Sonntag, 22. August 2021

Nerven behalten und Nerven verlieren

Jetzt erscheinen wieder die Artikel, die darauf hinweisen, daß Umfragen zur Bundestagswahl lediglich augenblickliche Stimmungen einfingen. Die Wahl sei aber noch lange nicht entschieden. Online gewonnene, möglicherweise nicht sehr repräsentative Daten, die nichts mit Wahlprognosen zu tun hätten.

Jede Partei, die von den Demoskopen böse Nachrichten bekommt, verbreitet mit größtmöglicher Ruhe, sich davon nicht nervös machen zu lassen.

„Wir wollen keine Umfragen gewinnen, sondern Wahlen“.

Man verweist, je nachdem, ob man gerade auf der demoskopischen Gewinner- oder Verliererseite steht, wie grandios die Institute sich irrten (zB Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2021), oder aber wir präzise die Zahlen tatsächlich waren (zB. Landtagswahl Baden-Württemberg 2021, Bund 2013).



„Umfragen sind keine Wahlergebnisse“ – diese Binsenweisheit ist natürlich absolut richtig.

„Ich interessiere mich nicht für Umfragen, sondern nur für Wahlergebnisse“ – diese Schutzbehauptung ist natürlich immer gelogen.

Umfragen sind die Drogen der Politiker. Man kann sich ihnen kaum entziehen; wer erliegt nicht dem Reiz, vermeidlich in die Zukunft sehen zu können?

Ich bekenne, ebenfalls ein Junkie zu sein und neue Umfragen stets aufmerksam zu verfolgen, ohne mir genügend bewußt zu machen, wie wenig aussagekräftig sie sind.

Unter prominenten Politikern findet man kaum einen, der zugibt, sich immer auf der Jagd nach dem nächsten demoskopischen Schuss zu befinden.  All die Smombies, die rund um die Uhr auf ihre Klugtelefone starren, um ihre Likes in den Social Media zu checken, sollten nicht allzu überheblich auf Umfrage-verrückte Wahlkämpfer gucken.

[…..] Im Leben von Dietmar Bartsch ist fast immer Sonntag. Da draußen in der Realität kann es noch so sehr Montag, Mittwoch oder Freitag sein, ein Spitzenpolitiker wie Bartsch muss sich permanent mit der Frage herumschlagen, wie viel Prozent der Wahlberechtigten seine Linkspartei wählen würden, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre.   Wahrscheinlich gibt es keine Frage, die den Deutschen häufiger gestellt wird als die nach diesem fiktiven Tag. Es existiert ja nur alle vier Jahre ein Sonntag, an dem tatsächlich eine Bundestagswahl stattfindet, das nächste Mal am 26. September. Aber Deutschland ist inzwischen auch ein Land, in dem im Rhythmus der aufgehenden Sonne simuliert wird, der 26. September sei schon angebrochen. Bartsch sagt: "In manchen Wochen kriege ich sieben Sonntagsfragen."   Mittwochs ist traditionell Forsa-Tag. Donnerstags vermelden die Forschungsgruppe Wahlen und Infratest Dimap ihre Ergebnisse. Die Zahlen von Kantar erfährt Bartsch am Freitag. Das Institut Insa ist inzwischen zweimal die Woche mit einer frischen Sonntagsfrage auf dem Markt, sonntags und dienstags. Dazu kommen noch die tägliche Civey-Umfrage sowie die etwas seltener erscheinenden Erhebungen von Allensbach, GMS, Yougov und Ipsos. Dieses demoskopische Dauerrauschen empfinden viele Politiker als lästig. Aber wahrscheinlich würden die wenigsten so offen wie Dietmar Bartsch zugeben, dass es sich auch um eine Art Rauschgift handelt. "Wir Politiker sind fast alle Umfrage-Junkies", sagt er. "Man muss sich davon lösen, aber das ist unmöglich." [….]

(Boris Herrmann, 07.07.2021)

Umfragen sind aber nicht nur eine Droge für Politiker, die wiedergewählt werden möchten und diejenigen, die sich für Wahlen interessieren.

Umfragen sind auch selbst Politik, denn Umfragetrends beeinflussen das Wahlverhalten. Wähler kreuzen nicht gern die Partei an, die wie der sichere Verlierer aussieht, die sich über Monate und Jahre im demoskopischen Keller befindet.

Deswegen ist es so wichtig und durchaus relevant für die SPD, daß nach vier Jahren der permanenten Sonntagsfragen-Demütigungen Bewegung in den Zahlenwust kommt.

Etwas, das seit den frühen Tagen von Martin Schulz undenkbar war, passiert gerade: Die SPD Liegt in einigen Befragungen auf Augenhöhe mit der CDU/CSU.

Bessere Umfragedaten beeinflussen auch, wie Politiker medial dargestellt werden. Journalisten stellen ihnen anderen Fragen, nehmen sie subtil ernster.

Auch wer bisher nicht daran dachte SPD zu wählen, weil ihm die Stimme verschenkt vorkäme, kann sich das nun doch wieder vorstellen, weil er damit auf der Gewinnerseite stehen könnte und dazu beiträgt, den Katholiban-Trottel Armin Laschet aus dem Kanzleramt fern zu halten.

Wer hätte das gedacht? Endlich macht die SPD etwas richtig, endlich folgt sie dem was ich seit zehn Jahren auf diesem Blog schreibe: Linke Gremienkönige, die wie Saskia Esken oder Kevin Kühnert nie regiert haben und sich vor allem für die eigene Partei und Gerd Schröder schämen, halten endlich die Klappe und sitzen schweigend im Hinterzimmer.

Die Arbeit des Wahlkampfes überlassen sie dem Profi Olaf Scholz, auf dessen Rücken die alte Tante SPD an Fahrt gewinnt, während die Union mit dem ans Bein gebundenen Bremsklotz Laschet kämpft.

Ideal ist das immer noch nicht. Besser wäre es natürlich, wenn die Parteizentrale professionell und engagiert Scholz unterstützte, statt grummelnd abzutauchen. Es ist nicht die begeisterungsfähige SPD aus den späten 1990ern, die Schröder auf über 40% trug.   Aber durch den Hamburger Olaf-Turbo sieht es schon mal viel besser aus, als man seit 2017 jemals hoffen konnte.

Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, Willy Brandt-Haus und weiterhin die Jusos im Zaum halten.

Bei den Schwarzen erleben wir die spiegelbildliche Situation. Sie starren natürlich ebenfalls auf die Umfragen und schaffen es erkennbar nicht mehr, ruhig zu bleiben und Zuversicht auszustrahlen.

Eine 20%-CDUCSU bedeutet nämlich nicht nur, daß Laschet vermutlich nicht Bundeskanzler wird, sondern auch, daß sehr viele schöne Pöstchen verloren gehen, daß viele C-Abgeordnete demnächst arbeitslos werden.

Der ultrakonservative Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß versucht sich bereits in heller Aufregung von seinem Kanzlerkandidaten abzusetzen und setzt auf sein dreist lügendes Idol Friedrich Merz.

[…..] „Ich halte es für wichtig, dass in unserem Wahlkampf noch weitere Köpfe sichtbar werden, die die ganze Breite der Union darstellen und Strahlkraft für bestimmte Themen haben“, sagte Christoph Ploß in einem Interview mit „Die Welt“.  […..]

(Mopo, 22.08.2021)

Ein heftiger Absturz droht der Union in Bayern.

Die Partei, die noch unter Stoiber eine Zweidrittelmehrheit im Landtag bekam, dümpelt nun nur noch bei einem Drittel. Der Sonnenkönig Markus Söder, CSU-Chef, Ministerpräsident, feuchter Traum aller JU-Jungs und Beinahe-Kanzlerkandidat, steht auf einmal intern unter heftiger Kritik, weil er die konservativen Themen derzeit nicht mehr herausposaunt.

[…..] Markus Söder hat zwar nach eigenem Bekunden keinen Bock auf Opposition, doch inzwischen sieht es so aus, als ob immer weniger Menschen Bock auf eine unionsgeführte Bundesregierung haben. Die neuen Umfrageergebnisse vom Wochenende sind aus der Sicht der CSU niederschmetternd: Nur noch 34,5 Prozent der Befragten würden in Bayern bei der Bundestagswahl die CSU wählen. [….]

(Sebastian Beck, 22.08.2021)

Auch der fromme Armin selbst wird nervöser und produziert schneller denn je Panne auf Panne, redet immer unsinniger daher.

[…..]  »Ich werde kämpfen, damit nicht die Ideologen dieses Land übernehmen«, rief Laschet zuvor in den Saal, sehr zur Freude der Anwesenden.  […..]

(Spon, 21.08.2021)

Eine hanebüchene Warnung, denn Olaf Scholz ist ganz sicher eins nicht: Der klassische linke Ideologe, vor dem man so eine Angst haben muss!

Peinlichkeit reiht sich an Peinlichkeit.

Der CDU-Mann, der bequem die antisemitische Ideologie des Kandidaten Hans-Georg Maaßen aussitzt, instrumentalisiert nun das Holocaust-Mahnmal in Berlin für Werbezwecke.

