebt entweder wie ein echter Städter in der Stadt. Kleine Wohnung, wenig Platz, wenig Flächenversiegelung, wenig Emissionen durch sehr kurze Wege.

Oder zieht euch auf Land zurück, genießt da die günstigere Preise, die Ruhe und den Platz. Dann bleibt aber auch da, kauft regional, arbeitet im Homeoffice.

Wer sich mit einer Version nicht zufrieden gibt und beides will – Job mit mehr Geld in der Stadt UND Haus im Grünen mit großem Garten – soll das tun dürfen, aber statt dabei noch finanziell gefördert zu werden, sollte man ihn/sie zur Kasse bitten. Eine deftige CO2-Abgabe für die Pendelei und eine am Arbeitsplatz zu entrichtende Ausgleichsteuer, für die durch die Stadt finanzierte vom Pendler benutzte Infrastruktur.

Mopo-Redakteur Florian Boldt beklagt sich im Leitartikel vom Freitag über die Ungemütlichkeiten seiner Pendelei aus Stade nach Hamburg in die Redaktion. Er müsse bis zu zwei Stunden in Bahn und Bus sitzen, bei Sturm und Regen sei das oft ein Problem. Und die vielen Baustellen gefielen ihm auch überhaupt nicht.

Sehr witzig, Herr Boldt. Kein Hamburger freut sich über die Baustellen. Aber wenn nicht Myriaden Pendler wie Sie jeden Tag Hamburgs Straßen und Brücken abnutzen würden, ohne hier Steuern zu zahlen, hätten wir auch nicht so viele Baustellen.

Sie beziehen Ihr Gehalt aus der Leistungsfähigkeit der Stadt, schaffen das Kapital in eine Gegend, die dafür keinerlei Anstrengung unternommen hat und besitzen die Dreistigkeit sich dann auch noch zu beklagen, weil wir Städter ÖPNV-Parasiten wie Ihnen nicht noch mehr Bequemlichkeiten verschaffen?

Wenn Sie das alles in Hamburg so schrecklich finden, suchen Sie sich doch einen Job in Stade! Und wenn Sie keine Lust haben in der Provinz zu arbeiten, dann mieten Sie sich doch eine Einzimmerwohnung in Hamburg-Altona mit 28qm. Das ist praktisch, umweltfreundlich und erspart Ihnen schlagartig die vier Stunden Pendelzeit am Tag.

Sonntag, 29. August 2021

Triell 1

Nachdem ich nun eben zwei Stunden Laschet, Scholz und Baerbock auf RTL gesehen habe, bin ich kaum schlauer geworden, weil ich die Kandidaten und ihre Positionen vorher schon hinlänglich kannte.   Keiner leistete sich einen extremen Lapsus, keiner brillierte mit einem Hieb.  Am meisten überzeugte mich, wenig überraschend, Olaf Scholz.

Armin Laschet war, wie üblich, besonders peinlich, erging sich in unsinnigen von Unkenntnis gezeichneten Faseleien über angeblich von der SPD verhinderte Sicherheitsmaßnahmen.

Tanit Koch hatte mit ihm offensichtlich einige Draufhau-Sätze eingeübt, die er unbedingt coram publico laut deklamieren wollte, aber er schaffte es nicht, den richtigen Anknüpfpunkt zu finden und spulte "sie können nicht spielen wie Angela Merkel und reden wie Saskia Esken" noch hastig am Ende ab, als Scholz gerade die Koalition mit der Linkspartei ausgeschlossen hatte.

Laschets eingeübte Emphase gegen die bösen Kommunisten passte aber nicht nur inhaltlich nicht, sondern war zweitens auch eine peinliche verzweifelte Reminiszenz an „Rote Socken“-Kampagnen der 1990er. Was die CDU eben so tut, wenn sie selbst inhaltlich so gar nichts mehr beizutragen hat.

Dreifach peinlich wurde Laschets gefakter Ausbruch gegenüber den angeblichen Verfassungsfeinden bei der Linken, weil von den anwesenden Drei, eindeutig er selbst der einzige war, dem in der Hinsicht etwas vorzuwerfen ist. Die CDU kooperiert immer wieder mit der AfD, der CDU-Chef ist es, der nicht die Kraft und den Mut findet, sich gegen den Flirt der CDU-Fraktionen von Sachsen-Anhalt und Thüringen mit Antisemiten und Faschisten, auszusprechen.

Die auswendig gelernten Stanzen Laschets sind erstaunlich antik. Zum Thema „soziale Spaltung“ und Kinderarmut, plappert er tatsächlich das seit Ronald Reagan widerlegte Märchen vom „Trickle Down Effekt“ nach.

[……] Die Union geht, obwohl Friedrich Merz mit dieser wirklich jedem, der manchmal Zeitung liest, mittlerweile als Quatsch bekannten These, dass Steuersenkungen für Wohlhabende Wohlstand schaffen, weiterhin hausieren. Sogar der Wirtschaftsweise hat bei Illner am Donnerstag erklärt, dass das so nicht funktioniert. Das ist kontrafaktische Politik, wie von physikalischer Konservativenträgheit weiterbefördert.  […..]

(Prof. Christian Stöcker, 29.08.2021)

Nun wird es niemand an dieser Stelle sehr überraschen, daß ich kein Fan von Armin Laschet bin und mir Olaf Scholz als Bundeskanzler wünsche.

Immerhin könnte die SPD zum vierten mal in der Geschichte der Bundesrepublik stärkste Partei werden. Bereits drei Institute sehen die SPD knapp vor CDUCSU. Nach den großen demoskopischen Veränderungen des Augusts, ist auch eine rotgrüne Kanzlermehrheit nicht mehr völlig ausgeschlossen, wenn Scholz und Baerbock noch jeweils  drei, vier Pünktchen zulegen.

Realistischer ist aber natürlich ein Dreierbündnis und da meiner Ansicht nach, unbedingt eine Beteiligung von AfD, CDU, CSU und FDP an der nächsten Bundesregierung verhindert werden sollte, ist meine Wunschkoalition Rotrotgrün.

Die Variante ist leider von allen möglichen Bündnissen die Unbeliebteste in der Bevölkerung. Sehr viel deutet auf eine Jamaika-Koalition mit der SPD in der Opposition hin, weil die gesamte grüne Führung stark die CDU priorisiert. Da dies außerdem die einzige Konstellation ist, in der Laschet mit seinem Liebling Lindner zusammen regieren kann, würden sie allerhand Zugeständnisse an die Grünen machen. Die FDP kann sich nach 2017 ebenfalls kein erneutes Nein zu Jamaika leisten. Es wird also enormen Druck geben, ein schwarzgrüngelbes Bündnis einzugehen.

Baerbock räumt alle klassischen Hindernisse für Schwarzgrün eifrig ab. Sie will mehr Polizisten, mehr Geld für die Bundeswehr, Auslandseinsätze, Drohnen, mehr Rüstung, Videoüberwaschung – alles Punkte, die noch vor 20 Jahren für jeden Grünen absolute Ausschlusskriterien gewesen wären.

Die Grünen Landesverbände des Saarlands, Hessens, Baden-Württembergs und Hamburgs sind schon länger so stramm konservativ, daß sie jederzeit die CDU einer SPD vorziehen.

Dem schwarzgrünen Schulterschluss stehen aber auch einige wenige Punkte im Weg: Die Grünen und die FDP mögen sich habituell nicht. Das Klimathema, das Robert Habeck noch 2017 gleich freiwillig abräumte, um in die Bundesregierung zu kommen, ist diesmal viel wichtiger und lässt sich nur mit der SPD umsetzen. Die Steuerkonzepte von Grünen und SPD harmonieren eher als GrünSchwarz. Außerdem mag es einen gewissen Druck von der Grünen-Basis geben, nicht mit der CDU ins Bett zu gehen, wenn es auch für eine linkere Option reicht.

In Baden-Württemberg war der Druck allerdings nicht groß genug, um CDU-Liebling Kretschmann zur Regierungsbildung mit der SPD zu bewegen. Er wollte unbedingt weiter mit den erzkonservativen Atomfreunden von der CDU regieren.

Ein gutes Argument für eine Regierung links von der CDUCSU wäre ein möglichst starkes SPD-Ergebnis. Könnte die SPD deutlich zulegen, während die CDUCSU um über 10 Punkte abrutscht, würde dies allgemein als Wählerwille gegen einen CDU-Kanzler interpretiert und es wäre umso schwieriger für Habeck und Baerbock, Jamaika gegenüber einer Ampel oder RRG durchzudrücken. Also an alle CDU-Gegner da draußen: Wählt unbedingt SPD und nicht Grün oder Links – umso wahrscheinlich wird es, daß Laschet aus dem Kanzleramt ferngehalten wird.