In einem Werbevideo imitiert Laschet die RTL-Reporterin Susanna Ohlen, die sich für mehr Dramatik bei der Flut-Berichterstattung mit Matsch eingerieben hatte, indem er sich bei einem Besuch einer Zeche kräftig die Bäckchen mit Ruß beschmierte.

Und nun kommt auch noch Rezo und mischt die Erstwähler auf.

Samstag, 21. August 2021

Aus und Verklärung

US-Amerikaner wissen grundsätzlich so gut wie nichts über europäische Politik.

Wenn man auch noch bedenkt, mit welcher Sorte konservativer Politiker sie es zu tun haben, versteht man wie großartig ihnen Angela Merkel erscheint.


Viel Richtiges ist nicht dabei. Merkel regierte 16 und nicht 18 Jahre als Kanzlerin. Der Quantenchemiker ist ihr Ehemann und nicht sie selbst.  Und von „skandalfrei“ kann nun wirklich keine Rede sein.

Bel Air in Kalifornien, daher stammen diese Lobhudeleien, ist weit weg. Aber auch die liberalen normalen Menschen in Deutschland lobpreisen die Kanzlerin fern jeder Realität.

80% der Deutschen sind mit Merkel zufrieden. Das deprimiert mich, weil es zeigt wie wenig Urteilsvermögen beim Urnenpöbel herrscht, andererseits gibt es mir auch Hoffnung, da diese enorme persönliche Verklärung der Kanzlerpräsidentin offensichtlich ein enormer Faktor der vergangenen CDU/CSU-Wahlerfolge war. Ein Faktor, der nun ausfällt und Armin Laschet noch dämlicher aussehen lässt.


Die Verklärung der Merkelschen Regierungsjahre ist aberwitzig.

Von Anfang an erfüllte sie einseitig die Wünsche der Großindustrie, die für die CDU spendete. Es begann mit der privaten Geburtstagssause des Deutsche Bank-Chefs Ackermann im Kanzleramt. Der Mann hatte so exklusiven Zutritt zu ihr, daß er ihren privaten Fahrstuhl benutzen durfte, um jederzeit direkt in ihr Büro zu kommen. Als die Banken sich dann in der Mega-Krise 2008/9 katastrophal verspekulierten, übernahm der deutsche Steuerzahler ihre Verluste. Unter Merkel hieß es Verluste sozialisieren, Gewinne privatisieren.

Die Christin Merkel war 16 Jahre lang die ganz große Lobbyistin der deutschen Rüstungsindustrie, nahm die Knarren-Hersteller im Regierungsjet mit, sorgte für einen Waffenexport-Rekord nach dem anderen.

Bis heute erfüllt sie den Mächtigen und Superreichen jeden Wunsch, während die wenigen „Bürgerdialoge“ ohne jede Folge blieben.

 Nach 16 Jahren Merkel ist Deutschland daher sozial gespalten wie nie. Die Reichen wurden rapide immer reicher, Millionen Menschen sind endgültig ins abgehängte Prekariat verbannt. Azubis und Ausbilder, Pflegebedürftige und Pfleger, Polizisten, Studierende, Eltern, Ehrenamtliche, Kulturschaffende, Mitarbeiter von Hilfstelefonen ließ sie dagegen demonstrativ im Regen stehen.

Merkels Wirtschafts- und Technologie-Politik beschränkte sich ebenfalls darauf, den Lobbyisten der Uralt-Technologien, die am lautesten schrien, Steuermilliarden nachzuwerfen.

Hartnäckig sorgte ihre Partei dafür, daß Abgeordnetenbestechung lange legal blieb, daß Lobbyisten vollen Zugang zu den Ministerien behalten und jedes Transparenzgesetz (bis 2021) verhindert wurde. Eine sinnvolle Klimapolitik wurde von Merkel persönlich verhindert.

Im Ergebnis verfügt Deutschland nun über die schlimmsten CO2-Schleudern Europas.

[….] Die größten Klimasünder in Europa sind weiterhin die großen Kohlekraftwerke in Deutschland - sie besetzen sieben Plätze im Top-10-Ranking:

    Platz 1: Das weltgrößte Braunkohlekraftwerk Belchatow / Polen

    (rund 38 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 2: Das Braunkohlekraftwerk Neurath / Deutschland

    (rund 30 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 3: Das Braunkohlekraftwerk Niederaußem / Deutschland

    (rund 26 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 4: Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde / Deutschland

     (rund 23 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 5: Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler / Deutschland

    (rund 17 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 6: Das Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe / Deutschland

    (rund 12 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 7: Das Braunkohlekraftwerk Lippendorf / Deutschland

    (rund 12 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 8: Das Braunkohlekraftwerk Kraftwerk Maritza-Ost II / Bulgarien

    (rund 11 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 9: Das Braunkohlekraftwerk Boxberg / Deutschland

    (rund 10 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß)

    Platz 10: Die irische Billigfluglinie Ryanair

    (rund 10 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß) [….]

(Deutschlandfunk, 03.04.2019)

Dafür verlor Deutschland während der 16 Merkel-Jahre bei nahezu jeder Zukunftstechnologie den Anschluss.

Deutschland kann weder Off Shore Windräder aufbauen (weil es kein  einziges deutsches Errichterschiff mehr gibt), noch Computer, Smartphones oder weltmarkttaugliche Elektroautos bauen. Let alone „5G“ oder künstliche Intelligenzen – Dank Merkel sind wir überall abgehängt. Deutsche Großprojekte (BER, Stuttgart21) sind internationale Lachnummern und die Bundeswehr ist ein Schrotthaufen.

Dafür haben wir das langsamste Internet Europas, das ungerechteste und altmodischste Schulsystem und verarmte Universitäten, die Spitzenforschung längst aufgegeben haben.

16 Jahre lang verantwortete Merkel den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Sie ließ sich allerdings so gut wie nie dort blicken und kümmerte sich auf internationaler Ebene kaum um das Thema. Es endet nun im Desaster; Merkels Desaster. Durch ihr Führungsversagen irrlichterten gleich zwei politische Freundinnen ohne jede Expertise als Verteidigungsministerinnen durch den Krieg am Hindukusch. Auch das ist typisch Merkel: Personalpolitik kann sie nicht. In 16 Jahren gab sie nur zwei Regierungserklärungen zu Afghanistan ab.

[….] Im August 2021 steht Merkel nun kurz vor dem Ende ihrer Kanzlerschaft und muss damit rechnen, dass die dramatischen Bilder vom Flughafen in Kabul ihren Abschied aus dem Amt schwer belasten.  [….] In den ersten Jahren ihrer Kanzlerschaft hatte das Engagement der Bundeswehr am Hindukusch für sie keine Priorität. Das Militärische war Merkel insgesamt fremd, das Verteidigungsressort in ihrem ersten Kabinett hatte sie an Franz Josef Jung vergeben, aus CDU-internen Proporzgründen. Erst zwei Jahre nach ihrer Wahl flog sie erstmals nach Kabul. 2009 verlieh sie im Wahlkampf persönlich die neu geschaffenen Tapferkeitsmedaillen an Afghanistan-Heimkehrer. [….] 2010 dann nahm sie erstmals an einer Trauerfeier für gefallene Soldaten teil. Und sie machte sich ausdrücklich den Satz des früheren SPD-Verteidigungsministers Peter Struck zu eigen, Deutschlands Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt. [….][Es] bestand in Berlin wie in Kabul die Hoffnung, viele der hoch qualifizierten Afghanen im Land halten zu können. Doch wer wirklich gefährdet sei, hieß es in der Delegation Merkels, "den holen wir raus".  Mit dem Ende der Ausbildungsmission "Resolute Support" und damit dem endgültigen Abzug auch der Bundeswehr aus Afghanistan erreichte dieses Thema im Frühsommer 2021 wieder das Kanzleramt. [….] Merkel [….] habe [….]  intern frühzeitig dafür plädiert, alsbald auf Charterflüge umzusteigen, statt die Ortskräfte selbst Linienflüge buchen zu lassen. Die Begrenzung wurde alsbald aufgehoben, was allerdings zwangsläufig zu einer höheren Zahl an Anträgen führen musste. Deshalb wäre es nur konsequent gewesen, wenn Merkel auch die vereinfachte Ausreise mit Charterflügen durchgesetzt hätte. Hat sie aber nicht. [….] Ein wichtiger Unterschied zwischen Linienflug und Charterflug liegt in der Visa-Frage. An Bord eines Linienfluges[….]  könne man nur mit einem Visum gelangen. [….]. Bei Charterflügen können die Visa-Anträge nach der Landung in Deutschland erledigt werden - von der Bundespolizei. [….]

(Niko Fried, 20.08.2021)

Selbst nach dem Fall Kabuls, als schon die Horrorszenen vom Flughafen um die Welt gingen, scherte sich die deutsche Regierungschefin nicht darum.