Ich wünsche mir schon deshalb die ernste Möglichkeit von RRG, weil Olaf Scholz damit in den Koalitions-Sondierungen die Möglichkeit hätte, enormen Druck auf Lindner auszuüben. Der müsste in einer Ampel auf seine Steuergeschenke für die Superreichen verzichten, weil die SPD damit drohen könnte, anderenfalls die Linken ins Boot zu holen und die Superreichen noch erheblich mehr zu belasten. Für die FDP wäre es eine Möglichkeit ihr Gesicht zu behalten; sie könnten ihren Weg in die Ampel vor ihren rechten Gönnern damit rechtfertigen, damit den Kommunismus aufgehalten zu haben.

Genau deswegen hatte Scholz bisher RRG nicht explizit ausgeschlossen; als gewiefter Taktiker braucht er zumindest die Drohkulissen. Wohlwissend, daß diese Option mutmaßlich ohnehin an Baerbock und Habeck scheitern würde.

Bis heute.

Im Triell von heute schloß er nun doch de facto ein Bündnis mit der Linken aus.

Als Begründung führte er das skandalöse und moralisch verwerfliche NEIN der Linken zum Rettungseinsatz in Afghanistan an.

Keine Überraschung; schon in den Tagen zuvor äußerte sich Generalsekretär Klingbeil genau wie der erzkonservative ehemalige Grünen-Chef Özdemir wütend gegenüber der Linken.

[….] Nur fünf Linkenabgeordnete stimmten der Evakuierungsmission zu. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil warf der Fraktion nun aufgrund der vielen Neinstimmen und Enthaltungen Unanständigkeit vor.  »Aus meiner Heimatregion sind Soldaten in Kabul, unter Einsatz ihres Lebens«, sagte Klingbeil den Sendern RTL und n-tv. »Sie haben in den letzten Tagen 5000 Menschen gerettet, sie haben Leben gerettet, und das, was sie brauchen, ist volle Rückendeckung aus dem Parlament.« Die Linksfraktion habe diese Rückendeckung verweigert: »Das ist unanständig, und das zeigt eben auch, dass die Linke beim Thema Außen- und Sicherheitspolitik nicht berechenbar ist.«   Auch andere Vertreter von SPD und Grünen empörten sich über den Kurs der Linken. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir zweifelte gegenüber der »Welt« an der Regierungsfähigkeit der Partei: »In einer Regierung könnte sie sich so nicht verhalten«, sagte Özdemir. »Mit ihrem erratischen Abstimmungsverhalten verbaut sich die Linke außenpolitische Handlungsfähigkeit und läuft vor der Verantwortung davon.« Özdemir betonte, dass der Einsatz der Bundeswehr bei der internationalen Evakuierungsmission am Kabuler Flughafen auf die Rettung von Menschen abziele. »Dass die Fraktion der Linken sich im Bundestag selbst bei der Abstimmung über eine Rettungsmission enthalten will, in der über Leben und Tod entschieden wird, ist mir unbegreiflich«, sagte er. [….]

(SPON, 26.08.2021)

Lars Klingbeil hat Recht. Es ist nicht nur amoralisch, die Bundeswehrhelfer den Taliban zu überlassen, es zeigt auch die realpolitische Unfähigkeit der Linken. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl rollt sie auf einmal solche gewaltigen Hindernisse in den Weg Richtung RRG. Damit beraubt sie sich selbst einer Machtoption. Dumm.

Nun wettert die AfD-Alliierte Wagenknecht gegen die SPD, statt den Menschen in tödlicher Gefahr zu helfen.

Annalena Baerbock schloss ohnehin ein RRG-Bündnis aus, aber nachdem nun auch Scholz die Option vom Tisch nahm, wird es verdammt schwer eine Bundesregierung ohne schwarz und gelb zu bilden.

Samstag, 28. August 2021

Pannen-Update.

Vor einer Woche in Berlin; die offizielle Einleitung der heißen Unionswahlkampfphase mit Laschet, Söder und Merkel. Nun sollte aber mal Schluß sein mit dem Schlafwagen-Modus. Angriff und Kämpfen sei nun angesagt.   Die beschlipsten JU-Jubler jauchzten vor Glück. Nun würde man es den Sozis und verrückten Links-Ökos aber zeigen.