[….] Inzwischen hat ja sogar die Kanzlerin ihren Instinkt verloren. Am vergangenen Montag haben Bundeswehrsoldaten unter Einsatz ihres Lebens begonnen, Menschen aus Kabul zu retten, die von Merkels Regierung durch skandalöse Nachlässigkeit in Lebensgefahr gebracht worden waren. Und an jenem Montagabend ist Merkel einfach ins Kino gegangen. Das war kein Glanzlicht ihrer Kanzlerschaft. Auf Seiten der Unionsparteien ist eine gefährliche Lage entstanden.  […]

(Robert Rossmann, 21.08.2021)

Hauptverantwortlicher für das deutsche Afghanistandesaster ist der unter der Aufsicht des Kanzleramts stehende BND.

Was für ein Totalschaden der angeblich so erfahrenen Kanzlerin!

Die Geheimdienste werden in ihrem Kanzleramt koordiniert. Zuständig sind ihr Kanzleramtsminister Braun (CDU) und sein Staatssekretär Geismann (CDU).

[….] Das Bundeskanzleramt ist für die Angelegenheiten des Bundesnachrichtendienstes (BND)  zuständig. Der BND ist dem ChefBK unterstellt. Sein Vertreter ist Staatssekretär Johannes Geismann. Dieser nimmt gleichzeitig die Aufgabe des Beauftragten der Bundesregierung für die Nachrichtendienste wahr.  In dieser Funktion koordiniert und intensiviert Staatssekretär Geismann die Zusammenarbeit der drei Nachrichtendienste des Bundes untereinander und ihre ressortübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Dienststellen.  Die Nachrichtendienste sind verschiedenen Ressorts zugeordnet. Der Bundesnachrichtendienst ist dem Bundeskanzleramt zugeordnet, das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Bundesministerium des Innern und der Militärische Abschirmdienst dem Bundesministerium der Verteidigung. [….]

(Bundesregierung)

BND und MAD waren aber entweder selbst total ahnungslos oder ihre Bedenken fanden keinen Anklang bei Braun und Merkel.

In den 16 Jahren Merkel vervielfachten sich die rechtsextremistischen Anschläge, wuchs der Antisemitismus, etablierte sich eine faschistische Partei in Deutschland. Es verfestigten sich die rechtsextremen Strukturen. Rechtsradikale Terroristen morden ungestört. In den ostdeutschen Bundesländern gibt es NO-GO-Areas, in die sich Menschen mit dunkler Hautfarbe, Schwule, "alternativ Gekleidete" oder als Juden erkennbare Bürger nicht hinwagen dürfen. Merkel zeigte nie das geringste Interesse dagegen vorzugehen.

Merkels einziger Draht zu Wladimir Putin war ihr hartnäckiger Kampf gegen die Ehe für Alle, aber ansonsten liegt die Russland-Politik in Trümmern. Sie verspielte den enormen Einfluss, den Deutschland unter der Schröder-Fischer-Regierung in Moskau hatte, komplett. Nach einigen Bemühungen den Draht zu Berlin aufrecht zu erhalten, wandte sich der russische Präsident ab und ignoriert die Kanzlerin. Es ist auch Merkels Totalversagen.

[….] Es war eine bittere Bilanz, die Angela Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch in Moskau zog. In 16 Jahren als Kanzlerin sei sie 16 Mal in Moskau gewesen, sagte sie. In dieser Zeit hätten sich die politischen Systeme Deutschlands und Russlands "noch weiter" auseinander bewegt. Und Autokrat Wladimir Putin? Der spottete während der gemeinsamen Pressekonferenz wie zum Beweis über westliche Demokraten. [….]

(Silke Bigalke, 20.08-2021)

Es passt ins Bild, denn Merkels außenpolitische Bilanz kann man nicht anders als katastrophal bezeichnen.

(….) Am schlimmsten sieht es aber international aus – nach 16 Jahren als „Führerin Europas“ liegt die EU in Scherben; die Strukturen sind überaltert, GB ist ausgetreten, global spielt die EU kaum noch eine Rolle, Osteuropas Potentaten tanzen Brüssel nach Belieben auf der Nase herum, weil Merkels Abgesandte, Kommissionspräsidentin von der Leyen, bei ihrer Wahl auf die ungarischen und polnischen Stimmen setzte und sich nun nicht traut zu widersprechen, wenn dort LGBTIs gejagt, Pressefreiheit abgeschafft und Justiz gleichgeschaltet wird.

Nach sieben Jahren Schröder erlebte die EU 2005 eine Blütezeit. Frankreich und Deutschland arbeiteten so eng zusammen, daß die Regierungschefs wechselseitig auch das andere Land vertraten. Es gab enge Konsultationen mit Warschau und Moskau, die Politik im Nahen Osten gegenüber der USA war straff abgestimmt und effektiv. Merkel hat all das in 16 Jahren kaputt gemacht. Man misstraut Deutschland in der EU, zieht nicht mehr an einem Strang, die Russland-Politik ist ein Trümmerfeld.

Merkels 80%-Zufriedenheitswerte sind nur mit der Generalverblödung des Volks zu erklären. (….)

(Aufwachen, RRG, 10.08.2021)


Eine „europäische Verteilung“ der afghanischen Flüchtlinge ist unmöglich, da Merkels Kanzlerschaft, insbesondere das antieuropäische Wüten ihres langjährigen Finanzministers Schäuble, die gehässigen Sprüche ihres Fraktionschefs Kauder („in Brüssel wird wieder deutsch gesprochen“) und ihre eigene Untätigkeit jedes Vertrauen ruiniert haben.

Alles ist relativ. Verglichen zur AfD ist Merkel liberal. Verglichen zu Johnson, Erdoğan, Orbán, Bolsonaro ist Angela Merkel selbstverständlich ein Ausbund der Kompetenz und Bescheidenheit.

Trump und seine GOP-Pfeifen als Vergleich heranzuziehen, machen keinen Sinn. In Relation zu ihnen wären auch Kader Loth und Lothar Matthäus geniale Politiker.

Aber absolut betrachtet, oder in Relation zu den drei sozialdemokratischen Bundeskanzlern, ist Merkel eine außerordentlich schlechte Regentin, die besser heute als morgen in Rente ginge.

Freitag, 20. August 2021

Unvorstellbare Realität

Eine Entwicklung, die wir seit 2015 mit dem Einzug des Trumpismus, aus den USA kennen, schwappt immer mehr über nach Deutschland.

Die reale Welt dehnt sich in die satirische Sphäre aus.

Es gibt inzwischen so große Schnittmengen, daß Meldungen aus Satireportalen absolut glaubwürdig wirken. Die realen Politiker Trump und Johnson scheinen sich einen regelrechten Überbietungswettbewerb zu liefern, wer noch irrer als Satire sein kann.

Nach der Wahlnacht der Supermacht USA, lädt der Anwalt des mächtigsten Mannes der Welt die internationale Presse in den Hinterhof eines Krematoriums, um vor einem Sexshop Märchen zu erzählen.

Dabei furzt er vernehmlich und ihm läuft schwarze Schuhcreme aus den Haaren über das Gesicht.  Wäre so eine Parodie in einer zweitklassigen Sketchshow gelaufen, hielte man es für drastisch übertrieben und geschmacklos.

Fassungslosigkeit auch im deutschen Wahlkampf.

Der betuliche Chef und Spitzenkandidat der konservativen CDU steht inmitten einer Jahrhundertflut in seinem Bundesland mit 180 Todesopfern in einer Trümmerszenerie und läßt sich feixend mit ausgetreckter Zunge filmen.

Das kann man sich nicht ausdenken.

Armin Laschet, die Inkarnation der peinlichen Pannen, ist inzwischen berüchtigt dafür, keinen Auftritt ohne Blamage hinzulegen. Wenn er doch einmal einen Termin ohne Desaster hinter sich bringt, aber frisierte Pressemeldungen dazu auftauchen, halte ich sie zunächst einmal für wahr.

Einige der lustigsten Satire-Nachrichten über den CDU-Wahlkampf stammen vom POSTILLON.

[…..] Um CDU zu schwächen: Politische Gegner hängen Laschet-Plakate auf!  […..]. In den letzten Wochen vor der Bundestagswahl greifen die Konkurrenzparteien der Union nun zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Linke, Grüne, FDP, Sozialdemokraten und andere plakatieren keine Werbung für sich, sondern setzen auf CDU-Plakate mit dem Konterfei Armin Laschets.  "Klimagleichgültigkeit, Arbeitnehmerfeindlichkeit und Korruption sind alles Dinge, die man gegen die Christdemokraten ins Feld führen kann", sagt etwa die Linken-Wahlkämpferin Jasmin Steinmetz, während sie ein Laschet-Plakat über ein Plakat ihrer eigenen Partei klebt. "Aber am Ende - das merken wir in vielen Gesprächen - ist Armin Laschet doch das beste Argument gegen die CDU." [….]

(dpo, 16.08.2021)

[…..] Hier kann nichts schiefgehen: Damit er die Umfragewerte der Union durch unbedachte Äußerungen, peinliche Behauptungen, unangebrachte Lacher und andere Pannen nicht noch weiter nach unten zieht, hat die CDU ihren Spitzenkandidaten Armin Laschet heute zu einem "Wahlkampftermin" auf einen einsamen Acker in Brandenburg geschickt. […..] Auch den Rest der Woche haben die Strategen der CDU mit neuen Terminen vollgepackt. Morgen geht der Wahlkampf mit einem Meet and Greet auf einer Sandbank in der Ostsee weiter, bevor übermorgen ein Auftritt in einem dichten Fichtenwald im Harz ansteht.  [….]

(dpo, 19.08.2021)

Satire funktioniert nicht, wenn die ironisch überhöhten Geschichten keinen wahren Kern haben.  Der CDU/CSU-Kanzlerkandidat wird inzwischen aber allgemein für so peinlich gehalten, daß jeder diese Witze versteht. Inzwischen sind es aber keine Witze mehr, sondern die bittere Realität der engagiertesten CDU-Mitglieder und Wahlkämpfer.

 [….] Der Unmut in der CDU über die Lage der Partei sowie die mangelnde Beliebtheit von Kanzlerkandidat Armin Laschet schlägt sich nach SPIEGEL-Informationen zunehmend auch in internen Chats nieder.  In einer WhatsApp-Gruppe mit dem Titel »Team CDU« von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Parteizentrale, Bundestagsabgeordneten und Mitgliedern vor Ort beklagte sich diese Woche ein Wahlkämpfer über die Situation.  Das Hauptproblem sei inzwischen, den Kanzlerkandidaten »schmackhaft« zu machen. »Wir wussten nicht, wo wir die Laschet-Plakate hinhängen sollen, sodass wir den wenigsten Schaden machen«, schrieb er. »Am Ende hängt man sie dort auf, wo uns im Zweifel eh nur wenige Leute wählen.«  An Wahlkampfständen sei Laschet das Hauptthema. Mehrere Gruppenmitglieder reagierten mit »vollster Zustimmung« und »Daumen hoch«-Emoticon. [….] Ein Gruppenmitglied beschrieb die derzeitige Kommunikationsstrategie als »Wahlkampf from hell«. [….]

(SPON, 20.08.2021)

Zur Geschichte der Rochade von Realität und Satire gehört in diesem Wahlkampf auch die Kanzlerambition des Olaf Scholz.

Der bereits vor einem guten Jahr, am 10. August 2020, von den Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, sowie dem Parteivorstand der SPD als Kanzlerkandidat 2021 nominierte Scholz, verkündet seither auf seine ruhige und sachliche Art, er wolle Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden und die SPD solle die nächste Bundesregierung anführen.

Kaum ein in der Realität angesiedelter Journalist nahm das ernst. Man spottete über den Realitätsverlust der SPD. Satiresendungen blendeten zu den Scholz-Ambitionen Hintergrundgelächter ein.

Fünf Wochen vor dem Wahltermin ist ein Bundeskanzler Olaf Scholz aber alles andere als ein Witz, sondern sehr realistische Option. Kräftige Schützenhilfe bekommt die SPD dabei nicht nur vom debakulierenden CDU-Chef, sondern auch der völlig überforderten grünen Kanzlerkandidatin. Baerbock führte ihre Partei in den freien Fall – von 28% in den Umfragen vor vier Monaten auf nun 17%.

[….] Plötzlich ist denkbar, was Olaf Scholz und die SPD schon seit Monaten behaupten: Die Chance aufs Kanzleramt ist real. [….] Scholz tourt an diesem Tag durch Brandenburg. [….] Etwa im Rüdersdorfer Zementwerk, östlich von Berlin. [….] Neben Scholz steht der örtliche Landrat, ebenfalls SPD. Ihm ist anzumerken, dass er schon nach wenigen Sätzen gedanklich woanders ist. Er schneidet Grimassen, löffelt Suppe, tigert ein bisschen herum. Auch viele der anwesenden Journalisten sind längst ausgestiegen.  Der Einzige, dem man noch abnimmt, dass er konzentriert zuhört, ist Scholz. Er steht regungslos da und folgt geduldig den Ausführungen zur Dekarbonisierung. Ab und zu zwinkert er. Mal deutet er ein Lächeln an, mal ein Nicken. Danach stellt er ein oder zwei Fragen, auch während der anderen Termine hält er sich eher zurück. Auf Co-Referate verzichtet er meist. Hinterher danken ihm die Leute für sein Interesse. Es klingt aufrichtig. [….] Kein Wunder, dass vielen, denen Scholz an diesem Tag begegnet, als Erstes ein Attribut einfällt, um ihn zu beschreiben. "Ruhig." Und sie alle meinen das anerkennend.  [….] Scholz ist inzwischen fast dreimal so beliebt wie seine Rivalen von CDU und Grünen, Armin Laschet und Annalena Baerbock. Ihn würden 41 Prozent der Deutschen direkt zum Kanzler wählen, Laschet bloß 16, Baerbock zwölf. [….]

(DIE ZEIT, 20.08.2021)

Donnerstag, 19. August 2021

Schwarze Abwärtsspirale

Zunächst einmal ein Mea Culpa. In den letzten Tagen, gab es in der Flut der Laschet-Pannen, zwei Peinlichkeiten, von denen ich auch erzählte, die aber offensichtlich in der Zwitscher-Szene sinnentstellend verbreitet wurden.

Als Laschet sich mit Elon Musk traf, fragte er ihn nicht nach Wasserstoff-betriebenen Teslas, so wie ich es auch transportierte. Er wurde nicht von Musk ausgelacht für seine Doofheit. Die Süddeutsche Zeitung berichtet heute von einem anderen Hergang der Story.

[…..] Die wenigen Zeugen, die dabei waren, haben die Szene allerdings ganz anders wahrgenommen. Erstens hat Laschet die Frage nach der Zukunft des Autos gar nicht selbst gestellt, sondern für einen deutschen Journalisten ins Englische übersetzt. Zweitens hat Musk - sicher ein Unternehmergenie, aber schon auch schwer verhaltensauffällig - schlichtweg bei jeder Frage wie ein Pausenclown gelacht.  [….]

(SZ, 19.08.2021)

Laschet plapperte zwar in der Tat eifrig das dümmliche Alice-Weidel-Sprech von 2015, das sich nicht wiederholen dürfe, nach. Aber er schloss nicht ganz so drastisch die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge in Deutschland aus, wie es zuerst berichtet und auch von mir nacherzählt wurde.

[…..] Wegen einer falschen Meldung des WDR auf Twitter ("Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet möchte keine Flüchtlinge aus Afghanistan in Deutschland aufnehmen") geht Laschet im Auge eines Shitstorms schlafen. [….]

(SZ, 19.08.2021)

Die Union insgesamt zeigt sich aber von ihrer abscheulichsten menschenfeindlichen Seite. Sie ist nicht von der AfD zu unterscheiden.

[….] CSU-Politiker wenden sich gegen Aufnahme afghanischer Geflüchteter in Deutschland.  Während sich die Situation nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan weiter zuspitzt, ist sich die Union einig: Schutzsuchende sollen nicht nach Deutschland kommen. [….]

(SPON, 19.08.2021)

Nun liegt mir nichts ferner, als einen sehr religiösen CDU-Kandidaten in besserem Licht darzustellen, aber möglicherweise falsche Informationen will ich auch nicht stehen lassen. Es gibt schließlich 1.000 wahre Gründe, die es verbieten Laschet zum Bundeskanzler zu machen.

Die online kursierenden vielen Lascheseleien zeigen aber, daß die CDU nach sehr langer Zeit, nicht mehr als die Seriensiegerin angesehen wird, der man kleine Affären verzeiht.

Der Unionskandidat schmeckt vielmehr ein bißchen von dem was Schulz und Steinbrück und Schröder kontinuierlich erlebten: Eine sprungbereite Presse, die sich auch jeden noch so kleinen Fehler stürzt und ihn sofort mit einigen Übertreibungen angereichert weiterverbreitet.  Einem Kandidaten, der wie der sichere Sieger aussieht passiert das nicht.
Auf der anderen Seite werden die hämischen und herablassenden Bemerkungen über Olaf Scholz‘ Kanzlerambitionen leiser, weil es nun nicht mehr nur er selbst ist, der daran glaubt.

Vier Jahre lang waren die Umfragen der SPD deutlich unter dem Schulz-Negativrekord von 20,5% angesiedelt. Nichts und niemand schien das ändern zu können. Die Gründe dafür waren neben der Un-Professionalität des Willy-Brandt-Hauses und der nahezu einheitlich feindlichen Presse, die unrühmliche Rolle als verzwergter Juniorpartner und die fehlende Machtperspektive.

Wieso eine Partei wählen, die so schwach ist, daß sie ihr Programm ohnehin nicht umsetzen können wird; die ihren Mann ohnehin nicht ins Kanzleramt schickt? Mit „Deine Stimme wird wahrscheinlich eh nichts bringen“ kann man phlegmatische und unentschlossene Wähler kaum motivieren. Warum die hinten, auf Platz drei liegende Loser-Partei wählen, wenn sich Grüne und CDU um die Führung streiten?

Olaf Scholz gelang es, entgegen aller Unkenrufe, freilich mit freundlicher Mithilfe des Konrad-Adenauer-Hauses und des Baerbock-Beraterteams, die Bundestagswahl wieder offen zu gestalten.