Allein; niemand in der CDU-Führung erhöhte das Flehen; sie gingen alle feige in Deckung. Die ganze Woche passierte wieder einmal – Nichts!  Bis auf das Übliche natürlich; die SPD-Werte gehen steil nach oben und Pannen-Armin liefert zuverlässig Peinlichkeit auf Peinlichkeit.

Nach den Rezo-Erfahrungen von 2019, wollte die CDU lernen mit diesen eigenartigen Online-Menschen umzugehen.

Es war der mediale Unions-Tiefpunkt, als Rezo mit einem nicht sehr CDU-freundlichen Video, die im Fax-Zeitalter stehen gebliebene Partei so verwirrte, daß Parteichefin Kramp-Karrenbauer zunächst die Meinungsfreiheit abschaffen wollte, dann ihren jüngsten Bub, den Augustus-Lobbyisten Amthor mit einem Gegenvideo von der Leine ließ und selbiges gleich wieder einstampfen musste, weil es offenbar noch peinlicher war, als #Neuland-AKKs Plan die Freiheit im Internet abzuschaffen.  Der neue Parteichef Armin Laschet weiß inzwischen, wie man mit diesen virtuellen Typen umgeht, die sich täglich im Internet herumtreiben.

Zunächst einmal sagte er alle Gesprächsformate mit jüngeren Menschen und Youtubern ab. Ein Triell mit Scholz, Baerbock und Rezo? – Armin nahm Reißaus.

Vor einer Woche droppte (nennt man das so in der Jugendsprache?) der blauhaarige Youtuber ein weiteres CDU-Video, welches inzwischen 3,6 Millionen mal gesehen wurde.

Zum Vergleich: Der vom offiziellen CDU-Youtube-Kanale „CDUTV“ gestreamte „Start in die heiße Wahlkampfphase“ mit Merkel und Söder am 21.08.2021 wurde 2003 mal geklickt. Laschets große Rede am 23.08. wurde auf dem CDU-Youtube-Kanal immerhin 2.329 mal abgerufen.

Für diejenigen, die nur Klatschen und Singen in der Schule hatten: 3,6 Millionen ist mehr als 2.000. Sogar viel mehr.

Was als nächstes kam, war so sicher, wie das Amen in der Kirche: Alle starrten gebannt auf den CDU-Chef, wie er diesmal reagieren würde. Schließlich hatten sämtliche Medien über das Video berichtet. Welche souveräne Erwiderung hätten sich die versammelten CDU-IQs in zwei Jahren mit der massiven Medien-Kompetenz der BILD und der ehemaligen BILD-Chefredakteurin Tanit Koch als oberste Laschet-Beraterin ausgedacht? Welche Schlagfertigkeit würde die an Laschet (ver)zweifelnden CDU-affinen Wähler überzeugen? Vorgestern im SWR3-Interview war es so weit, die Moderatoren fragten Laschet, ob er das Rezo-Video schon gesehen hätte. Armin grinst und lacht.

Antwort: „Nein, wenn ich alle Videos ansehen würde, die irgendwer macht, hätte ich viel zu tun. [….] Die Thesen [….], die sind wie immer falsch. Und Stück für Stück kann man denen dann widersprechen.“

Kann man sich nicht ausdenken: Laschet erklärt in einem Satz, so ein Wahlkampf-relevantes Video gar nicht anzusehen, aber dennoch zu wissen, alles darin wäre falsch.

[….] Armin Laschet erklärt in der ARD, dass er das Rezo-Video nicht kenne und nicht angeschaut habe, aber alles darin Behauptete sei falsch!

Tja, Pech gehabt, Rezo… Das ist eine inhaltlich saubere und konsistente Widerlegung, der auch Du nichts entgegensetzen können wirst! […..]

(Lorenz Meyer, 28.08.2021)

Rezo fügte seinem Video ein „Inkompetenz Quellendokument“ mit 145 Quellen hinzu; er steckte viel Zeit hinein, um jede seiner Behauptungen absolut wasserdicht zu belegen. Von Laschet wird das jovial mit „wie immer alles falsch“ weggerinst.  Zu seinem Glück waren SWR3-Moderator Constantin Zöller und RBB-Moderatorin Angela Ulrich viel zu schwach und uninformiert, um Laschet in die Zange zu nehmen und nachzubohren, ob er ernsthaft alle 145 Links für falsch hält.