Grüne, SPD und CDU/CSU liegen nun in etwa gleichauf.  Aber nur der Sozi-Trend zeigt nach oben. Die Grünen scheinen bereits überholt.

Emnid, Allensbach, Forsa und Insa sehen die SPD deutlich vor den Grünen

Die Trends lassen sich nicht mehr verheimlichen; der CSU-Chef spricht intern Klartext.

[….] Wie die SZ aus Teilnehmerkreisen erfuhr, sagte Söder, der Trend in den Umfragen sei "dramatisch", es sei unklar, wie es weitergehe. [….]  Dass es wenige Wochen vor der Bundestagswahl sogar schwelende Debatten über den möglichen Austausch des Kanzlerkandidaten Armin Laschet gebe, "zeigt, wie schwer die Lage ist", sagte Bayerns Ministerpräsident Teilnehmern zufolge. [….] Anlass der Äußerungen war eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage des Instituts Kantar, der zufolge die Union bei 22 Prozent liegt, nur einen Prozentpunkt vor der SPD mit 21 Prozent (Grüne 19 Prozent, FDP 12 Prozent, AfD 11 Prozent, Linke 7 Prozent). Alle Umfragen, so Söder "haben den gleichen Trend nach unten".  […..]

(Johann Osel, 20.08.2021)

Wer die SPD wählt, könnte die entscheidende Stimme für einen Politikwechsel und die Verbannung der Unions-Flitzpiepen Klöckner, Karliczek, Scheuer, Spahn, Altmaier, Liminski und Laschet aus der Regierung bedeuten.

Zu den Grünen zu wechseln ist hingegen strategisch sehr unklug. Ihr Ergebnis von 2017 werden sie ohnehin verdoppeln und sie werden ohnehin in die Regierung kommen.

Sollten sie aber vor der SPD liegen, fällt die Regierungsoption Ampel aus, weil die FDP garantiert nicht Baerbock zur Kanzlerin wählt.
Dann blieben nur Jamaika und Schwarzgrün; Laschet wäre nächster Kanzler.

Auch RotRotGrün als GRR-Version entfiele wegen der enormen Animositäten zwischen Linken und den bürgerlichen Grünen. Die Linken werden ebenfalls keine Grüne zur Kanzlerin machen.
Die Union können wir nur mit einer SPD-geführten Ampel loswerden. Es sei denn, daß die SPD in den nächsten Wochen noch derartig stark wird, daß es zu Rotgrün reicht, aber dafür fehlt noch einiges.

Jeder, der kein religiotisches von unten nach oben Umverteilen mit Kanzler Laschet will, ist also dringend aufgefordert SPD zu wählen.

Diese taktischen Überlegungen leuchten immer mehr Menschen ein und daher wird die gesamte CDUCSU zunehmend nervös.

Eine in Umfragen wegrutschende Union wird noch weniger gewählt, weil keiner auf den Verlierer setzen will, insbesondere, wenn die Machtoptionen so begrenzt sind. Wenn schon Merkel 2017 mit einer 33%-CDU und 8%-Grünen kein Jamaika mit Lindner schmieden konnte, weil ihm das alles zu links und ökologisch wurde; wie soll das mit einer 20%-Laschet-CDU und 20%-Baerbock-Grünen funktionieren?

Ein Kreuz bei der CDU wirkt mehr und mehr wie eine weggeworfene Stimme.

Als großer Fehlstratege erweist sich a posteriori Söders Versuch aus dem April 2021 selbst Kanzlerkandidat zu werden. Bei Bundestagswahlen ist die Union traditionell schwach in Nordost-Deutschland.  Die Masse der Stimmen werden in Süddeutschland, insbesondere Bayern geholt. Das wird nun die Achillesferse des Armin Laschet, denn welcher konservative Bayer setzt schon gern auf einen Verlierer, den ihr Chef-Bayer Söder auch für ungeeignet hält?

[….] Söder steckt in der Klemme. Er hat in der Union gegen Laschet den Kürzeren gezogen, nun tritt ein, was er damals befürchtet hat: Der Kandidat zieht nicht, im Gegenteil, CDU/CSU brechen in den Umfragen zur Bundestagswahl ein. Und auch die Werte im eigenen Land sind für dortige Verhältnisse miserabel, der Negativtrend hat auch die CSU gepackt. Sollte Markus Söder darauf spekuliert haben, dass die Wählerschaft ihn als möglichen Retter der Gesamtpartei schonen und belohnen werde, dann ist die Rechnung nicht aufgegangen. Stattdessen profitieren von Laschets Sinkflug im Freistaat andere, wie die sonst unterhalb der allgemeinen Wahrnehmungsschwelle agierende FDP.  [….]

(Joachim Käppner, SZ, 20.08.2021)

Konservative Bayern, die keinen Sozi im Kanzleramt wollen, wählen nun FDP.

Ich ergebe mich unterdessen, einem für mich völlig ungewohntem Gefühl: Hoffnung! Sollte die SPD mit 21-25% stärkste Partei werden, die CDU knapp dahinter demoralisiert aus der Regierung geschubst werden und die Grünen hätten sich auf 18-10% seit 2017 mehr als verdoppelt, wäre Olaf Scholz in der außerordentlich komfortablen Lage, sich zwischen RRG und Ampel entscheiden zu dürfen. Er könnte in den Verhandlungen die 10-12%-FDP und die 7-9%-Linken gegeneinander ausspielen und wäre beim Koalitionsvertrag nicht erpressbar.

Es wäre so schön, die xenophoben Maskendeal-Unioniker auf der Oppositionsbank zu sehen.

Mittwoch, 18. August 2021

Das Elend des Katholizismus.

Wer wie der Regisseur Ulrich Seidl (*1952 in Wien) in einer extrem religiösen Familie aufwächst, wird als Erwachsener entweder mindestens genauso religiös oder wendet sich radikal ab. Ein psychischer Schaden ist in beiden Fällen wahrscheinlich.   Seidl gehört zu letzterer Kategorie, entwickelte eine große Faszination für Abartiges und Abseitiges.

 Als Produzent wagte er sich sogar an die Verfilmung von Heinz Sobotas „Minus-Mann“. Der 1978 erschienene hyperrealistische SM-Gewaltporno, den ich als Teenager las, war über fast zwei Jahrzehnte hinweg (bis ich das #Neuland entdeckte) das Brutalste und Perverseste, das ich für möglich hielt. Kaum ein Buch hat mich je so verstört. Für Seidl ein idealer Filmstoff.

Seidl ist aber der Mann für die absoluten menschlichen Abgründe und Monstrositäten.

[….] SZ: In Ihrem neuen dokumentarischen Film Im Keller gibt es zwar auch fiktionale Elemente, aber Sie zeigen darin ein Sadomaso-Paar, das es wirklich gibt. Die Frau hängt dem Mann zum Beispiel schwere Gewichte an die Hoden, er muss auf allen vieren durch die gemeinsame Wohnung kriechen und die Toilette mit seiner Zunge putzen. Die Frau erklärt dem Zuschauer, wie glücklich und liebevoll diese Beziehung ist. Ist das auch klassische Liebe? Greift dieses Wort?

Seidl: Es war für mich auch etwas fremd, dieses Pärchen kennenzulernen. Bevor ich drehe, habe ich die Menschen ja schon wirklich oft besucht, da ist ein Vertrauen entstanden. Aber ja, das ist natürlich auch eine Liebesgeschichte. Die zwei sind mit diesem Leben, mit diesem Programm, das sie da haben, zufrieden. Wir sind geneigt, die beiden aus dem Blickwinkel unserer Normalität heraus zu betrachten, deshalb finden wir sie abstrus oder pervers. Aber das ist wirklich nur eine Frage des Standpunktes.

SZ: In Ihrem Spielfilm Paradies: Liebe geht eine 50-jährige österreichische Frau als Sextouristin nach Kenia. Sie will von den jungen Beach Boys dort aber nicht nur Sex, sondern auch etwas, was sie von österreichischen Männern nicht bekommt: Respekt, Zärtlichkeit, Liebe.

Seidl: Viele Zuschauer hatten da sofort den Eindruck: Das ist ja Ausbeutung. Und zwar in beide Richtungen: Die einen meinten, die Afrikaner beuten die verzweifelten Europäerinnen aus, bringen sie um ihr Geld, die anderen meinten, die Frauen beuten die Beach Boys aus, weil die sich prostituieren. Aber am Ende ist das eine Beziehung, die für beide funktioniert. Die Frau bekommt etwas, was sie sich ersehnt. Der Mann auch. Es ist ein Geschäft. Und ganz ehrlich, auch bei uns ist eine Partnerschaft oft ein Geschäft. Da wird vielleicht nicht in Geld bezahlt, aber es heißt: Wenn du dieses oder jenes nicht machst, dann geht es nicht weiter mit uns. Das sind ja auch Deals. [….]

(SZ-Magazin, 16.02.2015)

Als jemand, der niemals in Kino geht und niemals streamt, sehe ich solche Filme üblicherweise nicht.  Vor drei Tagen, passend am heiligen Sonntag-Abend, lief „Paradies: Liebe“ von 2012, der erste Teil der Seidlschen Paradies-Trilogie, im Free-TV, der ARD.

In der Mediathek abrufbar nur ab 22.00 Uhr und wenn man älter ist als 16 Jahre.  Meines Erachtens wäre auch FSK 18, oder besser noch FSK 21, angemessen. Aber solche Jungend-Beschränkungen sind im Internet- und Smartphone-Zeitalter eher lächerlich.

Ich bin natürlich abgebrühter als vor 35 Jahren bei der Minus-Mann-Lektüre, aber der Film schockierte mich durch seine drastischen Nacktdarstellungen und die Obszönität der vier dargestellten Frauen. Ich gestehe, ziemlich viel die Fast-Forward-Funktion meines Gerätes verwendet zu haben.

Weshalb ich mich überhaupt bis zum Ende des österreichischen Schockers durchquälte? Nun, der Film ist faszinierend nüchtern produziert und behandelt mit den profanen Urlaubstagen einer 50-Jährigen Sextouristin in Kenia, ein Thema, das ich noch nicht aus der Kunstwelt kenne.

Anschließend fragte ich mich selbst, was mich eigentlich so dermaßen schockiert hat? Ob man will oder nicht; im Internetzeitalter hat doch jeder schon entblößte männliche und weibliche Körper gesehen. Seidl zeigt zudem weder Großaufnahmen von Geschlechtsorganen, noch den Akt selbst. Jede zweite Filmproduktion, beginnend mit den Vorabendserien, zeigt doch heute Sexszenen, so daß man den Anblick von Nippeln und Penissen eigentlich gewöhnt sein wollte.

In „Paradies: Liebe“ sind aber die Körper nicht geschönt oder weichgezeichnet, sondern hyperrealistisch dargestellt. Für den Zuschauer ist das ungewohnt, da in der medialen Phantasiewelt alle Menschen Traumfiguren, ebenmäßige Haut und ewige Jugendlichkeit haben.

Es entspricht nicht den Mainstreamgewohnheiten, ältere Frauen mit Übergewicht und offensichtlichen „Problemzonen“ zu betrachten, die sich gar nicht deswegen schämen, sondern es genießen als vergleichsweise reiche und vor allem weiße Wesen von Sexarbeitern umworben zu werden.

Der nächste perplexe Punkt ist die Rollenumkehr der Geschlechter. Die Frau bezahlt, die Frau bestimmt, gibt Anweisungen, lässt sich gezielt „aufgeilen“, dirigiert die viel jüngeren Männer, behandelt sie als Sexobjekte.

Ich war schockiert über mich selbst. Der umgekehrte Fall entspricht den üblichen Sehgewohnheiten, daß nämlich reiche fette mächtige Männer mit Prostituierten  umgehen, oder aber anderen jungen Frauen, die sie dennoch als Sexobjekte behandeln.

Das hat man in unzähligen Varianten schon in Filmen und Serien gesehen.

Sollte es da mal vorkommen, daß eine Frau den Mann verführt, ist es eine sehr mächtige, besonders attraktive Vamp-Frau.

Aber ganz normale +50er aus Durchschnittsjobs mit Adipositas und Hängebusen?

In Hollywood ist vermutlich gar nicht bekannt, daß Frauen über 30, die nicht wie Supermodels aussehen, überhaupt Sex haben können und das womöglich sogar wollen.

Eine weitere Schock-Perspektive des Films entsteht dadurch, daß der zum Sexobjekt Degradierte nicht nur ein Mann ist, sondern auch noch ein Schwarzer.

Da kommen unangenehme Anklänge an die Sklaverei-Vergangenheit und die widerlichen Nazi-Klischees über sexuell hyperaktive Afrikaner zu Vorscheinen.

Lukas-Evangelium, Kapitel 17:

Das Gleichnis vom unnützen Sklaven 7 Wenn einer von euch einen Sklaven hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Nimm gleich Platz zum Essen? 8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und bediene mich; wenn ich gegessen und getrunken habe, kannst auch du essen und trinken. 9 Bedankt er sich etwa bei dem Sklaven, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde? 10 So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.

Fürstin Glorias „der Afrikaner schnackselt gern“ oder der deutsche Diplomat, der während Kohls Kanzlerschaft zum Thema Überbevölkerung in einem schwarzen Land erklärte „die Frau will immer, der Mann kann immer“.

[…..] Botschafter in Haiti, Günther […..]  Dahlhoff hatte beim Besuch einer Bundestagsdelegation im November in dem Karibikstaat nach Angaben von Abgeordneten in einem Hintergrundgespräch unter anderem gesagt, das angebliche Überbevölkerungsproblem Haitis liege darin begründet, daß „die haitianische Frau immer will und der haitianische Mann immer kann“.  [….]

(taz, 24.01.1996)

Auch wer ganz bewußt nicht nach Wokistan umgezogen ist, dürfte so sensibilisiert sein, sich unbehaglich dabei zu fühlen, wenn kenianische Männer als Sexmaschinen angesehen werden oder wie Zirkustiere Kunststückchen vorführen müssen.

Der Brief an die Epheser, Kapitel 6, erklärt:

5 Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren mit Furcht und Zittern und mit aufrichtigem Herzen, als wäre es Christus. 6 Arbeitet nicht nur, um euch bei den Menschen einzuschmeicheln und ihnen zu gefallen, sondern erfüllt als Sklaven Christi von Herzen den Willen Gottes! 7 Dient freudig, als dientet ihr dem Herrn und nicht den Menschen. 8 Denn ihr wisst, dass jeder, der etwas Gutes tut, es vom Herrn zurückerhalten wird, ob er ein Sklave ist oder ein freier Mann. 9 Ihr Herren, handelt in gleicher Weise gegen eure Sklaven! Droht ihnen nicht! Denn ihr wisst, dass ihr im Himmel einen gemeinsamen Herrn habt. Bei ihm gibt es kein Ansehen der Person.

Der Brief an die Kolosser, Kapitel 3, verlangt:

22 Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren in allem! Arbeitet nicht nur, um euch bei den Menschen einzuschmeicheln und ihnen zu gefallen, sondern fürchtet den Herrn mit aufrichtigem Herzen! 23 Tut eure Arbeit gern, als wäre sie für den Herrn und nicht für Menschen;

Ich hänge keinen spießigen oder religiösen Moralvorstellungen an. Freiwillige Prostitution unter Erwachsenen verurteile ich nicht.

Sollte man es da nicht als glücklichen Zufall betrachten, wenn alternde europäische Frauen, die sich in Deutschland gar keinen Luxus-Callboy leisten können, im Senegal, in Kenia, Gambia oder auf Jamaika so viele genital üppig ausgestattete hübsche Männer leisten können, die aus einer Kultur kommen, in der praktischerweise „blond, hellhäutig und dick“ als Schönheitsideale gelten?

Frau hat den Urlaub ihres Lebens, Mann hat Spaß und verdient dabei auch noch seinen Lebensunterhalt. Ich nehme an, daß viele weibliche Prostituierte nicht das Glück haben, mit lauter reichen Freiern zu tun zu haben, die sie selbst zufällig sehr attraktiv finden.

Aber der Woke-Virus hat eben auch mich insofern erfasst, als ich angesichts der europäischen Geschichte als Sklavenhändler, die afrikanische Männer nur nach ihren körperlichen Gegebenheiten bewerteten, ihnen wie beim Vieh in den Mund glotzten, erhebliches Unwohlsein verspüre, wenn schwarze Sexboys von notgeilen Europäerinnen begutachtet werden.

Gefälligst gehorchen sollen die Sklaven, steht auch im

Brief an Titus, Kapitel 2:

9 Die Sklaven sollen ihren Herren gehorchen, ihnen in allem gefällig sein, nicht widersprechen, 10 nichts veruntreuen; sie sollen zuverlässig und treu sein, damit sie in allem der Lehre Gottes, unseres Retters, Ehre machen.

Der erste Brief des Petrus, Kapitel 2

Die Sklaven in der Nachfolge Christi 18 Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Ehrfurcht euren Herren unter, nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den launenhaften.

Christinnen sollten sich schon etwas mehr für ihre Geschichte schämen.

[….] Auf die unrühmliche Geschichte der Kirche im Blick auf Rassismus und Sklaverei hat der Kirchenhistoriker Pius Adiele hingewiesen. Im Interview mit dem „Tiroler Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) legte er dar, dass Rassismus über viele Jahrhunderte dem Christentum immanent war, Päpste Sklaverei legitimierten und Missionare selbst Sklaven „besaßen“.

[….] Durch die Bulle „Dum diversas“ aus dem Jahr 1452 habe Papst Nikolaus V. dem portugiesischen König die Erlaubnis erteilt, die Länder der Ungläubigen zu erobern und zu unterwerfen und die darin lebenden Personen in ewige Sklaverei zu führen. Zwei Jahre später wurde dies nochmals bekräftigt in der Bulle „Romanus Pontifex“ von 1454.