[….] Herr Laschet schafft es immer wieder sich noch schlechter dastehen zu lassen. Fakten als falsch zu bezeichnen. Alle Achtung. Aber das kennt man ja aus den letzten Wochen und Monaten. Wem etwas am Land, der Bevölkerung und der Zukunft liegt, der wählt jedenfalls nicht CDU im September. [….]

Schon eine sehr gewagte Aussage von Herrn Laschet zumal er behauptet das Video nicht gesehen zu haben. Wie kann er dann sagen, dass die Aussagen alle falsch sind.  Ich habe langsam die Befürchtung, dass er und seine Mitstreiter in einer Parallelwelt leben, fern ab der Realität. [….]

Rezo hat ganz klar alle dargestellten Informationen sachlich und klar bewiesen, Quellen hinterlegt usw usf. Dieses Video als "wie immer falsch" zu bezeichnen ist einfach eine klare Irreführung und dumme Aussage, denn bereits vorherige Videos waren schon nicht falsch. Laschet ist einfach ein Dummschwätzer. [….]

Tja, lieber Herr Laschet so kann man dann eine Wahl auch verlieren wenn man die junge Generation nicht abholt und ignoriert [….]

Das allein ist für mich schon Grund genug, warum die CDU/CSU auf die Ersatzbank gehört. [….]

Es geht mir auf den Sack. Liebe CDU/CSU, mit Verlaub, verpisst euch. [….]

Laschet nimmt zwanghaft jedes Fettnäpfchen auf seinem Weg mit. Und steht da mal keins, dann stellt er sich selbst noch eins hin um mit Wonne hineinzutreten. Unserem Land ist zu wünschen, dass er niemals Kanzler wird. Man stelle sich diesen Mann auf dem internationalen, roten Teppich vor. Wieviel Beherrschung müssten die anderen Staatsmänner und Frauen aufbringen um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen!? [….]

(Kommentare auf SWR am 26.08.2021)

Und sonst so?  Es ist schließlich Laschets große Zeit. Da bleibt es sicherlich nicht bei einer Totalblamage pro Tag.

Ärger gibt es außerdem, weil der rheinische Katholiban sein Amt als Ministerpräsident mit dem eines Karnevalsprinzen verwechselt und staatliche Orden für Gefälligkeiten verteilt.

[….] »Man kennt sich, man hilft sich«, heißt es in Armin Laschets Heimat. Er verleiht als NRW-Ministerpräsident gern Orden und Medaillen und nutzt die Ehrungen als politisches Instrument. [….] Der NRW-Regierungschef hat dafür die Staatskanzlei umgebaut. Vor seiner Amtszeit wurden Orden, Titel und Staatspreise in einem Referat bearbeitet. Nun sind daraus drei geworden, ein Referat für Auszeichnungen, eines für den Staatspreis und eines für den Landesverdienstorden. 2018 führte Laschet eine neue Ehrung ein. [….] Dabei fühlt sich Laschet nicht nur in der Rolle des Gebers wohl. Seine persönliche Liste an Auszeichnungen ist ebenfalls beachtlich. [….]

(SPIEGEL, 28.08.2021)

Auch zum Megathema Klimaschutz gibt es Neuigkeiten. Um seine Spender von der Kohleindustrie zu schützen, klagte Laschet die Grünen an. Es nutze gar nichts, in Deutschland Kohlekraftwerke abzuschalten, weil in Afrika pro Jahr 450 neue Kohlekraftwerke entstünden.

Die Argumentation, man müsse seine eigenen Sünden nicht einstellen, weil andere noch mehr sündigen, ist ohnehin eine sehr peinliche Form des Whataboutism.

Aber da es hier um eine Laschet-Aussage geht, log er dabei auch noch sehr dreist.

 […..] "Mit allem Ehrgeiz" müsse man am Klimaschutz arbeiten, verlangte der CDU-Kanzlerkandidat - und legte ein großes Aber nach: "In Afrika sind 450 Kohlekraftwerke geplant", wusste Laschet. Er habe darüber mit Gerd Müller gesprochen, dem Entwicklungsminister von der CSU. "Das würde alles auffressen, was wir an Anstrengung unternehmen", warnte der CDU-Chef. Und damit hätte er auch recht. Wenn denn die Zahl stimmte.  Der "Global Coal Plant Tracker" etwa zählt für Afrika 25 angekündigte Kohlekraftwerke. Nimmt man noch die hinzu, die erste Genehmigungen haben, sind es 70. Immer noch 70 zu viel - aber keine 450.  [….]

(Michael Bauchmüller, 27.08.2021)

25 oder 450, wo ist da der Unterschied?

Die Merkel-Laschet-CDU ist effektiv bei der Zerstörung der Umwelt.

Im Ergebnis verfügt Deutschland nun über die schlimmsten CO2-Schleudern Europas.

[….] Die größten Klimasünder in Europa sind weiterhin die großen Kohlekraftwerke in Deutschland - sie besetzen sieben Plätze im Top-10-Ranking:

    Platz 1: Das weltgrößte Braunkohlekraftwerk Belchatow / Polen   (rund 38 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 2: Das Braunkohlekraftwerk Neurath / Deutschland  (rund 30 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 3: Das Braunkohlekraftwerk Niederaußem / Deutschland (rund 26 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 4: Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde / Deutschland (rund 23 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 5: Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler / Deutschland  (rund 17 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 6: Das Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe / Deutschland (rund 12 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 7: Das Braunkohlekraftwerk Lippendorf / Deutschland (rund 12 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 8: Das Braunkohlekraftwerk Kraftwerk Maritza-Ost II / Bulgarien (rund 11 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 9: Das Braunkohlekraftwerk Boxberg / Deutschland (rund 10 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 10: Die irische Billigfluglinie Ryanair (rund 10 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß) [….]

(Deutschlandfunk, 03.04.2019)

Freitag, 27. August 2021

Feiglinge in der CDU

Selbstverständlich ist es hilfreich für die SPD-Wahlkampagne, daß die anderen beiden Triell-Kandidaten im Pannenmodus dem 26.09. entgegenstolpern.

Aber das Geheimnis der seit 15 Jahren das erste mal wieder erfreulich aussehenden demoskopischen Zahlen, liegt auch in dem so chronisch unterschätzten Kanzlerkandidaten Olaf Scholz.

Die Hamburger wissen es schon länger; wählten Scholz 2011 mit absoluter Mehrheit (48,4%) und 2015 mit fast absoluter Mehrheit (45,6%) zu ihrem Regierungschef. Das Prädikat „König Olaf“ kam von der überregionalen Presse und war seinen enormen Wahlergebnissen geschuldet. Innerhalb Hamburgs wurde es nicht verwendet, weil „König“ die denkbar unpassendsten Konnotationen für seinen bescheidenen Stil liefert. Scholz spricht stets sehr leise und präzise, tritt zurückhaltend auf, übertreibt nicht, lebte schon immer in derselben Altonaer Mietwohnung, hat keinerlei Interesse an Protz und Statussymbolen, käme nie auf die Idee sich wie Ole von Beust Baudenkmäler zu setzen und sich weitgehend in der Sylter Schickeria, statt in seinem Rathaus-Arbeitszimmer aufzuhalten.

Er ist das diametral entgegengesetzte Modell zum CDU-Kurzzeit-Vorgänger Ahlhaus, dem es gar nicht protzig genug sein Konnte. Der sich mit seiner Frau für die Bunte als adeliger Regent inszenieren ließ, der seine Frau demonstrativ als „FILA“ (First Lady Of Hamburg) ansprach und sich sogleich eine grotesk überdimensionierte Millionen-Villa an der Elbchaussee zulegte, die er auf siebenstellige Steuerzahlerkosten zur Festung ausbauen ließ.

Olaf Scholz versteht sich selbst immer noch als „Diener“, der im Amt dem Volk dient und es nicht etwa wie die CDU-Masken-Raffkes in erster Linie nutzt, um sich zu bereichern und sich über andere zu erheben.

Die Attitüden süddeutscher Sonnenkönig-Bundesländerregenten, die sich  gewaltige Staatskanzleien bauen oder ein Weltraumprogramm starten, welches sie auch noch nach sich selbst benennen, könnte nicht ferner von der schlichten, spröden Unaufgeregtheit des Olaf Scholz sein.