[….] Auch die Missionare hätten sich an der Versklavung beteiligt, so der Kirchenhistoriker. „Der Jesuitenorden, der zum Beispiel in Brasilien oder auch in Maryland in Amerika tätig war, hatte sogar ein Sklavenschiff“, berichtete Adiele. Jesuiten hätten Sklaven auf ihren Plantagen eingesetzt.

„Bis 1838 hatten sie immer noch Sklaven“, erklärt der Historiker. Als sich abzeichnete, dass der Papst die Versklavung von Afrikanern anprangert, hätten die Missionare „ihre letzten Sklaven nicht etwa befreit, sondern in die Südstaaten verkauft.“ [….] Kein Papst bis Gregor XVI. im Jahre 1839 habe je ein Wort der Verteidigung der Afrikaner verloren, stellte Adiele fest: „Wir waren von dieser Verteidigung ausgeschlossen. Erst Johannes Paul II. hat sich 1992 auf einer Reise nach Afrika geäußert und dies als Übel angeprangert. In der großen Vergebungsbitte zum Millennium sind wir allerdings auch nicht erwähnt.“ [….]

(ORF, 16.08.2021)

Sind Sklaverei-Assoziationen angemessen, wenn es um freiwillige Sexarbeit kenianischer Männer geht?

Aber wo endet Freiwilligkeit, wenn der freiwillige Dienstleister so bitterarm ist, daß er auf Hurenlohn angewiesen ist, um zu überleben?

Dienstag, 17. August 2021

Schuldzuweisungen

Wie es jetzt wohl in den Social-Media-Blasen der AfDler, Werteunionisten und Aluhüte angesichts des NATO-Megadesasters in Afghanistan aussieht?

Die schaffen sich vermutlich ihre eigene irreale Realität, erquicken sich an dem Elend anderer.

In meiner deutschamerikanisch, linksgrün-demokratisch-versifften Internetblase ist das Meinungsbild extrem einheitlich. Alle sind stinksauer auf das Versagen der Bundesregierung und des Westens, beschimpfen Joe Biden und Heiko Maas, sowie die afghanische Armee. Die Bilder sind entsetzlich.

Der Groll ist berechtigt.  Maas hatte noch im Juni erklärt, er rechne nicht mit einem schnellen Durchmaß der Taliban nach Kabul. Die NATO-Führung, die USA, Berlin, Paris, London – niemand hatte das derart schnell kommen sehen und so grollte Biden gestern auch, US-Soldaten kämpften nicht für ein Volk, das selbst zu feige sei zu kämpfen.

Ich halte diese Überraschung der zuständigen Regierungen sogar für glaubwürdig. Wieso hätte Maas solche Prognosen abgeben sollen, wenn er damit gerechnet hätte, so schnell von der Realität widerlegt zu werden?    Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß sich allesamt grundlegend irrten.

Dieses totale Regierungsversagen des Westens ist umso erstaunlicher, da eben dieses Ende des Afghanistan-Einsatzes seit 20 Jahren prognostiziert wurde.

Schon vor Wochen postete ich Erinnerungen an die TV-Auftritte Peter Scholl-Latours (gestorben 2014), der EXAKT das prophezeite. Sobald die afghanischen Soldaten den Taliban gegenüberstehen, werfen die ihre Waffen weg und kapitulieren. Der Kollaps der Armee ist eben keine Überraschung.

Und das ist alles andere als ein aufregendes Geheimwissen, sondern der Mann war über Jahre Dauergast in allen Talkshows, schrieb Dutzende Bücher und unzählige Artikel, produzierte TV-Dokumentationen.

[…..] "Die Journalistenlegende Peter Scholl-Latour prognostizierte genau das vor 20 Jahren. Schon damals legte er die Finger in die Wunde. Die Regierung: vom Westen geschmiert, kaum im Volk anerkannt. Die Freundlichkeit gegenüber den Befreiern: Gespielt. Die Armee: desertiert, sobald der Sold ausbleibt. 2014 erklärte der Franko-Deutsche im Außenausschuss des Bundestages den Einsatz für gescheitert. Konsequenzen? Keine.  Der alte, unbequeme Grantler hat wieder einmal Recht behalten. Heute, am 16. August, jährt sich sein Tod zum siebten Mal. Sein langer Schatten ruht auf dem gescheiterten Außenminister: hätte man auf ihn statt auf Ideologen gehört, säßen jetzt keine deutschen Mitarbeiter im Taliban-Staat fest." […..]

(Katholische Tagespost, 16.08.2021)

Die hier zitierte Laschet-affine und SPD-kritische Katholiban-Presse schiebt natürlich die Schuld dem Sozi-Außenminister zu. Auch ich kann meinen Parteifreund nicht davon freisprechen. Das war eine ganz schlechte Leistung, Heiko Maas.

Immerhin, im Shitstorm der letzten beiden Tage stellt sich der Außenminister tapfer der Presse, beschönigt seine Fehler nicht und tut alles in seiner Macht Stehende, um nun so viele Menschen wie möglich zu retten.

Allein schuld ist Maas ganz sicher nicht.

Größere Schuld haben George W. Bush und seine Administration auf sich geladen.

Hauptverantwortlich für den deutschen Afghanistan-Einsatz ist die längste Zeit, nämlich 16 von 20 Jahren, Angela Merkel.

Die Entscheidung, hoppladihopp Afghanistan zu verlassen, mehrere Tausend Taliban freizulassen und ihnen freie Hand zu lassen, stammt vom schlimmsten Regierungschef seit Adolf Hitler; nämlich Donald Trump.

[….] Als die USA unter Donald Trump, ohne jedes Interesse am Schicksal der Afghanen, den Taliban im Abkommen von Doha 2020 noch nicht einmal einen Waffenstillstand mit den ANSF auferlegten, solange die Islamisten nur den Abzug der US-Truppen nicht störten, verschlechterte sich die militärische Lage im Land beängstigend rasch. [….]

(Joachim Käppner, 17.08.2021)

Die völlig verblödete Trump-Pompeo-Administration war, wie so oft, eine extrem schlechte Verhandlerin. Der Dealmaker, der Autor von „The Art Of The Deal“, der alle anderen Regierung beschuldigte, keine Deals machen zu können, konnte eins eben nie: Deals! Trump wurde wie ein Kleinkind von den Taliban über den Tisch gezogen.

[….] Haben sich die Taliban geändert? Ja und nein. Sie haben in den vergangenen Jahren nicht nur militärische Zähigkeit bewiesen und mit ihrer zermürbenden, aus dem Hinterhalt geführten Kriegstaktik die Staaten der hochgerüsteten westlichen Armeen dazu getrieben, den Einsatz endlich beenden zu wollen. Sie haben vor allem auf diplomatischem Parkett dazugelernt, sie werden etwa in Peking bereits mit höchsten Ehren empfangen. Am Verhandlungstisch übertrumpft haben sie im vergangenen Jahr die dilettantische Trump-Administration, weil sie die Kriegsmüdigkeit der USA erkannten und tatsächlich einen Abzug der ausländischen Truppen ohne große Gegenleistung aushandelten. Kaum waren diese fort, hat es nur kurz gedauert, bis die Islamisten in Kabul den Palast übernehmen konnten.  [….]

(Tobias Martern, 17.08.2021)

Was für ein Totalschaden der angeblich so erfahrenen Kanzlerin!

Die Geheimdienste werden in ihrem Kanzleramt koordiniert. Zuständig sind ihr Kanzleramtsminister Braun (CDU) und sein Staatssekretär Geismann (CDU).

[….] Das Bundeskanzleramt ist für die Angelegenheiten des Bundesnachrichtendienstes (BND)  zuständig. Der BND ist dem ChefBK unterstellt. Sein Vertreter ist Staatssekretär Johannes Geismann. Dieser nimmt gleichzeitig die Aufgabe des Beauftragten der Bundesregierung für die Nachrichtendienste wahr.  In dieser Funktion koordiniert und intensiviert Staatssekretär Geismann die Zusammenarbeit der drei Nachrichtendienste des Bundes untereinander und ihre ressortübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Dienststellen.  Die Nachrichtendienste sind verschiedenen Ressorts zugeordnet. Der Bundesnachrichtendienst ist dem Bundeskanzleramt zugeordnet, das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Bundesministerium des Innern und der Militärische Abschirmdienst dem Bundesministerium der Verteidigung. [….]

(Bundesregierung)

BND und MAD waren aber entweder selbst total ahnungslos oder ihre Bedenken fanden keinen Anklang bei Braun und Merkel.

Schuldig und verantwortlich ist ferner die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, da die „Ortskräfte“, von denen nun alle reden, Angestellte ihrer Bundeswehr waren. Es war AKKs ureigene Zuständigkeit, sich um ihre Mitarbeiter zu kümmern. Sie zog aber die Soldaten ab, ohne das zu tun und steht heute hilflos an der Seite von Haiko Maas, während sie betont ihre zwei Militär-Airbusse hingen vom US-amerikanischen Schutz des Kabuler Flughafens ab.

Während die erste US-Maschine 640 Flüchtlinge auf einmal ausflog, startete AKKs Bundeswehrjet mit gerade sieben (!) Flüchtlingen an Bord in Richtung Tadschikistan.