Seine Frau nahm natürlich nicht bei der Eheschließung unterwürfig seinen Namen an, sondern heißt Britta Ernst und ging selbstverständlich weiter ihrem Beruf als Landesministerin weiter nach, statt an der Seite ihres Mannes „First Lady“ von Hamburg zu spielen. Sollte er Kanzler werden, planen sie diesbezüglich keine Veränderungen; Ernst wird weiter ganz unabhängig von ihrem Mann ihre eigene Karriere machen.

Einen Riesenzirkus macht Scholz nie. Das legte man ihm in den südlicheren Landesteilen als Farblosigkeit und Langweile aus.

Mittlerweile dämmert es aber immer mehr Menschen, daß der Fetisch von der Bierzelt-Tauglichkeit, also die Fähigkeit, eine tauendköpfige Masse betrunkener Anhänger in Raserei zu grölen, vielleicht doch weniger wichtig ist, als Regierungskompetenz und Intelligenz.

Die SPD kann mit einem Kanzlerkandidaten, der nicht mit Eitelkeiten und Extravaganzen auffällt, offenbar gut leben. Der linke Flügel hält nicht nur still, erduldet also nicht nur seine Kandidatur, sondern ist mittlerweile davon überzeugt, den richtigen Kandidaten ausgesucht zu haben.

In CDU und CSU das umgekehrte Bild. Hinter den Kulissen wird gehadert. Angesichts der rapide in den Keller purzelnden Umfragewerte, begreifen Laschets Parteifreunde ihren Vorsitzenden mehr und mehr als toxisch. YouGov sieht die SPD heute sogar schon zwei Prozentpunkte vor der CDU/CSU.

Sie kalkulieren inzwischen eine heftige Niederlage und den Gang in die Opposition zumindest mit ein. Wer anschließend noch Karriere machen will, lässt lieber den Finger von der Laschet-Kampagne, um a posteriori nicht mit dem legendären Loser-Team von 2021 assoziiert zu werden.

Nur Ex-Parteichef Schäuble, der (dann) 79-Jährig erneut in den Bundestag einziehen möchte, nachdem er schon seit 1772 im Parlament hockt, setzt sich für den Kandidaten ein.

Was bleibt dem großen Lügner und Zerstörer des europäischen Gedankens übrig? Auf eine Karriere ab der übernächsten Bundestagswahl 2025 kann er kaum bauen. Und so lobt er.

[….] Forderungen nach einem Austausch Laschets gegen CSU-Chef Söder lehnte Schäuble als "ganz falsch" ab. Die Union habe "mit Abstand das beste Angebot - das müssen wir im Wahlkampf geschlossen klarmachen".  Dass Schäuble sich überhaupt zu dieser Frage äußert, zeigt jedoch, wie dramatisch die Lage Laschets ist. Dass einen Monat vor der Bundestagswahl klargestellt werden muss, dass Laschet Kanzlerkandidat bleiben soll, ist nicht gerade ein Zeichen der Stärke.  [….]

(Robert Roßmann, 27.08.2021)

Dramatisch wirkt aber das demonstrative Schweigen der meisten anderen CDU-Größen. Die CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier, Tobias Hans, Michael Kretschmer, Rainer Haseloff und Daniel Günther meiden Auftritte mit Ministerpräsident Laschet wie der Teufel das Weihwasser.  Abgetaucht sind auch die fünf Laschet-Stellvertreter als Bundesparteivorsitzende Volker Bouffier, Silvia Breher, Julia Klöckner, Jens Spahn und Thomas Strobl.  Die Unions-Bundesminister Seehofer, Braun, Müller, Karliczek, Spahn, Klöckner, Scheuer, AKK und Altmaier vermisst Laschet als lautsprechende Unterstützer. An seiner Seite stehen nur noch Paul Ziemiak (der als Generalsekretär muss), Brinkhaus, Söder (der aber in Wahrheit bei jedem Auftritt darauf hinweist, die bessere Wahl gewesen zu sein) und Friedrich Merz, der sich ohnehin für jede Rolle als besser qualifiziert ansieht.

[….] Dennis Radtke [….] ist [….] stellvertretender Bundesvorsitzender des Arbeitnehmerflügels. Vor allem aber verfolgt er von Tag zu Tag verzweifelter, wie die CDU in den Umfragen nach unten purzelt. Und wie tatenlos viele in seiner Partei das hinnehmen.  Er habe die CDU "noch nie so defensiv und mutlos erlebt", sagt Radtke. Derzeit habe man "manchmal den Eindruck, bei einem Schachturnier im Seniorenheim geht's im Vergleich zur CDU geradezu euphorisch zu". Seine Partei müsse jetzt endlich "mit Schwung und Selbstvertrauen" in den Wahlkampf-Endspurt gehen. [….] "Die Offiziere der Partei müssen sich jetzt hinter Laschet versammeln", sagt er. Denn aus der Loge heraus lasse sich keine Wahl gewinnen. [….]

(Robert Roßmann, 27.08.2021)

 

Was für ein Desaster. In der traditionell viel weniger linientreueren und undisziplinierten SPD ist Genörgel am eigenen Kandidaten üblich. Umso erstaunlicher, daß bis zu den linksten Jusos niemand Scholz kritisiert.

Die obrigkeitshörige CDU ist hingegen ein traditionell wenig an Inhalten interessierter Kanzlerwahlverein, der den Spitzenkandidaten bedingungslos bejubelt. Umso schwerer wiegt das dröhnende Schweigen der Unions-Fürsten.

Ihre Laschet-Distanz ist besonders feige, weil der NRW-Ministerpräsident natürlich nicht allein für die totale Konzeptions- und Inhaltslosigkeit der Partei verantwortlich ist. Die CDU hat keinen Plan für die Zukunft und nur noch den einen gemeinsamen Nenner: An der Macht bleiben und möglichst nichts ändern.

[….] Laschet will ins Kanzleramt, er möchte ein ganz Großer werden, in einer Reihe mit Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel. Nur wirkt er im Wahlkampf bisher so klein, dass viele Deutsche ihn mittlerweile nicht einmal mehr zu ihrem Ortsbürgermeister wählen würden. Laschet scheint überarbeitet und den Anforderungen eines modernen Medienwahlkampfs allenfalls teilweise gewachsen zu sein. Aber alle Schuld an der Misere nur ihm zuzuschreiben wäre falsch. Das Problem reicht tiefer. Der CDU sind die Überzeugungen abhandengekommen, ihre Rituale sind veraltet, sie steckt in einer Sinnkrise.  Das ist nicht Laschets Schuld, sondern Angela Merkels. 16 Jahre lang ordnete die Kanzlerin alles dem Machterhalt unter. Bloß kein Stress, das war ihr Grundsatz. Sie überließ den Sozialdemokraten viele Erfolge und gefiel sich in der Rolle der Organisatorin in der politischen Mitte. Mit ihrer Geschmeidigkeit wollte Merkel ihre Gegner einschläfern – nur merkte sie nicht, dass nebenbei auch ihre Partei wegdöste. [….]

(Veit Medick, Spiegel Leitartikel, 28.08.2021)

Als Sozi oder Grüner darf man ausnahmsweise optimistisch sein.

Der traditionell konservative Mainstream macht es den Unionsparteien stets leichter zu gewinnen, weil es ihr reicht irgendwie da zu sein und keine allzu großen Fehler zu machen, während Rote, Rote und Grüne für jede Stimme harte Überzeugungsarbeit leisten müssen. Nun beraubt sich die Post-Merkel CDU selbst dieses Vorteils.

[….]  Der fehlende Rückhalt für Laschet und die Panik sind offensichtlich. Kann die Union also tatenlos abwarten, bis am Ende Olaf Scholz im Kanzleramt einzieht? Wahrscheinlich muss sie, weil Laschet nicht aufgibt und Söder nicht mehr will, auch wenn die Union mit ihm vielleicht ein paar Prozentpunkte mehr bekäme.  Gelassen bleiben können da nur die politischen Gegner der Union, weil diese sich im Frühling sehenden Auges für den falschen Kandidaten entschieden hat, der schon damals in allen Beliebtheitswerten himmelweit hinter Söder lag und der durch eigene Trampeltaten immer weiter abstürzt. Aus linker Sicht kann man der Union für ihre Fehlentscheidung eigentlich nur dankbar sein. Ihre Schwäche eröffnet allen anderen, sogar Rot-Rot-Grün, ungeahnte Chancen. [….]

(Lukas Wallraff, 27.08.2021)