80% der Bundeswehr-Ortskräfte sind immer noch in Afghanistan. Kramp-Karrenbauer hat weder einen Plan, noch auch nur eine vage Vorstellung davon, wie all diejenigen, die sich nicht in Kabul befinden, während der totalen Taliban-Kontrolle zum Flughafen kommen könnten. Viele Tote werden auf AKKs Konto gehen.

Weiterhin sind zwei CSU-Bundesminister zuständig. Der eine, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller, ist seit Wochen völlig untergetaucht. Er versucht sich mit allen Mitteln einen schlanken Fuß zu machen.

 […..] Noch vor einer Woche wollte die Bundesregierung straffällig gewordene Afghanen abschieben, angeblich gab es da noch sichere Gegenden im Land. Noch vor einer Woche hat die im Auftrag der Bundesregierung tätige Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) betont, die Entwicklungsprojekte im Norden des Landes liefen weiter, obwohl ihre afghanischen Mitarbeiter das ganz anders erzählen.  […..]

(SZ, 17.08.2021)

Der andere trägt noch schlimmere persönliche Verantwortung: Integrationsminister Horst Seehofer, der dafür zuständig ist, die Ausreisepapiere für die Ortskräfte zu erteilen. Seehofer blockierte bis vor wenigen Tagen vollständig das Ausfliegen der von den Taliban tödlich bedrohten Menschen.

[….] Am Donnerstag, unter dem Eindruck immer dramatischerer Bilder der Bedrohung, setzte Innenminister Horst Seehofer (CSU) nahezu alle Formalien für die Einreise nach Deutschland aus. Bis dahin war von fliehenden afghanischen Ortskräften erwartet worden, zumindest einen Visumsantrag in der Region zu stellen - was schon seit Wochen faktisch kaum mehr möglich ist. Nun sollten alle Formalitäten nach dem Eintreffen in Deutschland erledigt werden können. [….]

(Stefan Braun, SZ, 17.08.2021)

Auch nachdem es gestern beginnend mit Hamburgs Regierungschef Peter Tschentscher mehrere Bundesländer gibt, die sich bereit erklären Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen, beklagt heute Berlins Bürgermeister Müller, die vollständig ausbleibende Planung des Bundesinnenministeriums. Seehofer blockiert also auch die Koordinierung der Flüchtlingsunterbringung, während die CDU-Größen – auch die von den Deutschen so geliebte Merkel – davon schwafeln, nun sollten erst einmal die Afghanischen Nachbarstaaten Flüchtlinge aufnehmen. Als ob Pakistan oder der Iran die Mitarbeiter der Bundeswehr in tödliche Gefahr gebracht hätten.

Was für eine erbärmliche Schande der EU! Mal wieder!

[…..]  Als wäre die Entwicklung der vergangenen Tage nicht schon Schande genug für den Westen: Die einzigen europäischen Länder, die spontan afghanische Flüchtlinge aufnehmen wollen, heißen Kosovo, Albanien und Nordmazedonien. […..]

(SZ, 17.08.2021)

Die Grünen verweisen auf einen im Juni von der Groko und der AfD gemeinsam abgelehnten Bundestagsantrag zur Aufnahme afghanischer Flüchtlinge. Die FDP enthielt sich; nur die Linke stimmte zu.   Das sieht in der Tat heute nicht gut aus für die Koalitionsparteien, also auch die SPD.

Allerdings wußten die Grünen natürlich, daß die Groko keinesfalls in der Frage mit den Linken stimmen würde. Sie waren sicher, daß der Antrag nicht durchkommt. Die nächsten beiden Monate verschwiegen sie das Thema auch tunlichst, weil sie ebenso wie alle anderen Parteien die Hosen voll hatten, fürchteten Stimmen an die AfD zu verlieren. Keine Bundestagspartei wagte es, im immer heißer werdenden Bundestagswahlkampf öffentlich zu fordern Zehntausende Afghanen nach Deutschland zu holen.

Insofern ist die jetzige Empörung der Grünen reine Heuchelei.

Betrachtet man das deutsche totale moralische und politische Versagen, ist aber sicherlich Kanzlerkandidat Armin Laschet der Widerlichste.


Er schwurbelt, schwankt und lügt auch bei diesem Thema. Wirft nun Heiko Maas Dreck an den Kopf, obwohl er selbst ausdrücklich noch bis vor zwei Wochen sogar Abschiebungen nach Afghanistan durchführen wollte und seine Partei der Evakuierung von Ortskräften im Bundestag widersprach.

Nun tut er so, als gehöre er gar nicht zur CDU.

 [….] Bereits am Sonntagabend hatte Laschet einen Forderungskatalog präsentiert. "Handeln jetzt, ohne Zögern!", verlangte der CDU-Chef. Wobei man sich fragte, warum Laschet seine Forderungen twitterte - und nicht direkt bei der Kanzlerin, der Verteidigungsministerin, der EU-Kommissionschefin oder dem Vorsitzenden der Unionsfraktion anrief. Die Damen und Herren sind alle Mitglieder seiner Partei und hätten es schon seit Wochen in der Hand gehabt, ohne Zögern zu handeln. [….][….] Laschet [blieb] eine Antwort darauf schuldig, wie die besonders gefährdeten afghanischen Frauen überhaupt nach Deutschland gebracht werden können. Am Montag war noch nicht einmal klar, ob die Luftbrücke nach Kabul lange genug offenbleibt, um alle Deutschen und wenigstens einen Teil der verbliebenen afghanischen Ortskräfte aus dem Land zu bringen. […..]

(Robert Rossmann, 17.08.2021)

Laschet ist moralisch völlig verkommen, erklärte gestern noch, den afghanischen Frauen solle vor Ort (und nicht in Deutschland) geholfen werden.  Wohlwissend, daß das unmöglich ist, verwendet der fromme Katholik reine AfD-Sprache.


Statt Menschen zu helfen, kumpelt Laschet lieber mit den Faschisten und zeigt als engagierter Katholik was ihm Nächstenliebe und Mitleid wert sind: REIN GAR NICHTS!

Im widerlichen Gleichklang mit der AfD sagt Laschet ebenso wie die anderen C-Minister das braune menschenverachtende Mantra „2015 darf sich nicht wiederholen“ auf. Laschet, Söder, Lindner, Klöckner, Strobl, Ziemiak sprechen allesamt brav der AfD nach.

Warum eigentlich? Die Stimmung 2015 war großartig. Das Land kam zusammen, es herrschte eine Welle der Hilfsbereitschaft, die Mühen zur Unterbringung der Flüchtlinge waren eine großes Konjunkturprogramm, das deutschen einen ökonomischen Aufschwung verschaffte und zweifellos braucht Deutschland dringend Zuwanderung. Der Fachkräftemangel im Bau, im Handwerk, in der Pflege ist dramatisch im Jahr 2021.

[….] Es geht schon damit los, dass die Situation von 2015 kaum mit jener von 2021 vergleichbar ist. Eine bis nach Europa reichende "große Fluchtbewegung", wie Laschet es ausdrückte, ist kaum zu erwarten. Während die Syrerinnen und Syrer, die damals um ihr Leben fürchteten, 2015 offene Grenzen bis nach Deutschland überqueren konnten, kommen die afghanischen Schutzsuchenden 2021 gar nicht aus ihrem Land. Und selbst wenn ihnen dies gelänge: Spätestens an der iranisch-türkischen, allerspätestens an der türkisch-griechischen Grenze wäre Schluss. Das weiß Laschet. 


Das Problem greift aber tiefer. Der Satz, den nicht nur Laschet und andere Unionspolitiker, sondern auch AfD-Politiker gern unermüdlich wiederholen, bricht nicht nur die unvergessenen und in der Entstehung hochkomplexen Vorgänge von 2015 auf diesen einen Slogan herunter. Unterschwellig stellt er überdies das tatsächlich Geschehene - die Zuwanderung von Menschen in Not und Todesangst - als rein negatives Ereignis dar. Denn etwas, das sich nicht wiederholen darf, ist eine Gefahr, die es abzuwehren gilt. Wie sehr die von den Rechten betriebene Diskursverschiebung schon fortgeschritten ist, zeigt auch die Wissenschaft. Soziologen aus Bielefeld haben soeben festgestellt, dass die integrationsfeindlichen Einstellungen in der Gesellschaft zugenommen haben. Man habe eine "Kultur der Abwehr" ausgemacht - und zunehmende Abwertung von Geflüchteten.

Nun also Laschet, der angesichts der Bilder vom Kabuler Flughafen zu einer Aussage greift, die vermutlich von Angst getrieben ist: Bloß den Rechten kein Wahlkampfthema bieten! Aber was genau soll sich eigentlich nicht wiederholen? Der humanitäre Kraftakt der Bundesregierung, die Grenzen offen zu halten und Menschen zu helfen, die aus Todesangst ihre Heimat verlassen hatten? Die mehrheitlich positive Reaktion und die spürbare Solidarität in der Gesellschaft? [….]

(Gökalp Babayiğit, 18.08.2021)